Liebe Leser, nach den Vorfällen der vergangenen Woche hat sich Torsten Heil auf eigenen Wunsch aus dem Kolumnenprojekt zurückgezogen. Wir bedauern diese Entscheidung, wenngleich wir Verständnis dafür haben. An diesem und den nächsten zwei Dienstagen erwarten euch nun Kolumnen von Gastautoren.

Carsten Schönebeck (26) studiert Politikwissenschaft. Von 2009 bis 2010 war er webMoritz-Chefredakteur.

Samstagabend auf einem Dorffest in der mecklenburgischen Provinz: Es schüttet aus allen Schleusen des Himmels, die Menschen drängeln sich unter die wenigen Zelte. Während ich noch überlege ob ich unter der winzigen Überdachung des Getränkeausschanks stehenbleibeoder ob ich durch den strömenden Regen zum Zelt laufen soll, gesellt sich ein Mann mittleren Alters zu mir. „Drei Whiskey-Cola, aber ordentliche!“ bestellt er.

An der Artikulation glaube ich wahrzunehmen, dass das nicht die ersten drei heute Abend sind. Der Mann ist vielleicht Anfang vierzig, nicht muskulös aber drahtig. Sein Gesicht ist kantig und trägt die Art von Bräune die nicht vom letzten Teneriffa-Urlaub stammt. Er sieht aus wie ich mir jemanden vorstelle, der sein Geld mit eigener Hände Arbeit verdient.

Dann dreht er sich zu mir: „Scheißwetter“, raunt er. Und da ich auf dem ganzen Fest nur zwei Leute kenne, ergreife ich die Gelegenheit beim Schopf und versuche Konversation zu machen. „Das hört bestimmt gleich auf“, antworte ich freundlich. Der Mann schaut mich verkniffen an: „Biste’n Bauer?“ – „Nein“ – „Dann haste auch keine Ahnung.“ Er greift die drei Pappbecher vom Tresen und verschwindet in den Regen Richtung Zelt. Das war’s. Der Versuch des Smalltalks zwischen angehendem Akademiker und der vermeintlich einfachen Bevölkerung ist geplatzt.

Einmal mehr muss ich erkennen, dass die Bodenhaftung meines Lebens irgendwo auf dem Weg zwischen Oberstufe und Studium verlorengegangen ist. Ich bin und bleibe ein Kind der Oberschicht, als behütetes Nesthäkchen in der Stadt aufgewachsen: Ein Spießer.

Bleibt auch in cooler Pose spießig: Gartenzwerg

Ich kann keine politische Diskussion führen, ohne Verständnis zu haben – für andere Positionen, für die menschlichen Schwächen der Volksvertreter und die Sachzwänge der Gesetzgebung. Ich kann mich nicht über Boxen unterhalten, ohne durchscheinen zu lassen, dass ich es abartig finde, dass die Prügelei zweier erwachsener Männer ein Fernsehgroßereignis ist. Und ich kann auch nach fünf Bier keine abgedroschenen Witze über Frauenfußball machen, ohne dabei über Gleichstellung, Quoten und längst depublizierte Glossen studentischer Medien nachzudenken.

Aber ich würde es gerne. Ich würde gerne Partys toll finden, die ohne musikalische Cross-Over-Indie-Nonkonformisten, ohne dadaistische Showeinlagen, ohne hippe Club-Mate-Mischgetränke auskommen. Schwelgend in einer Zufriedenheit des Augenblicks, nicht auf der Suche nach der nächsten innovativen Veranstaltungskonzeption. Eigentlich finde ich es auch toll, bei Bier und 80er Jahre Chart-Musik mit Freunden zu quasseln, aber ich würde es nie öffentlich zugeben. Das Fleisch ist willig, aber der Geist…

Ein Freund von mir wird demnächst heiraten – Standesamt, Polterabend, Kirche – jetzt soll es auch noch einen Junggesellenabschied geben. Ich habe keine Ahnung was man an so einem Abend machen soll, trotzdem plane ich mit. Und ich weiß jetzt schon, dass es passiert. Irgendwann wird es einer vorschlagen, vielleicht jemand, von dem ich es gar nicht erwarte, vielleicht auch der größte Klischeemacho: „Lasst uns in ‘nen Stripclub gehen!“ Und ich werde mich wieder als Spießer outen.

Fotos: Christine Fratzke (Porträt),  Jakob Pallus (Grafik),“Jakob’chen (!)“ via www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc-nd)

Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Morgen ist an der Reihe: Sophie Lagies