Greifswalder wollen Neonazis die Stirn bieten

Oberbürgermeister Dr. Arthur König hofft, an den Erfolg von vor zehn Jahren anknüpfen zu können.

Der Bürgerschaftssaal war am vergangenen Dienstag, den 29. März bis auf den letzten Platz gefüllt. Ein geplanter Marsch von vermutlich 500 Neonazis gab Anlass zur Bürgerversammlung. Von Beginn an sind sich alle Beteiligten darin einig, dass Neonazis in Greifswald nichts zu suchen haben und dass man an den antifaschistischen Protest aus dem Jahre 2001 anknüpfen wolle. “Ich erinnere mich heute noch gerne an den Protest von vor zehn Jahren” – mit diesen Worten eröffnete Oberbürgermeister Dr. Arthur König (CDU) die Versammlung. Auch die übrigen Teilnehmer, die die Proteste von vor zehn Jahren mitorganisierten, schwelgten immer wieder in Erinnerungen an den großen Bürgerprotest gegen die Wiederkehr der Braunhemden.

NPD-Demo einzige Großveranstaltung im Nordosten

Christine Dembski (SPD), Präventionsbeauftragte der Stadt Greifswald, hob zu Beginn der Veranstaltung hervor, dass es die einzige Großveranstaltung der NPD im Nordosten sein werde und sie für den Wahlkampf der NPD ein wichtiger Meilenstein sei. Bereits zu Beginn der Veranstaltung stand fest, den Protest gegen die Neonazis mit dem Demokratiefest des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) verknüpfen zu wollen. Engagiert wurde darüber diskutiert, wie eine solche Verknüpfung stattfinden könne. Die einen schlugen vor, der Demonstrationszug solle vom Markt nach Schönwalde I verlaufen, Christine Dembski regte die umgekehrte Richtung an. Mignon Schwenke (Die Linke.) machte sich in der Diskussion dafür stark, die gesamten Protestaktionen in Schönwalde konzentrieren zu wollen. “Wenn ein Demokratiefest, dann nicht auf dem Markt, sondern näher am Geschehen”, hob Schwenke in der Debatte hervor. Ihr Parteigenosse Dr. Gerhard Bartels entgegnete, dass der Markt aus Prinzip nicht hergegeben werden sollte. “Wir sollten überlegen, dass Friedensfest des DGB als Finale anzusehen”, so Bartels weiter und plädierte für die umgekehrte Route.

StuPa-Präsident Erik von Malottki wünscht sich eine Verlegung der Aktionen nach Schönwalde.

Neben Vertretern der Greifswalder Schulen und Sportvereine, waren auch Unikanzler Dr. Wolfgang Flieger und Erik von Malottki, Präsident des Studierendenparlamentes anwesend. “Wenn wir Schönwalde den Nazis überlassen würden, wäre das ein schlechtes Zeichen. Mir wäre es am liebsten, wenn das Demokratiefest in Schönwalde stattfinden würde”, schlug von Malottki vor. Ebenfalls vorgeschlagen wurden von Versammlungsteilnehmern das Abhalten öffentlicher Fraktionssitzungen, die Bildung von Menschenketten sowie großflächiges Plakatieren von öffentlichen Gebäuden, wie es in Anklam und Neustrelitz bei Neonaziaufmärschen getan wurde. Insgesamt solle der Protest möglichst bunt gestaltet werden, um so einen Kontrast zu den uniformierten Neonazis darzustellen.

Greifswald ist bunt – Kein Ort für Neonazis

Am Ende der Bürgerversammlung wurde sich auf das Protestmotto “Greifswald ist bunt – Kein Ort für Neonazis” geeinigt. Zudem soll es zu einer Reaktivierung der Freitagsrunden kommen. Die Freitagsrunden sind nach den Demonstrationen gegen den Neonaziaufmarsch im Jahre 2001 entstanden, das Initiativen zur Förderung von Demokratie und Toleranz in Greifswald unterstützte und forcierte. Das nächste Treffen des breiten Bürgerbündnisses gegen die Neonazis soll am 5. April um 17 Uhr im Rathaus stattfinden.

Alternative antifaschistische Initiativen kündigen ebenfalls Protestaktionen an. Wie aus einer Pressemitteilung der Antifaschistischen Aktion Greifswald hervor geht, soll der Aufmarsch behindert “und am besten sogar verhindert” werden. Claudia Schneider, Sprecherin der Greifswalder Antifa, hofft, “dass sich die Bevölkerung, ähnlich wie in anderen Städten dazu aufrafft, dem Aufmarsch mit Blockaden entgegen zu treten.” Wie aus der Pressemitteilung hervor geht, plane die Greifswalder Antifa ebenfalls, ein Aktionsbündnis ins Leben zu rufen. Nach Informationen des webMoritz werden sich neben dem städtischen Bürgerbündnis und der Greifswalder Antifa auch der Arbeitskreis Kritischer Juristinnen (AKJ), Jungsozialisten (Jusos), Grüne Hochschulgruppe, linksjugend [‘solid]/ SDS Greifswald sowie die Greifswalder Sektion der Hedonistinnen und Hedonisten an Protesten gegen den Neonaziaufmarsch beteiligen.

Fotos: Gabriel Kords (Arthur König), Christine Fratzke (Erik von Malottki), Oliver Cruzcampo/Endstation Rechts (Artikelbilder, ohne CC-Lizenz)

Anmerkung der Redaktion: An dem Beitrag wurden geringfügige Korrekturen vorgenommen.

Nicht vergessen: 80 Menschen gedachten Eckard Rütz

Ein trauriger Anlass war es, weshalb sich etwa 80 Menschen am Donnerstagnachmittag vor der Mensa versammelten. Sie waren dort, um dem Obdachlosen Eckard Rütz zu gedenken. Er wurde in der Nacht vom 24. bis zum 25. November 2000 von drei Jugendlichen ermordet.

Der Gedenkstein vor der Mensa.

Während der bewegenden Gedenkveranstaltung zum zehnten Todestag zeigten die Redebeiträge die Hintergründe der Tat auf. Es wurde an die Umstehenden appelliert, Zivilcourage zu zeigen und dem Mord an Rütz zu gedenken. Mit den Worten, dass es nicht selbstverständlich sei, ein Dach über dem Kopf zu haben, wurde die Veranstaltung eingeleitet. Die Rednerin Juliane Teichert vom Bündnis “Schon vergessen?” führte anschließend aus, dass die drei Jugendlichen zuerst auf den schlafenden Rütz vor der Mensa einprügelten. Später kamen sie zurück, fügten ihm starke Kopfverletzungen zu, aus Angst, er würde sie verklagen. Der 42-jährige Greifswalder erlag seinen Verletzungen. Bei der Gerichtsverhandlung 2001 gaben die drei Täter an, dass sie Rütz “eine Lektion erteilen” wollten. Sie begründeten ihre Tat damit, dass  Rütz dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche liegen würde. Damit sei eine nationalsozialistische Gesinnung bei den Tätern erkennbar, so der Richter bei der Verhandlung. Die drei Jugendlichen erhielten Haftstrafen von sieben beziehungsweise zehn Jahren.

Pfarrer Gürtler der Domgemeinde: Zusammenhang zwischen Gedanken und Taten.

Ziel: Pflege von Gedenkkultur

“In Greifswald gab es kaum eine Reaktion auf die Tat, auch keine Gedenkplatte”, führte Teichert in ihrer Rede weiter aus. Erst 2006 wurde eine Steinplatte auf dem Mensa-Vorplatz eingelassen, die an Eckard Rütz erinnert. Dahinter steckte das Bündnis “Schon Vergessen?”, welches 2005 mit der Antifa Greifswald entstand. Daraufhin setzte sich das Bündnis mit verschiedenen Initiativen und Privatpersonen für den Gedenkstein ein. Das Ziel des Bündnisses ist es seither, eine aktive Gedenkkultur zu pflegen und die beiden Opfer von rechtsextremer Gewalt, Klaus-Dieter Gehricke Klaus Dieter Gerecke und Eckard Rütz, nicht zu vergessen.

Als weiterer Redebeitrag folgte der des Dompfarrers Matthias Gürtler, der in seiner Rede Gewalttaten mit ähnlichem Hintergrund darstellte: In der Nacht vom 24. auf den 25. November 1990 wurde Amadeu Antonio in Eberswalde von einer Gruppe Neonazis misshandelt. Im Dezember verstarb er. “Es gibt einen Zusammenhang zwischen Gedanken und Taten”, erläutert Gürtler. Er schloss seine Ansprache: “Ich bin dankbar, dass Jugendliche, Schüler und Studenten Eckard Rütz aus dem Vergessen holen, weil wir es ihm schuldig sind.”  Zwischen den einzelnen Beiträgen spielte ein Gitarren-Geigen-Duo. Die Stücke gaben der Veranstaltung einen würdigen Rahmen. Abschließend konnten die Besucher Eckard Rütz und den Opfern rechtsextremer Gewalt gedenken und Kränze, Kerzen und Blumensträuße niederlegen.

An der Gedenkveranstaltung nahmen deutlich mehr Menschen als in den vergangenen Jahren teil. Zahlreiche Initiativen und politische Gruppen, wie Mitglieder der Jungen Union, dem SDS, der Greifswalder Hedonisten, der Grünen Hochschulgruppe und der Jusos waren vertreten. Aber auch Vertreter des Studierendenparlaments (StuPa) und des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) nahmen zum ersten Mal an der Veranstaltung teil und legten einen Strauß und einen Kranz im Namen der Studierendenschaft nieder. Ebenfalls anwesend war die Koordinatorin des kommunalen Präventionsrates Dr. Christine Dembski, die einen Kranz im Namen der Stadt ablegte. Zudem berichtete Juliane Teichert vom Bündnis “Schon vergessen?”, dass Anfang November in der Bürgerschaft eine Gedenkminute abgehalten wurde. Das Verhältnis zwischen dem Bündnis und der Stadt war in den vergangenen Jahren eher angespannt.

Gedenkkränze vom Oberbürgermeister und dem AStA.

Am Sonnabend, dem 27. November, findet eine Demonstration des Bündnisses statt. Dabei soll den Greifswalder Bürgern die Person Eckard Rütz in Erinnerung gerufen werden. “Wir wollen den Opfern in einem würdigen Rahmen gedenken und überlegen, wie es soweit dazu kommen konnte und daher auch auf soziale Verhältnisse aufmerksam machen”, stellt Juliane vom Bündnis dar. Der Auftakt zur Demonstration ist um 13 Uhr an der Mensa. Auch im kommenden Jahr wird “Schon vergessen?” wieder an die Tat erinnern, um sich weiterhin für ein aktives Gedenken einzusetzen.

Fotos: Christine Fratzke

Rechtsextreme machen mit Parolen Jagd auf Erstis

von Luisa Pischtschan

Volle Hörsäle, volle Mensen, vollgesprühte Wände – Die rechtsextreme Szene Greifswalds scheint mit großflächigen Spray- und Klebeaktionen immer weiter mobil zu machen.

Der Treppenabsatz vor der Mensa mit der Parole.

Seit Beginn der Erstsemesterwoche sind in Greifswald auffällig viele Sprühereien aus dem rechtsextremen Spektrum zu beobachten. Mit Slogans wie „Komm in die Bewegung Ersti“ an öffentlichen Plätzen wird der Eindruck einer Mobilmachung innerhalb Greifswalds erweckt. Insbesondere an geläufigen Orten wie das Toilettenhäuschen neben der Mensa am Wall, das bereits zum zweiten Mal die Parole „NS-Hochschulgruppe!!“ trug, soll anscheinend eine Aufbruchstimmung in der Szene präsentiert werden. Auch die Treppen der großen Mensa wurden in großem Maße „pünktlich“ zur Begrüßung der neuen Studierenden in der Hansestadt beschädigt. Nachdem dort die Reinigung schon einmal erfolgte, wurden diese auch ein weiteres Mal besprüht. „Die Beschädigung der Mensa ist für uns eine Straftat, deswegen wurde auch sofort Strafanzeige gestellt“, erklärte am Mittwoch die Geschäftsführerin des Studentenwerks, Cornelia Wolf-Körnert, gegenüber dem webMoritz. Die Reinigung erfolge durch eine Fremdfirma, die vom Studentenwerk als „Betreiber des Hauses“ finanziert wird.

Schmierereien als “reine Provokation”

Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) hat während der Vorbereitungen zur 24h-Vorlesung „demokratiefeindliche Sachbeschädigungen“ hinnehmen müssen, wie die AStA-Vorsitzende Daniela Gleich berichtet: „Das Banner der 24h-Vorlesung ist mit diversen Aufklebern beschädigt worden, welche sich nur schwer beziehungsweise gar nicht ohne weiteren Schaden entfernen lassen.“ Der AStA hoffe, dass die Polizei „gegen diese Aktionen“ vorgehe und „die Verantwortlichen zur Rechenschaft“ gezogen werden würden.

Für Günther Hoffmann, Experte für die Neonazi-Szene, sind die vermehrt auftretenden Parolen allerdings kein Indiz für einen steigenden Rechtsextremismus – die gehäuften Schmierereien stellten eine „reine Provokation“ dar. Dass die Sprühereien in letzter Zeit häufiger aufgetaucht sind, hänge auch mit den Erstsemestern zusammen. „Die Szene in Greifswald ist relativ klein“ und sie existiere mehr „für sich“, erklärt Hoffmann, der sich auch in der Anklamer Initiative „Bunt statt Braun“ engagiert. Und doch betont er: „Für mich sind diese Slogans ganz klar rechtsextremistisch.“

Gewalt keine strategische Komponente

Das verunreinigte WC-Häuschen

Bei der Stadt Greifswald ist der Schwerpunkt „rechtsextreme Schmierereien“ schon länger bekannt, wie die Präventionsbeauftragte Christine Dembski am Mittwoch dem webMoritz bestätigte. Um Sachbeschädigungen dieser Art zu melden, wurde eine „Grafitti-Hotline“ ins Leben gerufen: „Die Hotline wurde eingerichtet, weil eine hohe Belastung durch illegale Graffiti vorhanden ist“, erklärt Dembski. Eine getrennte Erfassung von extremistischen und nicht extremistischen Farbschmierereien erfolge allerdings nicht. Während eines Anrufs des webMoritz bei der Hotline ging  allerdings nur der Anrufbeantworter der – von der Stadt beauftragten – Firma ABS gGmbH ans andere Ende der Leitung, der nach dem Namen des Anrufers bzw. der Anruferin, der persönlichen Adresse als auch die genauen Ortsangabe der Sachbeschädigung fragte.

Auch das Studierenparlament (StuPa) positionierte sich in einer Stellungnahme deutlich gegen die rechtsextremen Taten. „Gerade im Hinblick auf unsere ausländischen Kommilitonen und dem Bemühen der Studierendenschaft, sich für Integration und Weltoffenheit einzusetzen, muss diese Entwicklung mit großer Sorge betrachtet werden“, schildert Erik von Malottki, Präsident des StuPas, dem webMoritz. Günther Hoffmann allerdings sieht keine direkte Gefahr bezüglich Gewaltausübung durch die hiesige Szene. „Gewalt wird hier nicht als strategische Kompenente zur Rate gezogen“, erklärt er. „Die Leute sind eher in ihrem internen Bereich, als dass sie in die Offensive gehen.“

Fotos: Luisa Pischtschan