Theater: Kinners, wat´n upregen!

„De Witwenclub“ – Übersetzung von Hans Timmermann

Wie so oft eines nachmittags treffen sich die drei Frauen Luzie (Elfie Schrodt) und Doris (Susanne Peters) in der kleinen Wohnung von Ida (Gerlind Rosenbusch), um nach einer gemütlichen Kaffeerunde den regelmäßigen Gang zum Friedhof anzutreten. Alle drei sind seit kurzer Zeit Witwen und haben sich durch ihr gemeinsames Schicksal auf dem Friedhof kennen gelernt. Unterschiedlicher könnten die Frauen jedoch kaum sein.

Ida ist eine zurückhaltende und bodenständige Frau, die den Tod ihres Mannes Martin akzeptiert hat und sich trotz seines Todes nicht das Leben nehmen lassen will. Sich die Freude am Leben rauben lassen, das will auch ihre Busenfreundin Luzie nicht. Die quirlige und etwas verrückte Witwe ist dem Pelzwahn verfallen und ergattert jeden Tag ein neues Stück. Der Gang zum Grab ihres Mannes ist ihr eher eine günstige Flirtgelegenheit mit Friedhofsbesuchern wert. Die Dritte im Bunde, Doris, dagegen hat sich immer noch nicht mit dem Tod ihres Mannes Arthur abgefunden und sie würde vermutlich am liebsten bei ihm am Grab schlafen, wenn sie könnte. Als Ida bei ihrem Friedhofsbesuch dem Witwer Theo (Andreas Auer) begegnet, beginnt sich zwischen den beiden mehr zu entwickeln als nur Freundschaft. Doris und Luzie gefällt diese neue Situation ganz und gar nicht und so entspinnen die beiden eine Intrige, um dem Verhältnis ein Ende zu setzen.

Plattdeutschkenntnisse nicht nötig

Die plattdeutsche Übersetzung von Hans Timmermann entstammte ursprünglich der Buchvorlage des amerikanischen Autors Ivan Menchell. Diese wurde unter dem Originaltitel „The Cemetery Club“ in Yale uraufgeführt. Anders als vielleicht die amerikanische Variante, kann die Übersetzung vor allem mit ihrer außergewöhnlichen Sprache überzeugen. Die gerade das junge Publikum aus den Sitzreihen fernhält. Für die Älteren dagegen muss es geradezu ein Hochgenuss sein, ihre alte Heimatsprache wieder einmal für zumindest fast zweieinhalb Stunden fließend zu hören. Allerdings ist es nicht Voraussetzung der altertümlichen Sprache mächtig zu sein, um der Handlung und vor allem dem ein oder anderen Witz folgen zu können.
Lustig geht es dennoch in der Komödie nicht immer zu. Amüsant sind die kleineren Wortgefechte zwischen den Frauen, die genauso gut auf plattdeutsch fluchen können wie auf anderen Sprachen. Wo hingegen im ersten Akt das Publikum aus dem Schmunzeln nicht herauskommen konnte, schlägt der zweite Akt zeitweise tiefsinnigere und ruhigere Töne an.

Aus dem Leben gegriffen

Aus den anfänglich recht oberflächlichen und nur belustigenden Dialogen enthüllen vor allem die vielen Besuche auf dem Friedhof im zweiten Teil mehr über das eigentliche Empfinden der Protagonisten. Neben der vordergründigen Heiterkeit des Stückes erinnern die Szenen sehr an das eigene Leben und so wirkt die Geschichte authentisch und nicht eingeübt. Letztendlich stellt das Stück die rein moralische Frage an sein Publikum, ob eine Witwe überhaupt wieder nach dem Tod ihres Mannes normal weiterleben darf und die damit verbundenen Aktivitäten, wie das Ausgehen mit einem anderen Mann, eingehen sollte. Die beiden Frauen Luzie und Doris sind nicht unbedingt der Überzeugung solch ein Leben wieder führen zu können, wobei auch der Neid gegenüber ihrer Freundin Ida eine Rolle spielt.

Ein eingespieltes Team

Das 1993 von Menchell verfilmte Theaterstück überzeugte mit seinen zwar wenigen, aber dennoch passenden Bühnenbildern. In wenigen Sekunden fand ein rascher Wechsel zwischen Wohnzimmer und Friedhof statt und die Aufführung konnte weitergehen. Das Ensemble der Fritz-Reuter-Bühne aus Schwerin wurde in Greifswald mit reichlich Beifall bedacht, denn nicht nur das Bühnenstück, welches 1990 am Broadway übernommen wurde, überzeugte, sondern eben auch die Schauspieler.

Geschrieben von Katja Graf

Theater: Bewusste Ernährung

„Die Farm der Tiere“ von Peter Hall und Matthias Nagatis

Wo „die Welle“ die Lehrstunde beendet, setzt „die Farm der Tiere“ (Peter Hall), nach Vorlage des Buches „Animal Farm“ von George Orwell von 1945, an. Gewiss in anderem Zusammenhang, soll in letzterem wohl nur implizit die Gefährlichkeit autokratischer Systeme deutlich werden. Beides sind politische Werke und gehören für viele zur bildenden Standardliteratur der Jugend- oder Schuljahre.

Das Theater Vorpommern hat sich dem populären Stück angenommen, in welchem Orwell „sein Jahrhundert“ als Fabel verarbeitet hat, da die „Zerstörung des sowjetischen Kommunismus wesentlich ist, wenn wir die sozialistische Bewegung wiederaufleben lassen wollen“. Das Thema, die politische und gesellschaftliche Geschichte Russlands von der Oktoberrevolution in den Stalinismus, ist jedem bekannt, der den Grundstock geschichtlichen Wissens wider der Informationsflut von Studium und Alltag erhalten konnte. Orwell war nie in Russland, wie er selber im Vorwort zur ukrainischen Buchausgabe, sagt.

Artgerecht aufgezogen

Die Gefahr einer gewissen thematischen Trivialität war Peter Hall und Matthias Nagatis (Regie und Bühne) wohl bewusst: Man enthielt sich der Vertiefung und begegnete ihr für das Theater gekonnt. So wurde aus dem Stück das Beste, das man daraus machen kann, wenn man sich breiter Zustimmung erfreuen will. Das ist durchaus eine Stärke der Inszenierung. Denn im Vordergrund stehen nicht Interessengruppen teilende Interpretationen oder Abstraktionen, der von Orwell recht plakativ aufgebauten Fabel, sondern die, für alle Zuschauergruppen verträgliche, Darstellung der Grundzüge des Buches. Es lag wohl an dem von Schneetreiben geprägten Ostersamstag, dass die Tiere auf der „Farm der (lieben) Tiere“ nur halb soviel Applaus erhielten, wie sie verdient hätten. Der Saal war nur spärlich gefüllt. Von der ganz reizenden – und für ein junges Publikum klug gewählten – Emilia Lepadatu (10 Jahre) als Erzählerin geführt, befanden sich die 15 Schauspieler fast die gesamten zwei Stunden gemeinsam auf der Bühne. Visuell und akustisch dezent als Schweine, Kühe, Schafe, Pferde, Hühner, Hunde oder Katzen kostümiert, zeigten sie dem Publikum, wie die Umsetzung großer Ideale an der gewöhnlichen menschlichen Unvollkommenheit scheitern kann.

Das Führerschwein quiekte vor Vergnügen während die anderen Tiere Beifall ernteten

Wider den tierischen Ernst des von Orwell verarbeiteten Stoffes, schafften es die Schauspieler so gut zu unterhalten, dass die 15minütige Pause lästig erschien. Der Grund ist eine lebendige und abwechslungsreiche Inszenierung. Durch viele mit Musik und geschickt formulierten Gesangsstücken (musikalische Leitung: Andreas Kohl) unterlegten Abschnitte bekommt diese zeitweise den Charakter eines Musicals. Zum Lachen regten gute Einfälle (aufgeblasene Handschuhe als Euter) und auch die vielen, sich aus der Form der Fabel ergebenden, charakterlichen Eigenheiten und Witze an. Selbst jene Schauspieler, die nicht im Mittelpunkt des Geschehens und der Aufmerksamkeit standen, stolperten nicht in eine Zuschauerrolle. Sie ließen den Spaß an ihren tierischen Rollen erkennen, indem sie diese mit lustigen Details füllten, wenn sie mal nichts zu sagen hatten. Verliebtheit zum Detail erkannte man auch am Bauch vom Führerschwein Napoleon (Sabine Kotzur), der im Laufe der Aufführung stetig wuchs – ob die Ähnlichkeit zu einem koreanischen Diktator am Ende absichtlich frappant wurde?

Preis-Leistungs-Verhältnis: Sehr gut

So lohnt sich der Besuch sowohl für junge und alte wie auch mit dem Buch vertraute und weniger vertraute Zuschauer. Bei den einen wird es zur Bildung nützen. Jene, die sie (vermeintlich) zu besitzen glauben, bekommen tolle Unterhaltung geboten. Damit ist es gut verdauliche Kost für den Kopf bei einem leichten Training für die Lachmuskeln. Man darf dankbar sein, was die Tiere der Farm hier für ihre Konsumenten produziert haben.

Geschrieben von Arik Platzek

CD: Kopfhörer

Wie ist das eigentlich, wenn Künstler jahrelang die Musikwelt an der Nase herum führen, indem sie ein neues Album ankündigen, aber jedes diesbezügliche Statement nicht mehr als ein Gerücht bleibt? Selbst wenn das Plattenlabel dann ein konkretes Datum benennt: Zweifel bleiben. So geht es einem Portishead-Fan. Glücklicherweise sind die Hoffnungen mit dem dritten Album in Erfüllung gegangen.

Mit dem, schlicht, „Third“ betitelten Werk setzen Geoff Barrow, Adrian Utley und Beth Gibbons dort an, wo der Nerv ihrer Hörer getroffen werden kann: Langsame Arrangements, die verrauchte, traurige Stimme der Sängerin und einer Stimmung die keinem Soundtrack des Lebens entsprungen sein sollte. Kamen die beiden ersten Trip Hop-Alben  in den seltensten Momenten über den Status eines düsteren und depressiven Musikprojekts hinaus, verblüffen einige Stücke des neuen Albums sehr. Sie scheinen nicht lebensfroh, aber energiegeladen zu sein. Der Einstieg mit „Silence“ ist alles andere als still und ungewohnt für die Künstler aus Bristol. Langsam steigert sich der Beat des Songs bis erstmals Beth Gibbons fragende, melancholische Stimme erklingt.

Doch schon die folgenden Werke verleiten eher zum Hören über Kopfhörer. Und sollte die Schrittfolge eines Fußgängers durch „Third“ gesteuert werden, wechseln sich ein schneller Gang („We carry on“) mit dem eines Müßiggängers („Hunter“) ab. Dazwischen stolpern die Schritte auch nur dahin („Machine Gun“). Portishead schuf das ultimative Album für geselligen Großstadtindividualisten, die sich musikalisch abkapseln wollen. Das dreizehnjahre lange Warten lohnte sich also.

Geschrieben von Björn Buß

CD: Begleiter

Niels Frevert

„Außenseiter, Wegbereiter, neuer ständiger Begleiter…“. So fängt der fünfte Song des neuen Albums von Niels Frevert an. Seitdem die CD „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ des Hamburgers in meine Hände gelangte, ist sie auch wirklich nie fern von mir gewesen.

Erst im CD-Spieler, dann auf dem Computer und dann bei meinem täglichen Spaziergang in die Stadt. Und das Seltsame ist, je mehr ich sie höre, umso schöner finde ich die Musik. „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ ist das dritte Album des Singer-Songwriters Niels Frevert. Das erste selbstbetitelte Album veröffentlichte er im Jahre 1997. Eine kleine Ewigkeit später folgte dann 2003 „Seltsam öffne dich“. Wer jetzt rechnet, merkt, dass sich der Herr gerne mehr Zeit für seine Alben nimmt. Im Schnitt ungefähr fünf Jahre. Das Gute daran ist: Wer sich soviel Zeit lässt, erlebt zwischenzeitlich viel und hat dann auch etwas zu erzählen. Seine Texte sind aus dem Leben und sind wunderbar ehrlich.  Eine ganz eigene Mischung aus Stadtromantik und Nostalgie. Neben den typischen Gitarrenklängen eines Singer-Songwriter Albums sind auch erstaunlich viele andere Instrumente auf diesem Album wieder zu finden. Die Gitarre bildet den Untergrund. Darüber gibt es wundervolle Klavier- und Streicherarrangements. Filigran und treibend mischen sie sich harmonisch ein. Dies macht Niels Freverts Musik wunderbar stimmungsvoll und melodisch. Es setzt die Musik ein wenig von dem ab, was man normalerweise von einem „Liedermacher“ erwartet. Auch das macht es für mich zu einem der besten Alben im April.

Geschrieben von Esther Müller-Reichenwallner – radio 98eins

CD: My Page

Love Ravers

Der Hype um My Space hört nicht auf.Die 2003 von Tom Anderson gegründete Communityseite verzeichnet mittlerweile fast 200 Millionenen registrierte Nutzer. Egal, was die Kritik sagen mag, ein Sparziergang durch den virtuellen Raum lohnt sich alle Mal.

Von den so genannten A-Promis bis hin zu Lokalpatrioten und Möchtegernmusikern kann der gelangweilte Surfer alles finden. Um akustischen Perlen des sozialen Netzwerkes auch außerhalb des virtuellen Raums die verdiente Aufmerksamkeit zu schenken, veröffentlicht moritz ab sofort auch Besprechungen, von bisher nur in digitaler Form erhältlichen Musikstücken unbekannter Künstler. Den Anfang machen die „Love Ravers“.

Es mag sein, dass, spätestens seit dem Ende der Loveparade, wirklich kein Mensch mehr an das Comeback des Raves glaubt. Aber die Jungs der Band „Love Ravers“ aus Hamburg belehren uns eines Besseren. „Fuck me now and love me later, bist du ein echtes Ravergirl, bin ich dein Raver!“ singt Bob Malo in Neon-Schnellfickerhosen. Ja, es ist Trash, aber guter. Willkommen im 21. Jahrhundert. Die Bühnenshow, der homemade Rave (instrumental erzeugt), Gesang und Texte überzeugen einfach. Alles um die Band herum schreit nach Perfomance. Der Zuschauer selbst hüllt sich in Neontrash und tanzt im Zeichen der Liebe, der Zukunft und des Raves. Kürzlich spielten sie auch als Vorband von J.U.S.T.I.C.E in Hamburg und glaubt man dem My Space-Auftritt (myspace.com/bobmalo) sind die Stücke wie „Elektrisches Gerät“ oder „Schnell und Heiß“ auch bald auf schwarzem Gold gepresst und für jeden Wohnzimmerraver käuflich zu erwerben.

Geschrieben von Maria-Silva Villbrandt