Kommentar & Demoaufruf von Pachot
Liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen!
Ja, ich weiß: Die meisten von euch interessieren sich für das Thema „Datenschutz“ so sehr wie für die Frage, ob in China gerade wieder ein Sack Reis umgefallen ist. Ja, ihr wisst bereits,
- dass Personaler als Reaktion auf eure Bewerbungen eure Profile bei StudiVZ und eure Namen mittels Suchmaschinen recherchieren.
- dass mit dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eure Telekommunikations-Verbindungen (also mit wem ihr wann, von wo, wie lange telefoniert, wem ihr wann eine Mail geschickt habt, auf welchen Internetseiten ihr surft etc.) für sechs Monate gespeichert werden.
- dass euer Handy auf Grund des beständigen Kontakts zur nächsten Funkzelle gleichzeitig ein wunderbarer Peilsender ist und dass ihr beim Kauf eines Prepaid-Handys wegen der anhaltenden Terrorgefahr euren Personalausweis vorlegen müsst.
- Ihr habt vielleicht bereits Post von eurer Krankenkasse bekommen, die euch auffordert, ein Passbild für eure neue elektronische Gesundheitskarte einzuschicken oder auch
- Post vom Bundeszentralamt für Steuern mit eurer neuen lebenslang gültigen Steueridentifikationsnummer (warum diese unzulässig ist, erfahrt ihr hier).
Das wird schon alles seinen Sinn haben, denkt ihr euch. Dass ihr ja nichts zu verbergen habt oder auch, dass man eh nichts dagegen tun kann. Nur gibt es da einen kleinen Haken: Ihr irrt euch!
Erste goldene Regel: Ihr solltet immer im Hinterkopf haben, dass nahezu alles, was ihr irgendwann einmal an Informationen ins Netz gestellt habt (Bilder, Forenbeiträge, Kommentare, Fingerabdrücke, Details aus eurem Leben, Kommentare & Artikel auf dem webmoritz), selbst oder gerade wenn es schon Jahre her ist, sich gegen euch richten kann und wird!
Wenn Versicherungen und Banken von euch beantragte Leistungen ablehnen oder nur zu weit höheren Kosten anbieten, wenn ihr von eurem potenziellen Arbeitgeber, Vermieter oder Traumpartner eine Absage erhaltet, wenn ihr Opfer von Datenmissbrauch und Identitätsdiebstahl werdet, dann hat das in der Regel damit zu tun, was ihr (oder andere) irgendwann mal über euch ins Internet oder Dritten
als Information zur Verfügung gestellt habt. Ganz egal, ob ihr mal eine Mahnung bekommen, beim Schwarzfahren erwischt wurdet, einen Fragebogen oder Antrag wahrheitsgemäß ausgefüllt, eine Beschwerde, eine berechtigte Kritik oder eine Auskunftsnachfrage geäußert habt, in der „falschen“ Gegend wohnt, mit den „falschen“ Leuten rumhängt oder mit eurem Handy, Auto, RFID-ausgerüsteten Karten und Ausweisen zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen seid – ihr landet über kurz oder lang in diversen Warndateien, „Gefährderdateien“ oder Rasterfahndungen, von deren Existenz ihr nicht einmal wisst, deren nachteilige Konsequenzen ihr aber jederzeit zu spüren bek
ommen könnt. Über den Zusammenhang werdet ihr dabei in der Regel im Unklaren gelassen. Denn dummerweise geben euch Unternehmen, Versicherungen, Banken und Behörden nicht so gerne Auskunft wie ihr ihnen.
Zweite goldene Regel: Schützt eure Daten und seid sparsam mit deren Weitergabe! Entsorgt eure Kundenkarten und zahlt mit Bargeld anstatt mit Karte (damit vermeidet ihr jeweils das Erstellen von Bewegungs-, Neigungs- und Persönlichkeitsprofilen). Löscht oder anonymisiert eure Profile bei öffentlichen Online-Verzeichnissen. Füllt keine personalisierten (Um)Fragebögen aus bzw. nur die Felder, die ihr für das Anliegen als relevant erachtet. Weist die Datenschutzbeauftragten auf Datenmissbrauch an eurem Arbeitsplatz hin. Passt auf, welche vermeintlich gemeinnützigen Organisationen ihr (auf der Straße) mit eurer Unterschrift unterstützt oder ihnen sogar eine Einzugsermächtigung erteilt. Boykottiert Länder mit Einreisebestimmungen wie die der USA. Boykottiert Google und deren kostenlosen Datensammel-Tools (die Meta-Suchmaschine ixquick.com ist eine gute Alternative). Verschlüsselt eure Internetverbindungen (Torpark), verschlüsselt eure E-Mail (GnuPG), verschlüsselt eure Festplatten (TrueCript). Eure Daten sind wertvoll! Warum sonst sind so viele Unternehmen und Behörden hinter ihnen her?
Dritte goldene Regel: Ihr könnt euch wehren, also tut es!!! Leistet aktiven, passiven und kleinen Widerstand. Nicht nur, indem ihr eure Daten schützt, sondern auch, indem ihr euren Unmut über die Erfassung und Auswertung all eurer Lebensäußerungen im digitalen und realen Alltag äußert. Unterstützt die Großdemonstration am 11. Oktober in Berlin und 20 Städten weltweit, zu der allein über 40 deutsche Bürgerrechtsvereine, Gewerkschaften, Verbände und Parteien aufrufen und zu der in diesem Jahr ein Bustransfer aus 100 deutschen Städten organisiert wird! Im letzten Jahr folgten 15.000 Menschen diesem Aufruf, in diesem Jahr werden mehr als fünfmal so viele Menschen erwartet. Auch ihr! Geht endlich auf die Straße und zeigt, dass ihr mehr seid als Analyseobjekte von Marketing-Abteilungen, mehr als „Risikokunden“ und Kostenfaktoren für Versicherungen und Unternehmen, dass ihr keine Manövriermasse im Sozialstaat oder potenzielle Terroristen sein wollt! Ihr seid freie Bürgerinnen und Bürger in einer (noch) freiheitlich-demokratischen Republik! Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches der vielgeschmähte Datenschutz zu stärken sucht, ist euer wichtigstes Grundrecht in der Informationsgesellschaft, Garant für die Wahrung eurer Menschenwürde, und für einen demokratischen Rechtsstaat ebenso konstituierend wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Versammlung!
Demonstration gegen Überwachung und Datenmissbrauch
11. Oktober 2008
14 Uhr ab Alexanderplatz
- Aufruf und Unterstützer: www.freiheitstattangst.de
- Bus-Transfer aus 100 Städten: www.foebud.org
- Wie ihr helfen könnt: Wiki Vorratsdatenspeicherung
Bildquellen: wiseguy71, queer.kopf, patrickschulze, sunside; alle CC via Flicr
Kleiner Kommentar:
Das Encryptionsnetzwerk Tor und die damit verwandten Produkte (Torpark, Onion, usw) wurden eigentlich zur Umgehung der chinesischen Mauer und anderer Staatsfirewalls konzipiert. Weil die Nodes (Weiterleitungspunkte) oft aus privaten Rechnern bestehen, hält das Netzwerk nur begrenzt viel Datenstrom aus. Daher bitte nicht für eigensinnige Zwecke (ich schiele auf P2P-Anwendungen…) missbrauchen, für viele ist Tor lebenswichtig!
Empfehlenswert ist auch der Chaosradio-Beitrag zu RFID-Chips und Magnetkarten http://chaosradio.ccc.de/cr84.html sowie der zu Anonymizern: http://chaosradio.ccc.de/cr85.html . Die sind (im Gegensatz zu Chaosradio Express) für Ottonormalverbraucher verständlich.
Oh ja – danke Adrian – Chaosradio & CR Express sind definitiv als Podcast zu empfehlen. Nicht nur diese zwei Ausgaben…
Man kann bestehende Gesetze nicht wegdemonstrieren! Oder ist schon irgendwann einmal ein Gesetzt dadurch aufgehoben worden?
Deine Frage würde einiger Recherche bedürfen. Gesetzt können in der Tat nicht durch Demonstrationen aufgehoben werden, allerdings kann durch Demonstrationen das Interesse an einer Änderung/Rücknahme des Gesetztes artikuliert werden, welches dann von der parlarmentarischen Politik aufgegriffen werden kann. So zuletzt bei den Anti-Studiengebührenprotesten passiert, die in Hessen massiv durch Demonstrationen, Aktionen des Zivilen Ungehorsams und Veranstaltungen thematisiert wurden und dann eine parlarmentarische Mehrheit zur Rücknahme des entsprechenden Gesetzes fanden. Ich wage zu behaupten, dass, wenn sich niemand öffentlich an Studiengebühren gestört hätte, es auch nicht auf die politische Agenda der Parteien gekommen wäre.
Wie du schon angemerkt hast ist es möglich durch Demonstrationen Druck auf Regierende auszuüben. Das ist aber nicht Sinn und Zweck des demokratischen Systems. Die grundlegende Frage lautet, warum unserere sogenannten Volksvertreter so viele Entscheidungen treffen, die sich gegen das Wohl der Allgemeinheit wenden? Welchem Herrn dienen sie, wenn nicht dem Volk? Und, tun sie diese Fehlentscheidungen bewusst, oder nur aus Unwissenheit? Welche Konsequenzen hätte es, wenn sie es bewusst tun? Wie ist eigentlich das Verhältnis der demokratischen Wirklichkeit zum Ideal des Grundgesetzes?
MfG
Francesco
Natürlich gehören Demonstrationen zum demokratischen System, genau wie Vereine, Bürgerbündnisse, Unterschriftensammlungen und Volksabstimmungen.
Die Interessenvermittlung kann auf vielen Wegen und Kanälen erfolgen, und besonders Demonstrationen sind geeignet, um den Politikern unpopuläre (Fehl-)Entscheidungen zu vermitteln. Aus diesem Grund schützt unser Grundgesetz ja die diversen Vereinigungsformen. Im Fall Datenschutz ist eben neben den im Beitrag erwähnten Methoden, die eine Art passiven Widerstand darstellen, das Mittel der Demonstration sehr gut geeignet.
Das die Politiker solche Gesetze verabschieden, kann viele Gründe haben, reine Unwissenheit über die Folgen, mangelndes Problembewusstsein oder schieres Desinteresse, der Wunsch, die Bürger auszuspionieren…
noch ein Tip: es heißt TrueCrypt, nicht TrueCript
Ja, danke Tobias!
Ich finde, dass man den Raum hier auch nicht nutzen sollte, um seine persönliche Politikverdrossenheit zu artikulieren, dafür gibt es andere Foren (Leserbrief an die Bild/ Berliner Kurier/ OZ) Wir leben (zum Glück) in einem pluralistischen System, man könnte soweit gehn, zu sagen, unsere Volksvertreter (!!!) sind auf Meinungen von außen angewiesen. Dass Entscheidungen dann unterschiedlich gewertet werden gehört eben auch zu diesem Prinzip …
Wenn unsere so genannten Volksvertreter das Volk wirklich vertreten, warum wird dann gegen sie demonstriert? Doch nur weil sie unsere Interessen eben nicht vertreten. Und wenn ich dann die Frage stelle, wem sie dann dienen, und als Antwort bekomme, dass meine persönliche Politikverdrossenheit hier nichts zu suchen hat, wie soll ich denn das jetzt interpretieren? Ist es also nicht lohnendenswert zu fragen warum der Bürger permanent kriminalisiert und gedemütigt wird? Ich dachte eigentlich, dass ich hier ordentliche Antworten finden könnte, so wie sie Tobias mir geschrieben hat, dem ich in seinen Punkten natürlich zustimme. Doch die von ihm genannten Punkte sind nur Mittel der Selbstverwaltung des Volkes auf unterer Ebene. Und wie wir sehen können diese auch effektiv die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Warum ist das jedoch im Parlament und in den Parteien nicht der Fall?
Naja, ich wollte Dir ja hier nicht vor’n Kopf stoßen. Auch Politiker und Parteien sind ja in ihren Wirkungsbereichen begrenzt und können nicht die Interessen aller vertreten – alle haben ja schließlich nicht die gleichen Interessen. Ich denke auch, dass man Demos nicht als Veranstaltungen GEGEN Politiker verstehen sollte, sondern vielmehr als Signal AN die Politiker, dass irgendwas im Argen liegt. Interessen- und Meinungsstreit sind einfach elementare Bestandteile der Demokratie….
Die Grenzen des Wirkungsbereiches sind besonders eng, wenn es um die Durchsetzung des Wohls der Allgemeinheit geht, aber ziemlich weit, wenn man sich mal wieder eine Diätenerhöhung verschreibt., diese ist zufälligerweise immer mit dem Haushalt vereinbar. Mal im ernst, das Volk verlangt doch keine Unmöglichkeiten. Und es gibt Forderungen, welche im Interesse des gesamten Volkes liegen. So zum Beispiel die die Sicherung der Energieversorgung, Infrastrukur, und Telekommunikation. Oder die Erhaltung des Friedens. Alles Bereiche, die der sogenannte schlanke Staat abgibt und das Volk der Willkür überlässt.
Demonstrationen müssen sich gegen bestimmte Politiker und ihren Entscheidungen richten, sonst würde die Wirkung verpuffen. Eigentlich müssten sich Demonstrationen immer gegen die Gesamtheit der Politiker richten, beschließen sie ihr Unheil doch immer gemeinsam. Das Problem ist die Verantwortungslosigkeit unserer Politiker, die weder Sanktionen noch Strafen für ihre Taten befürchten müssen, ja stattdessen mit einer lebenslangen Rente hoffiert werden. Sie verstecken sich hinter ihren Mehrheitsentscheiden und am Ende will es dann keiner gewesen sein. So wird da natürlich kein Schuh daraus. Erst wenn man für Politik kein Geld mehr bekommt und für sein Handeln die volle Verantwortung übernehmen muss werden wir vielleicht Menschen bekommen, die sich für UNS einsetzen anstatt dem Kapital in den allerwertesten zu kriechen. Respekt und Dank und ihre Legitimation haben sie jedenfalls verwirkt.
Gruß
Francesco
Wo hast du das denn her?
Wenn alle Politiker „ihr Unheil doch immer gemeinsam beschließen“, dann musst du konsequenter Weise nicht gegen die Politiker demonstrieren, sondern gegen die Bürger, die gemeinsam die Politiker gewählt haben. Allerdings demonstriert man ja in der Regel nicht für oder gegen Politiker, sondern für oder gegen Entscheidungen.
Da du ja scheinbar sehr unzufrieden mit dem demokratischen System bist, zugleich aber auch nicht demonstrieren möchtest, um deinen Unmut zu artikulieren, frage ich mich ernsthaft, was du genau machen möchtest…
Das ist den täglichen Nachrichten zu entnehmen!
Erstmal entstehen Gesetze nicht aus der Luft heraus, sondern durch den Willen und das Einverständnis von Politikern. Also sind sie auch diejenigen, welche dafür die Verantwortung tragen – dafür bekommen sie doch schließlich so viel Geld vom Staat, und damit vom Volk. Leider handeln die meisten aber gewissen- und verantwortungslos. Gegen den Bürger demonstrieren – damit bist du einer möglichen Lösung des Problems schon ziemlich Nahe, mit dem Bürger hat es zu tun. Aber nicht gegen den Bürger muss man handeln sondern mit ihm. Hast du dich noch nie gefragt, warum die Wähler immer wieder ihre Partei wählen, obwohl sie Entscheidungen trifft, die gegen sie gerichtet sind? Ich kann es dir sagen, eben aus dem Grund, weil sie nicht sehen, dass falsche Entscheidungen von falschen Politikern kommen. Sie hoffen, dass es besser wird, obwohl die Realität das Gegenteil beweißt. Und da Kritik an den Gesetzen immer in der Ominösität der Mehrheitsentscheidung untergeht, hat der Bürger kaum eine Chance wirklich diejenigen zu erkennen, welche dafür verantwortlich sind. Und warum werden von Politikern so viele Gesetze verabschiedet, die sich gegen das Volk richten? Dafür gibt es eigentlich nur zwei Antworten: entweder sie sind nicht kompetent genug, um die ihnen aufgetragenen Aufgaben zu lösen, können also die Folgen ihres Handelns nicht abschätzen, oder sie entscheiden sich im vollen geistigen Bewusstsein für ihre Gesetze und kennen die Folgen. Beide Antworten führen jedoch zum selben Ergebnis: Diese Menschen haben in der Politik nichts zu suchen – sie besitzen keine Legitimation. Und welche Wahl hat denn nun ein Wähler, kann er sich nur zwischen dem Dummkopf und dem Heuchler entscheiden? Ich sage ja nicht, dass alle Politiker so sind, weiß Gott nicht, aber die Mehrheit ist es, und die ordentlichen gehen unter in der Menge. Deshalb ist der einzig richtige Weg für eine akzeptable Lösung erstmal die Aufklärung der Bürger, das Bewusstmachen für die wirklichen Probleme zu schärfen. Problem erkannt, Problem gebannt! Genau deshalb fragte ich oben nach dem Verhältnis der demokratischen Wirklichkeit zum Ideal des Grundgesetzes.
Gruß
Francesco