Wer schon einmal auf den Salzwiesen spazieren war, hat sicherlich die Rinder bemerkt, die dort grasen. Unsere Redakteurin war mit Dörte Wolfgramm-Stühmeyer unterwegs. Sie hat 2016 den Familienbetrieb ihrer Eltern übernommen und bewirtschaftet die Wiesen mit ihren Tieren. Ein Gespräch über Paludikultur, unachtsame Spaziergänger*innen and Moor.
An einem bewölkten Morgen treffe ich Dörte Wolfgramm-Stühmeyer an den Salzwiesen. Kessie ist auch mit dabei. Die einjährige Hündin wird gerade zur Hütehündin ausgebildet und schnuppert ganz aufgeregt im Gras. Frau Wolfgramm-Stühmeyer erzählt, dass bereits ihre Großeltern Landwirte gewesen seien. Doch erst nach der Wende hätten ihre Eltern einen eigenen Hof gegründet. Damals noch mit 10 Rindern – gerade so viele, wie in den eigenen Stall passten. Die Landwirtin erinnert sich: „Meine Eltern wollten es nicht auf sich sitzen lassen, dass nach der Wende alles Land in der Umgebung verkauft wurde. Deshalb haben sie, erst einmal hobbymäßig, mit der Landwirtschaft angefangen.“
Als der Betrieb langsam wuchs, sei die Familie auf der Suche nach neuen Flächen gewesen – aber viele ertragreiche Standorte bereits verkauft oder verpachtet. „Die Salzwiesen waren eine Ecke, die sonst keiner haben wollte, also haben wir sie Anfang der 90er Jahre von der Stadt gepachtet und bewirtschaftet“, so die studierte Agrarökologin.
Tatsächlich eignen sich die Salzwiesen nicht sonderlich gut zur Grünlandnutzung, denn es handelt sich um Niedermoorböden. Das aufwachsende Gras hat einen geringen Futterwert, dadurch ist nur eine eingeschränkte Beweidung möglich. Außerdem sind die Flächen nicht immer mit Maschinen befahrbar. Frau Wolfgramm-Stühmeyer demonstriert das Problem, in dem sie kräftig auf dem Boden springt. Ich merke die Vibration unter den Füßen.
„Die Grasnarbe schwimmt im Prinzip auf einem beweglichen Untergrund.“
Dörte Wolfgramm-Stühmeyer
Die eingeschränkte Nutzbarkeit der Flächen sei auch ein Grund gewesen, warum der Betrieb 1997 auf ökologische Landwirtschaft umgestiegen sei. Zusätzlich liege ihnen die artgerechte Tierhaltung sehr am Herzen. Der Familienbetrieb ist tierisch vielfältig aufgestellt. Neben Mutterkühen und Mutterschafen gehören Mastschweine und Legehennen zum Hof. Das Fleisch der Tiere wird direkt im Hofladen vermarktet. „Ich habe Kunden, die sagen, dass sie das Fleisch nur noch bei mir kaufen. Das ist das größte Lob, was ich bekommen kann“, sagt die Landwirtin.
Kessie bleibt auf einmal stehen und schnüffelt intensiv im Gras. Dort liegen die Reste einer Fast-Food-Tüte. Frau Wolfgramm-Stühmeyer hebt sie auf. Sie weiß, dass viele Greifswalder*innen gerne auf den Salzwiesen spazieren gehen. Einige Flächen habe sie deshalb aus der Beweidung genommen und mähe sie nur noch. Zusätzlich mulche sie auch die Spazierwege zwischen den Weiden, um diese freizuhalten. Diese Kultur des Miteinanders wünsche sie sich auch von den Spaziergänger*innen. „Ich kann alle nur immer wieder bitten ihren Müll mitzunehmen. Auch der Hundekot hat auf meinen Flächen nichts verloren“, betont sie. Auch warnt sie davor die Weiden zu betreten, selbst wenn es erst einmal nicht so aussieht, als ob dort Tiere stehen.
Müll sollte auf den Wiesen nicht zurückgelassen werden. Der findet sich letztlich im Heu wieder.
Nicht nur zurückgelassener Müll macht der Landwirtin zu schaffen. Auch das Thema Paludikultur – also die Bewirtschaftung nasser Moore – beschäftige sie. Einerseits sehe sie die ökologische Notwendigkeit, die Flächen wiederzuvernässen. Anderseits sei ein Drittel ihrer Flächen Niedermoorflächen und würde bei einer konsequenten Wiedervernässung aus der Bewirtschaftung fallen. Eine Nutzung der Flächen in Paludikultur sei auf ihren Weiden technisch noch nicht möglich. Sie hoffe daher, dass in Zukunft Lösungen gefunden werden können, die die Moore schützen, aber gleichzeitig ihrem Betrieb nicht schaden. Schließlich genieße sie es sehr Landwirtin zu sein: „Wenn ich morgens auf den Weiden stehe und die Ruhe genieße, oder wenn ich sehe, wie entspannt meine Rinder sind, bin ich dankbar für meinen Beruf.“ Auch auf die Frage, ob Frau Wolfgramm-Stühmeyer, wenn sie die Wahl hätte, nochmal Landwirtin werden würde, gibt es eine einfache Antwort: „Ich würde nichts anderes wollen.“
Wir, die Redakteur*innen der moritz.medien, machen uns natürlich auch weiterhin Gedanken über unsere Umwelt und berichten daher in einem zweiten Teil unserer Nachhaltigkeitskolumne über weitere Themen, Tipps und Gedanken, damit ihr euer Leben (noch) nachhaltiger gestalten könnt.
Wie eine Spreewaldgurke, die sich eine Ewigkeit in ihrem Glas frisch hält, aber verdorrt, sobald man sie herausnimmt. Damit beschreibt Biologe Hans Joosten ein trockengelegtes Moor. Nur etwa 15 % aller Moore weltweit wurden entwässert, doch diese scheinbar geringe Menge genügt bereits, um 5 % der globalen CO2-Emission zu verursachen – mehr als doppelt so viel wie der gesamte Flugverkehr.
Dabei sind Moore eigentlich die idealen Klimawandel-Waffen. Über hunderte von Jahren hinweg hat sich in ihnen Torf gebildet, der eine gewaltige Menge an Kohlenstoff in sich bindet. Insgesamt zwei Mal so viel wie Wälder, obwohl diese etwa ein Drittel der gesamten Landmasse ausmachen, Torfgebiete hingegen nur 3 %. Moore sind zudem ein wichtiger Lebensraum für eine Vielzahl an Tieren, helfen auf natürliche Weise bei der Wasserreinigung und sind eine Kühlkammer unserer Erde. All das funktioniert aber nur im intakten, das heißt feuchten Zustand. Trockengelegte Moore werden gefährlich, werden zu Zündstoff bei Waldbränden oder steuern zu Landabsackungen bei. Und sie emittieren – 5 % unserer gesamten anthropogenen Treibhausgase.
RE-PEAT ist eine junge Organisation von jungen Menschen. Gemeinsam wollen sie vor allem die Aufmerksamkeit auf Moore richten und als eine globale Zusammenkunft von Interessierten aus verschiedenen Fachrichtungen einen holistischen Ansatz schaffen. Den gesellschaftlichen Umgang mit Mooren erforschen, prägen und verändern. In Zeiten von internationaler Quarantäne wurde in diesem Jahr zum ersten Mal das 24-stündige „Online Global Peat-Fest“ abgehalten, an dem Künstler*innen, Landwirt*innen, Wissenschaftler*innen, politische Entscheidungsträger*innen und interessierte Bürger*innen der ganzen Welt teilnahmen. In insgesamt 50 Veranstaltungen konnten ein englischer Sänger und eine irische Fotografin, malaiische Moorschützer*innen und deutsche Wissenschaftler*innen ihren kleinen Beitrag zum Thema leisten. Darunter war auch Swantje Furtak, eine Studentin aus Greifswald. Ihre Antwort auf das Moorproblem: eine selbst produzierte Dokumentation.
In hellblauen Gummistiefeln radelt Swantje darin durch Greifswald, um Lösungen für die drängendsten Moorfragen zu finden. Die Moore zu retten, leuchtet ein, aber wie geschieht das möglichst nachhaltig? Immerhin wurden die Landflächen bewusst entwässert, um Forst- und Landwirtschaft und dem Torfabbau Platz zu schaffen. Die Gebiete also einfach wieder vernässen, sozusagen zu re-peaten, ist also schwieriger, als es klingt, die Flächen werden heute schließlich genutzt. Eine Umstellung in der Landwirtschaft zu schaffen, funktioniert also nur, wenn es eine rentable Alternative gibt.
„Paludikultur“, so hat Swantje ihre 20-minütige Dokumentation genannt. Paludikultur ist die Lösung, eine neue Agrarkultur auf dem palus, dem Sumpf. Die angebauten Pflanzen müssen also unter feuchten Bedingungen wachsen können. Grundsätzlich kämen zum Beispiel Schilf, Rohrkolben oder Seggenwiese dafür in Frage, doch diese Form der Landwirtschaft ist noch immer so neu, dass sie derzeit intensiv erforscht wird. Welche Schilftypen aus welchen Regionen der Erde eignen sich am besten und in welchem Wasserstand kann der größtmögliche Nutzen erzielt werden?
Maßgeblich an der Erforschung von Paludikultur beteiligt ist das Greifswalder Moorzentrum. Auch hierhin macht Swantje sich auf, spricht mit Forscher*innen und stellt kritische Fragen, nicht nur, um herauszufinden, wie Paludikultur theoretisch funktionieren könnte, sondern auch wie sie praktisch möglich ist. Denn eine agrikulturelle Umstellung würde nicht zuletzt mit hohen Kosten einhergehen, die nicht allein von den Landwirt*innen getragen werden können. Es braucht das, was auch RE-PEAT mit ihrem „24hr Peat-Fest“ schaffen wollten. Es braucht ein Umdenken. Einen durch den Klimawandel und die Dringlichkeit von Klimaschutz hervorgerufenen gesellschaftlichen Impuls.
Mit Spreewaldgurken und einem Fahrrad, mit Teebeuteln und einem Filmprojektor aus Pappkartons begibt sich Swantje auf eine Spurensuche von der Rettung der Moore. Die Erkenntnisse, die sie auf dieser Reise erhält, erwachen in ihrem Notizbuch zum Leben – wie ein neu vernässtes Moor, das wieder zum Leben erwacht.
„When the sun is tickling your nose, the wind is blowing through your hair and you take the first step into peatland, then you know what is important – and that for some ideas it’s worth the fight.“
RE-PEAT braucht immer neue Kreativköpfe, Organisationstalente und Politikinteressierte – hier könnt ihr euch informieren und melden: https://www.re-peat.earth/
Am 02.07. wird in einer Sitzung der Greifswalder Bürger*innenschaft außerdem über den Masterplan Steinbeckervorstadt entschieden, der auch die angrenzenden Moore und deren Wiedervernässung beinhalten würde. Um daran zu erinnern, wie wichtig eine Berücksichtigung der Moore bei der Beschlussfassung ist, nahmen gestern am 26.06. 120 Menschen an zwei Mahnwachen teil, die unter dem Motto „Moorschutz ist Klimaschutz“ abgehalten wurden. Weitere Infos dazu findet ihr unter anderem auf den Social Media Kanälen von Fridays For Future Greifswald sowie auf den Twitterseiten von @GreifswaldMireCentre und @MoorBuendnis.
Beitragsbild: Swantje Furtak Banner: Jonathan Dehn
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