Uni – nur online?

mm106_universum_16MOOCs werden immer bekannter und Professoren machen YouTube zu ihrem neuen Vorlesungssaal. moritz hat geprüft, wie gut ein Onlinestudium an der Universität Greifswald funktionieren könnte.

Seitdem die ersten Vorlesungen von Elite-Universitäten öffentlich auf YouTube zu sehen sind, entwickelten sich immer mehr Angebote für Studierende, an Kursen verschiedenster Universitäten online teilzunehmen. Lehrmaterial wird über einen Server bereitgestellt, Aufgaben werden online abgegeben und bewertet. Diese Möglichkeiten haben sich vor allem an amerikanischen Universitäten verbreitet. Es gibt keine Aufnahmeprüfungen, keine Stundenpläne, man kann sich die Vorlesung zu jedem Zeitpunkt als Video ansehen und jeder kann in seinem individuellen Lerntempo den Stoff bearbeiten. Diese Kurse heißen MOOCs: Massive Open Online Courses. Das Lehrangebot boomt, tausende von Studierenden nehmen das neue Lernen an. Die Universitätsumwelt wird komplett umgekrempelt. Wie wird sie in 20 Jahren aussehen? Wird es dann überhaupt noch das Studium , wie wir es kennen, geben?

Aller Anfang ist schwer

Das computerunterstützte Lernen ist genauso alt wie die Erfindung der Großraumcomputer. Damals nahmen sie noch ganze Räume ein und erbrachten, verglichen mit heutigen Geräten, extrem wenig Leistung. Schon immer gab es Programmierer, die kleine Anwendungen gestaltet haben, mit denen es möglich war, Vokabeln oder mathematische Formeln zu lernen. Bis jedoch diese Programme in die Haushalte kamen und somit für jedermann anwendbar waren, vergingen einige Jahre. Erst in den 90er Jahren konnten Privatpersonen Lernprogramme an ihren heimischen PCs benutzten. 1995 wurden die ersten Lernprogramme an der Universität Greifswald eingeführt, damals noch auf Laserdisks oder CD-Roms. „Das waren statische Programme, die man in einem winzigen PC-Pool, der aus nur sechs Computern bestand, einsetzen konnte. Isoliert eingesetzt konnte das nie zu produktiven Leistungen führen. Das waren die Anfänge vom computergestützten Lernen“, sagt die Privatdozentin Doktor Heidrun Peters zu den ersten Computerprogrammen der Universität. Es gab eine schnelle Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten, nicht nur an der Universität Greifswald, sondern auch an allen anderen Universitäten. Heute, meint Peters, ist die Greifswalder Universität etwa zehn Jahre zurück in der Benutzung von Lernplattformen beziehungsweise Onlineplattformen. Die wenigsten Dozenten benutzen „moodle“ oder „Gryps Cast“, um ihre Lernveranstaltung zu unterstützen oder den Studierenden eine bessere Möglichkeit zu geben, den Stoff für die Prüfungen zu wiederholen. Wie kommt es, dass die technischen Möglichkeiten nicht ausgenutzt werden? Professor Patrick Donges, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft, sieht die Gründe für das geringe Onlineangebot vor allem in der Gestaltung der Vorlesungen: „Ich glaube, dass der Dozent vor allem die Sorge hat, dass der Vorlesung dadurch Spontanität genommen wird. Ich mache auch mal einen Witz zwischendurch, der nur in diese Situation passt.“ Außerdem haben viele Dozierende Angst davor, gefilmt zu werden und damit für immer auf ihr gesagtes Wort festgenagelt zu sein. Den positiven Mehrwert erkennt er durchaus. Die Studierenden könnten sich besser auf ihre Prüfungen vorbereiten und ein Studium mit Kind ist viel besser zu organisieren, da jeder die Vorlesungen hören kann, wann er will. Jedoch ist es Donges sehr wichtig, in seinen Vorlesungen Feedback von den Studierenden zu bekommen. Im Rahmen eines herkömmlichen Seminars kann direkt auf Fragen eingegangen und thematische Aspekte vertieft werden. Interpersonale Kommunikation ist für ein erfolgreiches Studium überlebenswichtig. Es wäre jedoch gut möglich sehr einheitliche Vorlesungen aufzeichnen zu lassen. Auch wenn es zu Überschneidungen mit anderen Lehrveranstaltungen kommt, sind Vorlesungsmitschnitte eine gute Ausweichmöglichkeit. Ein reines Online-Studium jedoch lehnt er ab. Zu wichtig sind die Aspekte neben dem Studium. Michael Mach, der sich für die Verbesserung der Studierbarkeit im Ein-Fach-Bachelorstudium an der Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät einsetzt, gibt zudem noch zu bedenken, dass es Studiengänge gibt, die wohl nie nur rein online abgehandelt werden können. Medizin, Pharmazie, Physik, Chemie haben alle praxisbezogene Elemente, die nicht ersetzt werden können.

mm106_universum_16_neuPotentiale werden erkannt

Die eigentliche Frage ist, wie sich das Studium in den nächsten 20 Jahren verändern wird. Die Meinung darüber ist größtenteils gleich: Gar nicht. Die technische Komponente wird sich im Laufe der Jahre noch verbessern. Peters plädiert dafür, dass mehr auf die Potentiale des E-Learnings geachtet und diese auch ausgenutzt werden sollten. Mach kann sich gut vorstellen, dass sich die Prüfungssituationen ändern werden und Prüfungen nicht mehr auf dem Papier, sondern auf Tablets abgehalten werden. Eine vollkommene Entwicklung zum Onlinestudium kann sich keiner vorstellen und würde sich auch keiner wünschen. Die Vorteile der räumlichen und zeitlichen Unabhängigkeit sind jedem bewusst, aber zu schwer liegen die Nachteile im Gewicht, die vor allem das herkömmliche Studentenleben umfassen. Persönlicher Kontakt mit anderen Studierenden, mit Dozierenden, Lerngruppen, Feierabendbier – all das würde wegfallen und die Qualität des Studiums sehr mindern. Gerade an einer kleinen Universität wie in Greifswald findet Donges ein Onlinestudium alles andere als wünschenswert. „In Greifswald ist der Pluspunkt, dass es überschaubar ist und es einen engen Kontakt zwischen Studierenden und Dozierenden gibt. Wenn alle Institute online wären, warum sollten Studierende in Greifswald online studieren? Wieso nicht bei einer großen Universität? Wir haben dann kein Argument mehr. Der enge Kontakt mit den Dozierenden, das sind ja die Vorteile, nach denen man seinen Studienort auswählt.“

Obwohl sich die Technik immer weiter entwickelt und Kinder von klein auf an den Umgang mit ihr lernen, werden sich vielleicht nur die Mittel ändern, mit denen gelehrt wird. Kein Papier mehr, sondern Tablets, keine Tafeln mehr, sondern interaktive Tapeten. Das Studium mit Anwesenheit wird nicht durch ein reines Onlinestudium abgelöst, aber mit Onlineanteilen unterstützt werden. In den kommenden Jahren werden sich die technischen Vorteile durchsetzen und die Lehrpotentiale sich noch mehr etablieren. Den persönlichen Kontakt jedoch kann man nicht ersetzen.

Ein Feature von Luise Schiller mit Fotos von Corinna Schlun (Wiese) und Katrin Haubold (Kamera)

Vorlesung aus der Konserve

Das Rechenzentrum der Universität Greifswald bietet Dozenten seit diesem Semester an, ihre Vorlesungen digital aufzuzeichnen und über eine spezielle Webseite den Studierenden zugänglich zu machen. webMoritz war bei einem Einsatz des Systems dabei.

E-Learning ist in Greifswald angekommen

Bereits seit drei Jahren gab es im Universitätsrechenzentrum Überlegungen, wie man Vorlesungen digitalisieren könnte, um sie den Studierenden online zur Verfügung zu stellen. Doch bislang war keine Lösung für die verschiedenartigen Anforderungen geeignet. Bei einer Lehrveranstaltung müssen verschiedene Inhalte aufgezeichnet werden, damit ein Onlinenutzer den Lehrstoff überhaupt nachvollziehen kann. Mit dem nun angeschafften System der Marke “tele-TASK” können all die Anforderungen, die an einen digitalen Mitschnitt gestellt werden, erfüllt werden.

GrypsCast: Vorlesung 2.0

Das System, das sich in einem tragbaren Gehäuse befindet, ermöglicht die Aufnahme des Referenten mit Video und Ton, sowie der abgespielten Präsentation. Alles wird später zu einem Video zusammengefasst und von Mitarbeitern des Rechenzentrums auf die GrypsCast-Seite hochgeladen. Um auf die digitalen Mitschnitte zuzugreifen benötigen die Studierenden einen Zahlencode, der vom Dozenten am Anfang des Semesters mitgeteilt wird. Dies ist notwendig da Urheber- sowie Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben müssen. Über GrypsCast können die Mitschnitte mit jedem beliebigen Computer betrachtet werden. Der Zugriff mit mobilen Geräten wie Smartphones ist in einer späteren Phase des Projekts angedacht.

Das Rechenzentrum als Dienstleister

Der große Vorteil des angeschafften Systems ist, dass sich der Dozent nicht mit der Technik auseinandersetzen muss. Mitarbeiter des Rechenzentrums übernehmen die Aufnahme und Bearbeitung der Mitschnitte. Auch spielt es keine Rolle, welche Hardware der Dozent für seine Präsentation benutzt. Alle Computer die einen VGA-Ausgang besitzen können an das System angeschlossen werden, um die Bildschirmpräsentation des Dozenten zu erfassen. Die Mitschnitte können über das Rechenzentrum, wenn benötigt, innerhalb von zwei bis drei Stunden hochgeladen werden. Theoretisch sind mit dem System sogar Live-Streams von Vorlesungen möglich. Dazu müsste jedoch weitere Hardware angeschafft werden. Für den Transport des tele-TASK Systems wird demnächst ein “tele-TASK-Mobil” angeschafft, das aus einem Fahrrad mit Anhänger bestehen wird. Man hofft von Seiten der  Universität aus, dass das System gut angenommen wird. Dann stehe auch der Anschaffung von weiteren Geräten nichts mehr im Wege, so Jan Meßerschmidt, Pressesprecher der Universität. Zur Zeit werden nach und nach alle Dozenten über die neue Technik in Kenntnis gesetzt. Professor Michael Herbst nutzt das tele-TASK System bereits für seine Vorlesung “Evangelische Seelsorge”. webMoritz wird in den nächsten Wochen darüber berichten wie das System von Studenten und Dozenten angenommen wurde.

Kommentar:

Digitale Aufzeichnungen von Vorlesungen sind im 21. Jahrhundert eigentlich nichts besonderes mehr. Viele Universitäten bieten ihren Studierenden diesen Service bereits an. Umso besser, dass nun auch die Universität Greifswald aufschließen möchte. Aber welchen Nutzen bringt das System wirklich für Studierende und wird es dazu führen, dass die Teilnehmerzahl der aufgezeichneten Vorlesungen dramatisch sinkt?

Erfahrungen anderer Universitäten haben gezeigt, dass die Teilnehmerzahl stabil bleibt und die Mitschnitte als sinnvolle Ergänzung angenommen werden. Die eigentliche Frage ist wohl eher, ob sich genug Dozenten bereit erklären, das System zu nutzen. Nicht wenige Dozenten stehen dem Thema Internet und Kommunikation feindlich gesinnt gegenüber. Sprüche wie: “Auf E-Mails antworte ich grundsätzlich nicht” und die mangelhafte Nutzung von E-Learning Plattformen wie StudIP, Moodle und HIS erschweren vielen Studenten den Unialltag.

Aber gerade an der Universität Greifswald könnte das neue System auch helfen, ein paar alte Probleme zu lösen. Beispielsweise könnte die obligatorisch überfüllte Methodenvorlesung der Bachelorstudenten damit entlastet werden. Auch könnten die Institute, die vom Einsturz bedroht sind, ihre Lehrveranstaltungen online abhalten. So könnte man die Sanierung von Gebäuden in der Innenstadt sicher weiter in die Zukunft verschieben.Es bleibt also zu hoffen, dass sich das System durchsetzt und rege genutzt wird.

Fotos: Alexander Kendzia, Startseite: Wikimedia

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