Mimimi-Mittwoch: Warum sehen alle gleich aus?

Mimimi-Mittwoch: Warum sehen alle gleich aus?

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit Mode. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über viel zu enge T-Shirts auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier.

Doch bevor ich mit dem Artikel starten möchte, zuerst etwas in eigener Sache: Ich suche seit Tagen nach meinem guten Freund Jens. Er geht nicht an sein Telefon und ich kann ihn nicht erreichen. Lasst ihn mich beschreiben. Er sieht eigentlich sehr außergewöhnlich aus und man sollte ihn gut erkennen können. Er ist Anfang 20, circa 1,85m groß und hat kurze, lockige Haare. Er trägt in der Regel eine zu enge Cargo-Hose, Nike Airs, einen Hoodie oder eine Daunenjacke von seiner Lieblings-Modemarke mit dem Logo als All-Over Print und auf dem Kopf trägt er oft eine einfache Cap der gleichen Marke.

Falls ihr in den letzten Tagen das Haus verlassen haben solltet und euch jetzt die Befürchtung überkommt, „Verdammt, ich habe Jens gestern bestimmt achtmal gesehen“, dann spricht dieser Artikel euch hoffentlich aus der Seele.

Wieso so oberflächlich?

Mode ist ein ziemlich heikles Thema, bei dem die Meinungen schnell auseinander gehen können. Auch interessiert sich gar nicht jede*r für Mode, obwohl sie doch jede*r trägt. Ich persönlich sehe in unseren Klamotten eine weitere Möglichkeit seinem Inneren Ausdruck zu verleihen. Ähnlich wie mit der Frisur, Körperschmuck oder Tattoos. Der einzige Unterschied besteht darin, dass Hosen und Pullover schneller zu wechseln sind als ein Haarschnitt, meist billiger als ein Tattoo sind und je nach Jahreszeit euren ganzen Körper schmücken können.

“…anytime you’re putting barriers up in your own life, you’re just limiting yourself. There’s so much joy to be had in playing with clothes.” – Harry Styles 2020

Der Wunsch nach Individualität ist mit der stetig wachsenden und sich ständig innovierenden Modebranche größer als je zuvor. Es gibt heute nicht mehr nur den einen Trend, dem jede*r hinterherlaufen muss. Die generelle Perspektive hat sich stark geändert, sodass es nun sehr viele parallele Styles und Ästhetiken gibt, an denen sich die Allgemeinheit bedienen kann. Mode ist irgendwo ein Drahtseilakt zwischen Aussehen und Komfort. Wenn meine Klamotten so gemütlich sind wie ein Kängurubeutel, ich aber auch damit aussehe wie ein Känguru, fühl ich mich am Ende des Tages tendenziell trotzdem nicht wohl. Auf der anderen Seite sind die Fetzen, die wir uns täglich überwerfen, für genau den Zweck gemacht, unsere Körper zu bedecken, warm zu halten und vor Witterung zu schützen.

Hot Take:

Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ – Karl Lagerfeld 2012

Aus einer Hose, welche für Tragekomfort und sportliche Aktivitäten entwickelt wurde, machen viele Menschen heutzutage einen festen Teil ihrer Alltagsgarderobe. Ein Trend, der Diversität in die Modewelt bringt, mich aber nach wie vor abschreckt. Ich selbst trage fast nie Jogginghosen und wenn doch, stelle ich sicher, dass ich in ihnen nicht das Haus verlasse. Die Jogginghose gibt mir einfach das Gefühl noch etwas träger und langsamer zu sein, als es ich es im Lockdown sowieso schon bin. Ich fühl mich einfach nicht wohl und kann auch nur bedingt nachvollziehen, wie sich andere darin wohlfühlen.

Wie viel ist dein Outfit wert?“

Ich habe keine Ahnung und es ist mir auch absolut egal. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber wie teuer meine Klamotten waren und der Preis spielt natürlich immer eine Rolle. Jedoch ist dieses Zitat in meinen Augen sehr aussagekräftig für eine höchst unangenehme und unsympathische Subkultur, die sich in den letzten Jahren vorwiegend über Social Media ausgebreitet hat. Hierbei steht im Vordergrund, wie teuer das Outfit ist, während das eigentliche Aussehen, der Komfort oder die allgemeine Kohärenz Zuhause bleiben (wie es auch die Jogginghose tun sollte). Es gilt möglichst aufzufallen. Dass das Ergebnis dabei aussieht wie eine missglückte Fusion aus Lil-Wayne und meinem ersten Schultag bleibt zweitrangig.

Angst?

Trends kommen und gehen, heißt es immer. Aber warum gibt es sie überhaupt? Meist kommt ein*e Modedesigner*in mit einer guten, neuen, innovativen Idee um die Ecke, die bei der Masse auf Anklang stößt. Und zirka eine Kollektion später haben so ziemlich alle Modehäuser und Designer eine sehr, sehr ähnliche, innovative, neue, gute Idee. Und weil die Idee so gut, neu und innovativ ist, möchte natürlich niemand der Trottel sein, der nicht auch von der Idee überzeugt ist.

Als Beispiel möchte ich nochmal den anfangs angeschnittenen Trend der Cargo-Hosen anführen. Vor noch nicht mal 10 Jahren galt es schon fast als Fashion-Sünde mit einer solchen Hose rumzulaufen und heute möge man mir eine namhafte Marke nennen, die im Jahr 2020 keine Cargo-Hose in ihrer Kollektion hatte.

Ich möchte damit nicht sagen, dass die Cargo-Hose nicht modisch ist oder sie niemand tragen sollte. Ich möchte vielmehr sagen, dass nicht jede*r eine tragen sollte. Ihr solltet vielmehr kaufen und tragen, was euch glücklich macht. Männer dürfen Röcke und Frauen dürfen Sackos tragen. Der Wert an Kleidung, die man mit dieser Einstellung haben kann, ist unendlich. Nie wieder werdet ihr nicht wissen, was ihr anziehen sollt, sondern ihr freut euch schon am Vorabend darauf, was ihr am nächsten Tag anziehen dürft.

Der Trend der Cargo-Hosen ist jetzt schon auf dem absteigenden Ast und wird sicherlich so schnell nicht wiederkommen. Doch was mach’ ich jetzt mit meinen fünf neuen Hosen, die ich letztes Jahr auf Rat eines guten Freundes gekauft habe? Verschenken? Zu schade. Ich hab sie ja erst drei mal getragen. Verkaufen? Wer kauft im Jahr 2021 noch Cargo-Hosen? Tragen? Ich möchte mich doch nicht zum Obst der Woche machen.

Beitragsbild: Adrian Sieger

Mimimi-Mittwoch: Sterne zum Greifen nahe – Horoskope

Mimimi-Mittwoch: Sterne zum Greifen nahe – Horoskope

Was sagen wohl die Sterne, was flüstert der Fisch dem Steinbock zu und welche Energie durchströmt wohl diese Woche deine innere Aura? Das möchtest du erfahren? Dann hol die Klangschale heraus, zünde die Räucherstäbchen an und lasse dich fallen. Horoskope, der Weg zur Spiritualität für den kleinen Mann. Was für manche nur ein Lückenfüller in der Tageszeitung ist, bietet anderen den täglichen Weg zur Erleuchtung. Kleine süße Sprüche, die aus den Sternen und der Natur lesen, was für die einzelnen Sternzeichen bevorsteht und was diese am besten verfolgen oder lassen sollten – das sind Horoskope.

Ich persönlich betrachte sie als geniale komödiantische Erfindung. Lustig in jeder ihrer Wendungen und von unausschöpfbarer Kreativität. Die Verbindung des Unbefahrbaren mit leeren Sinnsprüchen ist wohl so überzeugend, wie die Erzähltechnik der Bibel (vier Mal dieselbe Geschichte hintereinander ist gewagt, aber wem es gefällt). Wie sonst, als durch Horoskope, kann man Menschen vage Informationen mitteilen, um sie in ihrer Verhaltensweise zu verunsichern? Aber kommen wir erst einmal zu den Basics. Wie ist ein Horoskop überhaupt aufgebaut?

Ein Horoskop ist immer einem Sternzeichen zugehörig und widmet sich damit einem bestimmten Zeitabstand. Das kann ein Tag sein, eine Woche, ein Jahr oder jedes andere erdenkliche Zeitintervall. Völlig egal. Das ist sowieso das Motto jedes Horoskopes. Völlig egal wann, warum und welche Bedeutung. Die Sterne werden schon wissen, wie ich mich fühlen muss.
Es gibt außerdem noch Regeln, die generelle Eigenschaften der Sternzeichen widerspiegeln. So lieben alle Krebse beispielsweise den Mond, alle Zwillinge sind gerne alleine und alle Fische suchen Nemo. Diese Bestimmungen können natürlich immer auch hintergründige Bedeutungsweisen haben. Demnach kann das Motto des Schützen: „Ich will wachsen“, auch als Traumkarriere als Kerzenzieher*in oder Intimhaarentferner*in gewertet werden. Allgemein kann jedes Wort als jeder andere, attraktiver erscheinende Begriff aufgenommen werden. Wie auch immer. 

Zu Beginn wird die astrologische oder astronomische Gegebenheit beschrieben. Dazu gehört meist ein Planet, eines der klassischen Elemente, sowie ein Sternenbild, nahe oder entfernt des Gürtel des Orion. Anschließend werden aus diesen Bildern die aktuelle Gemütslage und eine vorgeschlagene Verhaltensweise gelesen. Das aber leider in kryptischer Weise, sodass die Leser*innen, wie bereits erkannt, einen ganzen Raum voller Interpretationsspielraum vor sich haben. Daher kommt nun auch die große Schwäche der Horoskope immer mehr zum Vorschein: Die Menschen brauchen konkrete Anweisungen von den Sternen und nicht ein vieldeutiges Geschwader. Was genau soll ich tun, oh Saturn, Herr der Ringe, sag es mir?

Menschen ziehen aber trotzdem Erkenntnis aus den lustigen Sprüchlein, sodass sich ein regelrechter Horoskop-Fetischismus, besonders angesichts Liebespartner*innen, ergeben hat. Jedes Sternzeichen ist nämlich nur mit manchen anderen Sternzeichen kompatibel, sodass nach dem guten alten Schlüssel-Schloss-Prinzip manche zusammenpassen und andere nicht. Schade. Daher muss in der modernen Gesellschaft das Geburtssymbol von jedem klar sichtbar am Körper getragen werden. Nicht dass sich unnötigerweise Hoffnung gemacht wird, und dann die große Überraschung ins Haus steht: Oh nein, er ist Waage!! Das geht leider nicht. Sorry. Da kann man nix machen. 

Die Idee von Horoskopen, sollte aber trotzdem nicht klein geredet werden. Denn sie strotzen nur so von humoristischem Potenzial. Daher werden im Folgenden Horoskope präsentiert, die für jedes Sternzeichen genau das bieten, was sie brauchen: aus den Sternen handverlesene Weisheiten, Tipps, Tricks und Lifehacks. Diese sind auch nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt, sondern gehören digital ausgeschnitten und an die Pinnwand gehängt, als wichtiger Begleiter des Lebens und für brenzlige Situationen.

Widder:

Für den Widder ist alles ein steiniger Weg.
So auch die Reise zu deinem Ziel. Der Mars ist dem Widder die Heimat, die schon so lange gesucht wird. Also befreie dich von deinem Dickschädel. Werde Astronaut. Auf dem Weg dahin kannst du aber ruhig mal den Müll mit nach unten nehmen.

Stier:

Der Stier packt seine Probleme und seine Konkurrenz an den Hörnern. Stierkampf ist aber verboten, sodass sich nach Alternativen umgeschaut werden muss. Die Venus empfiehlt dir, deine sinnliche Seite zu entdecken. Mach mal wieder einen Wellnessurlaub. Du hast es dir verdient.

Zwillinge:

Der Merkur spürt in dir, dass du dich nie richtig allein fühlst. Immer schaut dir jemand aus dem Schatten über die Schulter. Du hast es auch erkannt. Es ist deine Arbeit. Kündige. Zieh zurück zu deinen Eltern aufs Land. Stecke deine Eltern in ein Altersheim und besuche sie nie. Jetzt hast du das Haus für dich allein. Allein! Das ist Erfüllung!

Krebs:

Der Krebs steht unter dem Bild der knusprigen, ja fast schon krossen Krabbe. Burgerbraten, du musst Burgerbraten um dir deinen Unterhalt zu verdienen. Dabei verspürst du deine ausgeprägte Geizigkeit. Du verlierst alle deine Freund*innen. Aber hey, dafür hast du Geld. Geld macht doch auch glücklich, oder?

Löwe:

Brüll! Die Sonne erkennt, wie wild du bist. Dein edles Herz leuchtet dir den Weg. Werde Teil eines Theaterensembles für Fabeln. Du spielst immer den Löwen. Du spielst in jedem Stück mit. Jackpot. Du wirst reich!

Jungfrau:

Der Gürtel des Orion steht quer. Doch die Jungfrau analysiert die Situation und bleibt ruhig. Du weißt, was du möchtest: Einen zu speziellen Blumenladen. Nur Pinselblumen.

Waage:

Was hält die Welt in der Waage? Das bist du. Auf deinen Schultern lastet unendlich viel Welt. Wirf alles ab. Weg mit der ganzen Welt. Erfreue dich an den kleinen Dingen. Kauf dir ein Schloss.

Skorpion:

Stich! Stich! Der Mond wird hell angestrahlt von der Sonne und versetzt den Skorpion in Angriffsstimmung. Du verspürst einen starken Drang nach alkoholhaltigen Süßigkeiten. Yammie!

Schütze:

Der Schütze hat Angst, sein Ziel zu verfehlen. Doch er hat Glück: Der Uranus geleitet ihn zurück auf seinen Weg. Nutze deine Zielgenauigkeit. Werde Darts-Profi. Verdiene viel Geld in zu großen Shirts.

Steinbock:

‘Was ist nun der Unterschied zwischen Widder und Steinbock?’, könnte man sich fragen. Der Steinbock hat den Durchblick. Komplizierte Situationen sind für dich eine Leichtigkeit. Schach wäre doch was. Naja, das ist schon ziemlich schwierig. Du wirst professionelle*r Dame-Spieler*in.

Wassermann:

Der Wassermann folgt seinem großen Gebieter Aquaman. Ein Fisch ist dein Begehren der Liebe. Du schreibst dem Fisch ein Liebeslied. Es hat den Titel ‘Den Fisch um das Stäbchen wickeln’. Keine Antwort.

Fische:

Immer schwimmen, schwimmen, schwimmen. Damit ist jetzt Schluss! Finde Land und reise auf eine tropische Insel. Lebe deinen Traum als Robinson Crusoe. Vermisse die Strömung. Du möchtest zurück. Du kannst nicht mehr schwimmen.
Dam Dam Dam Dam!!!

Beitragsbild von Elisa Schwertner
Gif von giphy.com

Mimimi-Mittwoch: Lebensgefahr auf dem Fahrrad

Mimimi-Mittwoch: Lebensgefahr auf dem Fahrrad

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit seinem Fahrrad. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über Fahrräder auslassen oder uns auch generell mal der Sattel drückt, lest ihr das hier.

Beim webmoritz. wurde sich schon oft mit dem guten alten Rad beschäftigt: z.B. beim Mimimi-Mittwoch über Radfahrende oder bei der aktuell erscheinenden Reihe “Gutes Rad ist teuer“.

Fahrrad während der Verkehrshauptzeit zu fahren bedeutet in der Großstadt: Wenn du nicht aufpasst, zwei Helme, vier Knieschützer (pro Knie) und drei Armschützer (pro Arm) trägst und dazu ganz viel Glück hast, kommst du (eventuell) unverletzt zuhause an. Und mit dieser Einstellung bin ich aufgewachsen. Das wurde sogar in den abendlichen Lokal-Nachrichten propagandiert, als von dem neusten Rad-Unfall berichtet wurde. Ergo: Es ist eine große Abneigung (vielleicht sogar eine gewisse Angst) gegenüber dem Fahrradfahren entstanden. Aber hier geht es nicht um das Fahren. Hier geht es um meine Abneigung zur bloßen Existenz des Gerätes.

„Guter Rad ist teuer. – Eddy Merckx, Radsportler

Während meiner Schulzeit konnte ich den Bus nehmen oder zur Not auch (45 Minuten) laufen. Das stellte im Winter kein Hindernis dar, weil all meine Freund*innen den Bus genommen haben, doch dann kam der Sommer: „Nimm doch das Fahrrad! Das geht viel schneller.“ Verhärmt schüttelte ich den Kopf. Es wurde weiterhin versucht, mich zu überzeugen. Doch dann kam der Schock für meine Freund*innen „Wie, du hast kein Fahrrad?!“ Sie taten so, als ob ein Fahrrad in der Großstadt überlebensnotwendig wäre. Zu ihrer Verteidigung gebe ich zu: Wir wohnen schon eher am Rand der Stadt. Viele meiner Freund*innen lebten in eher dörflichen Verhältnissen und für sie ist das Fahrrad manchmal schon notwendig gewesen. Für mich allerdings nicht! Genauso wenig wie ein Auto. Also waren meinen liebsten Kumpan*innen der Bus, die U-Bahn und die S-Bahn, um mich von A nach B zu kutschieren. Die Monatsfahrkarte war mein ständiger Begleiter – bis ich sie (über einen kurzen Zeitraum) verloren habe. Da fühlte ich mich gleich ganz nackig und hilflos. „Warum leihst du dir nicht das Fahrrad von deiner Familie aus? Dann kannst du damit zur Schule fahren, solange du die Fahrkarten extra für den Bus kaufen musst.“ – Meine Antwort: ,,Vergiss es! Niemals! Fahrrad = Tod”, schrie ich auf.

„Keine Gnade für die Wade. – Louis J. Halle, Naturforscher

Manche von euch mögen jetzt denken: „Vielleicht kann sie kein Fahrrad fahren oder hatte einen schlimmen Unfall.“ Natürlich kann ich Fahrrad fahren. Ich habe es behütet auf einem roten kleinen Fahrrad im Garten meiner Großeltern gelernt. Und als ich dann auch tatsächlich mal fuhr, schrie ich: „Ich fliege!“ Und das tat ich. Voll auf die Fresse. Also nicht am gleichen Tag. Irgendwann später. Drei Jahre später oder so, als ich mit meinem Opa unterwegs gewesen bin. Er konnte mich gerade so vor dem Fliegen in den Himmel bewahren. Ja, ich gebe es zu. Ich übertreibe gerade. So schlimm war es gar nicht. Aber es fühlte sich so an. Ich fasse zusammen, die erste Zeit in meinem Leben bin ich ganz behütet bei meinen Großeltern mit dem Rad gefahren oder in irgendeinen Park, in der Nähe meines Wohnortes. Damals war alles gut. Keine bösen Autos, keine bösen Straßen. Ergo kein Tod. Und dann kam die Fahrschule. Also die Rad-Fahr-Schule in einem Verkehrsgarten. Ich habe den Radführerschein mit 0 Fehlern bestanden. Meine großartige Leistung wurde mit einem Lolli und einem Lineal mit Verkehrszeichen belohnt. Ein Träumchen. Das Problem an einem Verkehrsgarten: Es ist keine richtige Straße. Dort kann mich keine*r umfahren, es sei denn Luise (die auch voll doof war) fährt mich mit ihrem roten Kinderroller an. Es gibt keine hupenden Autos oder einen LKW, zu dem ich im toten Winkel stehe.

„Wenn deine Beine dich anflehen, aufzuhören und deine Lunge zu explodieren droht, dann geht es erst richtig los. Das ist der Ozean der Schmerzen. Gewinner gehen richtig in ihm auf.“ – Chris McCormack

Wie man schlussfolgern kann, wurde ich nicht gut auf das Fahrradfahren in der freien Großstadt-Wildnis vorbereitet. Und dann zog ich nach Norditalien, wo sowohl das Fahrrad als auch das Auto typisch „italienisch“ gefahren wurden. Trotz (oder gerade wegen) eines gestellten Schrott-Fahrrads von der Arbeitsstelle bin ich schön zur Arbeit gelaufen oder habe den Bus genommen. Dennoch ließ ich mich zu einer Rad-“Tour“ mit einer Freundin hinreißen. Die „Tour“ ging bis zu ihrer Wohnung. Dann ist meine Fahrrad-Kette rausgesprungen. Unsere Tour haben wir dann mit der Bahn fortgesetzt.

Das Blatt schien sich zu wenden, als mich Verwandte in Italien besuchen gekommen sind – mit ihren Mountainbike-Rädern für eine Radtour. In voller Montur (inklusive einer wunderschönen, gepolsterten Fahrradhose) konnte ich das Fahrradfahren genießen. Ich mochte es sogar. Das Geniale: Der perfekte Radweg. Es ging Kilometer weit nur geradeaus, inmitten von Obstbaum-Plantagen. Hatte ich etwa unverhofft meine Liebe zum Rad entdeckt?

„Fahre, fahre, fahre.“ – Fausto Coppi, auf die Frage, wie man sich verbessern kann

Ich zog wieder um, in die Hansestadt Greifswald. Alles ist zu Fuß oder mit dem Rad zu erreichen. Sehr motiviert von meiner letzten positiven Rad-Erfahrung, war eine meiner ersten Handlungen vor Ort, ein Fahrrad von bekannten Kleinanzeigen zu kaufen. Es ist ein schönes Fahrrad. Der große Drahtesel schimmert in einem Anthrazitblau und Aschgrau. Vorne ist ein ausladender Korb drapiert, der viel Stauraum bietet. Aber ich hatte Angst damit zu fahren, weil ich mich in Greifswald noch nicht so gut auskannte. Doch ich traute mich, kleine Strecken zu fahren. Doch dann, es war zu schön, um wahr zu sein: Meine Lampe funktionierte nicht mehr und das Rad fuhr sich immer schwerer. Viel, viel, viel schwerer. Ich dachte mir wirklich, dass wir vielleicht eine Bindung aufgebaut hätten, aber da habe ich mich wohl getäuscht. Und jetzt? Jetzt nimmt das Rad zu viel Platz auf meiner Mini-Terrasse ein. Es wurde zugeschneit, jetzt ist der Schnee wieder geschmolzen. Und es steht einfach so da. Und rostet so vor sich hin.

Bis mich die Frühlingsgefühle packten und ich mir dachte, dass ich mal eine Fahrradwerkstatt besuche, um zu schauen, was mit meinem Fahrrad denn los war. Wie bereits vermutet, war das Ventil kaputt. Doktor Fahrrad konnte das Problem schnell lösen und verlangte dafür keine hohe Entlohnung. Voller Vorfreude, dass mein Fahrrad wieder „normal“ fährt, stieg ich auf, trat in die Pedale, wurde dann jedoch umso herber enttäuscht. Es fuhr genau so scheiße wie vorher. Ich entschuldige mich für die Wortwahl, aber mittlerweile würde ich das Teil am liebsten einfach irgendwo stehen lassen und nie wieder sehen. ES REICHT! Und jetzt stellt es, zwar sichtbar, aber wieder nur ein zu großes Dekoelement auf meiner Terrasse dar. Das ist genau die Zweckentfremdung, die dieses Gerät eindeutig verdient hat.

Beitragsbilder: Florian Schmetz und Patrick Pahlke auf unsplash

Mimimi-Mittwoch: Sprachnachrichten

Mimimi-Mittwoch: Sprachnachrichten

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit seinen Mitmenschen. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über Leute auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier. 

20:25 Uhr: “Joooo Moin Diggi! Wie geht’s dir so? Voll lange nichts mehr voneinander gehört und so! Hahaha…. Naja, ich weiß ja nicht, was bei dir gerade so geht und so, aber ich dachte ich melde mich mal wieder. Also ich bin jetzt jedenfalls in Berlin und mache hier meinen Master in Brauwesen und Getränketechnologie. Voll krass Alter, neulich hab ich hier zufällig deine Ex getroffen, also Larissa oder wie die noch hieß, die studiert jetzt auch hier, voll strange, oder, haha? Achja, ich soll dir noch was von ihr ausrichten… war glaube ich irgendwas Wichtiges, glaube ich… Was war denn das noch gleich? …Boah ey, mein Gehirn ist in letzter Zeit so dermaßen Matsche, scheiß Corona-Lockdown-Blues…hahaha…geht dir das auch so? Mega kacke. Alteeeeeeer, was war denn das noch gleich, was ich dir sagen sollte? … Ja, bitte komplett… Ja, bitte auch scharfe Soße… Sorry Bro, bin gerade beim Dönermann… Ah, jetzt weiß ich es wieder, was ich ausrichten sollte!… Halt! Doch nicht! Nee, doch nicht komplett, keine Zwiebeln und ohne Knoblauch-Soße, hab morgen einen Zahnarzttermin… Hahaha… Boah Alter, ich hab schon seit Wochen sooo krass Zahnschmerzen! Ich glaube, ich muss mir jetzt doch endlich mal die Weisheitszähne ziehen lassen. Aber ich hab so Schiss davor, Mann! … Naja, mal gucken, was der Zahnarzt morgen sagt… Der hat übrigens voll die süße Zahnarzthelferin, das ist auch ein ganz nicer Nebeneffekt zum Stempel im Bonusheft, also bei der würde ich auch gerne mal das Bonusheft stempeln, wenn du weißt, was ich meine, hahahahaha… aber trotzdem mega nervig, dass man da so oft hingehen muss… *im Hintergrund: Döner ist fertig, das macht dann 5 €* … Also Brudi, mein Döner ist fertig, muss dann mal los, aber lass mal wieder von dir hören, Diggah!”

Kommunikation ist ein komplexes Thema, gerade in Zeiten harter, mittelharter und der Lockdowns mit weichem Eigelb oder wie auch immer man den aktuellen deutschen Kurs bezeichnen möchte. Zwischenmenschliche Nähe herzustellen ist schwierig, wenn räumliche Nähe keine Option ist. Glücklicherweise bieten unsere Smartphones heute eine riesige Bandbreite an Möglichkeiten, um dennoch miteinander in Kontakt zu bleiben: Textnachrichten, Emojis, GIFs, klassische Anrufe, Videotelefonate,… und eben auch Sprachnachrichten. Doch so schön es auch sein mag, die Stimme einer anderen Person zu hören, so sehr stehen Sprachnachrichten symptomatisch für viele Dinge, die in unserer Welt aktuell nicht gut laufen. Daher hier das Manifest der kommunikativistischen Partei in 5 Punkten. Egal wie schlecht das Manifest ist, Karl Marx!

Punkt 1: Chaos, Chaos und nochmal Chaos

Für die Übermittlung komplexer Informationen sind Sprachnachrichten vollkommen ungeeignet. Unsere Gedankengänge sind im Normalfall nicht geradlinig genug, um weiterführende Zusammenhänge spontan und strukturiert auszudrücken. Das gilt besonders für einseitige Gespräche ohne direkte zwischenmenschliche Interaktion und vor allem ohne Möglichkeit für direkte Rückfragen. So kommt es, obwohl Sprachnachrichten grundsätzlich die Vermittlung von Emotionen besser ermöglichen könnten als Textnachrichten, oft dazu, dass leicht vermeidbare Missverständnisse entstehen. Wenn dann auch noch mehrere Gesprächsthemen innerhalb einer Sprachnachricht kommuniziert werden sollen, ist das Chaos absolut vorprogrammiert. Nachrichten ab 30 Sekunden Länge sind bereits vollkommen unbrauchbar und Nachrichten ab 5 Minuten Länge sollten meiner Meinung nach direkt an die Staatsanwaltschaft gehen – Anzeige ist raus. Und was viele vermutlich gar nicht wussten: Die deutsche Corona-Impfstrategie wurde komplett mittels Sprachnachrichten erarbeitet. Wirklich wahr!

Sorry, es dir sagen zu müssen, aber etwa genau so viel Sinn ergeben auch deine Sprachnachrichten.

Punkt 2: Das richtige Setting

Wie so oft im Leben sind auch für den Sinn und Unsinn von Sprachnachrichten die äußeren Umstände extrem entscheidend. Du hast dir beide Arme gebrochen, kannst deshalb nicht schreiben und sitzt in einem ruhigen Zimmer? Alles klar, schick mir eine Sprachnachricht (oder ruf mich an)! Du sitzt in einem ruhigen Zimmer und kannst tippen? Dann schick mir keine Sprachnachricht! Du stehst in einem vollen Bus und schickst mir eine Sprachnachricht? Freundschaft beendet.
Und die gleichen Probleme, die beim Aufnehmen von Sprachnachrichten auftreten können, gelten natürlich auch für das Anhören. Ich weiß nicht, was du mir gleich erzählen wirst, also werde ich mir deine Nachricht garantiert nicht in der Öffentlichkeit anhören. Wahrscheinlich könnte ich dich mit all den Geräuschen um mich herum eh nicht verstehen und müsste den Mist dreimal abspielen.

Punkt 3: Schnelllebigkeit

Ja, das Leben ist manchmal wirklich stressig und ja, es mag sich so anfühlen, als ob du aktuell keine Zeit für irgendetwas hättest. Und ebenfalls ja, eine Sprachnachricht zu verschicken mag dir ein paar Sekunden deiner kostbaren Lebenszeit sparen. Aber ist es tatsächlich so viel verlangt, dass du dir die Zeit für unsere Freundschaft nimmst und mir eine Nachricht schreibst, die wirklich das ausdrückt, was du mir sagen möchtest? Zum Beispiel, dass du noch deine Jacke aus dem Keller holen möchtest??
Goethe sagte (dem Volksmund nach) einmal: “Ich schreibe dir einen langen Brief, weil ich keine Zeit habe, einen kurzen zu schreiben.” Möchtest du hingegen wirklich mit den (vermutlich in einer Sprachnachricht festgehaltenen) Worten “Ich schicke dir eine Sprachnachricht, weil ich keine Zeit habe, dir kurz zu schreiben.” in Erinnerung bleiben? Wann hast du dir das letzte Mal bewusst Zeit genommen, um Freundschaften zu pflegen, die dir am Herzen liegen?

Punkt 4: Rückschritt statt Fortschritt

Wir leben im 21. Jahrhundert und entsprechend sollte sich auch unsere Kommunikation weiterentwickelt haben. Aber, so beeindruckend die Speicherung und der Transport unserer Stimme über tausende Kilometer hinweg auch sein mag, so rückständig sind die sprachliche Form sowie die Inhalte von Sprachnachrichten oft. Um es etwas überspitzt auszudrücken: Dank Sprachnachrichten und Autokorrektur entwickeln wir uns sprachlich langsam aber stetig auf ein Niveau aus der Zeit vor der Erfindung des Buchdrucks zurück. Einer Zeit, in der der überwiegende Teil der Menschen nicht schreiben und viele nicht einmal lesen konnten. Schaut euch einmal unter euren Komilliton*innen um. Wie viele von ihnen könnten einen längeren Text fehlerfrei nur mit Stift und Papier, vollkommen ohne weitere Hilfsmittel, verfassen? Und wie vielen von ihnen ist aufgefallen, dass sie gar nicht eure Komilliton*innen sind, sondern eure Kommiliton*innen? Oder war es doch andersherum?

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Nur weil etwas grundsätzlich geht, sollte es nicht auch tatsächlich gemacht werden.

Punkt 5: Egozentrik und Schlusswort

Eigentlich ist Punkt 5 kein wirklich eigenständiger Aspekt, sondern mehr eine Zusammenschau der Punkte 1-4. Durch all die vorher genannten Unannehmlichkeiten, die den Empfänger*innen von Sprachnachrichten entstehen, ist die Kommunikationslast extrem einseitig. Das ist aber ziemlich dämlich, da die Person, die die Sprachnachricht versendet, in den meisten Fällen ein Interesse daran hat, dass die empfangende Person möglichst leicht an die zu vermittelnden Informationen gelangt. Sei es, weil noch Fragen zum Klausurstoff bestehen, eine Reise geplant wird, eine kleine Zutat zum Verfeinern des Abendbrotes mitgebracht werden soll oder auch einfach nur eine sinnvolle Antwort erwartet wird. Kommunikation auf Augenhöhe geht anders. Deshalb bin ich raus aus diesem Zirkus. Wenn die Information es nicht wert war, in geschriebene Worte verpackt zu werden, war sie wohl nicht so wichtig. Insofern höre ich mir Sprachnachrichten im Normalfall einfach gar nicht mehr an, sondern antworte einfach irgendetwas. Wer wirklich etwas von mir möchte, kann mir sehr gerne schreiben oder mich anrufen.

20:54 Uhr: “Achjaaa übrigens Diggi, keine Ahnung mehr, was ich dir noch von Larissa ausrichten sollte. Aber meld dich auf jeden Fall mal wieder bei ihr, sie wollte wie gesagt irgendwas Wichtiges mit dir besprechen und kann dich irgendwie nicht mehr erreichen… Die ist jetzt übrigens gerade Mama geworden, mega krass, Alter, das ging ja mega schnell! Habt ihr euch nicht erst vor einem halben Jahr oder so getrennt? Naja, bis bald Brudi, hab einen schönen Abend!”

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Beschwerden über diesen Artikel richtet ihr bitte per Sprachnachricht an die Redaktion. Vielen Dank.

Beitragsbild von Free-Photos auf Pixabay,
Banner von Julia Schlichtkrull,
GIFs von giphy.com 

Mimimi-Mittwoch: Sprichwörter

Mimimi-Mittwoch: Sprichwörter

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit seinen Mitmenschen. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über Leute auslassen oder uns auch generell mal der Schuh drückt, lest ihr das hier. 

Sprichwörter: Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Oder nicht? Ich zumindest kann Sprichwörter nicht mehr so richtig hören und weiß auch in den meisten Fällen nicht wirklich, was damit gemeint ist. Wer hobelt hier, damit Späne fallen oder wer ist dieses Hänschen und was hat er mit Hans zu tun, der nicht mehr lernt? Und wenn alle Wege nach Rom führen, was ist dann, wenn ich gar nicht nach Rom möchte? So richtig kann mir das kein Sprichwort von Anfang an erklären. Warum sollte man diese dann noch verwenden, wenn sie so veraltet sind? Zumindest müssen die Verwendungen und die Bedeutungen von so vielen so tollen Sprichwörtern noch einmal überdacht werden, damit die Jugend nicht immer sagen muss, dass etwas cringe ist, sondern mit Stolz verkünden kann, dass jemand ordentlich ins Fettnäpfchen getreten ist.  

Aber wer schießt hier wirklich den Vogel ab? Genau, die Sprichwörter selbst. Diese sind eigentlich darauf ausgelegt kurz und prägnant zu sein und eine lehrreiche Botschaft zu enthalten. Aber was ist: lieber der Spatz auf dem Dach als die Taube auf dem Dach… oder doch: lieber die Taube in der Hand als den Spatz in der anderen Hand… So richtig weiß es keiner und was noch viel ausschlaggebender ist: Dass niemand weiß, was überhaupt damit gemeint ist. Das kommt von den völlig veralteten Bedeutungen aus längst vergangenen und in Bedeutungslosigkeit liegenden Zeiten. Die tolle Geschichte mit dem Spatzen und der Taube stammt nämlich aus einer Zeit, in der noch beide feste Bestandteile der menschlichen Speisekarte waren. Das bedeutet, dass das Sprichwort den gleichen barbarischen Ursprung hat, wie das Essen von kleinen niedlichen Spatzen.

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Viele Sprichwörter sind einfach nicht mehr zeitgemäß, auch wenn manche noch der Verwendung würdig sind. Hier hilft nur eine Modernisierung alter Sinnessprüche, damit auch junge Leute abgeholt werden. Denn eigentlich sollen Sprichwörter ja lehrreich sein. Aber wie können sie das erreichen, wenn sie keiner mehr versteht?

Was sind also Elemente und Formulierungen, die Sprichwörter erfolgreich machen? Zum einen müssen sie syntaktisch einprägsam sein. Daher empfehlen sich immer kleine Reime oder Vergleiche. Zum anderen müssen sie aus Begriffen bestehen, denen eine symbolische Bedeutung zugewiesen werden kann. Besonders Tiere eignen sich dazu mit ihren Eigenschaften, die auch in Fabeln verwendet werden. Es stellt sich nur die Frage: Welches sind moderne Tiere, die noch in Jugendzimmern auf großen Plakaten an den Wänden hängen? Das kann ganz einfach an der Wahl der Tiere des Jahres 2021 nachvollzogen werden. So sind der Fischotter, als Wildtier des Jahres, und die Zauneidechse, als Reptil des Jahres, die heutige Zeit in tierischer Person. “Du krasse Zauneidechse” ist doch nicht ohne Grund schon längere Zeit das Kompliment auf den Schulhöfen des Landes. Es sind neben diesen extrem modernen Tieren auch Trends auszumachen, die für die heutige Zeit sprechen. Digitalisierung und alles rund um die Welt der sozialen Medien. Auch Fashion, Lifestyle und Food sowie Musik sind geeignete Themen. Immer neue Erfindungen von Kaffeegetränken, Foodtrends und Hip-Hop sind das, was interessant ist. Mit diesen hippen Themen sind alte Sprichwörter umzuformulieren oder von Grund auf zu erneuern.

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Daher sind hier nun Sprichwörter, deren Bedeutung sehr lobenswert ist, aber die sprachlich jeden Bezug zur Realität verloren haben – sowie ihre neuen Versionen, die ab sofort zu verwenden sind.

Altes SprichwortBedeutungNeue Sprichwörter
Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach.Man sollte zufrieden sein mit dem, was man hat.Lieber eine normale Eidechse in der Sonne als eine Zauneidechse im Schatten.
Lieber Latte Macchiato im Mehrwegbecher als Nicecream in einem Studierendeneiscafé in Kreuzberg.
Das geht auf keine Kuhhaut.Etwas ist unerträglich.Das geht in keinen Chai Latte.
Das macht sogar den Fischotter traurig.
Die Katze lässt das Mausen nicht.Schlechte Gewohnheiten sind tief verankert.Apache 207 lässt das Rollerfahren nicht.
Studierende lassen das Bowlmachen nicht.
Jeder ist seines Glückes Schmied.Jede*r ist verantwortlich für sein*ihr eigenes Glück.Jede*r ist der TikTok-Dance seines*ihres eigenen Glückes.
Selfies macht dir kein*e andere*r.

Vergleichbar sollten auch andere veraltete Sprichwörter auf den neusten Stand gebracht werden. Gerne könnt ihr auch eure eigenen modernisierten Sinnessprüche verfassen. Dies ist zu verfolgen, damit das Imageproblem von Sprichwörtern beseitigt werden kann – denn eigentlich sind sie nicht so schlecht. Doch in der aktuellen Ausführung ist es mehr peinlich als lehrreich sie zu verwenden. Denn Sprichwörter machen sogar den Fischotter traurig. Und daher hoffe ich, dass so wie Apache 207 das Rollerfahren lassen soll, auch die Verwendung von altertümlichen Sprichwörtern abgeschafft wird.

Beitragsbild: CostyPhotos auf Pixabay.com

Mimimi-Mittwoch: Die Erdbeereis-Verschwörung

Mimimi-Mittwoch: Die Erdbeereis-Verschwörung

Wut, Hass, Zorn: All diese Gefühle verbindet man so manches Mal mit seinen Mitmenschen. Genau für solche Momente ist diese Kolumne da. Wann immer wir uns mal gepflegt über Leute auslassen, lest ihr das hier.

Urlaub ist gerade leider mal wieder nicht möglich, dumm gelaufen. Aber wer dieser Tage zwei Haushalte für einen romantischen Spaziergang entlang der endlosen Supermarkt-Tiefkühl-Korridore vereint, kann trotzdem so einiges erleben: Wie auf einem arktischen Tauchgang, bei dem man übrigens seine Maske auch so tragen sollte, dass sie die Nase bedeckt, weil sie sonst nämlich verdammt nochmal nutzlos ist, ziehen die Doraden und Lachse, Garnelen und Fischstäbchen, die Tiefkühlpizzen und sogar die Spinatschwärme an uns vorbei (Wie macht der Spinat unter Wasser? Blubb.) Wer zitternd glücklich gestopfte Gänsehaut und die versammelte, schockgefrostete vorpommersche Fauna passiert, sich auch von den Elefantentorten (törööö) der Groß(wild)konditoreien losreißen kann und so schließlich bis hin zur Speiseeistheke gelangt, wird sich direkt mit der nächsten Reizüberflutung konfrontiert sehen.

Beim Anblick der 100 verschiedenen Sorten des gekühlten Glücksspenders wirkt es, als müsse das Lieblingseis der Deutschen folgende Zutaten unbedingt enthalten: Sahne, Zucker, Milchpulver, Schokolade, Cookie Dough, Erdnussbutter, Metformin, Fudge, Walnüsse, Glibenclamid, gesalzenes Karamell, Strawberry Cheesecake, Dapagliflozin, Mandelsplitter, Kaugummi, die Liste könnte beliebig fortgeführt werden. Wir haben uns also fernab der leeren Klopapier-Regale in eine scheinbar heile Welt des Überflusses verirrt. Das Narnia des Supermarkts hinter der Tür eines Eisschrankes quasi. Doch es ist nicht alles so idyllisch, wie es wirkt. Als wir klein waren, durften mein Bruder und ich unserer Großmutter zum Abendbrot mal einen Teller mit den Vorräten aus der Küche zusammenstellen. Weil wir ziemliche Lausbuben waren (also eigentlich ich, mein Bruder war tatsächlich immer sehr lieb), war das Endresultat ähnlich bunt gemischt wie die eben genannte Eistheke. Und schon damals haben wir am wenig genussvollen Gesichtsausdruck unserer Omi eine wichtige Lektion, zwar nicht an der eigenen, aber doch immerhin an engverwandter Haut, gelernt: Weniger ist (gerade in der Küche) oft mehr. Und das gilt selbstverständlich auch beim Eis. Was dem ungeübten, diabetisch-retinopathischen Auge auf der Suche nach Zucker nämlich entgangen sein mag, erspäht der genussgeschulte Blick sofort: Etwas ganz Simples fehlt in diesem Kühlregal! Müssen wir die Liste der heißen Corona-Ware jetzt etwa wieder aufwärmen, nur um sie um ein Tiefkühlprodukt des Grundbedarfs zu ergänzen? Nudeln, Klopapier und jetzt auch noch Erdbeereis?! “Wer bunkert denn bitte Erdbeereis?”, frage ich erst mich und dann die nette Dame, die gerade das Regal einräumt. Die Antwort überrascht mich, denn der Laden ist nicht etwa Opfer einer Hamsterherde geworden, sondern führt aktuell gar kein Erdbeereis. In den anderen Supermärkten, in denen ich mein Glück versuche, erhalte ich das gleiche unbefriedigende Resultat.

Wie solche Entscheidungen im Management zustandekommen, werde ich wohl nie verstehen. Wieso abgefahrene Spezial-Eissorten verticken, gleichzeitig aber die Basics vernachlässigen? Das ergibt für mich in etwa so viel Sinn, als würde ein Universitätsklinikum als Maximalversorger zwar Brustvergrößerungen anbieten, dafür aber die Kinderchirurgie schließen. “Meiner Hühnerbrust geht es bestens, danke der Nachfrage, aber könnte meinem Kind jetzt bitte endlich mal jemand den Blinddarm (die Appendix vermiformis, um anatomisch korrekt zu bleiben) rausnehmen, bevor es stirbt? Danke!”
Also so rein hypothetisch.

Eine Welt ohne Erdbeereis ist grau.

Ich sitze nun während des Lockdowns alleine und ohne Erdbeereis zu Hause, meine Kühltruhen-Begleitung hat angeblich andere Pläne. Ich kann es ihr nicht verübeln, denn wer will schon Zeit mit jemandem verbringen, dessen Gedanken sich ausschließlich um das eigene Verlangen nach Erdbeereis drehen?

Was macht man nun also in so einer aussichtslosen Situation? Das Internet muss Abhilfe schaffen, ich brauche ein Rezept, muss das Eis jetzt selber machen! Doch als ich versuche, den Namen des Objektes meiner Begierde in die Suchmaschine einzugeben, korrigiert mein Handy die Suchanfrage automatisch zu “Erdkreis” (Kreis? Ich dachte die Erde sei eine Kugel?). Das kann doch nicht wahr sein! Ich beginne misstrauisch zu werden. Erst die Supermärkte, jetzt mein Handy, dem ich eh nie so wirklich vertraut habe mit seiner Gesichtserkennung und seinem Fingerabdruckscanner. Wer möchte verhindern, dass ich Erdbeereis zu mir nehme? War es vielleicht genau das, wovor uns John Lennon in “Strawberry Fields Forever” warnen wollte, bevor er (angeblich von einem psychisch verwirrten Täter, aber wer weiß das schon so genau?) ermordet wurde? “Nothing is real”, exakt so fühle ich mich gerade auf meiner Suche nach der eiskalten Köstlichkeit. Gibt es Erdbeereis überhaupt oder bin ich inzwischen schon so lange abgeschottet, dass ich es mir nur eingebildet habe? Ich weiß nicht mehr, wem ich vertrauen kann.

Und dann endlich doch noch ein Silberstreifen am Horizont, als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte: In einem Forum bin ich auf ein Rezept für Erdbeereis gestoßen! Und nicht nur das, über einen Link im Rezept habe ich eine Bio-Snackbar gefunden, die fast zu perfekt klingt, um wahr zu sein. Vegan und dann wird dort alles auch noch ökologisch hergestellt! Nach einer kurzen Recherche entdecke ich, dass der sympathische Besitzer (hieß so nicht auch mal ein bekannter Hunnenkönig?) außerdem eine Telegram-Gruppe betreibt, in der er mittlerweile über 114.000 Menschen, die heiß auf Eis und mehr sind, regelmäßig über die neuesten Rezepte und alles was außerhalb der Eistruhe passiert, auf dem Laufenden hält. Absoluter Wahnsinn, also nichts wie rein da! Und wie viel der zu erzählen hat, im Minutentakt kommen neue Infos, endlich schreibt mir mal jemand! Außerdem sind alle Leute, die Erdbeereis so schätzen wie ich, eine mehr als erwünschte Abwechslung von den Menschen vor meiner Haustür, deren Geschmacksknospen dank der Propaganda der Mainstream-Nahrungsindustrie immer noch wie die Schafe schlafen. Die fressen vermutlich immer noch die Süßigkeiten, die ihnen irgendein saccharistischer Candy-Ketzer letzte Woche schmackhaft gemacht hat. Bounty und Pinballs, das ist doch pures Gift und sowas bekommt da 6 von 10 Kokosnüssen bzw. Kürbissen? Nicht mit mir! Nieder mit der Lügenpresse in Magenta! Das ist die Farbe des Kühltheken-Kommunismus, den sie uns allen aufdrücken wollen. Die Farbe des Bösen, die Farbe des … die Farbe des Erdbeereises … Moment, aber das kann doch nicht sein. Erdbeereis ist gut, da bin ich mir ganz sicher! Das ist genau genommen das einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann. Erdbeereis, ergo sum. Ich bin verwirrt und brauche Rat von ganz oben.

Gut oder böse?

Deshalb bin ich am Samstag nach Leipzig gefahren. So eine schöne Stadt, hier ist die Zeit irgendwie stehen geblieben. Hier kann man sogar noch in Ruhe spazieren gehen, während man im Plenum über Eis diskutiert. Und so nette Polizist*innen, die haben ganz nett gewunken und gelächelt, als wir an ihnen vorbeigekommen sind. Immer wieder schön, Leute zu treffen, die die gleichen Werte vertreten wie man selbst.

Was mich aber negativ überrascht hat, war, dass die Menschen da irgendwie gar nicht so viel über Erdbeereis reden wollten, wie ich gehofft hatte. Okay, es ist inzwischen relativ kalt geworden und viele Leute haben momentan nicht so viel Appetit auf Eis. Aber was die da erzählt haben, kam mir zum Teil doch ein bisschen komisch vor – Geschichten von der Corona-Lüge, von kinderfressenden Satanist*innen, von Reptiloiden, von Mikrochips und Bill Gates, der alle Sachsen kontrollieren will, um den Preis von Bautzner-Senf zu drücken, den er sich sonst nicht mehr leisten könne (aktuell 37 Cent für 200 Milliliter). Lauter Erzählungen also, die nun wirklich nur Menschen glauben können, die auf Oreo-Eiscreme stehen und Theorien, die außerdem, selbst wenn sie wahr wären (was sie nicht sind), neben meiner Erdbeereis-Verschwörung vollkommen verblassen würden. Trotzdem hatten viele der Menschen dort erschreckenderweise nicht viel zu Erdbeereis zu sagen. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die sich untereinander eigentlich auch gar nicht so gut leiden können. Warum die sich dann trotzdem alle da treffen, wissen sie wohl selbst nicht. Vermutlich passiert sowas halt, wenn man eine Party viel zu groß aufzieht. Ein paar Leute, die man eh nur aus Höflichkeit eingeladen hatte, bringen dann komische Freund*innen mit und plötzlich sind ganz viele Menschen vor Ort, die den Gastgeber überhaupt nicht kennen und nichts Positives zu Erdbeereis zu sagen haben. Also heißt es für mich nun “‘Hello Goodbye’ Telegram-Gruppen!”, hat keinen Spaß gemacht mit euch, wir sind wohl einfach zu unterschiedlich. Und herausgefunden, was mit meinem Erdbeereis passiert ist, habe ich auch immer noch nicht …

Tja, damit schließt sich der Kreis. Ich bin zwischendurch vielleicht doch ein bisschen vom Thema abgekommen, deshalb zum Abschluss nochmal der klare Appell an alle Supermärkte in Greifswald, Deutschland und auf der ganzen Welt:

Verkauft Erdbeereis, denn es könnte Leben retten! Und es ist verdammt nochmal Erdbeereis, das ist einfach nur geil, wie kann man das nicht im Sortiment haben??

Um den Inhalt dieses Beitrags noch einmal klar einzuordnen, möchte ich, jetzt nachdem Trump abgewählt ist, Barack Obamas Rede beim White House Correspondence Dinner 2011 (vermutlich der Anlass für Trumps Präsidentschaftspläne) zitieren, in der er, nachdem er die Eröffnungsszene aus “König der Löwen” als sein “Geburtsvideo” präsentiert hatte, die Debatte um seine Geburtsurkunde humorvoll abschließt:
“I want to make clear to the Fox News table: That was a joke.”
Ich bin und war – trotz ihres unbestreitbaren Unterhaltungsfaktors – kein Mitglied in den einschlägigen Telegram-Gruppen und war am vergangenen Wochenende selbstverständlich auch nicht in Leipzig. Ich bin einfach nur ein besorgter Erdbeereis-Esser.

Titelbild: silviarita auf pixabay.com
Beitragsbilder: Philipp Schweikhard