Ich hab aufgeräumt und Staub gewischt

Ich hab aufgeräumt und Staub gewischt

Viele Studierende kennen das Phänomen: Die Prüfungen stehen an und plötzlich glänzt die Wohnung in ihrem vollen Schein. Die neueste Staffel der Lieblingsserie ist ebenfalls innerhalb von zwei Tagen weggesnackt. Die Staubschicht vom Schreibtisch ist entfernt. Die Prüfungsvorbereitung wird verdrängt. Die Prokrastination kickt.

Ich denke, dass es durchaus Studierende unter uns gibt, die das Aufschieben unangenehmer Aufgaben gut unter Kontrolle haben. Ich gebe hier aber auch zu: Ich gehöre nicht unbedingt zu ihnen. Ja, ich schiebe Dinge gern auf, bis sie unvermeidbar werden und ich einen gewissen Druck verspüre. Die meisten kennen das vermutlich von den Hausarbeitenphasen sehr gut: Die unvermeidbare Berechnung, wie viele Seiten pro Tag geschrieben werden müssten, um noch den Mindestumfang zu erfüllen – fünf Seiten pro Tag? Easy machbar!

Ich fang gleich an!

Das Wort Prokrastination stammt vom lateinischen Wort procrastinatio ab und bedeutet Aufschub oder Vertagung. Laut Duden wird es übrigens nicht besonders häufig verwendet. Das liegt aber vermutlich eher an der Häufigkeiten-Berechnung des Duden, die rein digital in Volltexten erfolgt, und daher nicht unbedingt den tatsächlichen Sprachgebrauch widerspiegelt.

Prokrastination wird inzwischen sogar als eine Störung anerkannt, die teils so stark werden kann, dass Betroffene sich in Behandlung begeben (sollten). Die WWU Münster hat hierfür sogar eine Prokrastinationsambulanz eingerichtet, auf deren Internetseite man auch einen Selbsttest machen kann. Der Selbsttest umfasst auch die Bereich Depressivität und Aufmerksamkeitsstörung, da sich hier oftmals Überschneidungen zeigen. Nichtdestotrotz ist es so, dass bei den meisten Menschen, die unangenehme Tätigkeiten aufschieben, dieses „alltägliche“ Hinauszögern noch keine pathologische Prokrastination darstellt.

Ich mach das dann schon!

Ich möchte hier keine Tipps geben, wie ihr euer Prokrastinationsproblem lösen könnt. Ich habe für mich mittlerweile einen guten Weg gefunden, Aufgaben anzugehen, die ich eigentlich Ewigkeiten (also bis zur Unvermeidbarkeit) hinausschieben möchte. Vor allem aber habe ich eine Möglichkeit gefunden, meine Prüfungsvorbereitung durchzuziehen. Zumal ich meistens nicht einmal mangelnde Motivation als Aufschiebegrund nennen kann. Ich komme gut gelaunt und ultramotiviert aus der Sprechstunde mit meinen Prüfer*innen. Ich denke mir: „Das lief richtig gut. Jetzt setzt du dich gleich dran und gehst dann gut vorbereitet in die Prüfung!“ und dann komme ich nach Hause und tue was? Richtig, zum zwanzigsten Mal Grey’s Anatomy oder New Girl schauen.

Was ich eigentlich sagen will: Ihr seid damit nicht allein. Aufschieben ist in gewisser Weise ein absolut menschliches Verhalten. Wenn ihr mehr über das Phänomen lernen wollt, schaut doch einfach einmal zwischen den Links am Ende des Beitrags. Das Studierendenwerk bietet außerdem am 16. November 2022 einen Workshop mit dem Thema „Schluss mit dem ewigen Aufschieben – Wege aus der Prokrastination“ an. Auf der Seite des Studierendenwerkes findet ihr dieses und weitere Workshopangebote.

Ich google nur noch kurz…

Damit allen Lesenden klar wird, wo ich meine Überschriften geklaut habe und damit alle Lesenden den passenden Song zum Phänomen haben: Bitte. Gern geschehen. Moop Mama mit Prokrastination.

Es gibt übrigens auch die Präkrastination. Sie beschreibt das Phänomen, Aufgaben möglichst schnell erledigen zu wollen. Tja, da habt ihr heute sogar noch etwas gelernt!

Weitere Leseempfehlungen und Links:

Beitragsbild: Screenshot Jodel, Autor*in unbekannt

Umgekrempelt: Die 3-Minuten-Regel

Umgekrempelt: Die 3-Minuten-Regel

Kennt ihr das, wenn man mal was Neues ausprobieren will, aber am Ende alles beim Alten bleibt? Uns jedenfalls kommt das sehr bekannt vor, deswegen haben wir uns für euch auf einen Selbstoptimierungstrip begeben. In dieser Kolumne stellen wir uns sieben Tage als Testobjekte zur Verfügung. Wir versuchen für euch mit unseren alten Gewohnheiten zu brechen, neue Routinen zu entwickeln und andere Lebensstile auszuprobieren. Ob wir die Challenges meistern oder kläglich scheitern, erfahrt ihr hier.

„Ach na ja, das mache ich dann später“, ist ein Satz, den ich leider viel zu häufig denke oder sage, obwohl ich mich doch eigentlich als ziemlich disziplinierten Menschen beschreiben würde. Ich versinke nicht im Chaos und bin so gut wie immer up to date unterwegs – bemerke aber auch, dass ich doch gerne mal kleinere Sachen vor mir herschiebe: Zu manchen Zeiten sammeln sich dann einzweidreivier Teebecher in meinem Zimmer an und den berühmten Klamottensessel muss ich bestimmt nicht weiter vorstellen. Ich bin mal mit jemandem gereist, der nach folgender Regel lebt: Alles, was man in 3 Minuten erledigen kann, wird sofort gemacht. „Damals“ wurde ich ganz gut mitgezogen (und war hellauf begeistert), nun starte ich aber schon zum zweiten Mal in dieses Selbstexperiment. Warum? In der ersten Woche war so viel los, dass das umgekrempelt schlicht und einfach wieder untergegangen ist. Eigentlich hatte ich geplant, mir am Sonntag davor zur Erinnerung noch kleine Post-Its in der Wohnung zu verteilen, habe es aber immer auf das berühmte „nachher dann“ vertagt und es schlussendlich ganz vergessen. Wenn das mal keine Ironie und ein Zeichen der Notwendigkeit ist, schließlich hätte auch das nicht mal die besagten 3 Minuten gedauert.

Montag

Der zweite Start in den umgekrempelt-Montag bringt dafür aber so einen Produktivitätsschub mit sich, dass sich die Verzögerung mehr als gelohnt hat. Die 3-Minuten-Regel wurde zugegebenermaßen in die „Mails, die ich schon ewig vor mir herschiebe endlich beantworten und danach den Abwasch machen“-Regel umgewandelt, um alles Mögliche, was mir schon länger aufsitzt, endlich mal anzugehen, aber Manometer war das ein befreiendes Gefühl! Ich habe die letzten Tage ein wenig komisch verlebt – ich wusste nicht, ob ich jetzt Sachen bewusst stehen und liegen lassen soll, damit der Kontrast zur umgekrempelt-Woche noch stärker wird? Es war für einige Momente jedenfalls eine sehr schöne Ausrede. 😀

Dienstag

So, bevor sich letzte Woche wiederholt, habe ich doch tatsächlich den Zettel aufgehängt. Auch das gibt so ein gutes Gefühl; das ist etwas, worüber ich letzte Woche auch schon sehr viel nachgedacht habe. Nehmen wir das Klamottensessel-Beispiel: Es würde ein, zwei Handgriffe brauchen, um die Klamotten zusammenzulegen und wegzuräumen, und trotzdem brauche ich oft mehrere Anläufe, bis es dann dazu kommt. Stattdessen geht dann aber der Blick mehrmals täglich dorthin, sodass man ebenso oft einen „Störreiz“ (oder irgendwann andersrum leider gar keinen Reiz mehr) vermittelt bekommt oder sich, viel pragmatischer, auch gar nicht auf den Sessel setzen kann. Diese kleinen Sachen sitzen dann teilweise so auf (in dem Fall „liegen“, höhö), dass das Belohnungssystem dafür auch entsprechend Glücksgefühle auslöst, sie (endlich) zu erledigen. Die Frage bleibt: Warum verschiebe ich es dann doch immer wieder?

Mittwoch

Hier ist Samstags-Annica, die irgendwie den Mittwochs-Abschnitt dieses Artikels füllen muss, weil Mittwoch- bis Freitags-Annica sich wohl so gar nicht dazu aufraffen konnte, na supi. Ich kann mich erinnern, dass der Tag // Ja und hier brach der Satz ab und woran ich mich erinnern konnte, weiß ich auch nicht mehr, echt nur zu empfehlen, dieses Aufschieben. 🙃

Donnerstag

Heute habe ich ehrlicherweise kaum darauf geachtet und würde es als relativ „normalen“ Tag bezeichnen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich heute Nachmittag durch einen Kursausfall viel mehr Zeit als erwartet hatte und das trotzdem nicht ansatzweise als Anlass nehmen konnte, mich mal um den Abwasch von gestern zu kümmern. Nach der Redaktionssitzung, in der wir über das laufende Experiment gesprochen haben, fühle ich mich allerdings echt ein wenig schlecht, heute mit Scheuklappen durch die Wohnung gegangen zu sein, raffe also meine Disziplin wieder zusammen und starte nochmal durch. Und obwohl es später dann schon tief in der Nacht war, habe ich mich endlich mal an eine Mail gesetzt, die ich schon seit Monaten schreiben wollte. Das hat zwar eineinhalb Stunden und nicht nur die paar Minuten gedauert, aber irgendwie gilt die Regel langsam abstrakt dafür, Sachen einfach mal anzugehen. Das Belohnungssystem hat danach wieder ganze Arbeit geleistet, schließlich war der Mail-Kontakt doch super schön und saß einfach nur auf, weil die Zeitspanne meiner Antwort immer größer und dann zu unangenehm geworden ist. 

Freitag

Was auch nur 3 Minuten dauern würde? Wenigstens ein paar Stichpunkte für die Tagesreflexionen festhalten, mir sind zwischendurch nämlich wirklich wichtige oder manchmal auch selbstironisch-lustige Gedanken gekommen, von denen ich aber anscheinend so überzeugt war, mich daran erinnern zu können, dass sie die 30 Sekunden fürs Aufschreiben wohl nicht wert waren. Schande über mein Haupt, denn vergessen habe ich natürlich jeden einzelnen davon. Dafür habe ich heute direkt beim Frühstück etwas erledigt, was ich in der Regel wirklich so lange vor mir her schiebe, dass es sich dann auch nicht mehr lohnt: Ein Lesezeichen in mein Buch legen. Auch hier kann ich wieder nur feststellen, dass die Contra-Seite enorm ist, schließlich vergesse ich wirklich JEDES Mal die Seitenzahl, von der ich aber genau so jedes Mal wieder überzeugt genug bin, sie mir merken zu können, dass ich das Buch dann einfach zuklappe. Wir könnten es einen ausgeprägten Selbstoptimismus für ein plötzlich entstehendes Zahlengedächtnis nennen, oder mein „Nicht jetzt“-Denken at its best. Tja, endlose Querles’- und Suchaktionen sollten mich eines besseren gelehrt haben, denn Spoiler sind da unvermeidlich. Ich habe mich also kurzerhand entschlossen, das mir nächste Verfügbare – typisch Lesezeichen – einer Zweckentfremdung zu unterziehen und stelle erst danach fest, was für ein Zeichen des Schicksals das war, schaut man sich mal die Beschriftung an:

Samstag

Jetzt wollte ich heute mal so richtig mit neuem Schwung die 3 Minuten wieder ausleben und hatte dann von morgens bis abends Uni, sodass mir eigentlich kaum Gelegenheit blieb, überhaupt was anderes zu machen. Dafür habe ich mich in der kurzen Zeit zu Hause aber umso engagierter daran gehalten und trotz des stressigen Tages alles noch direkt erledigt. Nur ein einziger Teller steht in diesem Augenblick (es ist schon sehr spät) noch in meinem Blickfeld (aber echt am äußersten Rand), den Weg in die Küche möchte ich jetzt aber wirklich nicht mehr machen.

Sonntag

Auch heute war Uni und ich kaum zu Hause, allerdings habe ich den Teller der letzten Nacht direkt nach dem Aufstehen in den Geschirrspüler gestellt, immerhin. Zum Ende der Woche habe ich mal weitere Dinge gesammelt, die weniger als 3 Minuten dauern: Auf links gestrampelte Hosen direkt wieder auf rechts drehen und zusammenlegen, das Bett machen, Chats beantworten, in Tupperdosen verstaute Lebensmittel … mal überprüfen (hust), den Müll (danach) runterbringen, Pflanzen gießen, Taschen direkt ausräumen, das Kalenderblatt umblättern (? lol warum schiebe ich sowas denn auch), geknülltes Naschpapier wegschmeißen oder auch sowas wie direkt etwas zu Trinken zu machen, wenn man den Impuls danach verspürt.

Fazit

Tja, ich muss ganz selbstkritisch feststellen: Puh, bin ich eine Aufschieberin geworden. Und zwar nicht von den großen Dingen, sondern von all den kleinen und privaten, die nur meiner eigenen Verantwortung obliegen und dann bei all den anderen, „richtigen“ Projekten einfach schnell hinten runter fallen. Eine kurze (dreiminütige? (ok Spaß)) Analyse meiner Fragezeichen zeigt: Warum ich solche Sachen nicht direkt erledige, verstehe ich nach dieser Woche noch weniger als vorher. Es ist schon fast paradox, wie ich teilweise Geschirr automatisch erstmal stehen lasse – wirklich so, als ob das der normale Ablauf wäre, aber später bin es doch immer noch ich, die das wegräumen muss?! Ich habe diese Woche wirklich gebraucht, um das überhaupt als Routine zu realisieren und immer wieder aktiv dagegen anziehen müssen. Es war teilweise echt ein innerer Kampf: Ich bin mehrmals pro Tag doch nochmal umgedreht, habe mich dann direkt um etwas gekümmert und mich dabei manchmal so im inneren Konflikt befunden, als hätte ich zwei Annicas auf der Schulter sitzen, die mir (beiderseits sehr überzeugend) ein „später“ oder „jetzt“ zuflüsterten. Ich kann inzwischen (zwei Tage nach dem Experiment) definitiv sagen, auch bei den kleinen Dingen wieder weitaus disziplinierter zu sein und nur immer wieder feststellen: Es tut so gut, nicht sechs Mal pro Tag an etwas denken zu müssen, sondern es direkt erledigt zu haben. Das ist nicht nur logisch, schließlich muss man es irgendwann sowieso machen, sondern die kleinen Glücksgefühle wirklich wert. 

Beitragsbilder: Annica Brommann
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