Ich will kein Musiknazi sein. Ich brauche Musik. Und höre sie stundenlang. Morgens, mittags, abends, im Radio, vom MP3-Player, in Clubs, klicke mich stundenlang durch Youtube- und tape.tv-Videos. Aber allzu oft passiert es mir, dass ich schlechter Musik unfreiwillig ausgesetzt werde. Musikzwang nenne ich das.
Am Herrentag beispielsweise. Mit Freunden genoss ich die Sommersonne am Tierpark, nebenbei dudelte angenehme Musik vom MP3-Player. Dann kam diese Männergruppe. Mit selbstgebautem Bollerwagen und dazugehöriger Musikanlage steuerten sie den freien Fleck unweit von unserer Gruppe an. Was folgte, war mehrstündiger Musikzwang: Chartsongs mit fetten Bässen, dann auch „Klassiker“ wie Destiny´s Child und Rihanna. Und das Ganze in einer alles übertönenden Endlosschleife. Gefühlte einhundert Male hörten wir „Dancehall Caballeros“ von Seeed. Zuerst sang ich noch gut gelaunt mit, doch nach der zigsten Wiederholung war Schluss mit lustig. Wehren konnten wir uns nicht und den Platz räumen? Nee, dann hätten die Musikfolterer ja gewonnen!
Doch Zwangsmusik bin ich nicht nur am Herrentag ausgesetzt, es verfolgt mich auch oft in meinen Alltag. Beim Einkaufen – viele Ladenbetreiber wissen anscheinend nicht, dass es noch einen anderen Radiosender als Ostseewelle gibt –, die Teenies, die sich nachts lautstark mit ihren Handys vor meinem Fenster ihre Lieblingssongs vorspielen oder unter der Dusche. Das mit dem Radio hören unter der Dusche ist so eine alte Angewohnheit von mir: Radio an, Dusche an. Das tolle Lied, was zum Beginn lief, ist schnell vorbei und mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit kommt ein Song, den ich absolut abscheulich finde. In meinem Fall ist es der Christenbarde Xavier Naidoo. Und da stehe ich: Nass und wehrlos. Und dann „Ich kenne nichts, iiiiich kenne nichts…“
Aus vielen Situationen kann man dem Musikzwang entkommen. Läuft blöde Musik im Club, gehe ich nach Hause. Auch das Radio lässt sich, wenn man nicht gerade unter der Dusche steht, na klar, ausschalten. Ohropax hat mir auch schon geholfen. Manchmal aber kann ich mich nicht wehren.
Mein Dilemma: Eigentlich wäre ich gerne toleranter in dieser Beziehung. Ich kann natürlich nicht von jedem Menschen einen guten Musikgeschmack verlangen, das ist mir klar. Und natürlich machen mir auch manchmal trashige Lieder total Spaß. Nur wünsche ich mir hin und wieder ein wenig mehr Rücksicht von meiner Umwelt. Einfach mal den Regler runterschrauben, die Bässe raus und auf die zehntausendste Wiederholung eines Liedes verzichten. Ich will kein Musiknazi sein. Aber anspruchsvoll, das schon.
Fotos: Gabriel Kords (Porträt), Christine Fratzke, Jakob Pallus (Grafik)
Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Morgen ist an der Reihe: Torsten Heil.
naja…
Ostseewelle geht gar nicht mehr! Endlich spricht es einer aus. Danke! Bei uns läuft seit ein paar Monaten wieder Antenne MV. Kann ich empfehlen. Nervt nicht so…
Haha : ) Bei dem hübschen Foto und der Überschrift dachte ich: Mal schauen was das wird.
„Nass und wehrlos“ vor dem Christenbarden – what?!
Zu diesem Thema hättest du ruhig mehr ausholen können: Akzeptanz und Omnipräsenz von Musik im öffentlichen Raum, Sendungsbewusstsein der Hörer_innen, krächzender Handy-Player als höchster Musikgenuß oder nur Berieselung?
Musiknazi ist ein komischer Begriff, ist eher hier aufgehoben: http://tinyurl.com/by22vt
Musikpedant trifft’s vielleicht besser…
Bin ja mal auf die Fotos und Texte der anderen Kolumnistinnen gespant ; )
Was lief heute morgen im Radio als ich unter der Dusche stand? Xavvier motherfu**ing Naidoo!
„Ich kann natürlich nicht von jedem Menschen einen guten Musikgeschmack verlangen, das ist mir klar.“
Endlich hat jemand die Definition vom guten Musikgeschmack gefunden!
Vielleicht auch noch den Sinn des Lebens parat?
[Edit Moderation: Beleidigung]
Das vielleicht letzte freie und kreative Medium hat es nicht verdient, von solch [Edit Moderation: Beleidigung] Menschen missbraucht zu werden.
Liebe Autorin, bitte beschränke die Veröffentlichung solch trauriger Geistesergüsse doch auf Facebook und verschone webmoritz!
PS: „Ich will kein Musiknazi sein. Aber anspruchsvoll, das schon.“
Wenn ich mich das nächste mal nach der Qualität und dem Anspruch eines gewissen Musikstückes frage, werde ich mich an die Autorin wenden und um Erleuchtung bitten.
:)) xavier ist wirklich schlimm unter der dusche (obwohl ich mich manchmal beim mitsingen ertappe..)
aber alles besser als so ein grummel über mir 😀
Ich glaube nicht das die Kolumne Gedacht es eine breite Meinung wieder zu geben, sonder um eine gewisse Vorstellung der Autoren des Webmoritzes per selbst gewählten Thema zu erreichen. Ich finde es auf jeden Fall eine Gute Idee und der Inhalt hat sicher keinen Anspruch auf absolute Wahrheit oder Definitionshoheit, sondern soll einfach nur Spaß machen. Denn muss man dazu nur auch verstehen können ;)…..
Eine Prise Intoleranz ist bei Musik durchaus OK! Keiner muss sich beim Duschen so foltern lassen. Und Radioabstinenz geht auch ganz einfach: Ein paar Mixtapes bzw. -CDs mit Liebe zusammenstellen und selbst bestimmen, wer dich unter der Dusche besingen darf.
Man munkelt sogar, dass man sich auch heutzutage noch Original-CDs und -Plattten kaufen kann. Wenn es aber unbedingt mit Gelaber sein muss, gibt es inzwischen tausende Internet-Radios, bei denen mit Sicherheit was für den individuellen Geschmack dabei ist.