Fünf Wochen sind mittlerweile vergangen, seitdem Greifswald sich eine neue Bürgerschaft gewählt hat. Am Montag konstituierte sich das neue Stadtparlament. Dort wird es wohl erst einmal um eine ganze Reihe von Formalien gehen. Trotz der Sitzungspause hat sich in den vergangenen Wochen in Greifswald Einiges getan. Die Stadtverwaltung präsentierte uns unter anderem Erfolge in drei heißen Eisen des Wahlkampes.
Positive Meldungen
Für viel Aufregung hatte der Theaterstreit gesorgt, der sich an der Personalie des Intendanten Professor Anton Nekovar entzündet hatte und zur Kündigung des Gesellschaftsvertrages mit Stralsund und Putbus geführt hatte. Vor zehn Tagen aber gab man bekannt, dass ein neuer Vertrag ausgehandelt und unterschrieben sei. Damit seien die Streitigkeiten beigelegt.
Die Freiwillige Feuerwehr, die kurz vor der Wahl in einen Streik getreten war, hat vor wenigen Wochen das geforderte neue Quartier bezogen. Rund 80.000 Euro hat die Stadt für den Umbau der angemieteten Halle in der Bahnhofstraße gezahlt. Offiziell wurden am 22. Juni die Schlüssel übergeben.
Verkehrssicherheit und insbesondere die Verbesserung der Radwege war bei fast allen Parteien ein großes Wahlkampfthema. Während an der Auswertung einer groß angelegten Verkehrsbefragung noch gearbeitet wird, verkündete die Stadt aber auch hier bereits weitere Baumaßnahmen. Erste Erfolge lassen sich in der Anklamer Straße betrachten.
Kreisgebietsreform
Eigentlich ja Angelegenheit des Landes, aber für die Kommune nicht unwichtig, sind die Weichenstellungen für die seit langem geplante Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern. Die Reform soll am kommenden Donnerstag in den Landtag eingebracht werden. Für Greifswald geht es dabei mittlerweile wohl kaum noch um die angestrebte Unabhängigkeit sondern um die Frage ob der Kreissitz für das neu geschaffene Südvorpommern (und damit eine Vielzahl von Verwaltungseinrichtungen) nach Anklam oder Greifswald geht.
Bürgermeister Dr. Arthur König zeigte sich offen verstimmt darüber, dass das eigene Gegenkonzept zu den Regierungsplänen in Schwerin keine Beachtung fand. Er erklärte der Ostseezeitung am vergangenen Freitag: „Den Greifswalder Vorschlag zum Stadtkreismodell einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, zeugt von Ignoranz denjenigen gegenüber, die zukunftsorientiert mitdenken“
Spannung kann möglicherweise aber in die Frage des Kreissitzes kommen. Bisher galt es als Wille der Verantwortlichen, dass dieser auch nach einer Integration der Universitätsstadt in den neuen Kreis in Anklam bliebe. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) schlug vor wenigen Tagen aber vor, in den neuen Kreisen über die „Hauptstädte“ abstimmen zu lassen. Dieser Vorschlag trifft vor allem in Greifswald auf offene Ohren, schließlich würde die Hansestadt und ihr Umland den größten Teil der Bevölkerung im neuen Kreis stellen.
Die Reform soll, nach dem Willen der Landesregierung, die Verwaltung schlanker und effizienter machen. Die Anzahl der Landkreise soll dazu auf sechs halbiert werden. Kritiker werfen dem Konzept der Regierung vor, es ginge durch willkürliche Grenzziehungen, die Eingemeindung fast aller kreisfreien Städte und die überdimensionale Größe der Kreise an den Einwohnern und ihren Bedürfnissen vorbei.
Posten und Mehrheiten
Ein guter Teil der Kommunalpolitik beschäftigt sich derweil mit Mehrheits- und Postenfragen. Wir Wähler haben ein Stück dazu beigetragen, die politischen Verhältnisse nicht eben einfacher zu gestalten. Sowohl das konservativ-bürgerliche Lager (aus CDU, FDP und Bürgerliste) wie auch das linke Spektrum (Die Linke, SPD, Grüne) kommen in der neuen Bürgerschaft auf 21 Sitze. Zünglein an der Waage könnte daher in einigen Fragen Klaus Heiden von den Freien Wählern spielen. Der scheint derweil noch nicht berechenbar. Zwar gelten die Freien Wähler insgesamt auch als bürgerlich-konservativ, Heiden selber aber arbeitete in der vergangenen Legislatur in städtischen Ausschüssen für Die Linke.
Eins jedoch scheint sicher: Eine feste Kooperation bzw. Koalition verschiedener Parteien zur Mehrheitenbildung schließen fast alle Fraktionen aus. Großer Verlierer dieser Entwicklung wird dabei vermutlich die CDU sein, die bisher als stärkste Fraktion gemeinsam mit SPD, FDP und Bürgerliste regierte. Künftig wollen die Parteien projektbezogen zusammenarbeiten und sich für einzelne Ziele die entsprechenden Mehrheiten im Einzelfall organisieren.
Derweil hat sich um die Position des Bürgerschaftspräsidenten bereits ein handfester Streit entwickelt. Der Parlamentsvorsitzende wird Normalerweise durch Vorschlag der stärksten Fraktion bestimmt, die Wahl durch die anderen Fraktionen ist eher eine Formalie. Doch hat sich Egbert Liskow (CDU), der erneut kandidiert, in der vergangenen Legislatur nur wenig Freunde in der Bürgerschaft gemacht.
Kritiker werfen ihm vor, er sei mit der Sitzungsleitung überfordert und behandle die Fraktionen oftmals willkürlich. Die Grünen kündigten bereits in der Ostseezeitung an Liskow nicht zu Wählen, auch bei der Linken stieß der Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Von der SPD erklärte Fraktionsgeschäftsführer Marcus Unbenannt gegenüber dem webMoritz:
„Die CDU hat als stärkste Fraktion das Vorschlagsrecht für das Amt des Präsidenten, deshalb war es für die SPD-Fraktion immer klar, dass sie den Vorschlag der CDU-Fraktion mittragen wird, wenn dem nicht gravierende Gründe entgegenstehen. Die Diskussion um die bisherige Amtsführung des Kandidaten Liskow spielt für uns insofern keine Rolle, als sie für uns keinen gravierenden Grund darstellt, von den demokratischen Gepflogenheiten abzuweichen und der stärksten Fraktion das Vorschlagsrecht zu verwehren.“
Als Stellvertreter im Präsidium gelten Birgit Socher (Die Linke) und Prof. Wolfgang Joecks (SPD) als gesetzt.
Bilder:
Foto Feuerwehr und Grafik Istverteilung: Gabriel Kords
Foto Egbert Liskow: Frederike Kühnel
Grafik zur Kreisgebietsreform – Entwurf zum Kreisstrukturgesetz via mv-regierung.de
Foto Startseite: ruedis fotos via flickr
"Sowohl das konservativ-bürgerliche Lager (aus CDU, FDP und Bürgerliste) wie auch das linke Spektrum (Die Linke, SPD, Grüne) kommen in der neuen Bürgerschaft auf 22 Sitze. "
13+4+4= 21 und 10+6+5=21, wo hast Du Dir die 2 zusätzlichen Sitze geborgt?
Zum politischen Problem der neuen verdeckten Kooperation der SPD mit der CDU vielleicht später mehr.
Danke für den Hinweis. Haben wir nun (wenn auch etwas spät) korrigiert.
Hallo Manfred, mal wieder ein paar Minuten schneller. Das mit dem Rechnen bekommen wir bestimmt noch hin – was mir größeres Kopfzerbrechen bereitet, ist, ob es denn wirklich ein "linkes Lager" gibt. Die von Dir vorgeschlagene "AG Sozialdemokraten in der SPD" sähe das wahrscheinlich gerne so, ich bin mir da nicht so sicher – erstens, was die Zuordnung nach links, zweitens, was die Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Lager angeht…
Das mit dem Rechnen ist wohl doch nicht so einfach. Hätten wir sonst eine Finanzkrise?
Aber auch in der Bürgerschaft ist die Dyskalkulie weit verbreitet. Wenn es anders wäre, hätte keiner der Straßenreinigungsgebührensatzung in den vergangenen Jahre zustimmen dürfen. Aber das ist ein anderes Thema.
Das mit dem Rechnen ist wohl doch nicht so einfach. Hätten wir sonst eine Finanzkrise?
Auch in der Bürgerschaft ist die Dyskalkulie weit verbreitet. Wenn es anders wäre, hätte keiner der Straßenreinigungsgebührensatzung in den vergangenen Jahre zustimmen dürfen. Aber das ist ein anderes Thema.
Fraktionsgeschäftsführer Marcus (politisch) Unbedarft hat ja erst einmal Recht, wenn er feststellt, dass die CDU das 1. Vorschlagsrecht für den Bürgerschaftspräsidenten hat. Er soll auch nicht: "… von den demokratischen Gepflogenheiten abzuweichen und der stärksten Fraktion das Vorschlagsrecht zu verwehren.“ Aber in einer Demokratie muss es doch das Recht der Gegenvorschläge geben.
Es wird wohl niemand behaupten, es gäbe keine Alternativen zu Herrn Liskow als Bürgerschaftspräsidenten. Ich schlage hier mal Herrn Prof. Joecks vor.
Ein paar Gedanken zu diesem neuen/altem SPD-Problem, dass sogar die OZ vom Sonnabend
d. 11.07. als Falle erkannt hat, “… Verwunderlich ist vielmehr das Verhalten der SPD. Sie konnte sich in der „alten Kooperation“ nicht profilieren und wurde dafür von den Wählern abgestraft. Jetzt tappen die Sozialdemokraten offenbar wieder in die gleiche Falle.” – findet Ihr hier:
http://blog.gruene-greifswald.de/2009/07/10/parla…
Anm.: Meine dort zu findende "Lösungsmitteltheorie" ist natürlich nicht so ernst gemeint!
Mir scheint es auch so, daß die Position der SPD eine andere ist als im Artikel suggeriert. Etliche SPD-Abgeordnete haben sich unter der Hand ja schon für "flexible Mehrheiten" ausgesprochen. Offenbar soll weiter mit der CDU in wesentlichen Punkten gekungelt werden (siehe auch Marcus Unbenannts Stellungnahme zu Liskow), das eigene Spielbein aber durch wechselnde Mehrheiten mehr Raum erhalten.
Eigentlich keine schlechte Strategie der SPD, um sich erneut einen Senatorposten zu sichern, andererseits aber aus der erdrückenden Umarmung der CDU herauszukommen. (Die einzigen, die wirklich eine feste Mehrheit brauchen, sind die Konservativen, weil nur so die bisherige Filz-Politik bedenkenlos fortgesetzt werden kann.)
Die Frage ist, ob sich eine Politik mit wechselnden Mehrheiten wirklich langfristig durchhalten läßt oder nicht doch in zwei Jahren zu einer festen Kooperation/Koalition führen wird.
@Manfred Peters:
Schön dass du mir Recht gibst, was das Vorschlagsrecht angeht. Ein Vorschlagsrecht ist allerdings nur dann gehaltvoll, wenn der Vorschlag akzeptiert wird. Alles andere ist allenfalls eine Demütigung der vorschlagenden Partei, wie man an dem stillosen Umgang der CDU/CSU-Fraktion im BT mit Lothar Bisky erkennen konnte. Oder an dem Umgang mit Herrn Templin in der letzten Legislatur. Sofern also nicht gravierende Gründe (z.B. strafrechtliche Ermittlungen oder ein belegbar problematisches Verhältnis zu Demokratie und Parlament) dem entgegenstehen, bedeutet Vorschlagsrecht imho, dass der Vorschlag auch akzeptiert wird. Der Umstand, dass die Präsidentschaft in den vergangenen Jahren an Neutralität und Souveränität möglicherweise zu wünschen übrig ließ, ist in meinen Augen kein solch gravierender Grund. Damit ist für mich klar, dass dem Vorschlag der CDU entsprochen werden sollte. Sie ist nämlich nicht, wie sie in ihrem Blog-Beitrag suggerieren, Gast in dieser Stadt oder der Bürgerschaft, sondern deren stärkste politische Kraft – so sehr uns beiden das auch missfallen mag. Elections have consequences, wie der Amerikaner sagt.
@ret marut:
Ich weiss nicht ganz, was der Artikel für dich suggeriert. In meinen Augen ist die Aussage, dass die SPD a.) Herrn Liskow mitwählen wird (nicht wegen Kungelei, sondern wegen demokratischem Stil) und b) keine Neuauflage der Kooperation eingeht, sondern zukünftig mit wechselnden Mehrheiten arbeiten will. Was die Sache mit den Senatorenposten angeht: Sofern nicht Herr Arenskrieger nach Schwerin befördert wird, gibts da in dieser Legislatur gar nix zu entscheiden.
Der Blog-Beitrag ist von Ulrich Rose, ich habe nur etwas, teilweise unernst, kommentiert:
"Parlamentarische Gepflogenheiten
Ulrich Rose am 10. Juli 2009 | Bürgerschaft | 2 Kommentare"
Der Vergleich mit Bisky und Templin hinkt ein wenig.
Aber was ist mit der "Falle"?
Der Blog-Beitrag ist von Ulrich Rose. Ich habe nur etwas, teilweise unernst, kommentiert:
"Parlamentarische Gepflogenheiten
Ulrich Rose am 10. Juli 2009 | Bürgerschaft | 2 Kommentare"
Der Vergleich mit Bisky und Templin hinkt ein wenig.
Aber was ist mit der "Falle"?
Wieso hinkt der Vergleich? Das müssen sie mir mal erklären.
Ja, aber nur für den Fall Bisky, da mir zur "Falle" bisher nicht geantwortet wurde und für "Templin" die Grünen kompetentere Kommentarpartner wären.
Nur ein paar Argumente:
1. Die Bürgerschaft ist nicht der Bundestag.
2. Herr Liskow hat seine Chance gehabt und fast in jeder Bürgerschaftssitzung, ich habe die letzten 2,5 Jahre fast jede Sitzung des Satiretheaters verfolgt, nicht genutzt. Dieser Mangel wurde von Ihnen ja selbst, wenn auch unerträglich beschönigend, benannt Zitat: "Der Umstand, dass die Präsidentschaft in den vergangenen Jahren an Neutralität und Souveränität möglicherweise zu wünschen übrig ließ,…"
3. Bisky hat diese Chance nicht bekommen.
4. Die Verweigerung gegen Bisky kam überwiegend von kalten Kriegern der Schwarzen und Neoliberalen, die aufgrund ihres körperlichen und geistigen Alters nicht mehr aus ihren Schützengräben heraus kommen.
5. Ich setze erst einmal voraus, dass die kalten Krieger in unserer Bürgerschaft deutlich in der Unterzahl sind (die vom CDU Geschäftsführer Dirk Bauer inszenierte und von Hr. Meyer losgetretene Stasidiskussion (BV) wäre ja schon heute eine Nagelprobe).
Es geht bei Liskow wohl weniger um "demokratischen Stil", sondern die Frage, ob der Mann den Anforderungen des Amtes gewachsen ist. Die letzte Amtszeit als Bürgerschaftspräsident hat gezeigt, daß er dem nicht gewachsen ist, da er weder die Geschäftsordnung der Bügerschaft zu kennen scheint noch zwischen seiner Arbeit als Abgeordneter der CDU-Fraktion und seiner Arbeit als Bürgerschaftspräsident wirklich zu unterscheiden vermag. Da der Bürgerschaftspräsident zudem für die letztendliche Auslegung der Geschäftsordnung alleine verantwortlich ist, fände ich es skandalös, wenn die SPD gerade Liskow auf diesen Posten hievt.
Ich habe nichts gegen parlamentarische Gepflogenheiten und will der CDU auch nicht das Amt des/der BürgerschaftspräsidentIn abspenstig machen. Es geht mir allein um die Person Liskow, die in diesem Amt erwiesenermaßen nicht tragbar ist. Die CDU soll halt jemand Neues aufstelles oder eben von dem Amt lassen.
Na, wenn Dembski sowieso Dezernent bleibt, dann gibt es ja noch viel weniger Gründe für Kungeleien mit der CDU. Bin mal gespannt, ob die "wechselnden Mehrheiten" der SPD wirklich so sehr wechseln oder sich nicht doch als Händchenhalten mit der CDU erweisen.