Das Bundeskabinett hat bei seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch eine Erhöhung des BAföG-Sätze für Studierende beschlossen. Zu Beginn des Wintersemesters 2010/11 im Oktober steigen die Sätze für Studierende geringfügig um zwei Prozent an. Außerdem hat sich die Koalition geeinigt, zum selben Zeitpunkt ein Stipendienprogramm für Studierende aufzulegen. Mittelfristig sollen damit bis zu zehn Prozent der Studierenden ein monatliches Stipendium von 300 Euro erhalten. Obwohl die Pläne auf den ersten Blick vielversprechend scheinen, gibt es von Hochschulvertretern und Opposition massive Kritik daran.
Das neue Stipendienprogramm sieht vor, dass die Unis sich um Stipendien bei privaten Geldgebern, also bei Wirtschaft und Stiftungen kümmern. Diese geben die Hälfte des zu zahlenden Stipendiums, die Regierung legt die andere Hälfte oben drauf. Bisher kommen Stipendiengelder fast vollständig von der Bundesregierung: Über eine Reihe von Stiftungen erhalten bundesweit knapp 2 Prozent (in Greifswald deutlich weniger) der Studierenden ein Stipendium in Höhe ihrer BAföG-Bezüge, das sie nicht zurückzahlen müssen. Dazu kommen 80 Euro „Büchergeld“, das unabhängig von irgendwelchen Bedingungen gezahlt wird. Bevor die neuen Pläne Realität werden, müssen sie noch durch den Bundestag.
Bezüglich des neuen Stipendienprogramms wollen Oppositionspolitiker und Fachleute herausgefunden haben, dass die Reaktionen der Wirtschaft auf die Pläne bisher eher verhalten sind und insofern zu bezweifeln ist, dass das Ziel von zehn Prozent geförderter Studierender zügig erreicht wird.
Rektor Westermann: „Absolut ungeeignet“
Prof. Margret Wintermantel, Vorsitzende der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK), erklärte ihre prinzipielle Zustimmung zum Ansinnen der Regierung, mehr Studierende zu fördern. Die aktuellen Pläne seien aber auch deswegen zweifelhaft, weil sie Hochschulen in wirtschaftsschwachen Regionen benachteiligten. Dort gäbe es voraussichtlich nicht so viele Stipendiengeber wie an Orten, wo es reichlich wirtschaftliches Kapital gibt.
Der Greifswalder Rektor Prof. Rainer Westermann wird noch deutlicher. Er erklärte auf Anfrage:
„Ein Stipendienprogramm dieser Art ist eine gefährliche Fehlkonstruktion. Es ist absolut ungeeignet, die Situation unserer Studierenden angemessen zu verbessern. Und es schiebt die Verantwortung dafür auf Hochschulen, Wirtschaft und Privatpersonen ab. Würde es umgesetzt, werden sich die Standortnachteile unserer Universität noch stärker bemerkbar machen.
Auch wir machen uns darüber Gedanken, wie wir gute Studenten fördern können, das geplante Programm erscheint uns dazu jedoch nicht geeignet. Zum einen haben wir in einer Region ohne nennenswerte, wirtschaftlich starke Unternehmen kaum die Chance, ausreichend Eigenmittel zur Gegenfinanzierung der Stipendien einzuwerben. Wir würden in einem strukturschwachen Bundesland in einen direkten Wettbewerb mit den anderen Hochschulen des Landes treten, bei dem es um Geld geht, das es möglicherweise gar nicht gibt.
Wir müssen auch mit einem nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand rechnen, um diese Stipendien rechtssicher zu vergeben.“
Dass Mecklenburg-Vorpommern insgesamt benachteiligt wird, haben wiederum die Grünen in MV realisiert. Deren hochschulpolitischer Sprecher, Johannes Saalfeld, verkündete, das Programm benachteilige wegen der geschilderten Problematik nicht nur das Land Mecklenburg-Vorpommern, sondern überdies auch die „wirtschaftsfernen“ Studiengänge, also zum Beispiel Geistes- und Sozialwissenschaften oder Theologie. Weiter heißt es in der Mitteilung:
„Stipendienprogramme können zudem keine gerechte Grundfinanzierung ersetzen, sondern wirken immer nur punktuell. Also muss vor allem das BAföG ausgebaut werden. „Bildungsministerin Schavan meint, mit dem neuen nationalen Stipendienprogramm Private und Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen, in Wahrheit ist es aber ein staatlicher Rückzug aus der Verantwortung für eine gerechte Bildungspolitik.“
Politiker der Parteien im linken Spektrum und selbst im Bereich der CDU weisen zudem auf eine weitere Ungerechtigkeit bei den Plänen hin: Die 300 Euro sollen im Gegensatz zu BAföG-Geldern unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden. Das einzige Kriterium soll die Leistung der Studierenden sein. Hinzu kommt, dass 300 Euro noch nicht ausreichen, ein Studium komplett zu finanzieren. Wer also keine weiteren Stipendiengelder erhält, ist auf die übliche staatliche Förderung angewiesen – und hat am Ende somit womöglich einen BAföG-Kredit zurückzuzahlen.
Die FDP preist das neue Programm derweil als Trendwende in der Bildungspolitik. Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des fraktionsinternen Arbeitskreises Innovation, Gesellschaftspolitik und Kultur Patrick Meinhardt ist der Überzeugung, dass Deutschland bei der „Stipendienförderung“ ein „Entwicklunsland“ ist. Er erklärt konträr zu den Ansichten Saalfelds:
„BAföG-Modernisierung und Stipendienprogramm sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille. Wer die BAföG-Erhöhung gegen das Stipendienprogramm ausspielen will, tritt eine neue Neiddebatte los, statt die Förderung von Begabungen, Persönlichkeit und gesellschaftlichem Engagement in den Vordergrund zu stellen.“
Wer schon Stipendiat ist, bekommt mehr
Freuen können sich allerdings die Stipendiaten, die nach dem bisherigen Modell von Studienstiftungen gefördert werden: Für sie erhöht sich neben ihren normalen Bezügen (in Höhe des persönlichen BAföG-Satzes) das Büchergeld von bisher 80 Euro auf 300 Euro. Hier übernimmt die Bundesregierung die entstehenden Mehrkosten offenbar komplett. Bei verschiedenen Begabtenförderwerken hatten sich die Stipendiaten gegen die Pläne gewandt, weil sie sie für unsolidarisch halten.
Bilder: webMoritz-Archiv, moritz-Magazin (Westermann), FZS (Grafik)
Neiddebattentotschlagsargument *gähn*
"Stipendienprogramme können zudem keine gerechte Grundfinanzierung ersetzen"
Darum geht es überhaupt nicht. Worum es geht ist NEBEN dem bestehenden Bafög-System ein Stipendiensystem zu etablieren. Da ist Deutschland in der Tat rückständig.
Das Fördern von Leistung in Schule und Studium sollte vom Staat ebenso gefördert werden wie die Unterstützung von Studenten aus einkommensschwächeren Elternhäusern. Da darf es kein "entweder oder" geben. Sicher mag es zunächst ein Standortnachteil für wirtschaftsschwache Regionen sein, nur irgendwann muss man ja mal anfangen. Zeichen guter Politik ist nicht so etwas prinzipiell abzulehnen, sondern Bedingungen zu schaffen in denen auch in MV Möglichkeiten für eine optmale Förderung von Leistung zu erreichen.
@floordress: Für mich sind eher Zeug wie "Klientelpolitik"-Schwachsinn und "die Reichen (die sich ihr Geld nur durch Erbschleicherei, Steuerhinterziehung und Ausbeutung von hilflosen Arbeiotnehmern ergaunert haben) werden immer reicher" Totschlagargumente. Wer versucht die Bafögstudenten gegen Stipendiaten auszuspielen führt oder bzw beginnt leider nunmal (bewusst oder unbewusst) eine Neiddebatte.
"Das Fördern von Leistung in Schule und Studium sollte vom Staat ebenso gefördert werden wie die Unterstützung von Studenten aus einkommensschwächeren Elternhäusern."
Da fragt sich nur, wie man denn Begabte am besten fördert. Ich finde es vollkommenen Quatsch, dass schwarz-gelb Begabtenförderung vor allem als Geldgeben ansieht.
Wenn mal Studierende fördern (egal ob begabt oder einkommensschwach) will, muss man natürlich dafür sorgen, dass sie ohne große Geldsorgen studieren können. Aber man muss sich schon fragen, ab wann es genug ist.
Ich als Stipendiat einer Stiftung kann sagen, dass mir die dem Bafög entsprechende Grundförderung und das Büchergeld gut ausreichen. Warum ich jetzt noch 220 Euro dazu bekommen soll, kann ich nicht verstehen, da meiner SItuation nicht einfacher wird. EIn Leben im Luxus fördert nicht unbedingt das Studium.
Zudem ist ja bekannt, dass die Mehrheit der Stipendiaten aller Stiftungen den Baföganteil gar nicht bekommen weil ihre Eltern sowieso als Akademiker schon gut verdienen. Bei denen werden die Studienleistungen dadurch auch nicht viel besser.
Man könnte für das Geld zum Beispiel gut das Bafög erhöhen, wobei ich da nach der letzten Erhöhung nicht den dringendsten Bedarf sehe. Viel eher würde ich mehr Leuten Bafög zukommen lassen, denn ich habe schon oft gehört, dass viele Studierende knapp unter der Grenze liegen, die Eltern ihnen aber nicht einem dem Bafög entsprechenden Betrag zahlen können.
Außerdem sollte man sich fragen, ob die Besten dadurch gefördert werden, dass sie viel Geld in der Tasche haben, wenn sie in verfallenden Gebäuden und überfüllten Seminaren arbeiten müssen.
Und wenn man schon unbedingt nur die Begabten (was man auch immer darunter versteht) fördern will, dann geht das viel effektiver mit der Ausgabe des Geldes für Bildungsangebote (Seminare, Studienreisen etc.) als das Verteilen mit dem Gießkannenprinzip.
Übrigens könnte man – wenn man ein altes Studentenklischee mit den Aussagen eines konservativen Jungspolitikers kombiniert – sagen: "Die Erhöhung des Büchergeldes und Einrichtung der 300€-Stipendien ist ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie". Aber nein, die Stipendiaten sind gesellschaftlich nicht so schwach gestellt, dass man einfach so auf sie einschlagen kann…
@Peter_Madjarov
Amen, ich kann dir nur 100%ig zustimmen.
Sehr aussagefähig finde ich auch diesen Spiegelartikel, der versucht Gründe für die hohen Abbrecherquoten zu finden: http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-506…
Dieser Artikel zeigt, dass finanzielle Unterstützung, gepaart mit gesteigertem Leistungsdruck, sehr wohl zum Abbruch führen kann, denn natürlich kann man nicht die Studienergebnisse liefern, wenn man noch seinen Lebensunterhalt verdienen muss. So wird es also dem Staat, der ja ein berechtigtes Interesse an möglichst vielen gut ausgebildeten Arbeitskräften hat, wenig bringen nur die zu fördern, denen es (oft) schon besser geht. Ich denke, dass es an der Zeit das System BAföG neu zu überdenken. Eine Möglichkeit wäre hier vielleicht eine Art Standart-BAföG, das jedem Studenten zugesichert werden kann, unabhängig vom Einkommen der Eltern.
Ausserdem finde ich viel wichtiger, als die Einführung von Stipendien, dass die Landeshochschulgesetze soweit angepasst wurden, so dass ein Hochschulzugang über den 2. Bildungsweg erleichtert bzw. erst möglich gemacht wurde. Wenn man bedenkt, dass jeder zweite Ingeneursstudent auf diesem Weg zum Studium finden (davon ist jeder 4. ein Arbeiterkind), dann ist das die Reform, die zahlenmäßig am meisten genützt hat. Wahrscheinlich ist diese Anpassung auch die sozial Gerechteste.http://www.zeit.de/campus/2009/06/ingenieure-aufs…
Hier gehts zum Sozialbericht:http://www.studentenwerke.de/se/