Ein „Kneipen-Porträt“ von Alexander Fleischmann

Eher unscheinbar: Das Café Ravic

Bunt ist sie, die Kneipenlandschaft der Greifswalder Innenstadt. Und wohl eine der buntesten unter ihnen verbirgt sich hinter einem schmalen, staubigen Schaufenster, das den Blick in ein spärlich ausgeleuchtetes Wohnzimmer erahnen lässt. Darüber ein kleines Schild, auf dem in Schreibschriftlettern „Café Ravic“ steht.

Da ich weiß, dass man trotz der für ein Café doch eher unüblichen Öffnungszeit von 18 Uhr auch eine Viertelstunde später noch vor verschlossener Tür stehen kann, treffe ich erst gegen halb sieben im Ravic ein. Bis auf zwei ältere Herren auf den Barhockern, die mit der jungen Frau hinterm Tresen ins Gespräch vertieft sind, ist der Laden leer. Nachdem ich mir bei der so beschilderten „Materialausgabe“ eine Flasche Bier habe in die Hand drücken lassen, setze ich mich an einen Tisch neben der Bar, zünde mir eine Zigarette an und lasse mein Blick durch den Raum schweifen.

Obwohl es draußen taghell ist, dringt nur gedämpft Licht in die wie ein zugestelltes Wohnzimmer wirkende Kneipe. Überall Gerümpel. Das Mobiliar besteht aus wahllos zusammengewürfelten Stühlen und Sofas, die größtenteils aussehen, als hätte sie jemand vom Sperrmüll angeschleppt, und die so dicht aneinander stehen, dass der ohnehin schon schmale Raum noch enger erscheint. Mir gegenüber an der Wand steht ein altes Klavier ohne Saitenabdeckung, auf dem zwischen zwei Kerzenständern auch zwei Zuckerstreuer stehen. Darüber hängt eine Kollage von Spontanaufnahmen der Gäste und auch den Rest der Wände schmückt allerlei Krempel wie DDR-Plaketen, Baustellenschilder sowie ein Plakat, das dafür wirbt, duch Leibesübungen enthaltsam zu bleiben. Jedesmal wenn ich aufblicke, entdecke ich etwas Neues.

„Das Ravic lebt von den Leuten“

Nach einer Weile komme ich mit der Tresendame Anja ins Gespräch, die an zwei Tagen in der Woche den Betrieb bis offiziell vier Uhr morgens alleine schmeißt. Sie arbeitet seit drei Jahren hier und sagt, dass es im Gegensatz zu anderen Bars kaum einen Unterschied mache, welcher Wochentag gerade ist. „Die meisten der Gegenstände hier haben eine Geschichte zu jemandem aus dem Ravic“. So sei beispielsweise der Korb, der zwischen einigen Koffern an der Decke klebt, der Babykorb von Tom Peter, der das Ravic vor knapp acht Jahren eröffnet hat. „Das Ravic lebt von den Leuten. Vom Anwalt über den Theaterintendanten oder den Tischler bis zum Studenten ist hier jeder vertreten.“ Unter den immer montags auflegenden DJ’s sei sogar ein Pfarrer dabei.

Gegen neun Uhr beginnt sich das Ravic merklich zu füllen und während sich an den Tischen kleinere Gruppen sammeln, scheinen um den Tresen herum alle einander zu kennen. Ich setzte mich auf einen gerade frei gewordenen Barhocker neben einen älteren Mann, der als einziger allein auf sein Bier konzentriert scheint. Er erzählt mir, dass er Rentner sei und nur einige Male im Monat herkomme, da der Weg von Schönwalde etwas lang sei. Ins Ravic gehe er, weil in den anderen Kneipen halt nur Studenten seien und er hier wenigstens auch ein paar ältere Leute treffe.

Am anderen Ende des Tresens stehen zwei Frauen, die sich mit Anja unterhalten und auch ab und an hinter dem Tresen zur Hand gehen. Die jüngere von beiden ist Korinna, die zwar noch immatrikuliert ist, aber eigentlich hauptsächlich in der „Falle“ kellnert. „Ganz ehrlich, das Ravic trägt einen Großteil dazu bei, dass ich noch in Greifswald bin“. Sie erzählt mir, dass die meisten Gastronomen aus anderen Kneipen sich nach der Arbeit noch im Ravic treffen. „Wir verabreden uns selten, man geht meist allein her und trifft jemanden, und sei es hinterm Tresen. Ich würd sowas in keiner anderen Kneipe machen, alles zu Schickimicki. Wie‘s hier aussieht, kann man die Füße hochlegen und ab und an nimmt jemand  die Gitarre von der Wand oder setzt sich ans Klavier und fängt an zu spielen.“

Vom Schiffslackierer bis zum NDR-Reporter

Der ganze Laden ist sind voll mit Gerümpel.

Nach einer Weile setze ich mich an einen antiken Fernseher, der zwischen zwei Kinosesseln und einer Autorückbank als Tisch fungiert. Ich komme mit Charly ins Gespräch, den ich auf etwa 50 schätze und der mir erzählt, dass er vor 8 Jahren in Hamburg als Schiffslackierer gearbeitet habe und jetzt von Greifswald aus zu seinen jeweiligen Aufträgen reise. Sein jüngerer Tischgeselle, ein NDR-Reporter, versichert mir, dass er einer der besten Schiffslackierer der Welt sei und europaweit Aufträge habe. Charly erzählt, dass er in Greifswald abends früher oft weg war und auch die ganzen Leute vom Mensaklub kenne, aber jetzt gehe er eben nur noch selten aus und wenn, dann komme er ins Ravic: „Weil man hier einfach noch paar Bier trinken kann, bevor man nach Hause geht, mit den Leuten, die man kennt. Überall anders tratschen die doch viel zu viel, aber hier nicht und erst recht nicht Anja“.

Während beide immer mal wieder mit den Umstehenden oder Umsitzenden in ein neues Gespräch verfallen, beginne auch ich mich mit den beiden Leuten am Nachbartisch zu unterhalten. Wieder fällt mir auf, wie bunt gemischt sich hier die verschiedensten Alters- und Berufsgruppen freundschaftlich vertraut sind. Während Mosi, der Mathe studiert hat und als Programmierer arbeitet, bereits zwei Kinder hat und deshalb nur noch selten Zeit findet, wegzugehen, hat Julian vor kurzem erst eine Ausbildung als Mediengestalter begonnen: „Hier läuft einfach die beste Hintergrundmusik, von Jazz bis Ostrock.“ Auch dass es hier so eng ist, habe durchaus seinen Vorteil: „man lernt hier einfach so schnell neue Leute kennen“.

„Die Schönheit des Hässlichen“

Etwas später geselle ich mich an meinen ursprünglichen Tisch, an dem sich seit einer Weile eine Gruppe Studenten lautstark über dies und das unterhält. „Das ist einfach die Schönheit des Hässlichen“ kommentiert Jonas, der im sechsten Semester Wirtschaft studiert, das Ravic, und die Zweitsemestlerin Theresa fügt von Nachbartisch hinzu „hier geht’s halt nicht darum sich zu präsentieren“.

Mittlerweile ist es halb drei Uhr morgens, doch die Wenigstens machen den Anschein gehen zu wollen. Während wir vor einem vollen Tisch leerer Bierflaschen sitzen, stellt ein anderer aus der Gruppe, Marco, fest: „Weißt du was geil ist am Ravic? Man trinkt halt immer noch ‘n Bier“

Dieser Artikel entstand im Rahmen unseres Workshops “Grundlagen des Lokaljournalismus” in der Projektwoche des Sommersemesters 2010.

Bilder: Alexander Fleischmann