Im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik wird schon seit 1998 an einer Fusionsanlage gearbeitet, die Mitte 2015 in Betrieb gehen soll. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) kritisierte vor einem Monat in dieser Pressemitteilung, dass die Anlage „schwere Sicherheitsmängel“ habe. Es heißt, dass der Strahlenschutzbeton fehlerhaft zusammengesetzt sei und das es Risse im Hallendach gebe. Über den Wendelstein 7-X und die Vorwürfe sprach webMoritz-Redakteur David Vössing mit Professor Thomas Klinger, dem wissenschaftlichem Direktor des Forschungsprojekts Wendelstein 7-X. Klinger weist dabei die Vorwürfe zurück.  

webMoritz: Herr Prof. Klinger, was ist der Wendelstein 7-X überhaupt?

Prof. Thomas Klinger: Wendelstein 7-X ist ein Grundlagenexperiment zur Plasmaphysik. Mit diesem wollen wir herausfinden, ob das magnetische Feld, das wir ausgetüftelt haben, um ein heißes Plasma einzuschließen (d.h. von den kalten Wänden zu isolieren), optimal funktioniert. Ziel des ganzen Experiments ist es, nachzuweisen, dass diese Anlage das Zeug zu einem Kraftwerk hat. Wendelstein 7-X ist jedoch noch kein Kraftwerk. Wir wollen und können damit keinen Strom erzeugen – dafür ist es viel zu klein.

Wie teuer ist das ganze Projekt?

Prof. Thomas Klinger, wissenschaftlicher Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik für das Projekt Wendelstein 7-X (Hintergrund).

Die Experimentieranlage Wendelstein 7-X kostet 370 Millionen Euro. Hinzu kommen Personalkosten von 1996 bis 2014 von 310 Millionen Euro. Das Gebäude selber hat 100 Millionen Euro gekostet und die Kosten für den laufenden Betrieb summieren sich von 1996 bis 2014 auf 280 Millionen. Alles das zusammen ergibt 1,06 Milliarde Euro. Wir gehören damit zu den großen deutschen Forschungsprojekten. Seit fünf Jahren halten wir die Kosten stabil und im Plan. Zwischen 2000 und 2007 hatten wir tatsächlich Kostensteigerungen, vor allem bedingt durch technische Probleme und Unvorhergesehenes.

Wie ist der weitere Zeitplan?

Wir wollen Mitte 2013 einen Antrag auf Betriebsgenehmigung stellen. Mitte 2014 ist dann der Montageabschluss und Mitte 2015 wollen wir in Betrieb gehen.

Welche Strahlung entsteht bei Ihrem Reaktor?

Wendelstein 7-X ist zunächst einmal kein Reaktor und auch keine kerntechnische Anlage. Bei diesem Experiment wird jedoch ionisierende Strahlung frei. Das ist ein Oberbegriff für verschiedene Arten von Strahlungen. Bei uns entstehen Röntgenstrahlen, Neutronenstrahlen und Gammastrahlen. Das passiert bei vielen physikalischen Experimentieranlagen, zum Beispiel Teilchenbeschleunigern wie etwa am CERN in der Schweiz oder DESY in Hamburg. Überall – wie bei uns auch – muss entsprechend den Vorschriften Strahlenschutz betrieben werden.

Wenn Ihr Experiment Erfolg hat und ein solcher Fusionsreaktor in Betrieb geht, entstehen dabei nicht auch Radioaktivität und radioaktive Abfälle wie auch bei einem Atomkraftwerk?

Ein zukünftiger Fusionsreaktor ist in der Tat eine Nuklearanlage. Entsprechend muss für die Mitarbeiter und die Anwohner Strahlenschutz wie in einem Kernkraftwerk vorgenommen werden. Es entsteht auch radioaktiver Abfall, aber der entscheidende Unterschied ist, dass keine Spaltprodukte erzeugt werden. Es  fallen keine ausgebrannten Brennstäbe an, die hochradioaktiven Müll darstellen, der sehr lange endgelagert werden muss – das ist das große Problem bei einem Kernkraftwerk. Gemeinsam haben ein Kernkraftwerk und ein Fusionskraftwerk, dass die Anlagen während ihres Betriebs radioaktiv sind und nach Stilllegung über einige Jahrzehnte abklingen müssen, bis der Stahl wiederverwendet werden kann.

Also kann es nicht zu einem GAU wie in Tschernobyl oder Fukushima kommen?

Bei einem Kernkraftwerk ist ein Grundproblem, dass man den Kernbrennstoff für ein bis zwei Jahre Betrieb in dem Reaktor vorrätig haben muss. In Fukushima sind das ungefähr 200 Tonnen. Wenn dieser Brennstoff außer Kontrolle gerät, wird natürlich viel Energie frei. So ist es in Fukushima durch Wasserstoffexplosionen zu Beschädigungen des Gebäudes gekommen und Radioaktivität konnte austreten. In einem Fusionskraftwerk ist jedoch in jedem Moment ungefähr ein Gramm Brennstoff enthalten. Das ist in etwa so viel, wie nötig ist, um das Kraftwerk eine Minute lang zu betreiben. Dieses Gramm Brennstoff reicht bei weitem nicht aus, um irgendwelche Strukturen zu schmelzen. Folglich kommt es selbst bei unkontrollierten Bedingungen maximal zu geringen Beschädigungen an den Oberflächen im Inneren der Maschine.

Fusionsanlage Wendelstein 7-X.

Sie hatten bereits die Neutronenstrahlung erwähnt. Von BUND wird der Vorwurf erhoben, dass der Strahlenschutzbeton der Torushalle, die die Anlage umgibt, fehlerhaft sei.

Hintergrund der Debatte ist die Einsicht in die Akte des Genehmigungsverfahrens, welches eine Errichtungs- und eine Betriebsgenehmigung umfasst. Das ist für sich ein komplexer Vorgang. Wir sind natürlich verpflichtet, alle Auflagen der Errichtungsgenehmigung zu erfüllen, unter anderem die abschirmenden Eigenschaften des Strahlenschutzbetons nachzuweisen. Wir müssen das nach dem Bau gutachterlich nachweisen. In seinem Gutachten kommt der Betonfachmann Prof. Bernd Hillemeier (TU Berlin) zum Ergebnis, dass die Abschirmeigenschaften des Betons die Vorschriften erfüllen. Wichtig sind dabei der Bor- und der Wassergehalt des Betons, da damit die Neutronen effektiv abgeschirmt werden. Die Vorgabe aus der Richtungsgenehmigung ist 1000 ppm Bor (ppm = parts per million) und mindestens 120 Liter Wassergehalt pro Kubikmeter. Hillemeier findet in seinem Gutachten, dass der Mittelwert Bor über 1000 ppm liegt.  Einige wenige der 48 Proben sind etwas unter 1000 ppm, was statistisch so zu erwarten ist. Bei dem Wassergehalt muss man das chemisch- und das physikalisch  gebundene Wasser berücksichtigen und man findet mehr als 140 Liter pro Kubikmeter. Leider hat Herr Hillemeier damals 1998 in seinem Gutachten geschrieben, dass der Wassergehalt größer 100 Liter pro Kubikmeter ist, was für 140 Liter pro Kubikmeter ja zutrifft.  Er hat sich wohl  irrtümlich auf einen Vorgabewert von 100 Liter pro Kubikmeter bezogen, was Anlass für Verwirrung gegeben hat.

Ein weiterer Vorwurf des BUND ist, dass die Hallentore nicht ausreichend gesichert seien. Der erlaubte Grenzwert werde um das 490-fache überschritten. Besteht dadurch jetzt auch eine Gefährdung der Bevölkerung?

Eine solche Gefährdung besteht nicht. Wir ergreifen alle notwendigen Maßnahmen, um Bevölkerung und Mitarbeiter vor Strahlung zu schützen. Wir haben ja gar kein Interesse daran, den Strahlenschutz nicht zu erfüllen. Es ist absurd, uns so etwas zu unterstellen. In den dicken Hallenwänden haben wir bewegliche Hallentore, um große Komponenten in die Halle hinein zu transportieren. Die Hallentore sind ebenfalls aus Strahlenschutzbeton. So ein Tor hat ein Fahrwerk, das in den Beton eingebaut wird und genau dort ist die Wanddicke geringer. Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) hat 1998 Berechnungen durchgeführt, um die Abschirmwirkung des Hallentors zu bestimmen. Die GRS kam damals zum Ergebnis, dass der Grenzwert um das 490-fache überschritten werden würde, wenn man das Tor nicht anders auslegt. Es wurde vorgeschlagen, in das Tor vor das Fahrwerk einen Polyäthylenblock von 35 Zentimetern Dicke und 1,6m Höhe zu integrieren. Genau so ist das 1998 umgesetzt worden und  damit werden natürlich keine Grenzwerte überschritten. Entsprechend hat Landesamt für Gesundheit und Soziales in einer Pressemitteilung dem BUND mit Recht energisch widersprochen. Das Aktenstudium erfordert eben einige Fachkenntnisse und Sorgfalt. Das  Landesamt für Gesundheit und Soziales  hat überdies festgestellt, dass ein unabhängiges Gutachten für die Hallentore noch nicht vorliegt. Dieses wird eingeholt und liegt in ein paar Wochen vor.

Jetzt soll es nach einer Pressemitteilung des Sozialministeriums noch ein weiteres Gutachten geben.

Das Sozialministerium setzt eine Sachverständigengruppe ein, die nochmals die gesamte Aktenlage prüft und bilanziert. Wir unterstützen dieses Vorgehen ausdrücklich. Die Gesamtsituation wird  geprüft und eine noch zu erteilende Betriebsgenehmigung erhält die Auflagen, die den Strahlenschutz sicherstellen.

Neben dem Strahlenschutzbeton und den Hallentoren gab es auch noch Kritik an Rissen in der Hallendecke. Tritt dann dort Strahlung aus?

Die Hallentore werden im Fahrwerksbereich mit einem Polyäthylenblock verstärkt, der Strahlung abschirmen soll.

Risse in der Hallendecke sind natürlich ein Reizbegriff.  Aber von was für Rissen sprechen wir hier? Das sind Setzungsrisse beim Anfertigen der Torushalle. Der Beton wird gegossen, trocknet und dann ist es gar nicht vermeidbar, dass es bei so großen Strukturen zu inneren Spannungen kommt, die zu kleinen Rissen führen. Klein bedeutet 0,25 Millimeter Breite und einige wenige Zentimeter Tiefe bei zwei Meter Beton. Diese Risse sind vom Baustatiker beurteilt worden und wurden mit eigenen Rechnungen hinsichtlich des Strahlenschutzes geprüft. Im Anschluss wurden sie nach Vorschrift saniert. Diese Oberflächenrisse sind für den Strahlenschutz nicht relevant und das wurde vom Sozialministerium schriftlich bestätigt. Leider hat sich auch hier der BUND in den Fakten verirrt, aber die Sache ist halt im Detail kompliziert.

Aus Ihren Worten klingt hervor, dass Sie den BUND, was diese Kritik angeht, für ziemlich unfähig halten.

Unfähig würde ich nicht sagen. Ich würde sagen, es ist wirklich ein schwieriges Thema. Ich habe keine Probleme mit dem BUND, bin aber enttäuscht von der Art und Weise, mit der Sache umzugehen. Ich hätte es für guten Stil gehalten, mit Fragen zunächst einmal zu uns zu kommen. Vorwürfe ungeprüft über Pressemitteilung zu publizieren, hat natürlich ein gewaltiges Echo und führt zu Ängsten in der Bevölkerung. Wir sind jederzeit bereit, Besucher zu empfangen und Fragen zu beantworten;  im Oktober führen wir wieder einen Tag der offenen Tür durch.

Wenn keine Unfähigkeit dann schluderige Arbeit oder zu oberflächlich Analysen vom BUND?

Im Gegenteil. Der BUND hat sich emsig und mit großer Sorgfalt und Arbeitseinsatz mit den Akten beschäftigt. Aber es gab halt Missverständnisse und Fehlinterpretationen, die der BUND in seinen Pressemitteilungen stark herausgekehrt hat, wie zum Beispiel die Abschirmwirkung des Hallentors. So was passiert, Fehler sind menschlich, wären aber vermeidbar gewesen.

Fotos: Erik Lohmann (Artikelbild), David Vössing