Eine Diskussion zur Zukunft der Uni endet im großen Palaver

Ein Liebhaber verfehlter Metaphorik hätte am Abend des 23. Mai seine Freude gehabt. Zwischen 18 Uhr und 19.45 Uhr plauderten im gut gefüllten Bürgerschaftssaal acht Herren und eine Frau über die Frage, was eine Universität ist und was sie sein soll. Schließlich ist dieses Jahr Unijubiläum, da muss man sich auch mal mit Grundsätzlichem befassen.

Unter den Diskutanten die üblichen Verdächtigen, die etwas über die Universität zu sagen haben, angefangen von Bildungsminister Hans-Robert Metelmann über Rektor Rainer Westermann bishin zu dem ehemaligen Senatsvorsitzenden Wolfgang Joecks und dem ehemaligen AStA-Vorsitzenden Thomas Schattschneider. Aber auch drei ungewohnte Gesichter waren dabei, die Nachwuchswissenschaftlerin Joanna Dietzel, der erfolgreiche Mikrobiologie-Professor Michael Hecker sowie der Theologie-Professor Martin Onnasch. Die Moderatoren gaben die Philosophieprofessoren Werner Stegmaier und Geo Siegwart.
Es hätte interessant werden können, als Werner Stegmaier ganz zu Anfang einige Antworten großer Philosophen auf die Frage zitierte, was eine Universität sei. Danach bat er alle Diskussionsteilnehmer – artig in hierarchischer Reihenfolge – in einem prägnanten Satz zu formulieren, was sie unter einer Universität verstünden. Natürlich konnte keiner der Beteiligten diese Aufgabe meistern, einzig der Ex-AStA-Vorsitzende Thomas Schattschneider las einen kruden Bandwurmsatz vor, dessen Quintessenz irgendetwas mit Staatsfinanzierung zu tun hatte. Doch der Reihenfolge nach: Bildungsminister Hans-Robert Metelmann, vormals Professor für Gesichts-chirurgie in Greifswald, zückte zwar nicht das Skalpell, bezeichnete die Uni aber als lebendigen Organismus, der weiter gedeihen müsse. Rektor Rainer Westermann formulierte unbestimmt, Universität sei etwas Gutes, Wolfgang Joecks diagnostizierte „mehr Eitelkeit denn Intelligenz“. Erst der Theologe und die zwei Naturwissenschaftler brachten es auf den Punkt: Die Uni müsse eine Mini-Gesellschaft sein, an der Studierende und Lehrende gemeinsam forschen, formulierte Martin Onnasch. Joanna Dietzel merkte an, dass Unis nicht zu Zulieferbetrieben der Marktwirtschaft verkommen dürften und Michael Hecker verglich die Uni schließlich mit einem Fluss, der eine gewisse Breite und eine gewisse Tiefe haben müsse. Uns fehlten aber die Tiefen, so Hecker.
Was danach folgte, war mehr Mitleids-orgie denn als ein sachlicher Schlagabtausch von These und Antithese. Moderator Stegmaier schnitt das heikle Thema „Hochschulautonomie“ an, woraufhin Rektor Rainer Westermann über die permanenten Zwänge jammerte, die „von außen“ über die Uni hereinbrächen. Ob sich alles nur noch um das liebe Geld drehe, fragte Co-Moderator Geo Siegwart, was Thomas Schattschneider sofort bejahte.
Vom handfesten Materiellen ging die Diskussion zum gedanklich Metaphysischen über. Die Uni sei doch auch ein Ort der Wahrheit, merkte Stegmaier an. Ja, sprach Rektor Westermann, in den „hardcore Life Sciences“ konkurriere man um die beste Erkenntnis. Die Uni sei, so Bildungsminister Metelmann, eine „Kathedrale der Wahrheit“, gleichzeitig aber auch „Fachgeschäft der Berufsausbildung“. Und schon war man beim Thema Bachelor/Master-Studiengänge angekommen. Der Strafrechtsprofessor Wolfgang Joecks polterte erst einmal, das Abitur wäre ja inzwischen auch nichts mehr wert, weil die Schulabgänger immer weniger wüßten. Qualifizierte Forschung sei somit ohnehin erst im Master-Studium möglich. Und schwupps landete die Debatte bei den Akkreditierungsagenturen und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von denen man ja ach so abhängig wäre heutzutage. Nebenbei regte einer der Moderatoren an, nicht allgemein Studiengebühren zu erheben, sondern nur bei bestimmten, qualitativ hochwertigen Vorlesungen einen Obolus zu verlangen.
Dann erschien aber doch noch der Retter des Palavers am Horizont, in Person von Altrektor Jürgen Kohler. Der räumte erst einmal grundsätzlich mit dem argumentativen Kleinklein auf: Was denn diese Details bei der Frage, was eine Universität sei, verloren hätten? Man müsse vielmehr fragen, was diese Universität Greifswald sei und wie sie herausfinden könne, was sie denn sein sollte. Die Debatte sei in falsche Widersprüche verstrickt, diagnostizierte Kohler, Praxis und Theorie, Geistes- und Naturwissenschaften sowie Wissenschafts- und Berufsqualifikation würden gegeneinander ausgespielt. Dabei sei es gerade Aufgabe der Universität, sich jenseits dieser Widersprüche als Ganzes zu begreifen. Erst dann könne man über sich selber und seine Ziele nachdenken und würde nicht ständig von Krise zu Krise stolpern.
Dummerweise war es da aber schon fünf vor viertel vor, so dass Martin Onnasch nur wenig Zeit blieb, über Geld als fragwürdiges Steuerungsinstrument für Hochschulen nachzudenken. Pünktlich um viertel vor acht war dann die Frage, was eine Universität sei, vom Konjunktiv in den Indikativ überführt – vorerst zumindest, bis in 50 Jahren das nächste Jubiläum ansteht.

Geschrieben von Ulrich Kötter