von Lucas Hohmeister | 15.01.2025
Dubai hat sich in den letzten Jahren zu einem Synonym für Luxus, Prunk und extravagante Konsumkultur entwickelt. Und so sind wir mittlerweile auch schon an dem Punkt angekommen, wo normale und in der Regel schlichte Produkte wie Schokolade durch das Label „Dubai“ in teure und extravagante Versionen ihrer selbst verwandelt werden. Der Hype um die Dubai Schokolade ist 2024 wohl an kaum jemandem vorbeigezogen, so viral wie das Ganze durch die Medien gegangen ist. Warum dieser unnötige „Trend“ bei mir aber eine so immense Antipathie entwickelt hat, erfahrt ihr in diesem Mimimi-Mittwoch.
Hypetrain ohne Sinn
Es ist wirklich kaum zu fassen, wie der Dubai-Schokoladenhype die Menschen in seinen Bann gezogen hat. Vor allem, weil das Ganze aus dem Nichts kam und sich sehr plötzlich über Social Media verbreitet hat. Mit einem Preis, der nicht einmal den Wert der Schokolade rechtfertigt – so teuer, dass man fast erwartet, sie müsse von goldenen Kakaobohnen geerntet werden, die in den Gärten von Narnia gedeihen – stürzen sich plötzlich alle auf dieses „Luxusprodukt“. Sobald die Schokolade in den ersten Geschäften erhältlich gewesen ist, haben sich die Leute in enorm langen Schlangen vor besagten Läden eingefunden und den zunächst nur begrenzten Bedarf in wenigen Minuten aufgekauft. Man könnte meinen, die Leute hätten nie zuvor Schokolade gesehen, so lang sind die Schlangen vor den Geschäften gewesen, als würde der Kauf einer Tafel das Tor zum Himmel öffnen. Das Urteil, ob es am Ende die vollste Überzeugung über das Produkt oder einfach nur pure Neugier war, welche die Leute in die Geschäfte gelockt hat, überlasse ich euch. Vor exorbitanten Preisen von 10 € bis 15 € pro Tafel schienen die Leute aber anscheinend auch nicht zurückzuweichen, wenn man betrachtet, wie gut sich die Schokolade verkauft hat. Jedenfalls hat die „Luxus-Schokolade“ dafür gesorgt, dass gefühlt jeder Betrieb im Einzelhandel, wie auch nahezu jedes Restaurant oder jeder Imbiss, nun die grandiose Dubai Schokolade verkauft. Wenn sie im Supermarkt eures Vertrauens nicht schon ausverkauft ist, dann findet ihr die Verkörperung von Extravaganz natürlich auch dort. Falls ihr sie mal nicht finden solltet, dann verzagt nicht, es gibt sie auch noch an Kiosks, in Bars, Restaurants, Apotheken (ja auch die) oder auch ganz simpel: beim Dönerladen um die Ecke, welcher die Schokolade nun auch schon stolz verkauft. Speziell auf den Weihnachtsmärkten der vergangenen Wochen konntet ihr sie an nahezu jedem Stand kaufen. Für alle Unternehmen ist die Welt der Dubai Schokolade ein Schlaraffenland, aber ganz sicher nicht, weil sie so gut schmeckt, sondern viel mehr, weil man alle Konsumopfer der Welt damit in seinen Bann zieht und diesen auch noch den letzten Cent aus den Geldbörsen rausluchst.
Luxusprodukt oder reinste Abzocke?
Wer schon einmal die Möglichkeit hatte, Dubai-Schokolade zu probieren, wird sich vermutlich fragen, ob der hohe Preis wirklich gerechtfertigt ist. Bei ’nem 10er pro Tafel muss die Schokolade ja eigentlich schon so einiges bieten. Aber leider entpuppt sich das, was als „luxuriöse Schokolade aus Dubai“ verkauft wird, häufig als eine Enttäuschung. Die Schokolade mag in glänzenden Verpackungen daherkommen, die auf den ersten Blick Luxus versprechen, aber der Geschmack ist die Kosten definitiv nicht wert. Bei der Kreation haben sie die Leute gefühlt einfach nur gefragt, welche teuren Lebensmittel man zusammenmixen könnte, um den hohen Preis des Endproduktes zu rechtfertigen. Man nehme Pistazien, Engelshaar (Kadaifi) und verpackt die Mische in süßer Vollmilchschokolade und tada, da habt ihr eure Dubai Schokolade. Eigentlich gibt es die Schokolade aus den Emiraten schon seit 2021, aber warum genau ist sie dann genau jetzt erst im Trend? Das Ganze ist relativ einfach erklärt, denn genau hier wird einem mal wieder die Macht von Social Media bewusst. Natürlich kam dieser fragwürdige Hype nicht aus dem Nirgendwo, sondern ist geplant und inszeniert. Ganz Social Media hat am Köder mit Pistaziencreme angebissen und angefangen Content darüber zu veröffentlichen. Und wie das dann nun einmal so auf Social Media läuft, wenn ein Trend aktiv wird, haben jegliche Nutzer*innen auf allen Plattformen Videos zu Dubai Schokolade gemacht. Warum auch nicht, gibt ja Klicks. Das alles hat die Gesellschaft dann dazu bewegt, dem Konsum zu verfallen und uns an den Punkt zu bringen, an dem wir jetzt sind. Etliche Billigvarianten der „Luxus-Schokolade“, die aber trotzdem zum selben Preis verkauft werden, mit der Rechtfertigung, dass es ja gerade im Trend ist und sich eh verkauft. Die Großunternehmen finden immer wieder neue Wege, um ihre Kund*innen noch weiter abzuziehen. Lieben wir. Und letztendlich stehen wir nun hier und haben durch einen inszenierten Online-Trend ein Übermaß an Variationen eines sogenannten „Luxusprodukts“, welches eigentlich niemand gebraucht hat.
Der Wahnsinn geht weiter
Wer denkt, dass der ganze Fiebertraum nun sein Ende gefunden hat, den muss ich enttäuschen, denn so viele Leute haben sich inspiriert gefühlt durch die Schokolade aus den Emiraten, dass sie angefangen haben, eigene Produkte mit dem Dubai-Label zu entwickeln. Die Weihnachtsmärkte der vergangenen Wochen waren dabei oft die ersten, die auch direkt auf die neuen Konzeptideen angesprungen sind. Wem die Schokolade zu öde wird, kann sich nun an etwas ganz Neuem den Magen zerschlagen, denn nun gibt es ja glücklicherweise auch Dubai Pizza oder auch Dubai Bratwurst. Ich wünschte, ich müsste das gerade nicht wirklich ausschreiben, aber existiert nun einmal wirklich. Ich bin persönlich immer sehr resistent und skeptisch bei Online-Trends, weil es in der Regel einfach nur Wege sind, um FOMO (Fear of missing out) bei den Leuten zu triggern, um einem in der Regel irgendwelche unnötigen Produkte anzudrehen, die man gar nicht braucht. Dubai Schokolade ist das „prime example“ dafür. Das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass man dem Trend nicht entkommen kann. Sei es nun online oder im echten Leben. Zu den Hochzeiten des Trends habe ich ein Reel nach dem anderen auf Instagram zu Dubai Schokolade angezeigt bekommen, egal wie oft ich nun auf „Kein Interesse“ geklickt habe, es kamen nur noch mehr Videos in meinen Feed. Wenn man dann versucht, Ablenkung außerhalb der Online-Welt zu finden, wird man ebenfalls enttäuscht. Wenn ich jetzt durch die Innenstadt gehe, sehe ich Poster und allerlei Werbung für diese sinnfreie Schokolade. Man kann dem Trend nicht entkommen und das stört mich am meisten an dem Produkt. Das sich der Preis für diese Schokolade überhaupt nicht rechtfertigt, ist die eine Sache, aber dem kann ich ja entgegenkommen, indem ich die Schokolade einfach nicht kaufe. Die andere Sache ist aber nun einmal, dass auch wenn ich mir das „Dubai-Luxusprodukt“ nicht kaufe, trotzdem tagtäglich damit konfrontiert werde, ob ich nun will oder nicht. Man kann leider auch nichts dagegen tun, außer hoffen, dass demnächst ein neuer Trend um die Ecke kommt, der die Dubai Schokolade final von ihrem Thron der Sinnfreiheit herunterstößt.
Beitragsbild: KI-generierter Inhalt von Canva Dream Lab
von Fabian Kauschke | 12.04.2021
Fans der kurzweiligen Unterhaltung aufgepasst! In den letzten Monaten sind einige Plattformen auf den kunterbunten Hypetrain der Prokrastination und der Kurzvideos aufgesprungen. Google etwa orientiert sich mit dem neuen App-integrierten Format „YouTube Shorts“ eindeutig am seit 2018 rasant gewachsenen Branchenprimus TikTok. Aber auch Instagram startete 2020 mit dem Ableger „Reels“ den nächsten Schritt hin zur größtmöglichen Freizeitvernichtungsmaschine. Wie sehr ähneln oder unterscheiden sich die Anbieter heute noch und ergibt es überhaupt Sinn, die Konkurrenz so detailgetreu zu kopieren?
Kurzer Exkurs in die chinesische Social Media Landschaft und den Algorithmus des Scrollens
Vorweg: Warum sind die Kurzvideos, besonders bei TikTok, überhaupt so beliebt? Der Ursprung der Plattform liegt in China. Douyin ist der Mutterkonzern von TikTok und besitzt dort, aus westlicher Sicht durchaus überraschend, keineswegs eine Monopolstellung. Denn Kurzvideos gibt es auf verschiedensten Social Media Plattformen in China. Red, Bilibili und viele weitere können ebenfalls Millionen von aktiven Nutzer*innen vorweisen. Dass die Landschaft der sozialen Netzwerke in China so anders aussieht als beispielsweise in Mitteleuropa, liegt besonders daran, dass aus den USA stammende Apps wie Instagram dort gesperrt sind. Kurzvideos sind wiederum dort sehr beliebt, da sie die Doppelfunktion als schnelle Ablenkung für zwischendurch, wie auch als vielfältige Unterhaltung für einen längeren Zeitraum bieten.
Warum aber weist TikTok, beziehungsweise Douyin, nun eine mit durchschnittlich etwa 60 Minuten pro Tag und Person so lange Bildschirmzeit auf? Die große Nutzungsdauer geht aus dem hervor, was TikTok gegenüber den anderen Plattformen der westlichen Welt einzigartig gemacht hat: Das Erste, was wir zu sehen bekommen, ist nämlich kein Feed, der aus aktiven „Follows“ bestimmter Kanäle hervorgeht, wie bei klassischen Social-Media-Plattformen. Stattdessen erhalten alle Nutzer*innen auf der sogenannten „For you“-Seite eine durch künstliche Intelligenz berechnete persönliche Auswahl an Videos, die für die Konsument*innen interessant sein könnten. Diese lernt aus allem, was sich jede einzelne Person ansieht und berechnet daraus, was sie in Zukunft vermutlich gerne sehen möchte. Das funktioniert oft so gut, dass User*innen größtenteils tatsächlich nur Videos angezeigt bekommen, die sie gerne ansehen. Daher bleiben die TikTok-Nutzer*innen länger am Bildschirm, als würden weniger individualisierte Inhalte gezeigt werden. Dieser Effekt wird noch dadurch verstärkt, dass TikTok über den Tag hinweg oft mehrfach von seinen Nutzer*innen geöffnet wird und sich die einzelnen kurzen Besuche so zu einer beachtlichen Bildschirmzeit summieren könne.
Aufmerksame Social Media Nutzende werden nun sicherlich sagen: „I could’ve dropped my croissant“ oder auch: „Momentchen einmal, wenn es um Kurzvideos geht, was ist dann mit Vine?“ Vine war eine Plattform, die den Kurzvideomarkt von 2013 bis 2017 geprägt hat. So konnten viele Nutzer*innen dort humoristische Kurzsketche oder anderen Spaß veröffentlichen. Zum Bedauern wurde die Seite dann geschlossen, da der Mutterkonzern Twitter seine Ausgaben kürzen wollte. Warum Vine zwar erfolgreich war, aber anscheinend nie so rentabel wie TikTok sein konnte, liegt vermutlich daran, dass die Plattform nur in geringem Umfang von künstlicher Intelligenz gesteuert war. Die Nutzer*innen waren darauf angewiesen, aktiv Videoersteller*innen zu folgen, und darauf zu hoffen, dass diese neue gute Inhalte produzieren. War das nicht der Fall, mussten eigenhändig andere Benutzer*innen gefunden werden. Daher war die App deutlich weniger attraktiv und arbeitsintensiver als beispielsweise TikTok.
Hat Youtube das kurze Höschen an?
Im März nun wollte Google ebenfalls endlich ein Stück von der Torte abhaben und hat auf YouTube den eigenen Kurzvideoanbieter „Shorts“ gestartet. Zuvor war es zwar bereits möglich mit #Shorts speziell kurze Videos zu markieren. Diese waren bislang aber nicht auf der Startseite zu sehen, wie es nun der Fall ist. Außerdem konnten die neuen Werkzeuge zur Erstellung der Kurzvideos noch nicht verwendet werden. In der aktualisierten Form fällt sofort auf, dass das Design sehr an den Konkurrenten TikTok erinnert. Horizontal kann ein Video von 15 bis 60 Sekunden nach dem anderen angeschaut werden, ohne dass der Fluss je zum Erliegen kommt. Beim Erstellen von Videos sind alle grundlegenden Funktionen wie Aufnahme, Vertonung, Filter oder Schnittfunktionen verfügbar.
Jedoch ergeben sich auch bereits die ersten Unterschiede. Es fehlen bislang Möglichkeiten, auf Beiträge von anderen „Creators“ in Kollaborationen oder Reaktionen Bezug zunehmen. Damit ist eine für TikTok sehr wichtige Funktion noch nicht verfügbar. Dort ist es möglich TikToks von anderen Nutzer*innen auszuwählen und dann darauf zu reagieren, was zur Folge hat, dass beide Videos dann parallel anschaubar sind. Das hatte der chinesischen Plattform besonders in der Anfangsphase viel Aufmerksamkeit verschafft, da die Videos eine interaktive Dynamik erreichen konnten. Songs mit einem großen Wiedererkennungswert, wie aktuell das See Shanty Lied „Wellerman“ bieten sich dazu besonders an. YouTube stellt daher selbst fest, dass sich „Shorts“ noch in den Kinderschuhen befinde. So soll aktiv daran gearbeitet werden, dass die Nutzer*innen sich in ihren Videos direkt auf andere YouTube-Videos beziehen können. Einen großen Erfolg kann „Shorts“ jedoch bereits im Bereich von Musik und Audio verzeichnen. Die Plattform hält Lizenzen von hunderten Musiklabels, darunter auch Warner Music, Sony Music und Universal Music.
via GIPHY
Bei der YouTube „Shorts“-Funktion, die für alle in der App verfügbar ist, kann außerdem leicht festgestellt werden, dass die Videos ebenfalls personalisiert und automatisiert ausgewählt sind. Das ist sehr ähnlich zu der klassischen Startseite, bei der man eine Mischung präsentiert bekommt, die sich aus Abonnements, häufig geschauten und allgemein beliebten Videos zusammenstellt. YouTube hat hierbei gegenüber neuen Plattformen den Vorteil, dass es die bereits über einen längeren Zeitraum gesammelten individuellen Nutzungsdaten auch in „Shorts“ verwenden kann. Nach ein paar Tests ist jedoch zu merken, dass sich der Algorithmus der Startseite von dem der „Shorts“ Funktion unterscheidet. Denn nachdem ich für eine Weile nur „Shorts“ mit dem Themenbereich Schach angeschaut habe, ergab sich, dass in dem „Feed“ zum größten Teil Schachvideos vorgeschlagen wurden. Die Vorschläge der Startseite änderten sich jedoch nicht. Außerdem ist festzustellen, dass die Kurzvideos in keinem Fall eine so prominente Rolle einnehmen, wie es bei TikTok und der „For you“ Funktion der Fall ist. Das Gleiche wird auch bei Instagram und den „Reels“ deutlich, da es nur eine Funktion von vielen ist neben den regulären Beiträgen, „IGTV“ oder den „Storys“.
Schnell!! Rauf da auf den Markt!!
Warum kopieren Instagram oder YouTube dann überhaupt TikTok, wenn die App durch Algorithmen so optimiert ist? YouTube stellt als Grund den leichteren Einstieg für neue Benutzer*innen in den Vordergrund. Das hat den Grund, dass neue Videos einfach in der App aufgenommen, geschnitten und mit Effekten versehen werden können. Ein wohl noch ausschlaggebenderer Faktor kann aber am Beta-Testing der neuen Funktion erkannt werden. YouTube „Shorts“ wurde bereits im letzten Jahr mehrere Monate in Indien getestet. Dass diese Tests speziell in Indien gemacht wurden, hatte wohl einen ganz konkreten Grund: TikTok wurde im Sommer 2020 in Indien, wie auch andere chinesische Apps, aufgrund politischer Uneinigkeiten gesperrt. Dadurch war auf dem indischen Markt für „Shorts“ plötzlich ein großes Vakuum entstanden. Das wiederum machte Indien nun sehr attraktiv für andere Plattformen. Ein ähnliches Szenario könnte sich auch in den USA ergeben: Über die Sperrung von TikTok wird dort aktuell noch verhandelt. Es deutet sich aber an, dass die chinesische Firma einen gleichnamigen amerikanischen Ableger gründen wird, der dann auch in Zukunft in den USA bereitstehen soll.
Doch auch die Sperrung einzelner Anbieter macht die Konkurrenz nicht unbedingt einzigartiger. Durch das Kopieren des Prinzips von TikTok ergab sich für Instagram „Reels“ ein Problem, welches vermutlich auch bei „Shorts“ auftreten wird: Die Benutzer*innen kopieren ihre Inhalte und verwerten sie so auf allen Plattformen gleichzeitig. Das führt dazu, dass sich die Seiten noch mehr ähneln. YouTube hat bereits angekündigt, durch die Unterstützung von „Creators“, die Kurzvideos exklusiv und speziell für ihre Plattform produzieren, dagegen steuern zu wollen.
Schlussendlich ist zu bemerken, dass es doch Gründe gibt, warum der Markt der Kurzvideos trotz der Vormachtstellung von TikTok immer noch umkämpft ist. Besonders politische Unstimmigkeiten und die daraus resultierenden Sperrungen von Apps wirbeln ihn immer wieder auf. Trotzdem sollten konkurrierende Plattformen versuchen, sich Alleinstellungsmerkmale zu suchen, wie es YouTube „Shorts“ mit verschiedenen, noch im Aufbau steckenden, Funktionen, wie der Reaktionsmöglichkeit auf YouTube Videos probiert. Am Ende bleibt nur die Devise, die auch Limp Bizkit schon (fast) besungen haben: Keep Scrollin‘, Scrollin‘, Scrollin‘, Scrollin‘ (yeah).
Beitragsbild: Hello I’m Nik auf unsplash.com
von webmoritz. | 24.12.2020
Weihnachtszeit ist Vorfreude und Geheimnistuerei, Nächstenliebe und Besinnung. Sie duftet nach heißem Glühwein, frisch gebackenen Keksen und mühsam gepellten Mandarinen. Der Dezember lebt von kleinen Aufmerksamkeiten und Traditionen, wie den Adventssonntagen mit der Familie, dem mit Süßigkeiten gefüllten Schuh am Nikolausmorgen und dem täglichen Öffnen des Adventskalenders. Weißt du noch, wie du jeden Tag vor Weihnachten aufgeregt aufgestanden bist, um vorfreudig zu deinem Schokoadventskalender zu tappen? Die moritz.medien verstecken das Weihnachtsgefühl hinter 24 Fenstern. Im heutigen Fenster: Ente, Wahn, Ich.
Vom Club der Dichter*innen aus den geteilten BBB-Notizen: Annica, Frank, Lilli und Lukas.
Ihr wisst nicht, wie ihr die nächste weihnachtliche Auseinandersetzung überstehen sollt? Dann verschafft euch doch hier ein bisschen rhetorische Inspiration.
Das folgende Schauspiel findet in einem Wohnzimmer irgendwo in Deutschland statt.
In der Ferne hören wir die Glocken klingen, die Bäuche sind voll und die Familienfeier findet ihren feierlichen Höhepunkt in der großen Bescherung. Am Baum versammelt haben sich schon die Zwillinge Tim und Tom, Oma Hannelore legt am Plattenspieler feierlich die klassische Weihnachtsmusik auf, Opa Gustav muss noch den Braten verdauen und liegt schlafend auf der Couch. Onkel Immanuel hat sich während des Essens bereits etwas mit seiner Flamme Michelle entzweit, da sie so lange an ihrem Instagram-Hashtag-Weihnachtsessens-Post saß, dass Oma Hannelore dachte, ihr würde es nicht schmecken. Doch seine Aufforderung, ihren Social-Media-Konsum etwas einzuschränken, war ihr einfach zu kategorisch. Auch bei Vater Maximilian und Jutta, der Mutter, ist die Lage schon etwas angespannt, schließlich wollte Maximilian eigentlich auch alle Nachbarn einladen und ließ sich nur mit großer Mühe davon abbringen.
Ihr wisst selbst nicht mehr so genau, wie ihr eigentlich hier gelandet seid, aber nach diesem verrückten Jahr hinterfragt ihr es auch nicht mehr genauer. Und jetzt, da ihr alle Familienmitglieder kennt, lasst uns den weihnachtlichen Familiengesprächen unter dem Tannenbaum lauschen! Wir präsentieren das nicht zum Nachmachen gedachte Weihnachtsschauspiel:
Ente, Wahn, Ich.
Onkel Immanuel: *sitzt im Sessel und stützt die Arme seitlich in die Hüften, während er fragend in die Runde guckt*
„Wollen wir etwa bis morgen warten, bis wir die Geschenke auspacken?!“
Oma Hannelore: *sitzt ganz manierlich und gerade auf einem Hocker und guckt verwirrt in Immanuels Richtung*
„Was ist morgen?“
Baby: *lacht mit strahlenden Augen*
„Dada!“
Vater Maximilian:
„Tausend Jeschenke, die niemand will… Et is JEDET Jahr dat selbe!“
Jutta, die Mutter: *Steht auf und verkündet feierlich*
„Noch sind wir bei Sinnen,
lasst die Bescherung beginnen!
Doch nicht bevor wir sie hören,
die Gedichte, die uns betören.“
Vater Maximilian: *rollt mit den Augen*
Da musste nur in die Lügenpresse schauen. Da lieste sowat täglich!
Opa Gustav: *schnarchschmatzschmatzschmatzschmatz*
Michelle: *blickt Kaugummi-kauend kurz von ihrem youPhone 25 auf*
„Wow, Hashtag cringe…“
Oma Hannelore: *ängstlich und verwirrt*
„Der Grinch?“
Zwilling Tim: *voll freudiger Erwartung*
„Gustav, gib gute Geschenke.
Geschwister geben gute Gedichte.“
Zwilling Tom: *jetzt schon vollkommen genervt von allem*
„Zickezacke Hühnerkacke.“
Onkel Immanuel:
„Kann ein Gedicht NOCH kürzer sein?“
Zwilling Tom:
„Gustavs große, graue Gänse grasen gern im grünen Gras, grasen gierig gi-ga-gack, grasen den ganzen Garten ab.“
Jutta, die Mutter: *mit vollkommen schriller Singstimme*
„Oh wie schön,
jetzt kann es losgöhn!“
Vater Maximilian:
„Ja, jetzt fangen wa mal mit dem Auspacken an, sonst sitzen wa ja noch morgen hier.“
Oma Hannelore:
„Was willst du besorgen?“
Michelle: *öffnet hektisch die Kamera-App*
„Wait, diesen moment muss ich catchen!“
Baby: *rülpst*
Michelle: *dreht sich angewidert weg*
„Boah, Leute, dieses Baby ist sowas von uninstagramable. Erstmal muten und Filter drüber. Und Hashtag pummelig.“
Jutta, die Mutter: *weist mit großer Geste auf den gewaltigen Stapel an Geschenken unter dem Baum*
„So ihr lieben Kinderlein,
als erstes soll es euer Stapel sein.“
*Die Zwillinge Tim und Tom packen die Geschenke aus.*
Zwilling Tim: *dreht sich begeistert zu den Eltern um*
„Geiler Geschenkestapel, gute Gutscheine! Große Geste! Gönnjamin!!“
Zwilling Tom: *rennt wutentbrannt zu Jutta, seiner Mutter, und fuchtelt vor ihrem Gesicht mit einem Pappkarton herum*
„Ernsthaft? Eine ekelhafte Ex-PS4-Konsole? Eine endgeilomatische Epic-PS5 erwünschte er eurer, ehrenwerte Eltern.“
Onkel Immanuel: *wirft weise vom Sessel aus seinen Kommentar ein*
„Ach so, ja klar, darf es sonst noch was sein?“
Michelle: *durch den sich mutmaßlich anbahnenden Streit amüsiert*
„Savage.“
Zwilling Tom: *geht mürrisch zurück zum Geschenkestapel und murmelt vor sich hin*
„Blöde Bescherung, besser Braten brutzeln.“
Zunächst kehrt wieder Ruhe ein im Wohnzimmer und es passiert nicht viel, während die Kinder weitere Geschenke (Geld, Bücher, noch mehr Geld) auspacken. Immer mal wieder hört man von Opa Gustav: *omnomnom*
Vater Maximilian:
„Dit dauert ja wieder hunnert Jahre, bis alle mit ihren Jeschenken fertig sind.“
Jutta, die Mutter:
„Schatz, nun nimm das Päckchen hin,
ist bestimmt was schönes drin! Etwas Badesalz oder –“
Zwilling Tom: *immer noch sauer wegen des falschen Geschenkes*
„Oder Opas Ohrenschmalz!“
Opa Gustav: *Grunzt*
Jutta, die Mutter:
Tom, mein Junge,
hüte deine Zunge!
Baby:
„Dai!“
Onkel Immanuel: *mit vielsagendem Blick*
„Vielleicht ist es ja auch was Nützliches?“
Vater: *packt aus wie Attila*
„Dit kann doch jetz nich wahr sein, auch noch an Weihnachten dieser Coronaquatsch?!
N’Maulkorb oder wat soll dat?
Als nächstet verfolgt Merkel mich och noch auf’s Klo oder wie?“
Oma Hannelore: *verwundert*
„Maultaschen? Seid ihr nicht satt geworden?“
Opa Gustav: *schmatzt*
Jutta, die Mutter: *mit versöhnlichem, verständnisvollen Tonfall und einem Lächeln*
„Aber Bummi,
das schützt deine Lungi.“
Zwilling Tim: *übergibt selstgemaltes Bild*
„Für frohere Festtagsstimmung fabrizierten Tom und ich für Frau Mama fantastische Formen voll fabelhafter Farben.“
Jutta, die Mutter: *voller Freude*
„Oh schau nur diese bunten Tön‘,
wie schön, danke meine Söhn‘!
Ich danke Euch von Herzen fein,
für dieses schöne Bildelein.“
*blickt sich um zu den Großeltern*
„Für Oma und Opa haben wir
in guter alter deutscher Manier
einen Kasten glühenden Wein,
los doch ihr Lieben, haut rein!“
Oma Hannelore: *erschrocken*
„Schlägerei? Ersatzbein?“
Michelle:
„Ehrenfrau!“
Opa Gustav: *setzt im Traum die Weinflasche an*
„glugggluggglugg“
Michelle: *mit ihrem Handy beschäftigt*
„Sheeesh, lost man!“
Onkel Immanuel: *mit sarkastischem Einwurf von der Seite*
„Mensch wie wäre es dann mal wieder mit Socken?“
Jutta, die Mutter: *überreicht Onkel Immanuel sein Geschenk*
„Immanuel, damit du nicht erfrierst,
sondern stets weiter philosophierst.“
Onkel Immanuel: *verärgert*
„Wow, tatsächlich Socken, soll ich mich darüber freuen?“
Jutta, die Mutter: *entrüstet, ob der plötzlichen Beschwerde*
„Jedes Jahr dasselbe Leid,
versuche ich Euch zu machen doch eine Freud.
Es passen die Geschenke nicht,
so hau doch ab, du Wicht!
Die gute Laune zerstörst du mit all deinem Sagen,
ich kann das so langsam nicht mehr ertragen!
Wenn dir nicht passt, was wir dir gaben,
musst du dich nicht länger an unserem Weine laben!“
Michelle: *excited*
„OMG, jetzt gibt’s Hashtag Beef!“
*holt wieder die Smartphone-Kamera raus*
„Jetzt fehlt mir der Anfang, Jutta, kannst du das für meine Story nochmal wiederholen? Geht bestimmt meeega viral!“
Oma Hannelore:
„Brauchst du wat aus’n Regal?“
Onkel Immanuel: *beleidigt*
„Ihr wollt also, dass ich gehe?“
*dreht sich um zu Michelle*
„Schön, dann gehen wir. Tschüss.“
Michelle: *mit vorwurfsvollem Blick*
„Aber Manu, bei den Freaks kann man voll gut Content createn. Ich will doch die 10K!“
Onkel Immanuel:
„Dir ist dein „Fame“ also wichtiger als ich? Schön, dann gehe ich. Tschüss.“
Michelle: *winkt ihm nach, während sie ein Selfie-Video dreht*
„Ok, Boomer. Früher warst du mehr fly.“
*Onkel Immanuel verlässt wütend das Haus*
Opa Gustav: *ist durch den lauten Wortwechsel aufgewacht*
„Hmpf.“
Zwilling Tom: *sadistisch durch den Streit beglückt*
„Toller Tumult. Weiche weg, widerlicher Wüstling!“
Zwilling Tim: *im verzweifelten Versuch, die Stimmung zu beruhigen und das Fest zu retten*
Ping, pang, pong, schwing den Gong!
Ping, pong, pang, nicht zu lang!
Ping, pang, pung, –
Jutta, die Mutter: *mit beginnender Migräne nicht mehr ganz so in Festtagsstimmung wie zuvor*
Jung, nun ist’s genung!
Michelle:
„Hashtag Germanistik“
Zwilling Tim: *traurig, weil das fehlende Lob seiner Mutter, Jutta, seine tiefen Selbstzweifel wieder einmal hervorbringt*
„PS playen! Problem, Papa?“
Zwilling Tom: *streift seine Jacke über und winkt einmal sarkastisch in die Runde*
„Bis bald, Bitches. Bin bei Boris‘ bigger Baronaparty.“
Vater Maximilian: *umarmt Tom mit strahlenden Augen*
„Dit is mien Junge!“
Tim und Tom verlassen das Zimmer und Opa Gustav schläft wieder ein. Auf dem Schlachtfeld der Bescherung stehen die verbliebenen Familienmitglieder und gucken sich etwas ratlos an.
Vater Maximilian: *kratzt sich am Kopf*
„Boah guckt euch mal diese Berge von Jeschenkpapier an. So ’ne Verschwendung Da kannste ja ’nen Forst von pflanzen.“
Baby: *ballt energisch die Faust und ruft voller Überzeugung*
„Hambi bleibt!“
Vater Maximilian: *entsetzt*
„Dit is nich mein Kind! Sieht mir auch gar nicht ähnlich.“
Oma Hannelore:
„Bambi lebt?“
Jutta, die Mutter: *ganz entzückt von ihrem Baby und sehr genervt vom Vater und mit der Gesamtsituation unzufrieden*
„Die ersten Worte gut und fein
vom kleinen, lieben Babylein.
Ganz anders als der Macker,
klingst du, mein süßer Racker!“
Michelle: *verlässt den Raum*
„Leute, bin off. Gehe 20 Uhr live mit der Crowd. Hashtag bye.“
Jutta, die Mutter: *fasst sich ans Herz*
„Das war ja ein tolles Fest,
ich mach‘ jetzt ’nen Corona-Test.“
Gut gemeinter Rat der Redaktion: Please don’t try this at home.
Beitragsbild: Julia Schlichtkrull
von Lilli Lipka | 16.12.2020
Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.
Weil das Jahr sich dem Ende zuneigt, wage ich es mal, einen Blick auf meine Vorsätze für 2020 zu werfen. Mein Ziel „Nur einmal in den Urlaub fliegen“ (das irgendwie echt ganz schön privilegiert klingt…) habe ich sogar übertroffen. Das war aber auch wirklich eine Herausforderung dieses Jahr. Schlechter lief es dafür mit: „Mehr in Greifswalder Bars gehen“ – naja, nächstes Jahr dann vielleicht. Auch der Vorsatz „Insgesamt drei Wochen ohne Social Media verbringen“, ist in diesem chaotischen Jahr irgendwie auf der Strecke geblieben – ups! Nichts hat mich dieses Jahr so konstant begleitet wie meine Lieblingsapp Instagram mit ihren Insta-Stories von irgendwelchen Influencer*innen und bananenbrotbackenden Blogger*innen. Ich selbst bin gar nicht so aktiv auf Instagram und meine Follower*innen werden eher stetig weniger, als mehr. Doch wir schreiben den 6. Dezember und das Jahr ist noch etwas mehr als drei Wochen lang. Wenigstens eine davon könnte ich doch nutzen, um zumindest ein Drittel dieses unberührten Vorsatzes umzusetzen, oder?
Da ich zumindest für die moritz.medien täglich den Social-Media-Kanal nutzen muss, begrenze ich also mein App-Limit für Facebook (ja, selbst diese Oldschool-App ist manchmal interessanter als eine Vorlesung) und Instagram auf 15 Minuten am Tag. Bevor ich schlafen gehe, lebe ich noch meine Sucht aus, und versinke eine Stunde lang in den Tiefen der Hashtags, Reels und Stories, damit ich meinen eigentlichen, äußerst gesunden, Tagesdurchschnitt von ein bis zwei Stunden bloß erreiche.
Montag
Weil es selbst um 9 Uhr morgens noch nicht wirklich hell ist, kriege ich meine Augen kaum auf. Um wach zu werden greife ich also in alter Manier nach meinem Handy, um mein Hirn zu aktivieren, indem ich es direkt mit bunten Bilder vollballere. Erst, als ich meinem Freund einen Post zeigen will, fällt mir erschrocken ein, dass die erste Tat dieses Tages direkt ein Verstoß gegen meine Vorsätze war. Na super, aber kann ja nur besser werden.
Den restlichen Tag funktioniert meine Instagram-Abstinenz ganz gut und ich komme durch die Arbeit „nur“ auf 24 Minuten Nutzungszeit. Während kurzer Augenblicke der Langeweile in Online-Veranstaltungen ertappe ich mich allerdings immer wieder dabei, wie ich mein Handy in die Hand nehme und Instagram oder Facebook öffnen und sinnlos herumscrollen will, bis mich mein Smartphone höflich an mein bereits erreichtes Limit erinnert. Daher verbringe ich meine Zeit statt auf Social-Media auf Shoppingapps. Das war irgendwie auch nicht Sinn der Sache…
Der Abend wird dann etwas langweilig: Ich muss mich unterhalten und lese ein bisschen. Wo sind die Clips, auf denen mir wildfremde und doch so nahe Menschen von ihrem Tag erzählen und mir „Gute Nacht“ sagen?
Dienstag
Heute läuft es schon viel besser: Ich versuche meine Augen ohne Instagram auf zu bekommen (klappt so mittelgut) und habe den ganzen Vormittag nicht einmal die Versuchung, die verbotenen Apps zu öffnen. Erst in der Mittagspause öffne ich aus Gewohnheit Instagram, schaffe es aber, es nach zwei Sekunden wieder zu schließen – puh, das war knapp.
Neu sind für mich vor allem die „Zwischenzeiten“, die fünf Minuten die man zwischen zwei Veranstaltungen hat, die drei Minuten, die man wartet, bis das Bad frei wird. Kurze Momente, in denen es sich (eigentlich) nicht lohnt, etwas anderes anzufangen. Einerseits praktisch, denn ich bin deswegen auch produktiver, weil ich die Zeit für To-Do’s nutze. Andererseits gönne ich mir dadurch auch weniger Pausen, die vielleicht nötig gewesen wären.
Ich nehme mir vor, morgen zu probieren, die gewonnene Zeit für mich zu nutzen und bewusst zu entspannen oder Musik zu hören.
Mittwoch
Mein Tag ist ziemlich vollgepackt und ich habe gar nicht das Bedürfnis, Instagram zu öffnen. Wenn ich alleine esse, bin ich normalerweise auf Social Media – und so auch nicht mehr allein. Heute mache ich aber Musik an und gucke beim Essen einfach nach draußen. Irgendwie tut es gut, die Gedanken einfach fließen zu lassen.
Dafür habe ich abends so sehr Lust, einfach ab- und ein paar Endorphine freizuschalten und mich ohne viel Anstrengung abzulenken. Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, heute eine 20-minütige Ausnahme zu machen – ich vermisse die Leichtigkeit auf Instagram gerade irgendwie. Ich kann mich dann aber recht schnell von dieser Überlegung lösen und nutze die Zeit dafür für entspannende Dinge wie Serie gucken oder ein Buch lesen und fordere meine Aufmerksamkeitsspanne ein wenig heraus. Ich merke, wie ich an dem Abend dann keinen weiteren Gedanken mehr an Instagram verschwende.
Ich bilde mir ein, besser zu schlafen, bzw. ruhiger einzuschlafen. Sonst waren vor meinem inneren Auge ganz viele bunte Bilder, Eindrücke und Impulse. Ich bin kaum zur Ruhe gekommen und das hat mich dazu gebracht, wieder das Handy in die Hand zu nehmen – eine Endlosschleife. Jetzt sind meine Gedanken abends etwas klarer und mein Kopf entspannter.
Donnerstag
Da sich die Sperre für Instagram erst nach ein paar Minuten meldet, habe ich heute unbewusst auf meine ungelesenen Nachrichten auf Instagram getippt. Mein Verstoß ist mir schnell bewusst geworden und ich habe die App natürlich unverzüglich geschlossen. Erschreckend, wie der Reiz und die Gewohnheit mich immer wieder überlisten.
In einem Gespräch mit einer Freundin fällt mir außerdem auf, wie selbstverständlich der tägliche Social-Media-Konsum sich auf unsere Gesprächsthemen auswirkt. Sie erzählt einen „Insider-Joke“, den ich einfach nicht verstehe. Dann dämmert mir, dass er wohl aus der Welt der Instagrammer*innen kommen muss und ich leider nicht mitreden kann. Ich überlege: Grenze ich mich ohne soziale Medien aus? Bin ich dann ohne sie tatsächlich weniger sozial? Oder nur weniger sozial integriert?
Freitag
Ich habe immer noch den Impuls, mein Handy in die Hand zu nehmen. Während einer Univeranstaltung. Während ich einen Text lese. Während ich auf etwas warte. Während ich esse. Ich merke aber auch, dass sich kleine neue Routinen bilden und ich mehr Zeit habe.
Nur gerade jetzt, wo das Wochenende ansteht, vermisse ich die Auszeiten und irgendwie auch diesen „Blick nach draußen“ den ich mit meinem Handy haben kann, gerade zu diesen Zeiten, in denen man sowieso nicht so viele Menschen sehen kann.
Um motiviert zu bleiben, schaue ich die Doku „The Social Dilemma“. Zwar sind die aufgeführten Fakten über soziale Netzwerke, die Überwachung, die damit einhergeht, die Folgen für unsere Psyche und der Zusammenhang mit Verschwörungstheorien nichts komplett Neues für mich, aber ich bin trotzdem überrascht bis schockiert, wie diese Plattformen, die es noch gar nicht so lange gibt, unsere komplette Gesellschaft verändern. Und erschreckend ist auch: Wir alle wissen es, aber irgendwie kommen wir da nicht raus.
Samstag
Heute habe ich tagsüber gar keinen Impuls gehabt, die App zu öffnen. Die Zeit ist nicht da, ich bin konzentriert auf die Uni und Instagram hätte keine Priorität. Daran merke ich, dass Instagram oft einfach nur ein Lückenbüßer ist und im Alltag eine Sache, die ich nebenher mache, selten aber bewusst Zeit dafür einteile.
Als ich abends ein cooles Foto mache, überlege ich aber, es in meine Story zu packen. Doch meine „Follower*innen“ müssen auf meine interessanten Geschichten wohl heute verzichten. Aber das merkt wahrscheinlich eh niemand.
Sonntag
Anstatt wie sonst den Morgen im Bett am Handy zu verdümpeln, gehe ich direkt an den Schreibtisch und bin produktiv. Ich stehe also recht früh auf und bin nicht wie sonst sonntags etwas matschig im Kopf, weil ich zu lange im Bett war. Das ist zwar ein sehr angenehmes Gefühl, aber ich finde auch, dass man den Sonntag gerne mal nutzen kann, um entspannter in den Tag zu starten. Ich hätte zwar lesen können, aber die Hürde, mein Buch zu holen und „aktiv“ zu sein ist dann doch höher, als einfach nur das Handy, das eh schon neben meinem Kopfkissen liegt, zu nutzen.
Insgesamt freue ich mich, morgen wieder in das Leben mit sozialen Medien eintauchen zu können, aber ich merke auch, dass ich es gar nicht so sehr vermisst habe, wie erwartet.
Fazit
Ich fand die letzte Woche voller neuer Erkenntnisse sehr bereichernd. Ich konnte mich auf andere Dinge fokussieren und wurde nicht den ganzen Tag mit neuen Eindrücken bombardiert. Auch, wenn ich ab und zu „Downs“ hatte und die Insta-Welt vermisst habe, fiel es mir nie schwer, mir eine anderweitige Beschäftigung zu suchen und ich habe, wenn ich den Impuls nach Social Media überwunden hatte, nichts vermisst. Aber wie wird es nächste Woche, wenn ich mir wieder freien Zugriff erlaube?
Bemerkenswert finde ich, wie unbewusst mein Verhalten in dieser Hinsicht ist. Auf Instagram zu gehen ist oft keine Entscheidung mehr, die ich treffe, sondern viel mehr eine Gewohnheit, ein Impuls, an den ich keinen Gedanken verschwende. Mein Handy erzählt mir, dass meine Bildschirmzeit diese Woche um 45 % gesunken ist – schon heftig! Es kommt mir ungesund vor, dass ich so mit meiner Zeit umgehe und nicht mehr bewusst entscheide, was ich tue. Es kommt mir fast gruselig vor und wenn ich meinen Bericht der letzten Woche durchlese, klingt meine Wahrnehmung ein wenig nach einem Science-Fiction-Zombie-Film.
Daher möchte ich mir vornehmen, meine Zeit auf Social Media mehr zu kontrollieren. Ich werde mir Instagram nicht verbieten, da es immer noch eine Plattform für mich ist, die auch viel Gutes tun, informieren, unterhalten und mich in andere Welten entführen kann. Aber ich möchte mir den Impuls abgewöhnen, unbewusst nach meinem Handy zu greifen und die App zu öffnen. Und ich will mir bewusst Grenzen für die Zeit setzen, die ich auf Instagram verbringe, sodass ich mich dort nicht verliere.
Beitragsbilder: Lilli Lipka
von Alexander Holl | 10.12.2020
Meine Mitbewohnerin und ich sitzen gemütlich bei heißem Kaffee in unserer Küche. Doch der Schein von Normalität trügt. Denn anstatt behaglich zu plaudern, starren wir ungläubig auf eine absurde Nachricht, die eben auf ihrem zersplitterten Huawei-Handy aufgetaucht ist. Eine Nachricht, die so grotesk ist, dass wir erst kaum glauben können, was dort zu lesen ist. Ein junger Mann, auf Instagram nennt er sich Unterwürfiger Typ [Name von der Redaktion geändert], ist auf der Suche nach einer Herrin, die sich vorstellen könnte, sich seiner zu erbarmen und ihn zu versklaven.
“Falls ich eine neue Herrin habe, gehöre ich ihr. Sie hat das Sagen über mich und mein Leben. Sie soll mich auslachen, demütigen, fertig machen und ausnehmen.“
Unterwürfiger Typ
Sein Anliegen scheint simpel zu sein. Er ist auf der Suche nach einer Frau, die ihn unterwirft. Er möchte ihr jeden Luxus finanzieren und nebenbei unangenehme Aufgaben in ihrem (also unserem) Haushalt übernehmen. Sie müsse sich nur etwas von ihrer wertvollen Zeit nehmen und ihm antworten. Unser Interesse ist geweckt. Wir brauchen zwar keinen Haussklaven, allerdings wollen wir trotzdem wissen, ob die Anfrage ernst gemeint ist.
Seine nächste Nachricht folgt rasch. Er möchte seiner Herrin am liebsten seinen Tribut in Form von Geschenken oder Überweisungen zollen. Er bietet zusätzlich an, seinen richtigen Namen preiszugeben, damit seine Herrin ihn notfalls erpressen kann. Die konstante Bedrohung öffentlicher Bloßstellung gehört dazu. Außerdem soll seine Herrin ihn „auslachen, demütigen, fertig machen und ausnehmen. Sie [soll ihn] richtig zerstören.“ Jetzt wird es uns zu krass. Meine Mitbewohnerin lehnt höflich ab und wünscht ihm weiterhin viel Glück auf der Suche nach einer Herrin.
„Wenn Sie denken es reicht, müssen Sie weiter machen. Wenn ich jammere, mich stärker bestrafen. Frauen sind nun mal das stärkere Geschlecht.“
Unterwürfiger Typ
Mein Kaffee ist mittlerweile lauwarm und ich habe Lust mich in den Tiefen des Internets zu verlieren. Der Laptop wird aufgeklappt. Ich beginne zu recherchieren. Nach einigen Minuten auf Google bin ich bereits auf etliche Foren gestoßen, auf denen Geldherrinnen nach sogenannten Geldsklaven suchen und vice versa. Der Unterwürfige Typ scheint also kein Einzelfall zu ein. Aber erstmal zu den Basics: Ein Geldsklave (auch Paypig, Geldschwein oder Zahlwurm genannt) ist eine meist männliche Person, die ihr sexuelles Vergnügen daraus bezieht, finanziell dominiert und erniedrigt zu werden. Die Geldherrin (auch Gelddomina, Moneymistress oder Gelddiva genannt) ist diejenige, die das Geld freudig entgegennimmt und ihren Sklaven nebenbei auf unterschiedlichste Art und Weise demütigt. Was auffällt, ist, dass Angebot und Nachfrage unausgewogen sind. Man stößt auf mehr suchende Geldherrinnen als auf sich anbietende Geldsklaven. Irgendwo ist das auch verständlich. Noch einfacher kann man an Geld kaum kommen. Das Ganze nennt sich Geldsklaverei und ist eine Form von Sadomaso-Spiel, bei der Geld die zentrale Rolle spielt. Auf den ersten Blick ungewohnt, aber per se vollkommen in Ordnung. An sich darf jede*r tun und lassen, was ihn*sie glücklich macht, solange das Vergnügen auf Gegenseitigkeit beruht. Man stelle sich einen Masochisten mit dem nötigen Kleingeld und eine habgierige Sadistin vor: It’s a match!
Soweit so gut, wenn auch ungewohnt. Zwei grundlegende Fragen stellen sich mir aber trotzdem. Warum sollte sich jemand auf eine so asymmetrische Beziehung einlassen? Und warum sind die Geschlechterrollen hier so klar verteilt? Die Antwort scheint soziokultureller Natur zu sein. Beide Parteien genießen den Kick, den man erhält, wenn man seine alteingesessene Macht- bzw. Ohnmachtspostiton verlässt. Die Frau wird zur Bestimmerin und der Mann zum devoten Objekt. Außerdem basiert die Szene auf dem uralten männlichen Verhalten des Beschenkens, welches dem Erhalt weiblicher Aufmerksamkeit dient. Patriarchische Geschlechterstereotypen werden gebrochen und gnadenlos auf links gedreht. Fast schon bewundernswert.
Ich halte kurz inne und reflektiere die Situation. Wie kam ich noch gleich von Smalltalk und Kaffee zu Sadomaso und Fetisch-Foren? Ach ja, die absurde Nachricht von dem Typen. Ihr wisst schon: der Unterwürfige. Aber ich schweife ab.
Manche Herrinnen verdienen sogar genug mit der Geldsklaverei, um das Ganze hauptberuflich zu betreiben. Und wie pflegt meine Mutter immer zu sagen: Wähle den Beruf, den du liebst – und du musst keinen Tag in deinem Leben arbeiten. Das alles scheint also eine zwar geschmacklich mindestens fragwürdige, aber schöne Sache zu sein, für die, die Spaß dran haben. Na ja, ganz so einfach ist das dann wohl doch nicht.
Richtig besorgniserregend wird es nämlich bei dem sogenannten Blackmailing: Eine scheinbar profane Praktik in der Geldsklaverei (einen kleinen Vorgeschmack hat uns der Unterwürfige Typ bereits gegeben). Hierbei vertraut der Geldsklave seiner Herrin Daten, Geheimnisse oder intime Geständnisse an. Anvertrauen ist in diesem Fall jedoch das falsche Wort. Die Herrin benutzt diese Informationen nämlich, um den letzten Cent aus ihrem Sklaven zu pressen oder besser gesagt, ihn zu erpressen. Das geht manchmal so weit, dass der Geldsklave sich verschuldet, Kredite aufnimmt und sich sogar selbst prostituiert, um mit den Zahlungen hinterherzukommen. Für mich endet hier das einvernehmliche Sadomaso-Spiel. In solchen Fällen wird ein Fetisch aufs Übelste ausgenutzt und die Grenze des moralisch Vertretbaren klar überschritten.
Jetzt klappe ich aber erstmal meinen Laptop zu. Wo bin ich nur gelandet? Genug Internet für heute. Ein kalter Kaffee wartet auf mich.
Anm. d. Verf.: Auf das Gendern wurde in diesem Artikel verzichtet, da die übliche Dynamik folgende ist: Frau = Geldherrin und Mann = Geldsklave. Abweichungen dieser Norm gibt es selbstverständlich trotzdem, sie sind aber sehr selten.
Beitragsbild: freephotoscc