Am 7. Juni wählt Greifswald eine neue Bürgerschaft. Der webMoritz interviewte Vertreter aller Parteien und Wählergemeinschaften. Nachdem unserer Bitte nach einem Interview zunächst nicht nachgekommen wurde, können wir nun doch noch das Interview mit dem Kandidaten der Freien Wähler nachreichen. Klaus Heiden hat unsere Fragen per E-Mail beantwortet.

Hinweis der Redaktion: Wir weisen unsere Leser darauf hin, dass dieses Interview zwar ebenfalls im Rahmen der Interview-Serie zu den Kommunalwahlen erscheint, dieses Gespräch jedoch unter anderen Rahmenbedingungen geführt wurde. Klaus Heiden antwortete per E-Mail und beantwortete die Fragen erst, als alle anderen Interviews bereits veröffentlicht waren. Die anderen Gesprächspartner hatten von den Antworten der übrigen Interviewten zum Zeitpunkt der Interviews hingegen keine Kenntnis.
Wir haben darüber hinaus die Antworten von Klaus Heiden im Gegensatz zu den Antworten der übrigen Gesprächspartner nicht redaktionell bearbeitet, sondern nur orthographische und grammatische Fehler korrigiert und marginale Kürzungen vorgenommen.

webMoritz: Etwa 30% der Greifswalder sind Studenten oder Hochschul-Mitarbeiter. Was sind die Möglichkeiten der Bürgerschaft, etwas für diese Gruppe zu tun?

klaus_heiden-300x200-privatKlaus Heiden: Zunächst sollten wir alle wohl diesem starken Zweig in unserer Greifswalder Gesellschaft erst einmal danken für die hervorragende Arbeit im Bereich Bildung.

Weiterhin sollten, insbesondere für die Studenten, bessere Voraussetzungen an Wohnraum und Verkehrs-/Radwegenetz geschaffen werden. Hierzu sind die Prioritäten neu und besser zu setzen, statt der bisher favorisierten Prestige-Objekte wie z.B. Techn. Rathaus, Ryck-Brücke, Projektentwicklung Ladebow ohne deren Umsetzung etc.

webMoritz: In welchen dieser Bereiche sehen Sie akute Probleme?

Klaus Heiden: Primär im Bereich studentischen Wohnraums zu bezahl- und vertretbaren Preisen. Wohnverhältnisse, wie u.a. in der Grimmer Str. 2, müssen der Vergangenheit angehören!

webMoritz: Greifswald hat zu wenig Wohnraum zu studentischen Preisen. Was kann die Stadt tun?

Klaus Heiden: Als Gesellschafter der WVG sollte die Stadt Einfluss nehmen auf das Mietpreisniveau, denn der massive Rückbau – da gefördert – hat zu nur ca. 2 % obligatorischem Leerstand geführt und eben dies ist der Grund der Wohnraumnot und damit des unverhältnismäßig hohen Mietpreisneveaus.

webMoritz: Apropos Wohnen: Wie stehen Sie und Ihre Partei zu einer möglichen Neuauflage des WVG-Verkaufs?

Klaus Heiden: Unser Initiator, Norbert Kühl, hat schon während seiner Mitgliedschaft in der CDU dafür in einem persönlichen Gespräch (ggü. dem Schatzmeister RA Steffens) plädiert, dass keine Anteile verkauft werden sollten, sondern wenn, dann sollte die WVG ein Darlehen (in abgezinster Form für den Eigenkapitaldienst) aufnehmen, das den Haushalt ausgleichen kann.

Im Gegenzug dazu hätte die WVG in den Folgejahren das Darlehen getilgt und einen geringeren Anteil an Eigenkapitalverzinsung an die Stadt abgeführt – dies wäre, da die Gesellschaft sehr gesund ist und einen guten Wohnungsbestand innehat, der klügere Weg gewesen.

Erstaunlich ist schon, da jetzt der Verkauf – absehbarerweise – geplatzt ist, dass jetzt vom politischen Mitbewerber diese Idee in die Diskussion gebracht wird!

KuS-Pass: „Ende der Ewigdiskussion!“

webMoritz: Thema Kultur und Soziales: Vor einigen Monaten sollte der KuS-Pass reformiert werden. Welche Veränderungen fordern Sie in diesem Bereich?

Klaus Heiden: Ein Ende der „Ewigdiskussion“ und Beginn des Handelns für eine Verbeserung des KuS-Passes – insbesondere mit Hinsicht auf Familien- & Kinderfreundlichkeit, denn das Angebot in Greifswald ist schon recht gut. Wenn dann jedoch viele „minderbemittelte“ Familien sich das nicht leisten können, ist die gropße Masse der Zielgruppe nicht erreicht.

Hier muss, im Interesse von Familien, Kindern und Jugendlichen die Priorität des Handelns auf Stufe Triple A gesetzt werden.

webMoritz: Die Schwimmbadpreise sind für Studenten unbezahlbar. Wollen Sie das ändern?

Klaus Heiden: Die Frage ist doch, ob nur für Studenten. Aus unserer Sicht gilt dies gemeinhin für alle Bevölkerungsschichten mit geringem bis mittlerem Einkommen. Auch hierzu sollten sich die künftigen Stadtvertreter bekennen und neue Prioritäten setzen, die Eintrittspreise für diesen Ort der Kommunikation müssen besser werden.

webMoritz: Was halten Sie von der Kündigung des Gesellschaftervertrags der Theater Vorpommern GmbH? Welche Perspektiven sehen Sie für das Theater?

Klaus Heiden: Das ist ein „Streich“ wie aus dem Buche: Da beschließt die Bürgerschaft, als Legislative, daß die Verwaltung mit den Mitgesellschaftern in Verhandlung treten soll, um den Vertrag nachzubessern, mit Vorbehalt der möglichen Kündigung.Die Verwaltung jedoch, als Exekutive, verhält sich (wiederholt) anders als die Bürgerschaft es beschlossen hat – ein unhaltbarer Zustand und die Verantwortlichen gehören dazu zur Rechenschaft gezogen!

webMoritz: Greifswald ist Deutschlands Fahrradhauptstadt. Das Radwegnetz ist aber seit Jahren ungenügend. Wann wird sich das verbessern?

Klaus Heiden: Wir denken, dass nach der Kommunalwahl – zu der viele Bürger sich entscheiden werden, da die Unzufriedenheit mit dem Stillstand in dieser Republik viele Bürger auf die sprichwörtliche Palme bringt – die Verhältnisse neu gestaltet werden können und die Interessen der Bürger besser wahrgenommen werden können.

Wir sind der Ansicht, daß Mehrheiten nicht „organisiert“ werden müssen, sondern gute Ideen Mehrheiten mit sich bringen.

ÖPNV: Fragen und Sorgen der Bürger berücksichtigen

webMoritz: Können Sie uns erklären, warum in Greifwald niemand das öffentliche Verkehrsnetz benutzt? Uns interessiert außerdem ihre Position zum fehlenden Nachtverkehr und zum fehlenden Semesterticket.

Klaus Heiden: Das zu erklären, fällt sicher Niemandem leicht, jedoch ist dies sicher eine Frage der Flexibilität und der Preise des ÖPNV. Auch hierzu gilt es, viele Fragen und Sorgen der Bürger zu berücksichtigen.

webMoritz: Greifswald ist derzeit vor allem Ziel für Tagestouristen – länger bleibt kaum jemand. Wie kann man das Angebot attraktiver gestalten?

Klaus Heiden: Wir denken, daß das Angebot in Greifswald schon sehr gut ist, wir müssen jedoch akzeptieren, daß Greifswald mehr eine „Transit-Stadt“ ist, immerhin mit der „Konkurrenz“ Rügen und Usedom vor der Nase.

Schön jedoch ist es, daß viele Tagestouristen nach Greifswald kommen und somit positiv nach außen für diese Stadt wirken, denn dies ist die beste Werbung.

webMoritz: Kurz und bündig: Was halten Sie und ihre Partei vom Kraftwerkneubau in Lubmin?

Klaus Heiden: Zunächst einmal – wir sind keine Partei, wenn es auch im Zusammenhang mit der anstehenden Bundestagswahl zu einer Parteienbildung der Freien Wähler Deutschlands kommen mag/ wird, da sonst die Teilnahme nach den geltenden Gesetzen nicht möglich ist.

Die Diskussion über den Bau oder Nichtbau ist schon von der Sache her nicht sinnvoll, denn hier sind geltende Gesetze der Maßstab für das Entstehen des Kraftwerks oder eben nicht.Wenn der Bau des Werks nach Bau- und Umweltrecht genehmigungsfähig ist, muss der Gesetzgeber diesen auch genehmigen.

Andererseits ist es für die Region wichtig, dass Industrie angesiedelt wird – gleich welcher Natur – denn von vier Monaten Tourismus im Jahr kann sich ganz Mecklenburg-Vorpommern allein nicht finanzieren.

Persönliche Meinungen oder Wertungen hierzu sind nicht tauglich, sondern nur kontraproduktiv, denn allem voran steht der Gesetzgeber und somit müßte das Bundesbaugesetz und das Emissionsschutzgesetz geändert werden, um diesen Bau zu verhindern.

Prognose: „Dieses Jahr gehen mehr zur Wahl.“

webMoritz: Bei den letzten Wahlen gingen gerade mal 38% der Greifswalder an die Urnen. Liegt das an den Kandidaten und Parteien?

Klaus Heiden: Das liegt eher an der Politikverdrossenheit, weil viele Bürger der Auffassung sind: „Ändern tut sich sowieso nichts“, oder: „Die sind doch alle gleich“. Genau hier ist der Ansatz der sich derzeit formierenden Bürgerbewegung gegen den „produzierten“ Stillstand in Deutschland – diese Verhältnisse will kein Bürger wirklich haben.

Nebenbei: Das ganze Schönreden und Gleichmachen ist insbesondere den Ostdeutschen noch gut bekannt. Da dieser Zustand immerhin 40 Jahre andauerte und den keiner mehr haben will, denken wir, dass die Bevölkerung in ganz Deutschland, insbesondere jedoch im Osten, sich dagegen stemmt und die Bewegung auch noch stärker wird.

Dies gibt uns Anlaß, die Vermutung zu äußern, daß eine größere Wahlbeteiligung als bisher stattfinden wird.

webMoritz: Nur 50% der Studenten haben hier ihren Erstwohnsitz. Die Stadt verliert dadurch riesige Summen. Wieso wird nicht energischer für den Erstwohnsitz geworben?

Klaus Heiden: Da stellt sich die Frage, welche Anreize die Stadt den Studenten denn setzt? Bisher ist dies wohl eher als dürftig zu betrachten, nicht jedoch als echter Anreiz, sich für Greifswald, wenn auch befristet, mit dem Hauptwohnsitz anzumelden. Sollten doch die Studenten hierzu befragt werden, welcher Anreiz Ihnen den Wechsel leichter machen würde?

freie_waehler-140x197-freie_waehlerwebMoritz: War die Entscheidung, sich aufzustellen, wirklich so spontan wie sie aussah?

Klaus Heiden: Eigentlich nicht, denn ich bin Zeit meines Lebens politisch tätig, ob seinerzeit auch als Werkleiter eines der größten Arbeitgeber in Greifswald, dem KAW (bis 1993 und danach an den Standorten der DB in Pasewalk und Eberswalde), oder in meiner Funktion als Gewerkschafter der GdED (über 50 Jahre Mitgliedschaft).

Normalerweise wollte ich nicht so aktiv werden. Als mich jedoch unser Initiator, Norbert Kühl, darauf ansprach und ich erkannte, dass hier keine vorgefertigten Strukturen für weiteren Stillstand sorgen, fiel es mir recht leicht, diesen Weg zu beschreiten.

Im Interesse der Weiterentwicklung meiner Heimatstadt Greifswald sehe ich die Notwendigkeit, mich doch noch einmal aktiver „einzumischen“. Bekannt bin ich letztlich auch durch meine aktive Arbeit in der Ortsteilvertretung Innenstadt.

Die Greifswalder Bevölkerung fordere ich auf, sich selbst stärker einzumischen und auch bei uns mitzumachen, denn wir sehen Mitstreiter gern, die in der Sache wohl die Fetzen fliegen lassen, aber willens sind, über den Tellerrand zu schauen!

Gabriele Pauli hatte keine Zeit für Greifswald

webMoritz: Sie haben sich bei Ihrer Vorstellung auf Gabriele Pauli berufen und diese auch eingeladen. Warum ist sie nicht gekommen? Immerhin war sie vor wenigen Wochen in MV unterwegs.

Klaus Heiden: Leider ist – auch wegen unseres späten Starts – der Terminkalender bei Frau Pauli nicht umzustellen gewesen, denn wie Sie ja wissen, kandidiert unsere schillerndste Freie Wählerin für das Europaparlament.

Selbst das Zeitfenster für den Auftritt von Frau Pauli in Waren und Rostock war zu eng, als dass sie hätte bei uns noch vorbeischauen können. (Sie war gerade mal zwei Stunden in Mecklenburg-Vorpommern.)

Wir freuen uns in diesem Zusammenhang auch sehr darauf, den Fraktionschef der Freien Wähler im Bayrischen Landtag, Hubert Aiwanger,  zu den anstehenden Bundestagswahlen begrüßen zu dürfen.

webMoritz: Bis jetzt sind die Freien Wähler nach unseren Informationen noch keine eingetragene Partei. Wird sich das ändern?

Klaus Heiden: Sicher wird sich auch das ändern – auf Bundesebene wird es, wie schon vorab erwähnt, eine Bundespartei Freie Wähler Deutschland geben müssen, um die vielen guten Ideen auch wirklich voran bringen zu können.

Dieser noch zu gründenden Bundespartei können sich dann alle jetzigen Freien Wähler anschließen und auch übrige Splittergruppen an Wählergemeinschaften, die bis dato leider Ihre Energie meist auf kommunaler ebene verbrennen, jedoch nicht nach Berlin tragen können.

webMoritz: Bisher hat man die Freien Wähler wenig wahrgenommen. Wird Ihr Wahlkampf in den letzten Tagen noch intensiviert?

Klaus Heiden:Wir werden den Endspurt nicht verpassen, ob mit unseren Plakaten an den Straßen oder den noch zu verteilenden Flyern.Ein gutes Beispiel war unsere Meinungsäußerung am 01.06.09 beim Besuch der Kanzlerin.

webMoritz: Wie sah Ihr persönlicher Wahlkampf in den letzten Wochen aus und was wird bis Sonntag noch geschehen?

Klaus Heiden: Es ist schon erstaunlich, was ich, aus der Motivation, doch noch etwas mit verändern zu können, an Kraft ziehe. Wie Sie wissen, habe ich das stolze Alter von 70 J. schon erreicht – fühle mich jedoch noch gar nicht so.

Viele Veranstaltungen, Versammlungen, das Verteilen von immerhin ca. 7.000 Flyern durch mich und so weiter prägen die Meinungsbildung innerhalb der Greifswalder Bevölkerung.

Diese Wahrnehmung und die positiven Gespräche mit den Bürgern auf der Straße geben mir und uns die Kraft, für diese Sache – eine Bürgerbewegung, die Veränderung herbeiführen wird – uns noch etwas stärker für die Transparenz ins Zeug zu legen.

Auch bis zum Sonntag werden wir noch aktiv sein, unter anderem in einer Veranstaltung in Wolgast, denn Sie wissen ja, dass wir nicht nur in Greifswald, sondern auch in Ostvorpommern kandidieren.

Bilder: Privat (Grafik: Jakob Pallus)