Unter strahlend blauem Himmel und bei sommerlichen Temperaturen hat Kanzlerin Angela Merkel heute einen großangelegten Wahlkampfauftritt in Greifswald absolviert. In ihrer etwa halbstündigen Rede auf dem Marktplatz, zu der zahlreiche lokale und regionale CDU-Größen erschienen waren, äußerte sie sich unter anderem zu Äußerungen von Ministerpräsident Erwin Sellering, die DDR sei „kein totaler Unrechtsstaat“ gewesen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Hintergrund (vl): Egbert Liskow, Axel Hochschild, Matthias Lietz, Alfred Gomolka

Merkel: Habt Nachsicht mit Sellering!

Man müsse Nachsicht mit Sellering haben, sagte Merkel, schließlich komme er von weit her und könne sich das alles nicht so ganz vorstellen. Seine Äußerungen über den Rechtsstaat gingen jedoch an der Sache vorbei: „Der Mann hat natürlich recht: Die Straßenverkehrsordnung war weitestgehend in Ordnung in der DDR. Und mit der deutschen Einheit mussten wir nicht alle neu heiarten, das konnten wir auch übernehmen. Aber um die Frage geht es doch nicht.“

Es gehe vielmehr um die Frage: „War die ehemalige DDR auf Recht oder auf Unrecht gegründet?“ Das sei nicht der Fall gewesen, denn: „Man konnte vieles sagen, das war auch eine lange Zeit nicht so schlimmm – aber wenn man die SED kritisierte, dann wurde es ganz schnell brenzlig.“ Was sie nicht sagte: „Die DDR war ein Unrechtsstaat.“ Stattdessen führte sie aus:

„Es gab natürlich Millionen Menschen, die ein gutes Leben gelebt haben, die das beste aus der Sache gemacht haben. Ein Prozent der Bewohner der ehemaligen DDR waren Stasi-Spitzel, 99 Prozent waren das nicht. Mit dem einen Prozent waren wir immer noch das Land mit dem dichtesten Netz an Überwachung – ziemlich gründlich gemacht, aber: 99 nicht. Und von denen haben natürlich die allermeisten versucht, in Freundschaft mit ihren Kollegen, in einem guten Familienleben das beste aus den Dingen zu machen.“

Merkel ging auch auf die Greifswalder direkt ein, indem sie darauf verwies, dass man in der DDR keine Plakate zeigen konnte.

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Protestplakat

Größtenteils stiller Protest

Die wurden tatsächlich gezeigt und hatten ganz unterschiedliche Hintergründe. So wurde auf einem imposanten Transparent gefordert, Frau Merkel möge beim Bürokratieabbau helfen. Auf einem anderen war indes zu lesen, es gehe nur um leere Worte. Außerdem liefen die Freien Wähler mit Werbeplakaten herum, die Grünen ließen in Sichtweite einen großen Luftballon steigen.

Gelegentlich waren Missfallenslaute aus dem Publikum zu vernehmen, deren Inhalt jedoch nur in einem Fall auch von größeren Teilen der Zuhörer wahrgenommen worden sein dürfte. Nach Merkels Ausführungen, sie habe es sich nicht träumen lassen, dass eines Tages Banker zu Politikern in aller Welt kommen würden und sagen würden: „Entweder ihr helft uns oder die ganze Wirtschaft bricht zusammen“, brüllte der Bürgerschaftsabgeordnete Peter Multhauf (Linke) bis zur Tribüne vernehmbar: „Oder wir spenden nicht mehr für die CDU“.

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Unsere Leser entzifferten: Das etwas unleserliche Plakat fordert "den TOTalen MARKT"

So erbrachte Mutlhauf, der in der Bürgerschaft für scharfzüngige Einwände  bekannt ist, unfreiwillig die Bestätigung eines Bildes von Angela Merkel, die im Hinblick auf Europa zuvor gesagt hatte: „Wenn 27 zusammekommen, sind die nicht immer einer Meinung. Das ist ja nicht mal in der Bürgerschaft einer Hansestadt so.“

Die Rede Merkels war vor allem eine Erklärung des Eingreifens der Politik in der Weltwirtschaftskrise und Werbung für ein starkes Europa. Der Kommunalwahlkampf wurde nur mit wenigen Halbsätzen gestreift.

Neben Merkel waren auf der Bühne weiterhin CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla, Alt-Ministerpräsident Alfred Gomolka, Europa-Kandidat Werner Kuhn, Bundestags-Waklreiskandidat Matthias Lietz, Oberbürgermeister Arthur König, Bürgerschaftspräsident Egbert Liskow und Kommunalwahl-Spitzenkdandiat Axel Hochschild.

Blumen und frisch konservierter Fisch für die Kanzlerin

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Diese Kiste konservierten Frischfisches hatte vor der Veranstaltung für einigen Wirbel gesorgt. Außerdem im Bild: Blumen, Ronald Pofalla (l) und Angela Merkel

Hochschild war es auch, der nach der Rede Merkels pflichtschuldig einen Blumenstrauß überreichte. Außerdem gab’s als Präsent für die Regentin eine Kiste mit „frischem Fisch“, der allerdings, wie Hochschild später korrigierte, „natürlich konserviert“ sei.

Um die Kiste hatte es zuvor ein wenig Wirbel gegeben. Nach webMoritz-Informationen war sie urprünglich als Geschenk der JU gedacht und konnte von deren Vorsitzendem Franz-Robert Liskow jedoch zunächst nicht an den Sicherheitsleuten vorbeigebracht werden, weil diese nach eigenen Angaben keinen Sprengstoffspürhund dabei hatten und die Kiste daher nicht adäquat überprüfen konnten. Auch Liskows Einwand, das ganze sei mit Hochschild abgesprochen, blieb wirkungslos: „Der hat hier überhaupt nichts zu sagen“, konterte ein Sicherheits-Mann. Liskow habe die Kiste vorher anmelden müssen.

Warum es dann doch noch geklappt hat, ließ sich nicht in Erfahrung bringen. Dass doch noch ein Sprengstoff-Spürhund eingeflogen wurde, erscheint eher als unwahrscheinlich.

Die Kanzlerin bekam von alledem jedenfalls nichts mit und gab nach ihrer Rede noch eifrig Autogramme. Anschließend verschwand sie eilends und überließ es den mindestens 50 Leuten ihrer Gefolgschaft, die aufwändige Bühne und Sicherheitsumzäunung auf dem Marktplatz wieder abzuräumen.

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Fotos: Carsten Schönebeck