Von Ulrike Günther und Katharina Stegelmann

Ein blaugrünes Licht umspielt das liebevoll gestaltete Bühnenbild. Leidenschaftliche Tangomusik strömt durch die Ohrmuschel und ein Schrecken durchfährt den Körper, als eine kräftig, rauchige Männerstimme zum Takt „Roxanne“ raunt. So begeisterte bereits der Einstieg des Gastspiels „Chimära“ (Frei nach „Meereswunder“ von Gerhart Hauptmann) der Seebühne Hiddensee am vergangenen Montag im Cafe Koeppen seine Gäste.

Als der Smut (Karl Huck) die Schiffskombüse des Schiffes unter der Flagge von Kapitän Cardenio betritt, sieht man ihn erst nur von hinten. Dabei bringt er eine altmodische Küchenwaage ins Ungleichgewicht. Nahezu apathisch trifft den Zuschauer sein erster Blick. Dieser Eindruck wird gefestigt durch sein akribisches Suchen nach einem geeigneten Messer. Die bläuliche Beleuchtung wird dadurch von der Klinge aufgefangen und blendet.

Mit allen Sinnen

Karl Huck versteht es sich in seiner Rolle zu verlieren und das Publikum mit allen Sinnen einzubinden. Schon beim Betreten des Raumes stach einem der Geruch von frisch geschnittenem Knoblauch in die Nase. Während er auf der Bühne eine Suppe kocht, erzählt Huck, in seiner Rolle als Schiffskoch eine fast unglaubwürdige Begebenheit.

„Ich kenne keine Geschichten, nur Wahrheiten.“, beginnt er diese und zeigt auf die Seelenraubenden Teufelschellen. Auf seiner Suche nach einer Anstellung traf der Smut am Hafen den Kapitän Cardenio, welcher den arbeitslosen Koch für sein Schiff anheuerte. Dieser sollte dem Kapitän jedoch nicht lange erhalten bleiben. Beim Würfelspiel verspielt er seinen Koch gegen die Liebste des schwarzen Admirals. Der Koch jedoch sagte, dass er sich darum schon kümmern würde und so erstach er seinen neuen Herrn und kehrte zum Kapitän und dessen neuer Frau zurück.

Allein auf der Bühne

Erstaunlich bei dieser Geschichte ist zudem, dass Huck die gesamte Zeit allein auf der Bühne steht. Nur Holzköpfe, welche den Kapitän und seine Frau verkörpern, dienen ihm als Hilfsmittel auch diese Rollen darzustellen. Jeder weitere Protagonist ist ein anderes Requisit auf der Bühne. „Niemand ist so gut für den Kessel geeignet, wie ihr Deutschen.“ – mit diesen Worten fliegen die Kartoffeln in den Suppentopf. Auch restliche Zutaten dienen als Darstellung der Schiffsmannschaft, welche nach und nach in einem duellartigen Blutrausch zerhakt werden.

„Welches Gewicht hat Liebe?“

Nach dem Verlust seiner Mannschaft entschließt sich Kapitän Cardenio sein Schiff zu verkaufen und ein Haus auf einer Hallig zu erwerben, in welchem „das Feuer der Liebe“ zwischen seiner Liebsten und ihm weiter brennen soll. Dabei immer den Koch an seiner Seite wissend. Im Verlauf der Geschichte nimmt die Dreieckskonstellation von Smut, Kapitän und dessen Geliebter verheerensvolle Dimensionen an. So ist eines Morgens die geheimnisvolle Geliebte plötzlich verschwunden. Zumindest wird dies dem Kapitän erzählt. Als Zuschauer wird man Zeuge des Gänsehaut erregenden Schauspiels. Huck verkörpert allein mit dem Puppenkopf seinem Arm die Schwimmbewegungen von Koch und Frau. Anmutig, mit lieblicher Musik unterlegt, erdrängt das immer mehr Scheusal wirkende Wesen die zarte Frau. Als Fisch zurück an den Strand gespült landet sie ebenfalls, aber erst später im Kochtopf. Schwermütig kehrt der Kapitän mit seinem Koch zurück aufs Meer. Das Ziel egal. Dabei verfällt er immer mehr den Depressionen, welche durch einen erhöhten Alkoholkonsum und Schlafstörungen verstärkt werden, was Halluzinationen auslöst. Er bildet sich ein seine Geliebte zu hören und zu sehen. Eine Chimäre auf dem weiten, dunklen Ozean. „Welches Gewicht hat Liebe..“, fragt sich der Koch, während er den Fisch köpft, ausnimmt und ihn gegen die Teufelsschellen auf der Waage aufwiegt. Hierbei erliegt der Kapitän seinen Wahnvorstellungen. Das tragische Unglück nimmt seinen Lauf und auch er wird Teil der später sehr köstlich schmeckenden Suppe. Diese durfte man am Ende des Stücks verköstigen, nachdem das Zusammenspiel von Aromen die Geschmackssinne erregt hatte.

Doch nicht nur die leckere Suppe war es, die den Körper an diesem Abend wärmte. Das Auf und Ab der Gefühle die Huck bei seiner Performance auslöst, gehen weit unter die Haut. Er kann einen schockieren und zugleich eine Heiterkeit auslösen, dass man laut auflachen möchte. Abschließend ist daher nur der Schriftsteller Gerhart Hauptmann der Novelle „Meerwunder“ auf dessen Geschichte dieses Stück beruht aus seinem Werk zu zitieren. „Entbinden wir nur unsere Phantasie und machen sie zu unserem Erkenntnisorgan: Das ist der höchste und letzte Sinn unseres Lebens.“

 

Bilder: Katharina Stegelmann und Ulrike Günther