Die Greifswalder Universität hat sich im vergangenen Jahr zum Ziel gesetzt, sich ein neues Leitbild zu geben. Seit Juli 2011 arbeitete eine hierfür eigens eingerichtete „Leitbildkommission“ an einem Entwurf, der in der vergangenen Woche dem Senat vorgelegt wurde und für eine ausgiebige Diskussion sorgte. Als kritikwürdig wurde von mehreren Senatoren vor allem der Sprachduktus angesehen. Prorektor Michael Herbst empfand ihn als „ein wenig sprachredundant“, Senator Jürgen Kohler empfahl, den Text von einigen „wortgewaltigen“ Professoren verfassen zu lassen, die über journalistische Kompetenz verfügten. In diesem Zusammenhang verwies er auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaften.
Leitbildentwurf mit inhaltlichen Unstimmigkeiten…
Für Kohler stellt der derzeitige Entwurf nicht das Endergebnis, sondern den „Anfang eines Prozesses“ dar. Zusammen mit Claus Fesser kritisierte er unter anderem die Unstimmigkeiten bei der Einbeziehung der Universitätsgeschichte in das Leitbild. So steht in dem derzeitigen Entwurf, der dem webMoritz vorliegt, dass ihre Gründung auf Initiative von Bürgern der Hansestadt Greifswald eine Besonderheit darstelle. Fesser arbeitete jedoch am Beispiel der Kölner Universitätsgründung heraus, dass dem keineswegs so sei und es auch zahlreiche andere Universitätsgründungen auf Bestreben des Bürgertums gegeben habe. Es täte daher der Kommission ganz gut, „ein bisschen über den Tellerrand hinaus zu blicken.“
Ebenfalls kritisiert wurde die Formulierung, dass ihre Lage an der Grenze zwischen dem deutschen und polnischen Kulturraum Zeit ihrer Geschichte Ausgangspunkt für die internationale Wirksamkeit der Universität gewesen sei. „Die Uni hat sich beispielsweise vor 1945 nie um Polen gekümmert“, monierte Senator Kohler die Formulierung. Ferner habe man sich zum Teil unglücklich ausgedrückt, sodass der Eindruck entstehen könne, „die auf dem Land seien doof.“ Während der Debatte machte sich Kohler vor allem dafür stark, dass mit dem Leitbild auch gearbeitet, es also Realität werden und damit identitätsstiftende Wirkung entfalten könne. Der studentische Senator und Kommissionsmitglied Erik von Malottki sieht ebenfalls noch Verbesserungsbedarf, hält den derzeitigen Entwurf jedoch für einen „Schritt in die richtige Richtung“. „Wir hätten uns mehr hinsichtlich der Betonung des demokratischen Charakters der Hochschule gewünscht“, betonte von Malottki in der Debatte.
und ohne klar erkennbares Profil
Prorektor Frieder Dünkel findet, dass der Aspekt der Internationalisierung im Ostseeraum noch zu schwach herausgearbeitet sei. Wolfang Joecks fasste den Inhalt des derzeitigen Entwurfs zuspitzend zusammen: „Das Leitbild ist jetzt so: Wir sind völlig normal, schön und nett und haben die Ostsee.“ Auch Kohler und Erik von Malottki fehlt „das Salz in der Suppe“ des Leitbildes. „Ob das Salz, was uns fehlt, das Gleiche ist, wird sich sicherlich noch herausstellen“, präzisierte von Malottki.
Die Kommissionsvorsitzende Cornelia Mannewitz bedauerte, dass von den Fakultäten viel zu wenig Zuarbeit bei der Erstellung des Entwurfes kam, schließlich soll das Leitbild künftig fakultätsweite Verbreitung finden. Die Kommission schlägt im Rahmen der Ausarbeitung einer Endfassung die Organisation eines öffentlichen „Leitbildworkshops“ vor, der vor allem bei Jan-Peter Hildebrandt auf Unmut stieß. „Wir bewegen uns auf einem völlig falschen Dampfer, wenn wir jetzt noch mehr Öffentlichkeit mit einbeziehen. So, wie wir die Diskussion jetzt bereits sehen, fällt es der Kommission bereits jetzt schwer, einen gemeinsamen Konsens zu finden. Der basisdemokratische Prozess einer Texterstellung kann meiner Ansicht nach nicht funktionieren“, erläuterte Hildebrandt in seiner Rede. Er schlug vor, dass die Kommission stattdessen drei konkurrierende Entwürfe erarbeiten solle, über die dann der Senat entscheiden könne.
Kohler widersprach Hildebrandt. Da es sich um ein Leitbild für die ganze Universität handele, sei es für ihn besonders wichtig, dass allen die Teilnahme an der Erarbeitung des Leitbildes ermöglicht werden solle. „Wie lange die Erstellung eines Leitbildes dauert, ist fast schon egal. Es kommt darauf an, dass wir inhaltlich das vertreten können, was im Leitbild verankert wird“, so Kohler abschließend. Der Senat einigte sich am Ende der Debatte darauf, dass man den derzeitigen Entwurf als Zwischenergebnis annehme und der neue Senat dann wieder in die Diskussion einsteigen werde. Darüber hinaus machte sich der Senat mehrheitlich dafür stark, den Prozess der Erarbeitung des Leitbildes unter breiter Beteiligung durch die Öffentlichkeit zum Abschluss zu bringen.
Das bisherige Leitbild der Universität könnt ihr hier finden.
Hinter die Kulissen geschaut: Die Entwürfe des Leitbildes
Dem webMoritz liegen neben dem im Senat diskutierten noch weitere Entwürfe vor, die in der Kommission diskutiert wurden. Der dem Senat vorgelegte Entwurf untergliedert sich in fünf Abschnitte: „Universität Greifswald – Tradition verpflichtet, Zukunft gestaltend“, „Forschung und Transfer“, „Lehre und Studium“, „Vielfalt“ und „Menschen und Institution“. In dem Kompromisspapier wurde besonders das Bekenntnis zur Volluniversität herausgearbeitet, eine Betonung von Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmalen der Greifswalder Lehre und Forschung jedoch vermieden. Genauso wenig Beachtung findet in dem Papier der Namenspatron Ernst Moritz Arndt.
In dem von Erik von Malottki im Namen der Studierendenschaft ausgearbeiteten Entwurf heißt es dazu: „Aus der Auseinandersetzung mit ihrem Namensgeber setzt sich die Universität für eine freiheitliche, friedliche und demokratische Gesellschaft ein. Lehre und Forschung sollen das friedliche Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der gesellschaftlichen Verpflichtung der Universität für die Erhaltung der Lebensgrundlagen erfolgen.“ Ebenfalls deutlich stärker herausgearbeitet ist der regionale Bezug. So soll sich die Universität der Aufgabe stellen, „Antworten auf die regionalen Herausforderungen zu finden.“ Insgesamt zeigt sich der studentische Entwurf in einem deutlich zuspitzenderem Gewand. Von einer „Vorreiterrolle in der Erarbeitung von Zukunftskonzepten für ländliche Regionen“ ist hier genauso die Rede, wie von der regionalen Verankerung als „Labor Vorpommern“ und einer Brückenfunktion im gesamten Ostseeraum.
Die generelle Bedeutung des wissenschaftlichen Aspekts findet jedoch in dem Kompromisspapier stärkere Berücksichtigung. Forschung könne „sowohl grundlagen- als auch anwendungsorientiert“ sein und ziele auf die Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis ab. Übernommen wurde von dem studentischen Entwurf der Einfluss der Wissenschaft auf kulturelle, wirtschaftliche und soziale Bereiche der Gesellschaft. Die Einheit von Forschung und Lehre wird in dem Skript genauso besonders hervorgehoben, wie das Streben nach Vielfalt und Geschlechtergerechtigkeit.
Ebenfalls wesentlich zuspitzender als das Kompromisspapier sind die Entwürfe der Redaktionskomission. So wird in diesem beispielsweise im ersten Abschnitt die Stellung der Universität innerhalb des Ostseeraumes und Europas deutlicher herausgearbeitet, die internationale, wie auch lokale, (über-) regionale Rolle der Universität im Raum stärker betont. Ebenso besonders stark hervorgehoben wird die Bedeutung der Greifswalder Uni für „eine freiheitliche, zivile und demokratische“ Gesellschaft. Im Kompromissentwurf wurde dieser Aspekt auf den letzten Abschnitt nach unten verschoben und weniger deutlich formuliert.
Nicht übernommen wurde in dem Schlussentwurf die Betonung der Entwicklung von Persönlichkeiten, die „die Fähigkeit zu wissensbasiertem Handeln und lebenslangem Lernen besitzen.“ Weiterhin weggefallen ist die Rolle der Hochschuldidaktik für die Lehre an der Greifswalder Universität. Im Abschnitt, der sich mit Forschung und Transfer befasst, wurde der Abschnitt, der sich mit Genderaspekten befasst, deutlich stärker zusammengekürzt und hat zugleich an Schärfe verloren.
Am auffälligsten ist, dass sich in jedem ursprünglichen Abschnittsentwurf das Bekenntnis zur Demokratie wiederfindet, welches im Endentwurf aber stark zurückgedrängt wurde. Cornelia Mannewitz‘ Idee, das „Bekenntnis zu Autonomie und Demokratie“ im Leitbild zu verankern konnte genau so wenig eine Mehrheit in der Kommission finden, wie ihr Vorschlag, die Rolle der Universität nicht nur als demokratiefördernde, sondern auch als demokratische Institution im Schlussentwurf festzuhalten.
Werden die Entwürfe mit der Schlussfassung verglichen, bleibt festzustellen, dass hier noch viel mehr Potential steckt. Vor allem fehlt in dem derzeitigen Zwischenergebnis eines: Das Salz in der Suppe.
Foto: Christine Fratzke – webMoritz-Archiv/ Archiv Moritz-Magazin (Frieder Dünkel)
Die Tilgung des rassistischen Patrons im Titel der Uni und Wiederaufnahme des traditionellen Namens "Universität Greifswald" wäre ein erstes gutes, wegweisendes und deutliches Signal.
Aber sogar bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte im Nationalsozialismus drückt sich die Uni um die Auseinandersetzung mit Arndt und die Namensverleihung durch die Nazis.
Provinzuniversität mit zu wenig Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung und zu viel Bammel vor bornierter regionaler Bevölkerung. -> das ist doch ma ein Profil!
Hetzer sind ja meistens unbeliebt…