Per Anhalter in die Niederlande – Ein Reisebericht

Die vorlesungsfreie Zeit ist zu Ende, die Reisezeit auch erst einmal. Den krönenden Abschluss dieser hatte ich Ende September, als ich von Berlin nach Holland trampte. Vier Autos benötigte ich für die etwa 700 Kilometer lange Strecke und bezahlte dafür keinen einzigen Cent.

Es war einer dieser regenreichen Septembertage, an denen ich mich entschloss, zu verreisen. Mein Ziel: Leiden in Süd-Holland, wo ich mein Erasmus-Semester verbracht habe. Von meinem Vorhaben erzählte ich einem niederländischen Freund Tommy, der mir vorschlug, dass ich doch trampen könnte. Bereits im April sind wir gemeinsam von Holland nach Paris getrampt. Alleine per Anhalter zu reisen, traue ich mir allerdings nicht zu. Und so schlug Tommy vor, dass er nach Berlin kommen würde und wir zusammen zurücktrampen könnten. Begeistert willigte ich ein und so machten wir uns an einem sonnigen Freitagvormittag auf dem Weg. Etwa 700 Kilometer lagen vor uns – oder gute sechs Stunden und 30 Minuten, wie einschlägigen Routenrechnern zu entnehmen ist.

Keine Fremden, Versicherungsgründe, Geschäftswagen

Noch müde ist Tommy im Regionalexpress nach Michendorf.

Wo wir starten sollten, wusste Tommy aus dem Hitchwiki – eine Art Ratgeber fürs Trampen in Wikipedia-Format. So fuhren wir zunächst mit dem Regionalexpress nach Michendorf bei Potsdam und liefen vom Bahnhof zu einer Autobahntankstelle. Wie das Trampen genau funktioniert, weiß ich von Tommy, der bereits circa 45.000 Kilometer getrampt ist. Letztes Jahr schaffte er es sogar von Holland nach Istanbul. Nur den Daumen rausstrecken mit einem Pappschild, auf dem der Ortsname vermerkt ist, erweist sich nicht immer als erfolgreich. Am besten spricht man die Autofahrer direkt an Tankstellen oder Raststätten an. Die Sonne schien in Michendorf und so waren wir sehr motiviert. „Hallo, wir sind Tramper und wir würden gerne von ihnen erfahren, wo Sie heute noch hinfahren und ob Sie uns gegebenenfalls ein Stück mitnehmen könnten?“, fragten wir, natürlich freundlich. Viele Ausreden hörten wir. „Das ist ein Firmenwagen“, „Das geht nicht aus Versicherungsgründen“, manche gaben uns aber deutlich zu verstehen, dass sie Fremde einfach nicht mitnehmen wollen. Kein Problem, weiter fragen. Manche wollten uns mitnehmen, fuhren aber in eine komplette andere Richtung.

250 Kilometer im BMW

Augerüstet mit einem Europa-Atlas auf einer Raststätte bei Hannover.

Tommy ließ sich nicht entmutigen und steuerte zielstrebig einen jungen Mann an, der einen Anzug trug, sich leicht an einen neuen BMW lehnte und an seinem Coffee to go nippte. „Der nimmt uns nie mit“, dachte ich – und wurde eines Besseren belehrt. Zunächst zögerte der Anfang 30-jährige Geschäftsführer: „Ich bin mir nicht sicher, ob ihr nicht Gras bei habt. Ich meine, ich habe ja so etwas früher auch gemacht, aber…“ Wir konnten ihn dann aber doch überzeugen und so nahm er uns nach Hannover mit. Wir redeten während der zweistündigen Autofahrt viel über Politik, über den Bologna-Prozess und das Reisen. Bei einer Raststätte kurz vor der Messestadt ließ er uns raus und wünschte uns eine gute Weiterreise.

“Geen probleem”

Die Sonne ging bereits unter und noch etwa 150 Kilometer lagen vor uns.

Während wir in Michendorf ungefähr eine halbe Stunde gebraucht haben, um mitgenommen zu werden, benötigten wir in Hannover nicht einmal zwei Minuten. Der erste Fahrer, den ich ansprach, fuhr nach Dresden. Der Zweite stand rauchend vor einem leicht zerbeulten Auto mit niederländischem Kennzeichen. Tommy sprach ihn auf Niederländisch an und nach zwei Sätzen antwortete der Autofahrer: „Geen probleem.“ Kein Problem also, er nahm uns mit. Wir erfuhren, dass der junge Mann, etwa Mitte 20, Mariusz heißt und gebürtiger Pole ist, aber in den Niederlanden aufwuchs. Bei Amsterdam hat er ein Geschäft für polnische Spezialitäten und so fuhr er uns bis kurz vor die niederländische Hauptstadt. Etwa fünf Stunden dauerte die Fahrt, ein 15-Kilometer langer Stau bei Osnabrück hielt uns ein wenig auf. Wir redeten auf Niederländisch und Englisch, manchmal übersetzte ich auch die Nachrichten des Deutschlandsradios. Es war bereits dunkel, es regnete und ein wenig erschöpft waren wir, als wir Mariusz an der Tankstelle verabschiedeten.

Ankunft nach neun Stunden Fahrt

Nach fünf Minuten fanden wir einen weiteren Autofahrer, der uns zu einer Tankstelle im Süden von Amsterdam fuhr. Von dort aus wäre es leichter, Richtung Süden zu trampen, meinte Tommy. Der neue Fahrer, ebenfalls Anfang 30, erzählte begeistert von seiner Arbeit auf dem Flughafen Schiphol bei Amsterdam. Er hatte einen eher aggressiven Fahrstil, trank schnell zwei Red-Bull-Dosen aus und achtete eher wenig auf die Autobahn. Kurz danach erreichten wir die gewünschte Tankstelle, noch 50 Kilometer lagen vor uns. Auch dort wurden wir bereits nach wenigen Minuten fündig. Ein junges Paar, ursprünglich stammen beide aus dem Iran, leben aber seit 13 und 16 Jahren in den Niederlanden, nahm uns mit. Sie wollten nach Den Haag, um dort zu feiern. Wir redeten viel über das Reisen, über Integration, fremde Länder und was Heimat bedeutet. Die beiden wohnen nun bereits länger in den Niederlanden, als sie im Iran lebten, sprechen nahezu akzentfrei Niederländisch und haben gutbezahlte Jobs. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders wäre vielleicht überrascht. Die beiden fuhren uns direkt vor die Haustür in Leiden, es war bereits gegen 21 Uhr und das Ziel nach neun Stunden endlich erreicht. Eine schöne Woche erlebte ich danach in meinem alten zu Hause.  Zurück nach Deutschland fuhr ich allerdings mit der Bahn. Irgendwie ist das doch ein wenig bequemer.

Fotos: Christine Fratzke

Mensa, Leporello, Hiddensee: Die Erstsemesterwoche

In der Mensa können Erstsemester ihre Begrüßungsbeutel abholen.

Noch nie gab es so viele Erstsemester wie in diesem Jahr: 3.000 neue Studentinnen und Studenten werden erwartet. Viele von ihnen waren bisher noch nicht in Greifswald. Einige wussten möglicherweise gar nicht, wo diese kleine Studentenstadt überhaupt liegt, bis es sie nun zum Studium in den Nordosten gezogen hat. In der Fremde auf sich allein gestellt zu sein, ist alles andere als angenehm. Damit sich die neuen Studentinnen und Studenten in Greifswald nicht allein gelassen fühlen und sich mit ihrer neuen Umgebung vertraut machen können, organisiert der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) in der ersten Woche des neuen Semesters entsprechende Veranstaltungen.

Um 15.30 Uhr werden die “Erstis” vor der Mensa begrüßt und können ihre “Ersti-Beutel” abholen. Diese enthalten mehr oder weniger nützliche Dinge für den Neustudenten oder die Neustudentin bereit. Letztes Jahr war beispielsweise neben den zahlreichen Werbeflyern, von denen nahezu alle bei den meisten Erstis aufgrund ihrer Nutzlosigkeit sofort den Weg in den Papierkorb gefunden haben dürften, Süßigkeiten, auch eine gelbe Zahnbürste enthalten. Das Gelb ist nur rein zufällig gewählt. Schließlich ist der Sponsor der Zahnbürste nicht nur Zahnarzt, sondern sitzt auch für die FDP im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Was ebenso immer wieder anzutreffen war und durchaus sehr nützlich ist: Der Theatergutschein. Als Erstsemester konnte man, zumindest in den vergangenen Semestern, einmal kostenlos eine Theatervorstellung besuchen. Sollte sich dieses Blatt Papier auch in diesem Jahr wieder unter den zahlreichen Flyern befinden, so sollte dieser Gutschein, im Gegensatz zu dem anderen Papierkram, nicht so schnell den Weg zum Papierkorb, sondern zum Schauspielhaus finden.

Kneipenbummel und Stadtrundgang mit Tutoren

Doch was tut man als Ersti, wenn man die Tüte in der Hand hat? Man wendet sich an einen der zahlreichen Erstsemestertutoren, die verschiedene Fächer vertreten. Diese unternehmen dann mit den unzähligen Neustudentinnen und Neustudenten einen Stadtrundgang, bei dem man nicht nur die wichtigsten Sehenswürdigkeiten, sondern auch gleich die eine oder andere Kneipe oder Bar kennen lernt. Der Kneipenbummel und die Stadtführung mit den Tutoren startet um 17.30 Uhr vor der Mensa. Nur wenige Stunden kann man sich dann dort wieder einfinden. Dieses mal gibt es keine Erstibeutel, sondern eine Party. Wer seinen oder ihren Immatrikulationsnachweis mitbringt und damit belegt, dass er oder sie “Ersti” ist, kann um 20:00 Uhr im Mensa-Club feiern. Für das leibliche Wohl sorgt der AStA mit einem Grillstand. Der Eintritt ist an diesem Abend frei.

Dienstag und Mittwoch können Erstsemesterstudierende jeweils um 10 Uhr an den Fachschaftsfrühstücken teilnehmen. Hier werden Stundenpläne gebastelt, Tips fürs Studium gegeben und es gibt Kaffee, Brötchen, Knabberzeug oder Kuchen. Am 5. Oktober veranstalten Radio 98eins und der AStA anschließend um 13 Uhr  einen Tag der Offenen Tür.

Was ein Leporello ist, wie man sein Studienbuch führt und wie man am besten seinen Wochenplan gestalten sollte, erklärt Herr Hatz von der Studienberatung am Dienstag um 14 Uhr im Hörsaal fünf des Audimaxes. Um in der zentralen Universitätsbibliothek auf der Suche nach geeigneter Literatur nicht ziellos herum laufen zu müssen, findet am selben Tag um 15 Uhr eine Führung durch die Bibliothek und das Rechenzentrum statt. Den Abend kann man dann wieder im Mensa-Club ausklingen lassen. Der C9-Club veranstaltet ab 22 Uhr eine “Exilparty”.

Zahlreiche Führungen, Entspannung auf Hiddensee und Usedom

Vor dem Studium noch einen Tag entspannen: Auf der Insel Hiddensee

Bis in die frühe Neuzeit hinein waren Universitäten vom Staat unabhängig und verfügten über eine eigene Gerichtsbarkeit. Somit wurde für straffällig gewordene Studierende auch ein eigenes Gefängnis, der Karzer, notwendig. Wer sich den Greifswalder Karzer einmal ansehen möchte, trifft sich um 16 Uhr vor dem Rubenow-Denkmal. Die Führungen finden Mittwoch und Donnerstag statt.

Ebenfalls sehenswert dürfte – nicht nur für Naturwissenschaftsstudenten – eine Führung durch das Max-Planck- Institut für Plasmaphysik sein. Dort arbeiten bereits seit etwa einem Jahrzehnt Greifswalder Wissenschaftler am Projekt “Wendelstein 7x”, einem Kernfusionsreaktor. Los geht es am Donnerstag um 16.30 Uhr.

Bevor man sich in der darauf folgenden Woche in (zum Teil sehr volle) Vorlesungen und Seminare setzt, kann man noch am Sonntag auf Hiddensee oder Usedom entspannen. Los gehen die Fahrten auf die Inseln um 9 Uhr. Wer die Entspannung lieber im Himmel sucht, dem oder der sei am Sonntag um zehn Uhr das Segeln empfohlen. Nach der feierlichen Immatrikulation am Montag dürften die meisten Erstsemester bereits genügend Mitstreiter gefunden und sich bereits ein wenig in ihre neuen Wahlheimat eingelebt haben.

Fotos: Marco Wagner (Programm Erstsemesterwoche), Chin tin. tin. via Wikipedia (Insel Hiddensee), Gabriel Kords (Mensa).

Ausstellung Poesie des Untergrunds

Ein Mix aus Kunst und Literatur: Die Poesie des Untergrunds.

Drastische Worte finden sich auf dem Flyer, der die neue Ausstellung im Literaturzentrum Vorpommern bewirbt: “Einem verreckten Kater die Scheiße aus den Därmen dreschen.” Diese Zeilen und die dazugehörige Illustration stammen vom Autoren Bert Papenfuß aus dem Jahr 1988 und zeigen, worum es in der Ausstellung “Poesie des Untergrunds” geht: Die Literatur- und Künstlerszene Ostberlins von 1979 bis 1989.

Papenfuß steht dabei stellvertretend für eine Bewegung im damaligen Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg, Ostberlin. Hier trafen sich Künstler, Punks, Musiker, Schriftsteller und betrieben gemeinsam Kultur im Untergrund. Hauptsächlich junge Künstler experimentierten, musizierten und schrieben in Ateliers, Wohnungen oder Hinterhöfen. Die Zeugnisse dieser Zeit wurden in der Ausstellung, die nun in Greifswald zu Gast ist, zusammengetragen.

Am 24. September wird dann “Poesie des Untergrunds” um 20 Uhr mit einführenden Worten zur Thematik vom Autoren Thomas Günther, der ebenfalls in der Untergrundszene aktiv war, eröffnet. Anschließend werden die Kuratoren Ingeborg Quaas und Uwe Warnke Texte aus dieser Zeit lesen. Die Ausstellung wird dann bis zum 13. November im Literaturzentrum, Bahnhofstraße 4/5, zu sehen sein.

Bild: Bert Papenfuß, Einem verreckten Kater die Scheiße aus den Därmen dreschen, Berlin 1988 (Titelblatt), Literaturzentrum Vorpommern.

CampusOpenAir in Wismar: Riesenbands, Riesenbühne und Freikarten

Zehn Jahre hat das CampusOpenAir in Wismar bereits auf dem Buckel. Anlässlich dazu wartet das Uni-Festival in der Hansestadt mit einem überzeugenden Line-Up auf: The Bosshoss, Samy Deluxe, The Sonic Boom Foundation, Tele und I´m not a Band werden am 25. September spielen.

Der diesjährige Flyer zum CampusOpenAir mit vielseitigem Line-Up.

Organisiert wird die Veranstaltung vom Allgemeinen Studierendenausschuss AStA in Wismar. In den vergangenen zehn Jahren konnten bisher namhafte Musiker gewonnen werden. So spielten beispielsweise Thomas D, Clueso, MIA., Virginia Jetzt! und viele mehr auf dem Festival.

Dieses Jahr geht es ab 16 Uhr auf dem Campusgelände in Wismar los. Fünf Euro kostet der Eintritt an der Abendkasse, aber webMoritz-Leser kommen gratis rein. Wir verlosen zwei mal zwei Freikarten und ein CampusOpenAir-T-Shirt. Was ihr dafür tun müsst? Schickt uns eine Mail bis zum 21. September an web@moritz-medien.de und sagt uns, warum ihr nach Wismar wollt!

Teilnahmebedingungen: Mitglieder der moritz Medien sind vom Gewinnspiel ausgeschlossen. Die Gewinner werden per Mail benachrichtigt.

Foto und Flyer: CampusOpenAir, AStA Wismar

Anti-Atom-Aktivisten wollen Regierungsviertel umzingeln

Am Samstag, dem 18. September, wird ab 12.15 Uhr auf dem Berliner Washingtonplatz gegen die gegenwärtige Energiepolitik der Bundesregierung demonstriert. Speziell richtet sich der Unmut der zu dieser Veranstaltung erscheinenden Bürgerinnen und Bürger gegen den immer wieder zeitlich weiter nach hinten verschobenen Atomausstieg. Um 13 Uhr wird sich der Demonstrationszug in Richtung Rahel-Hirsch Straße in Bewegung setzen. Die Demonstrantinnen werden im Folgenden am Kapelle-Ufer sowie in der Reinhardtstraße und der Friedrichstraße auf sich aufmerksam machen.

Bereits abgeschaltet: Das Atomkraftwerk Lubmin

In der Dorotheenstraße wird der Demonstrationszug geteilt. Die Aktivistinnen und Aktivisten werden dann das Regierungsviertel umzingeln. Im Anschluss findet um 15.15 Uhr eine Sitzdemo unter dem Motto “Wir widersetzen uns der Atompolitik” statt. Zehn Minuten später wird die Umzingelung des Regierungsviertels unter dem Motto “Atom-Alarm” beendet werden. Für eine um 16 Uhr stattfindende Kundgebung haben sich Wolfgang Rohde von der IG-Metall, Hubert Weiger vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), Nina Bartz vom Jugendbündnis Zukunftsenergie, Hermann Albers vom Bundesverband Erneuerbarer Energien (BEE), Luise Neumann-Cosel vom Protestbündis X-tausendmal quer sowie Martin Schulz von der bäuerlichen Notgemeinschaft Gorleben angemekündigt.

Angela Merkel: “Revolution im Bereich der Energieversorgung”

Anfang September verabschiedete die Bundesregierung ein neues Energiekonzept, das Angela Merkel stolz als “Revolution im Bereich der Energieversorgung” bezeichnete. In dem Konzept ist unter anderem eine Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke von bis zu 14 Jahren vorgesehen. Über 30 Jahre alte Kraftwerke sollen hingegen nur noch weitere acht Jahre länger laufen dürfen. Im Durchschnitt verlängert sich damit die Laufzeit der Kraftwerke um 12 Jahre  gegenüber dem von Rot-Grün vereinbarten Atomkonsens im Jahr 2000. Nach Angaben der Financial Times Deutschland dürften damit die letzten Meiler 2040 vom Netz gehen. Das würde bedeuten, dass ein Atomkraftwerk ohne Unterbrechung oder Ersatzneubau bis zu 60 Jahre Strom erzeugen kann. Wie die ARD-Redakteure Jan Schmitt und Markus Schmidt berichten, wären alle zur Zeit am Netz befindlichen Atomkraftwerke in Anbetracht des gegenwärtigen wissenschaftlich-technischen Entwicklungsstandes heute nicht mehr genehmigungsfähig.

Im Gegenzug soll die Atomindustrie neben einer zeitlich befristeten Brennelementesteuer einen “substanziellen Beitrag” für den Ausbau erneuerbarer Energien in einen Fonds zahlen. Dadurch sollen für die kommenden Jahre bis zu 15 Milliarden Euro als Investitionsmittel für erneuerbare Energien zustande kommen. Die jährlich 2,3 Milliarden Euro, die Eon, EnBW, Vattenfall und RWE in den Fond einzahlen wollen, können die Konzerne jüngsten Medienberichten zufolge steuerlich absetzen. Das neue Energiekonzept musste sich den krtischen Blicken der Redakteure des ARD-Magazins “Monitor” unterziehen:

Verfassungsklage der Länder ohne Mecklenburg-Vorpommern

Mehrere Bundesländer kündigten eine Verfassungsklage an, schließlich strebt die Bundesregierung an, dem neuen Gesetz ohne Abstimmung im Bundesrat Rechtskräftigkeit zu verleihen. Mecklenburg-Vorpommern wird sich hingegen nicht an der Verfassungsklage beteiligen. Ein von der Partei Die Linke eingebrachter Antrag zur Unterstützung wurde von SPD, CDU und der FDP nach Angaben des Blogs der Greifswalder Grünen am Mittwochabend, dem 15. September, abgelehnt. Die Sozialdemokraten stimmten dem Antrag der Partei Die Linke inhaltlich im wesentlichen zwar zu, verwiesen jedoch auf den bestehenden Koalitionsvertrag mit der CDU. Diese wiederum unterstützt die Pläne der Bundesregierung.

Proteste für den Atomausstieg und gegen neue Castoren nach Lubmin in Greifswald

Im Juli fanden auch in Greifswald und Lubmin Proteste gegen die gegenwärtige Energiepolitik der Bundesregierung statt. Zwar richteten sie sich primär gegen den bevorstehenden Castor-Transport, allerdings machten die Demonstrantinnen und Demonstranten mit der Forderung “Atomausstieg jetzt!” darauf aufmerksam, dass es bei den Veranstaltungen nicht allein um den Castor-Transport, sondern generell um einen Ausstieg aus der Stromerzeugung aus Uran gehe. Ulrich Rose kündigte auf dem Grünen-Blog eine weitere Demonstration für die Abschaltung von Atomkraftwerken an. Am 31. Oktober soll dann vom Wasser aus demonstriert werden, indem möglichst viele Schiffe vor die Lubminer Seebrücke fahren. Gegner der Atomenergie wollen dann mehrere Transparente entrollen.

Fotos:

webMoritz-Archiv/Gabriel Kords (AKW Lubmin), webMoritz-Archiv/Marco Wagner (Gelbe Tonnen)

Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley tot

Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley im Mai 2010 in Greifswald.

Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley erlag am Samstag, dem 11. September im Alter von 65 Jahren einem Krebsleiden. Sie ist am 24. Mai 1945 in Berlin geboren und studierte 1969 an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, nachdem sie nach ihrem Abitur 1963 eine Ausbildung zur Industriekauffrau abgeschlossen hatte. 1970 heiratete sie den Maler Dietrich Bohley, vier Jahre später arbeitete sie als freischaffende Künstlerin.  Francesco de Goya und Käthe Kollwitz waren nach eigenen Angaben ihre künstlerischen Vorbilder. Im Jahre 1979 wurde Bohley schließlich in die Sektionsleitung Malerei und in den Bezirksvorstand des Verbandes Bildender Künstler der DDR gewählt, drei Jahre später aus diesem jedoch ausgeschlossen, nachdem sie die unabhängige Initiativgruppe “Frauen für den Frieden” gründete.

Nachdem ihr “landesverräterliche Nachrichtenübermittlung” vorgeworfen wurde, kam sie zusammen mit Ulrike Poppe in Untersuchungshaft in Berlin-Hohenschönhausen. Der Vorwurf wurde von Seiten des Ministeriums für Staatssicherheit mit Kontakten Bohleys zu den Grünen der Bundesrepublik Deutschland begründet.

Ab etwa 1985 engagierte sich die Bürgerrechtlerin zunehmend für Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit und war Mitbegründerin der “Initiative [für] Frieden und Menschenrechte”. Nachdem sie 1988 zwischenzeitlich aus der DDR ausgewiesen wurde, jedoch im August wieder zurück kehrte, war sie 1989 Initiatorin der Bürgerrechtsbewegung “Neues Forum”. Fünf Jahre später wurde sie für ihr Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, zehn Jahre nach der Wiedervereinigung mit dem Nationalpreis.

Bis zuletzt ein kritischer Zeitgeist

Auch nach der Wiedervereinigung 1990 zeigte Bärbel Bohley bürgerrechtliches Engagement. So unterstützte sie beispielsweise Opfer des Jugoslawienkrieges im Rahmen der von ihr gegründeten Bärbel-Bohley-Stiftung und scheute, ganz im Gegensatz zu manch anderen DDR-Bürgerrechtlern nicht davor zurück, die neuen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. So fällt sie in einem Gespräch mit Johannes Wächter vor etwa einem Jahr folgendes Urteil über das Bildungswesen in der Bundesrepublik:

Unser Bildungswesen fördert das Stillhalten: Die Kinder in der Hauptschule sollen akzeptieren, dass sie in einer anderen Etage groß werden als die Kinder auf dem Gymnasium. Die Chancengleichheit lässt nach; auch das ist Unterdrückung.

Die Organisatorinnen und Organisatoren des internationalen Studentenfestivals in Greifswald, GrIStuF, boten ihr an, die Schirmherrschaft für die diesjährige Veranstaltung zu übernehmen. “Ich war irgendwie gerührt, dass mich die jungen Leute gefragt haben, ob ich dass machen möchte. Ich muss sagen, dass ich schon gar nicht mehr daran dachte, dass sich noch jemand an uns erinnert. Das war dann natürlich klar, dass ich sowas mache. Ich finde es natürlich auch sehr schön, wenn junge Menschen aus der ganzen Welt hierher kommen, um zusammen etwas auf die Beine zu stellen” begründete die Bürgerrechtlerin in einem webMoritz-Interview am 29. Mai die Entscheidung, das Angebot der Studentinnen und Studenten anzunehmen. In ihrer Eröffnungsrede wandte sie sich dem GrIStuF-Motto “Responsability”- Verantwortung, folgend, anschließend mit folgenden Worten an die Gäste:

“Wir alle haben eine Verantwortung über Generationen hinweg, und manchmal müssen wir die Alten an den Müllhaufen erinnern, den sie uns hinterlassen haben und den wir nur gemeinsam aufräumen können. (…) Ich möchte mit einem Spruch von Laotse schließen: ‘Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das was wir nicht tun.
In diesem Sinne: Lasst uns alle unsere Verantwortung wahrnehmen. Ich glaube an die Bürgerbewegung und die zivile Gesellschaft weltweit, denn nur die Menschen auf der Strasse wissen, was für sie wichtig ist!”

“Studenten sind das Salz in der Suppe”

Bärbel Bohley (m.) und Christa Wolf (r.) während einer Montagsdemo 1989.

Über Studentinnen und Studenten meinte sie, dass sie es seien, die “wach sein” und “hingucken und sich beteiligen” müssten. “Studenten sind natürlich das Salz in der Suppe, wenn man es so nennen will”, meinte  Bohley dem webMoritz gegenüber. Obwohl sie – nicht zuletzt aufgrund ihrer Erfahrungen mit der Vorgängerpartei SED – vor allem der Linkspartei ablehnend gegenüber steht, blieb sie bis zuletzt im politisch linken Spektrum verankert. “Es wäre ja schön, wenn man in Deutschland eine ehrliche Linke Alternative hätte, weil ich denke, dass es eine solche braucht.” Im Süddeutsche Magazin musste sich zwanzig Jahre nach dem Sturz der SED-Regierung auch das neue politische und gesellschaftliche System ihrer Kritik unterziehen. “Wachsen als Selbstzweck ist kein Gesellschaftsmodell. Was soll daran zukunftsträchtig sein, sich wie in einem Hamsterrad abzustrampeln?” Über die gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahre fand die Bürgerrechtlerin vor etwa einem Jahr während des selben Gespräches auch eher wenig positive Worte:

“Als ich im vergangenen [Anm. Autor: 2008] Jahr zurückkam, fiel mir auf, dass die Beziehungen zwischen den Menschen kälter geworden sind. Die Leute haben schicke Sachen an, aber leere Gesichter. Es herrscht eine zunehmende Vereinzelung, und es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, das den Leuten bewusst zu machen. Wenn sie das erkennen, werden sie sich mehr für ihre Interessen engagieren und die Gestaltung dieses Landes nicht nur der Politik überlassen.”

Politiker zeigen sich bestürzt über den Tod Bärbel Bohleys und drücken ihr Beileid aus. Der Süddeutschen Zeitung zufolge habe Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bürgerrechtlerin “als eine der bedeutenden Stimmen der Freiheit” gewürdigt, und sei “zutiefst betroffen” gewesen. Unerschrocken sei sie ihren Weg gegangen. Für viele sei ihr Mut und ihre Geradlinigkeit beispielhaft gewesen.

Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Renate Künast und Jürgen Trittin meinten, Bohley werde “uns immer in Erinnerung bleiben, als eine, die beharrlich für Freiheit kämpfte, als das noch mit wirklichen Gefahren verbunden war und wirklichen Mut erforderte.”

Fotos: Patrice Wangen (Bärbel Bohley Mai 2010), Marco Wagner (großes Aufmacherbild), Wikipedia (Bärbel Bohley 1989).