Oleg Maximov (23) studiert in Greifswald Kunstgeschichte und Wirtschaft auf B.A. Er arbeitet seit 2008 vor und hinter der Kamera bei MoritzTV. Nebenbei interessiert er sich für jegliche (pop-)kulturelle Bereiche und das Feiern.

Heute habe ich meine Wohnung geputzt, damit ich guten Gewissens wegfahren kann. Mein Mitbewohner kann ganz schön grantig werden, wenn die Wohnung mal im Dreck versinkt. Dann denke ich jedoch daran, wie es in meinem ersten Jahr in Greifswald war und warum ich ausgezogen bin. Damals lebte ich noch auf einem Verbindungshaus. Ich war naiv und kannte keinen.

Es war das erste WG-Zimmer, was ich besuchte und sofort bekam. Nach und nach lernte ich jedoch mehr und mehr, dass meine liberal-naive Vorstellung von einer Verbindung überhaupt nicht zutraf. Und hier rede ich nicht von Konservativismus. Der ging mir nicht so auf die Nerven, wie das ständige stumpfe Betrinken und die ständigen Hausbesuche von anderen Verbindungen. Zugegeben, anfangs mochte ich das fröhliche Treiben und dass immer irgendwas auf dem Haus abging. Aber nach einen halben Jahr ist es ermüdend, immer wieder dasselbe zu machen. Immer im selben Kreis, am selben Ort. Halbverschlossen vor der Öffentlichkeit. Vor allem wenn die Gäste meist eine Horde Hardcore-Biertrinker sind. Ein Abend blieb mir besonders in Erinnerung. Als mehrere verschiedene Verbindungen auf unseren Haus Gäste waren. Einige von meinem Bund hatten ihre Fahnen gestohlen, die immer draußen vor jedem Verbindungshaus hängen.

Verschwommene Gedanken hinter dem Tresen

Sie waren wütend deswegen. Es ging um Ehre und exzessives Biersaufen. Braveheart-like brüllend und grölend polterten sie in den Festsaal rein. Sie hatten pro Farbe, die sich auf ihrem Verbindungsband befindet, einen Kasten Bier dabei. Auf den meisten Bändern, die man um die Brust trägt, sind entweder zwei oder drei Farben drauf.  Bedeutet: An diesem Abend musste jeder von ihnen in kürzester Zeit drei bis vier Liter Gerstensaft in sich reinschütten. Damit begannen sie auch sofort. Der damalige Chef meiner Verbindung schrie mich und ein paar andere hysterisch an, alle vorhandenen großen Behältnisse sofort in den Raum zu schaffen. Aus diesem hörte man das Brüllen und Speien von vielen Rachen. Nur eine natürliche Reaktion des Magens auf zu viel Flüssigkeit. Dachte ich jedenfalls.  Eigentlich musste ich für eine Klausur lernen und wollte nichts mit den Spektakel zu tun haben. Doch in der Luft lag eine Art Bedrohung. Eine Bedrohung für den teuren Parkettboden im Saal.  Alles an Schubkarren, Eimern und Ähnlichem brachten wir daraufhin in den Raum mit den Bierberserkern.

Statt zu warten, dass sie von alleine von zu viel Flüssigbrot platzen, schoben sich die meisten ihre Hand tief in den Rachen. Bier aufmachen. Bier exen. Hand reinstecken. Kotzen. Genuss ist was anderes. Es ist Exzess.

Einem von ihnen ist das Bier in die voll-gefüllte Schubkarre reingefallen. Völlig ungeniert holte er dieses raus, schluckte es leer und schoss einen Strahl, mit dem Geräusch einer sterbenden Giraffe, wieder in den Karren. Völlig betäubt starrte ich auf dieses Sodom und Gomorra des „kühlen Blonden“.  Dabei ist der Begriff eigentlich in diesem Zusammenhang falsch gewählt.  Wenn das Bier eine kühle Blonde, wie in der Köstritzer Werbung  wäre, dann war sie gerade auf Crack und hatte einen Gangbangmarathon hinter sich. Bei den Gedanken schüttelt es mich.

Ich war wieder in meiner jetzigen Wohnung, die Geschichte lang wieder in der Vergangenheit. Jetzt wusste ich wieder, warum ich nicht mehr da wohnte. Erleichtert wusch ich das Geschirr und packte meine Sachen ein. Am nächsten Morgen fuhr ich auf die Fusion, um dem kollektiven Exzess zu frönen und Neues zu erleben. Dieser dauert vier Tage. Und danach freue ich mich nur noch auf meine Wohnung. Die ruhig ist. In der nichts passiert, wenn ich nicht will. Auf den Genuss eines Sonntagsbieres.

Fotos: privat (am Tresen), Gabriel Kords (Porträt), Jakob Pallus (Grafik)

Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Am Montag ist wieder an der Reihe: Christine Fratzke.