Ein Kommentar

Als Oberbürgermeister Dr. Arthur König in Greifswald den Anwesenden in der Bürgerschaft kurz und bündig erklärte, dass der große Speicher am Museumshafen abgerissen werde, horchten die Redakteure am Pressetisch und die Pressesprecherin der Stadt auf, während die Fraktionsmitglieder sich die Worte des Oberbürgermeisters noch einmal durch den Kopf gehen ließen. Den Abrissantrag habe das Petruswerk vor einigen Wochen gestellt, die untere Denkmalschutzbehörde selbigen genehmigt. Die Pressesprecherin Andrea Reimann merkte (sichtbar über die Nachricht überrascht) mit knappen Worten an, dass sie eine Pressemitteilung darüber verfassen werde, die wir am kommenden Tag  zugesandt bekommen würden. Und irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie viel mehr erschrocken als überrascht darüber war, dass das Gebäude irgendwann nicht mehr stehen würde; schließlich handelt es sich hierbei um eines der markantesten Bauwerke der Stadt. Die Reaktionen am Tisch der Geschäftsführenden der Fraktion konnte ich nicht wahrnehmen; viel zu sehr war ich damit beschäftigt, mir den Stadthafen ohne den großen roten, 1937 errichteten und mit einem Greifen verzierten Riesen, dem Symbol des Hafens schlechthin, vorzustellen. Es ist der letzte noch existierende große Speicher am Museumshafen, ein weiterer kleiner wurde restauriert, der Nachbarspeicher desselben wird wohl auch in absehbarer Zeit in sich zusammensinken.

„Wer reißt da ab, wer bezahlt, was soll da hinkommen?“, fragte Peter Multhauf, Bürgerschaftsmitglied der Linksfraktion, ruppig den Oberbürgermeister. Im Wesentlichen hatte König das auch bereits gesagt. Es war offensichtlich, dass Multhauf einfach keine anderen oder besseren Worte finden konnte, um irgendwie seinen Unmut darüber zu äußern, dass das weithin sichtbare architektonische Wahrzeichen des Museumshafens den Profitinteressen des Douglas Fernando, Inhaber des Petruswerkes, zum Opfer fällt. Immerhin konnte Multhauf noch Worte finden. Den sonst in Denkmalschutzfragen so engagierten Bürgerschaftsmitgliedern der Grünen-Fraktion schien es schlichtweg die Sprache verschlagen zu haben. Bürgerschaftspräsident Egbert Liskow war sich bewusst, dass sich hinter den nüchtern-sachlich scheinenden Fragen Kritik über den Abriss verbarg und merkte nur ganz lapidar an, dass König bereits alles gesagt habe. Der Abriss gehe zu Lasten des Petruswerkes, erklärte König. Die Frage, was an Stelle des markanten Speichers mit dem Greifen entstehen soll, konnte oder wollte der Oberbürgermeister jedoch nicht beantworten. Am Pressetisch wurde  gemutmaßt, dass es mit dem Bebauungsplan des Hafenstraßen- Areals in engem Zusammenhang stehen könne. Nachdem König das Mikrofon verließ, war das Schauspiel zu Ende; weitere Fragen der Mitglieder der Bürgerschaft folgten.

Wenngleich die Szenerie kaum mehr Zeit als drei Minuten der über zweistündigen Sitzung in der Bürgerschaft in Anspruch nahm, hat sich die Meldung doch umso nachhaltiger in die Köpfe der Bürgerschaftsmitglieder, Redakteure, Fraktionsvorsitzenden und Gäste eingebrannt. Schließlich wird hier nicht irgendein baufälliges Haus mal abgerissen. Es handelt sich um das größte Gebäude am Hafen. Es sieht – im Moment – freilich mehr gespenstisch als schön aus. Doch besser als Fernandos geschmacklosen Gelddruckmaschinen ist der rote Backsteinriese am Brackwasser des Rycks allemal. Die Würfel sind gefallen. Der Museumshafen verliert sein Wahrzeichen, verliert ein essentielles Monument seiner Geschichte. Ein wichtiger Teil der Vergangenheit des Hafens wird unwiederbringlich zerstört; irgendwo zwischen zwei, drei oder vier Sätzen des Oberbürgermeisters. Das einzige, was übrig bleibt, sind Fotos in Farbe und schwarz-weiß, Erzählungen Greifswalder Urgesteine, diese Zeilen, die so gar nicht recht mit dem Pressekodex harmonieren wollen. Was jetzt neben all dem bereits genannten übrig bleiben wird, ist neben einer Kurzmeldung der Ostsee-Zeitung, einem Kommentar auf Daburnas Logbuch noch jene Pressemitteilung:

Speicherruine in der Hafenstraße zum Abriss freigegeben

Der große Speicher in der Hafenstraße 37 kann abgerissen werden. Die Untere Bauaufsichtsbehörde hat die Genehmigung dazu erteilt. Zuvor hatte das Landesamt für Kultur und Denkmalpflege in Schwerin den Abriss der Ruine befürwortet.

Das Petruswerk hatte den Abrissantrag gestellt. Es will an dieser Stelle erneut ein markantes Gebäude in der Größe des jetzigen Speichers errichten. Im Gespräch ist unter anderem ein Hotel. Dieses soll dann Bestandteil eines neuen Wohngebietes sein, das das Petruswerk in dem Areal errichten will. Der Abriss der Ruine soll aber erst erfolgen, wenn die Bürgerschaft den Entwurf für den Bebauungsplan 55 beschlossen hat. Die Genehmigung ist drei Jahre lang gültig.

Der Speicher wurde 1937 als 6-geschossiger Getreide- und Futtermittelspeicher errichtet. Die Anlage umfasst das Silogebäude und ein angrenzendes Lagerhaus.

Fotos: Marco Wagner