Ein Paar, glücklich verliebt, lachend, sich einander neckend, schlendert durch den Wald. Sie begeben sich an einen Tisch, der am Ufer eines Sees für das Frühstück gedeckt ist. Plötzlich donnert ein Schuss durch die romantische Szenerie. Ein weiterer jagt durch den Wald. Das weiße Kleid der Geliebten färbt sich rot. Der Mann ist über sie gebeugt.

Das Paar ist tot. Die Leichen werden recht schnell identifiziert: Bei dem Mann handelt es sich um Heinrich von Kleist, einen deutschen Schriftsteller, der dem preußischen Offiziersadel entstammt. Es gibt für diesen nichts Schändlicheres, als dass einer ihrer Söhne sein Glück im Freitod findet. Und so wird emsig nach einer Todesursache gesucht, die von dem Selbstmord ablenkt.

Dem Freitod von Heinrich von Kleist und seiner Geliebten Henriette Vogel widmete sich anlässlich des Kleistjahres am 4. Mai eine Veranstaltung im Koeppenhaus. Zwei Schauspieler des Theaters Vorpommern stimmten die Besucher auf den kommenden Dokumentarfilm über die „Akte Kleist“ ein und lasen eindrucksvoll und ausdrucksstark aus den letzten Briefen, die die beiden einander wenige Stunden vor ihrem gemeinsamen Tod schrieben.

Nach der Lesung: Die Akte Kleist

Die letzten Briefe vor ihrem Doppelselbstmord zeigen keineswegs einen hoffnungslos verzweifelten Heinrich von Kleist und eine hoffnungslos verzweifelte Henriette Vogel. Die Briefe transportieren die Stimmung endlosen Glücks und Vorfreude auf das, was noch kommen wird. Ob beide Angst vor dem Tod hatten, darauf geben die Briefe keine klare Antwort. Werden nur die nackten Worte berücksichtigt, müsste die Antwort „Nein“ lauten. Die Gedanken und Ängste der beiden vor ihrem selbstbestimmten Ableben konnte niemand lesen. Übrig bleiben Briefe, Zeugenaussagen und viele offene Fragen.

Diesen widmete sich der Film „Die Akte Kleist“. Wer war Heinrich von Kleist, dessen Freitod für die Wissenschaft so interessant erscheint? Und warum wurde dem Doppelselbstmord der beiden eine so prominente Rolle innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion eingeräumt?

Der Film zeigt Kleist als einen rast- und ruhelosen Menschen, der immer wieder von Ort zu Ort hetzt, immer wieder auf der Suche nach dem Glück ist, ohne es zu finden. Auf seinen Reisen verinnerlicht er für sich zahlreiche Situationen und Orte, die sich in seinen Dramen wieder finden. Sein wohl populärstes Stück ist der zerbrochene Krug.

Die Akte Kleist Trailer

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Zum Ende der Dokumentation wird die Frage aufgeworfen, warum Kleist sich mit Henriette Vogel das Leben nahm. Einserseits hatte er bereits mehrmals über den Freitod nachgedacht. So wollte er beispielsweise als preußischer Soldat in den Reihen der französischen Armee im Kampf gegen England fallen. Doch er wurde nicht angenommen, sodass das Vorhaben scheiterte.

Abend rundet Greifswalder Kleist-Programm ab

Zuletzt wurde in diesem einfühlsam inszenierten und detailverliebten Dokumentarfilm die Frage aufgeworfen, ob sich Kleist möglicherweise aufgrund politischer Verfolgung durch Frankreich das Leben nahm. Es steht die These im Raum, dass Kleist immer wieder fliehen musste, weil er der Spionage bezichtigt wurde. Wenn gegen Frankreich spioniert wurde, konnte das die Todesstrafe zur Folge haben. Nachgewiesen werden konnte bislang lediglich, so berichtet es der Film, dass die französische Justiz ihm in einem Fall Spionage vorwarf. Die eigentlichen Gründe für den Doppelselbstmord sind nach wie vor unklar.

Der Abend zeigte Heinrich von Kleist als eine schillernde Persönlichkeit, einen „Gefühlsterroristen“, der emotional immer bis zum Extremsten ging. Das zeigt nicht zuletzt der Wandel vom Franzosenfreund zum Franzosenhasser. Kleist wurde den Besuchern als Aufklärer und Romantiker vertraut gemacht, als ein immer auf der Suche nach dem Glück Reisender, oder kurz und bündig: Als großartiger Schriftsteller. Und so rundete der Abend das Greifswalder Kulturprogramm anlässlich des Kleistjahres angenehm ab. Schließlich lernten die Besucher nicht seine Stücke, sondern ein Stück Kleist selbst kennen, zumindest so, wie er in Erinnerung geblieben ist.

Bild: gemeinfrei/ wikipedia.de