„Ich liebe dich, ich liebe Freiheit und ich liebe meine Freunde und ganz nebenbei belüge ich mich auch noch selbst“ – Ein Feeling zwischen Fusion, Weltkongress der Hedonistischen Internationale und Antifa-Konzert, dass sich am vergangenen Wochenende in den Hallen am Bahnhof während des „Kentern und Verstehen“-Festivals ausbreitet. Delphine und Wale fliegen durch den Raum und Bengalos lassen die Halle brennen.
Lustprinzip
Doch erst einmal alles auf Anfang: Pünktlich um 21.00 Uhr fängt Torsun am 11. Oktober im IKuWo aus seinem Roman „Raven wegen Deutschland“ zu lesen an. Während der Lesung schweift der Autor immer wieder in einzelne Anekdoten ab, vertieft einzelne Kapitel des Romans, beleuchtet Hintergründe, wie es zu der einen oder anderen Situation kam. Innerhalb der Abschweifungen landet Torsun schließlich beim Flüchtlingsproblem.
Plötzlich wusste er nicht mehr, wie er den Bogen zu seinem Text schlagen sollte. Also stieg er einfach irgendwo ein. Insgesamt schildert er auf ironische Art und Weise das Umfeld von Egotronic. Fast bei allen Aktionen und Ereignissen scheinen hierbei Koks und Ecstasy im Spiel zu sein. Die Drogenexzesse werden durchweg ironisch beschrieben und der Lesende muss fortwährend wahlweise schmunzeln oder lachen. Letztendlich entzieht sich der Roman jeglicher Wirklichkeitswahrnehmung und stürzt sich in die schrille Welt der Drogenexzesse und man fragt sich, ob man das wirklich selbst durchleben wöllte.
Solidarity
Bei den am Tag darauf folgenden „Asyl-Monologen“ muss man die Veranstaltung wohl erst „einmal sacken lassen“, weshalb so mancher erst einmal untertaucht, um das Ganze zu verarbeiten.
Wenige Stunden später zeigt sich eine riesige Schlange vor den Hallen am Bahnhof. Einige haben, um die Zeit des Wartens zu überbrücken, sich ein paar Brötchen geschmiert.
In der Halle angelangt, gab es zunächst noch reichlich Bewegungsfreiheit, die jedoch in den folgenden Stunden zusehends verloren ging. Die Schlange vor dem Eingang wird jedoch bis wenige Minuten vor dem Auftritt Feine Sahne Fischfilets allerdings auch nicht gerade kürzer.
Raveland
Bei Frittenbude schien der Höhepunkt der Veranstaltung fast erreicht und man hätte meinen können, dass nur noch wenig Luft nach oben bleibt, zumal sich bei den Stage Bottles die Wellen bereits ordentlich aufbäumten. Alle standen eng an eng, Kieler Sprotten in einer Konservendose gleich und nutzen den wenigen noch verbliebenen Platz zum ausgiebigen Tanzen, Springen, … – was auch immer.
„Alerta! Alerta! Antifaschista!“, hallt immer wieder durch den Raum. Nicht nur Feine Sahne Fischfilet, auch Frittenbude, die Stage Bottles und No Weather Talks machen zwischen ihren Songs in Statements immer wieder auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam. Die Flüchtlingspolitik und das Dauerproblem des Neonazismus spielen dabei nicht die einzige Rolle. Auch der Staatsschutz bekommt sein Fett ab.
Bei so manchen Staatsschützern bleibt die Frage, warum sie sich nicht gleich „Ich bin beim Staatsschutz“ auf die Stirn schreiben. Denn: Wer geht zu einem Konzert, für dessen Musik er offenkundig Abneigung empfindet, welcher die Stimmung nicht ausstehen kann, dann auch noch die ganze Zeit beim Konzert bleibt und alles sehr aufmerksam beobachtet?
Geschichten aus Jarmen
„We are wasted in Jarmen – wasted in Jarmen! Ich hab mich noch nie so Scheiße benommen“ – und plötzlich geht die Halle vollends im Flammenmeer der Bengalos auf, der Sturm hat ein derartiges Ausmaß erreicht, dass auch die letzte Reihe sich diesem längst nicht mehr entziehen kann und mitgerissen wird. Die ersten Reihen des Publikums stürmen vor Freude auf die Bühne, um gemeinsam mit der Band zu feiern.
Während in der Halle alles auseinanderfliegt, sitzt die Polizei stundenlang davor und beobachtet, ob etwas passiert. Gleich mehrere Streifenwagen patroullierten durch die Innenstadt und Bahnhofstraße.
An der von der Polizei befürchteten Quelle politisch motivierter Gewalt passiert hingegen nichts, außer, dass Menschen feiern und – ja auch so mancher betrunken aus den Hallen torkelt. Zur selben Zeit beschädigen Unbekannte hingegen insgesamt 21 Autos in der Umgebung der Marienkirche, indem sie Reifen zerstechen, den Lack der Karosse beschädigen oder aber Scheibenwischer abbrechen.
Wie die Band auf ihrem Blog berichtet, sollen gezielt Fahrzeuge vermeintlicher Fans der Band ausgewählt worden sein, was unter anderem durch Fan-Sticker an den Fahrzeugen erkennbar gewesen sei. Die Polizei bittet um Mithilfe bei der Aufklärung.
Privilege of Procrastination
Wenngleich sich die Halle kurz nach Ende des Auftritts von FSF recht schnell leert, bleiben doch noch etwa 500 Menschen bis zur Aftershow-Party. Bis zum Schluss halten es nur sehr wenige durch. Gegen fünf Uhr sehe ich zahlreiche Menschen am Rande der Halle, wie sie sitzend schlafen und sich bestenfalls einhundert Menschen noch auf der Tanzfläche befinden. Draußen blockieren zwei Polizeiwagen die Bussspur und befragen einen vermutlich vom Konzert kommenden Passanten. Ein weiterer Wagen bewegt sich langsam durch mein Blickfeld. Die Beamten scheinen unruhig zu werden, ich frage mich nur, warum? Es passiert nichts, außer, dass es veranstaltungsbedingt lauter ist, als sonst.
„Greifswald ausverkauft! So viele Bekannte und Freunde. 1.000 (!!!) Leute bei einem „No Nazis“ – Konzert in Vorpommern! Tränen in den Augen“ – schrieb Feine Sahne Fischfilet sichtlich gerührt am Tag danach. Unsere Redakteure von Moritz-TV waren nicht nur beim Konzert die ganze Zeit über live dabei. Feine Sahne Fischfilet und Frittenbude stellten sich auch den Fragen der Redaktion:
Foto: Morta_Della (via Flickr)