Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schonmal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.
Ein Sommerabend. Die hiesige Musikschule veranstaltet im Rahmen der Greifswalder Kulturnacht eine Jamsession sowie ein paar Konzerte – unter anderem von Detechtive. Die Zuschauer*innen sitzen auf Sofas, Sesseln und Stühlen. Hier und da steht auch so eine altmodische Lampe mit Bommeln – es hat was von einem riesigen Wohnzimmer, nur eben unter freiem Himmel. Die Stimmung ist gut und die Musik auch. Der Abend bleibt im Kopf. Aber nicht nur als Erinnerung an den schönen Live-Act lohnt es sich, mal bei Detechtive reinzuhören.
Hinter Detechtive steht die Solokünstlerin Mirja Maier, die ihre Songs in Eigenregie komponiert und produziert. Sie ist in Süddeutschland aufgewachsen, wohnt jedoch seit letztem Jahr in Berlin, wo sie sich ein eigenes kleines Studio eingerichtet hat. Nach der Schule fing sie an, in Freiburg Pop- und Jazzmusik zu studieren. Dort hatte sie auch die Idee, klassische Instrumente mit zeitgemäßer Popmusik zu kombinieren, woraus schließlich Detechtive entstanden ist. Den Namen hatte sie schon länger im Kopf, zuerst als Idee für eine Techno-Band, doch dann brauchte sie selbst einen Namen, und Detechtive passte zu der Technologie hinter ihren Songs. Genretechnisch ist ihre Musik schwer einzuordnen, sie beinhaltet Elemente der Popmusik, Jazz und Klassik. Das Genre ist aber auch nicht so wichtig – wichtiger ist ihr der rote Faden, der sich durch ihre Songs zieht. Inspiriert wurde Mirja Maier von Künstlern wie IAMX, Radiohead und Cosmo Sheldrake.
Der moritz.playlist werden nun zwei Songs von Detechtive hinzugefügt. Beide Lieder spiegeln Detechtive auf thematischer und musikalischer Ebene wider – es geht um gesellschaftliche Missstände, Emotionen und Mirjas Erfahrungen. Zudem sind sehr unterschiedliche Instrumente zu hören, die letztendlich aber doch irgendwie zusammenpassen.
Das Lied „Anger“ aus diesem Jahr kritisiert den Sexismus und andere Ungleichheiten in der Gesellschaft. Inspiriert wurde Mirja hier von einem Zitat der Autorin und Kolumnistin Margarete Stokowski aus ihrem Buch „Untenrum frei“: „Aber Wut ist nicht dasselbe wie Hass. Hass will Zerstörung. Wut will Veränderung. Hass ist destruktiv. Wut ist produktiv.“ Der letzte Teil findet sich dabei auch im Refrain wieder. Wobei dies, meiner Meinung nach, nicht nur auf Feminismus zutrifft, sondern auch auf verschiedenste andere Probleme. Es ist eine Erinnerung daran, dass reiner Hass meistens nur wenig bringt und Wut gerne mit Hass verwechselt wird.
Das Lied „What will last“ von 2020 klingt erstmal ziemlich drastisch mit dem Refrain „If you would die tomorrow, what would last?“, aber eigentlich geht es darum, dass wir uns meistens viel zu sehr dem anpassen, was wir in der Gesellschaft für angebracht halten, anstatt das zu tun, was wir wirklich wollen. Auch hier geht es um gesellschaftliche Missstände, die wir nicht ignorieren sollten und darum, dass wir Veränderungen selbst in die Hand nehmen müssen – „be the change you want to see“.
Musik allein mag vielleicht keine Probleme lösen, aber sie kann aufmerksam machen und zu Veränderungen anregen. Und neben der Message sind die Songs auch mit spannendem Sound aufgebaut. Sie sind geprägt von jazzigen Klängen, Synth-Bässen und einer unverwechselbaren Stimme. Trotz der kritischen und negativen Aspekte finden sich in den Songs auch stets hoffnungsvolle und positive Aspekte wieder. Sie sorgen so vielmehr für Kampfgeist als für deprimierende Stimmung.
Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schonmal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.
„Ich liebe Cro“. Ein Satz, von dem ich noch vor circa 10 Jahren nie gedacht hätte, ihn so über die Lippen zu bringen. Aber Cro? Ist das nicht dieser Pop-Rapper mit der Pandamaske, der immer nur in musikalischem Einheitsbrei über Frauen rappt? Mit einer pessimistischen Engstirnigkeit könnte man das vielleicht behaupten. Jedoch ist der Rapper so viel mehr, wenn man nur richtig hinschaut. Oder eben hinhört.
Höchstwahrscheinlich ist Cro kein Künstler, der einer umfangreichen Vorstellung bedarf. Solltet ihr allerdings die letzten zehn Jahre jeglicher Beschallung von Popmusik entgangen sein, hier einmal im Schnelldurchlauf: Cro (bürgerlich Carlo Waibel) wuchs in Mutlangen in der Nähe von Stuttgart auf und begann mit zehn Jahren Musik aufzunehmen. Schon im Jahr 2011 erreichte er im Alter von 21 Jahren mit der Single Easy und dem dazugehörigen Mixtape seinen Durchbruch. Beides veröffentlichte er kostenlos. Ein Jahr später kam sein erstes Album Raop heraus, welches an den Erfolg anknüpfte. Und dann hatte Cro es auch schon geschafft. Innerhalb eines Jahres wurde er zum erfolgreichsten Rapper Deutschlands, indem er dem Genre und seiner Musik den nötigen Style und Leichtigkeit verlieh. In den darauffolgenden Jahren brachte er weitere Alben heraus, tourte durch Deutschland und produzierte Musik bis zum Umfallen.
Doch was macht Cros Musik eigentlich so besonders? Es ist die Unbeschwertheit in den einen Songs und es sind die Gefühle und die Emotionen in den anderen Songs. Dabei hat Cro die „ist mir scheißegal“-Attitüde perfektioniert, zeigt aber auch in späteren Songs und Releases, dass es eben nicht immer so ist. Deutlich wird dies vor allem in seinem vorletzten Album tru., welches künstlerisch und musikalisch einen starken Richtungswechsel darstellt, aber auch einen Wendepunkt in Cros ganzer Karriere. Er hat hier zu sich gefunden und ist ein Stück weit erwachsen geworden. Demnach lässt er in diesem Album auch einen Blick in sein Privatleben zu und schafft so auch sehr intime Momente in der Musik.
„Früher wollt‘ ich ja nicht anecken. Ich wollte aalglatt durch die Mitte und in jedes Herz der Welt einfach rein.“
Dieser von ihm beschriebene „Schub an Stil und Ästhetik“ brachte auch eine ganz neue künstlerische Dimension außerhalb der Musik hinzu. Denn Cro produziert neben seinen Strophen auch die Beats, die Texte, das Musikvideo dazu, Kunst, Mode und so ziemlich alles, was er veröffentlicht selbst. Bis heute.
Die moritz.playlist wird um zwei Songs von Cro erweitert. Der Erste ist eine der Single-Auskopplungen des besagten dritten Albums tru. mit dem Titel Unendlichkeit. Dieses Lied ist eines seiner bekanntesten, aber auch ein Sinnbild für seinen künstlerischen Werdegang und die Entwicklung seiner Musik. Hier stellt sich Cro die großen Fragen, die sich jede*r Künstler*in an einem gewissen Punkt in seiner*ihrer Karriere stellt und dessen Antworten mit Geld nicht zu kaufen sind. Als zweites haben wir den Song NICE vom letzten Album trip, welches erst im April dieses Jahres erschienen ist. Hier ist der Sound aus den ersten zwei Alben wiederzuerkennen, mit dem viele Menschen Cro verbinden. Allerdings ist er nun verfeinert, mit einer neuen emotionaleren Herangehensweise, ohne dass es schnulzig oder unecht klingt. Ganz im Gegenteil. Als Drittes und Letztes kommt der Song X von Danju in die Playlist. Danju ist ein Künstler, der musikalisch eng an Cro anliegt, aber einen ganz eigenen Stil in die Sache bringt und an die älteren Cro-Songs erinnert.
Alles in Allem ist Cro ein Künstler, welcher leider viel zu lange unter meinem Radar blieb. Es ist die Einfachheit und die Unbeschwertheit in der Musik, aber auch in der Person dahinter, die ihn als Künstler ausmachen. Er traut sich immer wieder Innovation nicht nur ins Genre, sondern in die Musik generell zu bringen, wobei Grenzen verschwimmen und die Kunst hinter der Musik zum Vorschein kommt. Natürlich ist Cro nicht der Underground-Rapper mit dem fast schon klischeebehafteten Straßenimage, tru. ist er dennoch geblieben und nach wie vor einer der interessantesten Musiker*innen, die Deutschland zu bieten hat.
Titelbild: Paulette Wooten Beitragsbild: Adrian Siegler
Musik–Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schonmal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurermoritz.playlist.
Fünf Freund*innen – vier Menschen und ein Hund. Nein, die Rede ist nicht von Enid Blytons Kinderbuch, sondern von der italienischen Rockband Måneskin. Und zugegeben, die kleine Hundedame der Bassistin Victoria ist auch nicht immer dabei, obwohl sie zwischenzeitlich sogar als neue Managerin der Band im Gespräch war. Am Ende wurde es ein alter Freund der Band und die Firma Exit Music Management quasi extra für sie gegründet. Freundschaft ist ohnehin das Grundrezept für Måneskin und sicherlich auch eine ganz besondere Geheimzutat bei ihrem derzeitigen weltweiten Erfolg, gerade in Zeiten von Corona und sozial belastender, wenn auch notwendiger, Isolation.
Als vier Freund*innen beginnen Måneskin ihre Karriere 2015 zunächst auf der Straße, mit gerade einmal 14, 15 und 16 Jahren. Anderthalb Jahre streiten sie mit anderen Nachwuchskünstler*innen um die besten Plätze in Roms Einkaufspassagen, bis sie irgendwann genug Geld für ihr erstes Album verdient haben, auch wenn das mit dem Bezahlen nicht ganz so einfach ist, wenn man die 300 Euro nur in gespendetem Münzgeld vorweisen kann. In Italien erreichen sie bereits 2017 durch ihre Teilnahme bei der Castingshow X Factor Bekanntheit, europaweit dann 2021 mit dem Gewinn beim ESC und schließlich auch global durch ihre Coverversion von Beggin‘. Aber Måneskin sind weit mehr als ein vier Jahre altes, für eine Castingshow nachgesungenes Lied. Ihre eigenen Songs zeigen nicht nur in der instrumentellen Komposition eine enorme Tiefe, sondern auch in den Texten, vor allem in den italienischen.
Das zentrale Element: Der Wunsch nach Freiheit, nach gleichen Rechten und Akzeptanz, unabhängig von Geschlecht, Sexualität, Ethnizität. Eine Message, die gerade dem jungen, queeren Publikum viel Identifikationspotenzial liefert, so wie bereits in den 1970ern und 80ern bei Queen, David Bowie und Co. Ein kleiner Wermutstropfen, dass diese eigentlich doch so banale Botschaft – der Wunsch sein zu dürfen, wer man eben ist – auch 40 Jahre später noch so berührt und so relevant ist. Aber ein umso schöneres Zeichen, wie es dieser queeren Freund*innengruppe mit italienischen Liedern und an den 70ern orientiertem Stil derzeit gelingt, die Charts der Welt zu erobern.
Auf die moritz.playlist kommt jeweils ein Lied der beiden eigenen Alben von Måneskin sowie zwei Lieder von Bands, die als Vorbilder der Gruppe gesehen werden können. Morirò da Re (Ich werde als König sterben) handelt wie fast jedes Lied auf Il Ballo Della Vita von Marlena, der Personifizierung von Kunst, Inspiration, Freiheit, mit deren Hilfe sich jedes noch so unüberwindbar scheinende Hindernis besiegen lässt. Im zweiten, aktuellsten Album Teatro d’Ira – Vol. I wird es noch persönlicher, dadurch aber auch nur noch ergreifender, weil nachvollziehbarer. Was mache ich aus meinem Leben, jetzt wo ich Vent’Anni, zwanzig Jahre alt, bin? Wie wähle ich den richtigen Weg, auf dem ich nicht nur mir selbst, sondern auch meinen Mitmenschen helfen kann?
Iggy Pop ist nicht nur der Godfather of Punk, sondern auch eine große Inspiration von Måneskin. Für die italienische Version des Disney-Films Cruella durften die vier I Wanna Be Your Dog von The Stooges covern, während Iggy zuletzt I Wanna Be Your Slave von Måneskin covern durfte. Eine schöne gegenseitige Anerkennung. Zum Schluss darf auch noch etwas Deutsches auf die moritz.playlist: Mit He’s a Woman – She’s a Man werden die Scorpions 1977 etwas punkiger, als man es sonst von ihnen gewohnt ist, sowohl in den Klängen als auch in der Botschaft des Liedes, die ihrer Zeit ein paar Jahrzehnte voraus gewesen sein durfte, aber voll in Måneskins Mentalität liegt.
Måneskin sind jung, aber retro – der Sound eine Mischung aus modernen Rockbands mit 70er-Jahre Classic Rock, dazu die raue und trotzdem gefühlvolle Stimme von Sänger Damiano. Måneskin sind provokativ, aber nicht um zu provozieren – sie sind einfach nur ehrlich, ohne etwas beschönigen zu wollen, inspirierend, indem sie es nicht darauf anlegen, inspirierend zu sein, Kontroversen gehen nicht von ihnen aus, sondern sind Antworten der Gesellschaft auf eine Jugend, die sie selbst sein will, ohne sich verstellen zu müssen. Måneskin allein sind sicherlich keine Lawine, die die Ungerechtigkeit in der Welt umstürzen kann, aber doch ein netter kleiner bunter Stein – und auch über den kann man stolpern.
Musik – Töne mit Zusammenhang, oder gerne auch ohne. Im Prinzip systematischer Krach. Jede*r hat schonmal Musik gehört, aber was ist die Geschichte hinter den einzelnen Stücken, auch Lieder genannt, und womit verbinden wir sie? Was lösen sie in uns aus und wer hat sie erschaffen? webmoritz. lässt die Pantoffeln steppen, gibt vor, was angesagt ist und buddelt die versteckten Schätze aus. Unsere Auswahl landet in eurer moritz.playlist.
Cage The Elephant verfolgen keineswegs Ambitionen in einer Karriere als Tierfänger. Im Gegenteil: Der Name entstand im Gründungsjahr 2006, als ein psychisch beeinträchtigter Mann die Gruppe nach einem Auftritt aufsuchte, den Sänger Matt Shultz umarmte und immer wieder sagte: „You have to cage the elephant“. Von da an verkehrten sie als Cage The Elephant und produzierten bis zum heutigen Tag fünf Studioalben, beginnend im Jahre 2008 mit dem kreativen gleichnamigen Album „Cage The Elephant“. Dabei verhielt sich ihr Song „Aint‘t No Rest For The Wicked“ für die aus Kentucky stammende Gruppe eindeutig als Dosenöffner Richtung Ravioli der ganz großen Bühne. Fortan waren auch die kommenden Platten „Thank You Happy Birthday“ und „Melophobia“ große Erfolge, da die Musik mit traumhaften Melodien geschmückt wurde. Melophobia bedeutet dabei eigentlich so viel wie „Angst vor Musik“, soll jedoch dafür stehen, Musik unter falschen Voraussetzungen zu schreiben, um den sozialen Standards gerecht zu werden oder unter die Etikette des „Cool-Seins“ zu fallen. Die neuesten Alben „Tell Me I’m Pretty“ und „Social Cues“ gewannen jeweils den Grammy Award als beste Rockalben.
Bei Cage The Elephant findet man alles, was man in einer Indie Rockband suchen kann. Vom Punkeinfluss der früheren Alben entwickelten sie einen ganz eigenen Sound, der sich nur schwer beschreiben lässt. Besonders ist er allemal, denn es wird sich nie zu sehr auf etwas festgelegt. Stile werden innerhalb der Alben, von Lied zu Lied, gelegentlich geändert, dem Kernkonzept wird jedoch immer treu geblieben. Zu außergewöhnlichen Gitarrenriffs gesellen sich ruhige Passagen an den passenden Stellen. Thematisiert wird oft das Sonderbare oder Besondere in der Masse. So sind auch Depressionen und das Nicht-Funktionieren häufig besprochene Komplexe.
Auf die moritz.playlist kommen drei ganz besondere Lieder der Gruppe selbst sowie zwei Lieder der Support-Acts der letzten Tour 2020 –SWMRS und Post Animal. Der erste Song ist „Back Against The Wall“ aus dem Debütalbum „Cage The Elephant“. Er spiegelt die Divergenz, von der die Band bereits in frühen Tagen lebt, perfekt wider. Durch den sichten Beginn wird bis zur letzten kräftigen Note ein Spannungs- und Euphorieaufbau vollzogen. Anders verhält es sich mit „Cigarette Daydreams“. Das Lied ist vom ersten bis zum letzten Ton einfach nur perfekt. Kein weiterer Kommentar nötig. „Telescope“ ist ein textliches und emotionales Meisterwerk. Interpretationsfreiheiten lassen offen, ob es reine Depressionen und das Gefühl der Verlorenheit thematisiert, oder als Anlass zum Aufstehen und Etwas-Schaffen gewertet werden kann. Allemal lädt es zum Träumen ein, wobei auch mal eine Träne verdrückt werden kann. Der Support-Act meiner persönlichen Cage The Elephant-Erfahrung –SWMRS– ist auf dem Weg, ein ähnlich wunderbares Werk zu schaffen. In „Lose it“ schafft die Band, in der auch Billie Joe Armstrongs Sohn Joey Armstrong Mitglied ist, eine nostalgisch soft-punkige Atmosphäre. Schlussendlich bietet Post Animals „Googles“ einen Einblick in den psychedelic Rock.
Mit Cage the Elephant kann man sehr lange Spaß haben. Die Musik lädt dazu ein, ein Album nach dem anderen durchzuhören. Und dann, wenn man die Songs kennen und lieben gelernt hat, bleiben sie an einem heften wie Heftklammern. Die textlich und audiotive Mischung bringt einen zum nostalgischen Schwelgen, oft kann man einfach die Seele baumeln lassen. Gleichzeitig gibt es aber auch genug zum aus allen Löchern Mitsingen und zum hektischen aber begeisterten Füßewippen. Was möchte man schon mehr in einer Zeit von austauschbarer Belanglosigkeit?
Titelbild: blocks auf unsplash.com Beitragsbild: Patrick Perkins
Keine Sorge, das hier ist keine Politik-Reihe, im Gegenteil. Aber in der aktuellen Situation, in der das Demonstrationsrecht leider vielerorts missbraucht wird, um Unwahrheiten und Hass zu verbreiten, ist es an der Zeit, dem Wort „Demo“ wieder zu neuem Glanz zu verhelfen. Und zwar mit guter Musik.
Habt ihr die Feiertage alle gut überstanden? Dann weiter mit dem zweiten Teil des „Alopecia“-Reviews! Nachdem wir uns vor zwei Wochen mit dem Besingen einer fremden Beziehung in “Fatalist Palmistry” in die wohlverdienten Weihnachtsferien verabschiedet hatten, geht es jetzt zum Jahresabschluss nochmal um’s Ganze.
Der achte Song des WHY?-Albums heißt “The Fall of Mr. Fifths”und er bietet in diesem Jahr ungewollt eine spannende Bühne für die Aufarbeitung der Feiertage. Das schöne an lyrischen Texten ist ja, dass sie oft so wunderbar mehrdeutig sind. Aber in diesem Fall und in der aktuellen Situation ist die Nebenbedeutung so offenkundig und fast schon prophetisch, dass es sich lohnt, sie in diesem einen Jahr zur Hauptbedeutung zu erheben. Zur Erinnerung, der Song stammt aus dem Jahr 2008:
“Oh I’ve stayed scarce this last year yes, but be assured and unrest I’m unavoidable like death this Christmas is this twisted? Why be upset? I never said I didn’t have Syphilis, Miss listless.”
Tauscht man “Syphilis” mit “Covid” aus, hätte dieses Zitat in diesem Jahr wortwörtlich so in einem Streitgespräch unter dem Weihnachtsbaum gefallen sein können. Und dazu der Titel “The Fall Of Mr. Fifths” (eigentlich ein alias von Yoni), der sich einen Tag nach dem “fünften Advent” wie eine Aufforderung zur Abrechnung mit dem Jahr und den Feiertagen anfühlt. In der Demo wird das Ganze noch etwas schüchtern vorgetragen: Erst steigt Yoni viel zu früh ein und muss dann nochmal einen zweiten Versuch unternehmen, der aber ebenfalls unsicher klingt. Der Beat ist hier noch sehr provisorisch mit einem schlichten Schlagzeug-Rhythmus, einer Rassel, einer hohen Synthesizer-Spur und einer Bassline. In der fertigen Studioversion ist der Sound viel voller, der Grundbeat ist zwar immer noch simpel, füllt die Kopfhörer aber ganz aus. Und hat mit den jetzt zusätzlich eingebundenen Glocken auch einen weihnachtlichen Beigeschmack, fast pompös, gar protzig, wie um die Ankunft des (besseren) Königs anzukündigen:
“If I remain lost and die on a cross at least I wasn’t born in a manger.”
Die ganze Stimmung des Liedes möchte an Weihnachten provozieren, im Streit ein reinigendes Feuer entfachen. Und dazu passt auch das Ende der Studio-Version, in der man das Knistern der Flammen hört, sowie das abschließende Statement:
“I’m sorry, I’m just being crazy, I know Don’t pay attention to me Look at the fire. Everything’s totally fine I feel a lot better now!”
Keine Sorge, die Feiertage sind überstanden!
Der Übergang zum neunten Titel des Albums, “Brook & Waxing”, verläuft nahtlos durch ein Stimmgewirr (das wohl die Gedankenkonstellation beim Grübeln darstellen soll) am Ende von „The Fall of Mr. Fifths“. Der Titel befasst sich damit, dass es sich manchmal leichter lebt, wenn man sich nicht zu viele Gedanken um die Konsequenzen des eigenen Handelns macht. “Waxing” ist dabei ein schönes Wortspiel, das einerseits das Wachs der halb ausgebrannten “Lebenskerze” des Protagonisten aufnimmt, aber gleichzeitig auch das emotionale “Wachsen” des Baches (Brook) zu einem Fluss beschreibt, nachdem die Hauptperson nicht mehr so viel nachdenkt. Musikalisch wird dieser plötzliche Wandel aufgegriffen, als der eigentliche, sehr träge, weil auf Schlag 1 und 3 betonte, Song in einer schrägen Klaviermelodie ausklingt und dann plötzlich eine neue, sehr viel fröhlichere Melodie das Outro übernimmt. Dieser Teil ist in der Demo-Aufnahme noch nicht vorhanden, dafür endet der Song in einer schrägen, ausgelassenen Gesangsmelodie.
Dass es manchmal gar nicht so einfach ist, alte Denkmuster zu verlassen, zeigt der zehnte Titel “A Sky for shoeing horses under”, der sich gedanklich mit verschiedensten metaphorischen Niederlagen im Leben des Protagonisten beschäftigt. Und mit einer wortwörtlichen, die den Abschluss der Strophe bildet: “I only played chess in my life once and I lost (at such a cost)” Auffällig ist, dass aus den Niederlagen nicht der Wunsch zu entstehen scheint, es noch einmal versuchen zu wollen. In der Demo ist der Song hier schon nach 49 Sekunden zu Ende. Die Aufnahme wirkt sehr spontan, ein “Beat aus der Dose”, eine Xylophon-Melodie und der traurige Text, das war’s. In der Studioversion klingt es voller, aber trotzdem gedämpft. Das Lied endet textlich auch hier wenig fröhlich in einem abgewandelten Mantra des Songtitels mit “Looks like a good sky to die under.” Dabei fühlt sich das Ende aber nicht wirklich traurig an, sondern eher gleichgültig, etwas betäubt, vielleicht durch das Khat, von dem vorher im Song die Rede war. Musikalisch wird das Gefühl durch das hohe, durchgängige, sehr monotone Glockenspiel, das das Xylophon aus der Demo ersetzt hat, unterstützt. Das Lied wirkt in der Studioversion insgesamt fast verträumt und von der Realität losgelöst, so als ob das Studio eine Parallelwelt wäre.
Der elfte Titel “Twenty-eight”ist eine 44-sekündige Intermission. In der Demoversion sind es sogar nur 29 Sekunden und es ist weniger ein Lied als ein, in ein Diktiergerät vorgetragenes, Gedicht, vollkommen ohne Instrumentalbegleitung. Es geht eindeutig um eine unglückliche Liebe, inhaltlich bietet der Text aber dennoch einige Interpretationsmöglichkeiten. Das beginnt schon beim Titel, der am Anfang aus dem Off hereingerufen wird und entweder als die Anzahl der laufenden Takes oder als eine Altersangabe gesehen werden kann. Variante 1 ermöglicht die Interpretation, dass der Protagonist einen Song nach dem anderen schreibt, weil er die andere Person einfach nicht aus dem Kopf bekommt. Variante 2 eröffnet eine ganz andere Sichtweise. Vielleicht haben der Protagonist und die Besungene einen “Beziehungspakt” geschlossen, nach dem sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammenkommen, wenn beide single sein sollten. Zu dieser Interpretation passt die erste Line “Tell me, are you single yet?”, allerdings wird der restliche Text dann sehr düster, in der die schließlich tödlichen Qualen einer männlichen Person beschrieben werden. In Variante 1 der Protagonist selbst, in Variante 2 der Partner der Angebeteten.
Der creepy Vibe wird in “Simeon’s Dilemma” nahtlos aufgegriffen, wenn der schüchterne, wenn nicht sogar feige, Protagonist seine romantischen Tagträume vorträgt: “Stalker’s my whole style and if I get caught I’ll deny, deny, deny.” Hier und im Titel (Petrus’ Name war eigentlich Simon) findet sich mit der dreifachen Verleugnung von Jesus durch Petrus einer der vielen biblischen Bezüge in den Texten dieses Albums, in dem religiöse Motive insgesamt eine zentrale Rolle spielen. Einerseits quasi als Gegenpol zu den düsteren Alltagsgeschichten, aber andererseits durch falsche Versprechungen auch als Ursache für diese. In diesem Song wird die andere Person zum Messias erhoben, nur um diese Rolle danach direkt wieder in Frage zu stellen, weil sie gerade in einem Umzugswagen sitzt und ihn hinter sich lässt. Die weltfremde Stimmung der Tagträume, in denen Möglichkeiten einer gemeinsamen Zukunft durchgesponnen werden, wird durch eine monotone Xylophon-Melodie (in der Demo ein Klavier) untermalt und insgesamt ist der ganze Song nach den textlastigen vorherigen Titeln ungewohnt melodisch, fast schon ein Popsong (der in der Demo aber so schräg gesungen ist, dass er kaum zu ertragen ist). Im Verlaufe des Erzählung hadert der Protagonist damit, ob er seine Gefühle offenlegen oder für sich behalten sollte. Er entschließt sich erst dagegen, tut es am Ende aber doch (auf eine sehr eigenartige Art und Weise): “Twenty-five carved with a butter knife on the palm of my new hand. It’s out, you’re mostly what I think about.”
Der 13. und vorletzte Titel “By Torpedo or Crohn’s” ist aus zwei Gründen sehr interessant. Zum einen ist die Demo noch ziemlich anders als die Studioversion und eröffnet so Einblick in die Entwicklung des Liedes. Die Demo enthält noch eine zusätzliche Strophe gegenüber der Studioversion, nämlich die zweite Strophe aus dem achten Song “The Fall of Mr. Fifths”, von dem auch das Knistern des Feuers am Ende in der Studioversion übernommen wurde. Außerdem endet die finale Version auf dem Refrain des neunten Titels “Brooks & Waxing”. In der Zusammenschau lässt die Band hier also das Album noch einmal Revue passieren. Interessant ist der Song aber zum anderen auch deshalb, weil er das Leben mit der chronischen Erkrankung Morbus Crohn aufgreift und dabei auf viele Aspekte eingeht, in denen die Krankheit Einfluss auf das Leben des Protagonisten nimmt. Dadurch erhält das Album neben den diversen Liebesgeschichten eine ganz neue inhaltliche Ebene und Tiefe.
Den Abschluss von “Alopecia” bildet der 14. Track “Exegesis”, also die Auslegungsfrage und als religionswissenschaftlicher Begriff damit wieder ein zentrales Motiv des Albums. Im Song wird von einem Suizid durch Erhängen berichtet, dem vorangestellt wird, dass der Protagonist es so tun würde, wenn er es tatsächlich tun wollte. Ist das jetzt ein Abschiedsbrief oder eben gerade nicht? Ein sehr spannender Song, weil er die vorherigen, teilweise sehr negativen, Titel des Albums aus Sicht der Band etwas in Relation setzt. Für mich ist der Song auf eine absurde Weise sehr lebensbejahend. Das zeigt zum Abschluss noch einmal das interessante Songwriting dieses besonderen Albums, denn wie vielen Bands gelingt schon ein solcher Effekt in einem Song, in dem mantraartig dreimal (in der Demo zweimal) von einem Suizid berichtet wird? Musikalisch ist der Titel ebenfalls spannend, denn während in der Demo eine einfache Klavierbegleitung das Mantra untermalt und der Titel abrupt beginnt, wird die “Exegesis” in der Studioaufnahme akustisch sanft mit Klanghölzern und Tiergeräuschen im Hintergrund in ein Dschungel-Feeling eingeführt. Beide Versionen erzeugen auf ganz unterschiedliche Weise eine meditative Atmosphäre, die uns als Hörer*innen nach dem Ausklingen der letzten Töne in einer schwerelosen Stille zurücklassen. Wie war das noch gleich mit der Auslegung?
“Alopecia” ist ein besonderes Album, an dem sich die Geister scheiden werden. Für die einen wird es zu viele Grenzen überschreiten und tatsächlich ist es an manchen Stellen so grafisch und/oder schwermütig, dass es nur schwer zu ertragen ist. Gleichzeitig sind aber die Texte so außergewöhnlich brillant geschrieben, dass es mit etwas emotionalem Abstand zu den Inhalten eine Freude ist, die lyrischen Meisterstücke einfach auf sich wirken zu lassen und die Wortspiele, Reime und die besondere Metrik aufzusaugen. Vielleicht sollte man zugegebenermaßen manchmal aber nicht zu sehr darüber nachdenken, was man sich da gerade eigentlich angehört hat. Darauf macht das Album aber auch selbst schon deutlich.
Beitragsbilder: (alle Künstler*innen auf pixabay.com) OpenClipart-Vectors Clker-Free-Vector-Images mohamed_hassan Jo-B
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