In seiner Heimat ist Jurij Andruchowytsch der Vizepräsident des Ukrainischen Schriftstellerverbandes. Seine Laufbahn als Schriftsteller begann, als 1982 erste Gedichte von ihm in einer ukrainischen Literaturzeitschrift veröffentlicht worden sind. Inzwischen wurde er für sein bisheriges Werk mit mehreren Preisen ausgezeichnet, so beispielsweise mit dem Herder-Preis (2001) und dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung (2006). Der Schriftsteller trat gestern  im Rahmen des Polenmarktes gemeinsam mit der Band Karbido im IKuWo auf und wird heute Abend (24. November) um 19 Uhr gemeinsam mit dem weißrussischen Lyriker und Übersetzer Alhierd Bacharevic im Koeppenhaus unter dem Motto: „Desorientierung vor Ort“ unter Moderation von Roman Dubasevych lesen. Der webMoritz sprach im Anschluss des gestrigen Konzerts mit Jurij Andruchowytsch. 

Das Interview führte Marco Wagner.    

Herr Andruchowytsch, Sie sind 1960 in Stanislaw geboren und haben später ein Journalistik-Studium aufgenommen und abgeschlossen. Wann kamen Sie auf die Idee, sich mit dem Schreiben zu befassen und im den Journalistisch-schreiberischen Bereich tätig werden zu wollen?

Der Gedanke kam relativ früh. Er kam viel früher, als ich mich entschieden habe, ein Journalistik-Studium aufzunehmen. Ich schrieb meine ersten Gedichte, als ich ungefähr 16 war. Ich hatte ein Notizbuch meines Vaters, das leer war. Und es war für mich verführerisch, so geheim Gedichte für mich in ein Notizbuch zu schreiben. Eigentlich sollte ich eine Philologie studieren. Ich wollte allerdings nicht an der Uni sein. Und so studierte ich dann Journalistik an einer speziellen Journalistenschule. Das war ein Institut im alten sowjetischen Sinne, das Polygrafische Institut, an dem ich studierte. Wir lernten hier das Lektorieren; etwas,  das mir entsprach. Die Uni mochte ich nicht, da ich hier Militärunterricht gehabt hätte, was ich nicht wollte. An dem Polygrafischen Institut gab es das nicht und es war dort auch alles relativ frei.

Sie sagten, dass Sie mit 16 Ihre ersten Gedichte veröffentlichten. Welcher Art waren diese Gedichte?

Es waren Gedichte, die ich in der damaligen Ukrainischen Poesie nicht gelesen hatte. Sie waren irgendwie pessimistisch und dekadent. Texte jüngerer wie älterer Autoren sollten in der Sowjetunion jedoch immer optimistisch sein. Ich kann jetzt kein Gedicht mehr aus der Zeit zitieren, da ich keines mehr kenne und bin auch glücklich, vergessen zu haben, welche Gedichte es genau waren.

1982 erschienen Ihre ersten Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften. War es leicht, die Texte zu veröffentlichen?

Nein, es war sehr kompliziert und geschah auch nicht auf meine Initiative hin. Ich studierte zusammen mit bildenden Künstlern. Einer von Ihnen traf eine Auswahl meiner Gedichte von 15 bis 20 Stücken, die er umgestaltet hat. Eine Frau hat sie dann weiter in die Redaktion der Literaturzeitschrift gebracht. Nachdem sich herausstellte, dass einige Gedichte von mir in dieser Zeitschrift veröffentlicht werden sollen, ist man zu mir gekommen und hat mir dann gesagt: Es kann sein, dass demnächst Gedichte von dir veröffentlicht werden.

Das war ja dann sicherlich eine ziemliche Überraschung…

Ja, das war eine Überraschung, ein Schock. Ich musste dann mit den Redakteuren direkt kommunizieren, was ich nicht besonders mochte, da ich sehr schüchtern war. Und jeder Besuch war ein Schock für mich, schließlich saßen da die ganzen alten sowjetischen Schriftsteller. Sie haben dann vier Gedichte ausgewählt, die dann im Mai/ Juni 1982 erschienen, was genau in die Zeit fiel, als ich mein Studium abgeschlossen habe.

Wie wurden Ihre Texte von den übrigen sowjetischen Schriftstellern aufgenommen?

Die Wenigsten kannten die ersten Gedichte, da die Publikation noch zu klein war. Allerdings wurden sie in der Zeitschrift direkt neben einer Übersetzung von einem Text von Edgar Allen Poe publiziert. Ich bin ein großer Fan von Edgar Allen Poe und da war es natürlich schon ein schönes Gefühl für mich, meine Texte neben dem von Poe abgedruckt sehen zu können.

Wie gestaltete sich Ihr weiterer Werdegang als Schriftsteller?

Er war auf jeden Fall nicht schicksalhaft. Ich habe die Zensur gekannt und deshalb immer nur Gedichte für die Schublade geschrieben. Ich schrieb sie für Freunde, aber wusste für mich, dass ich sie nicht publizieren würde. Mein Geld verdiente ich als Übersetzer. Plötzlich traf ich einen Menschen, der ein junger und toller Literaturkritiker war. Er hat gesagt, dass ich meine Texte publizieren müsse. Dann kehrte ich nach Iwano-Frankiwsk (bis 1962 Stanislaw; Anm. MW) zurück und habe realisiert, dass da meine Gedichte sind, die jemand liest. Es wurden Fotos meiner Gedichte gemacht, um sie an andere Literaturzeitschriften im Ausland zur Publikation zu senden. Das war dann eine zweite Show für mich. Ich musste sofort danach in die Armee. Der Literaturkritiker sagte: Bevor du zum Militär gehst, mach ein Manuskript aus deinen Gedichten. Als ich anderthalb Jahre beim Militär war, hatte er schon meinen ersten Gedichtband vorbereitet. Sein Argument, damit der Band gedruckt werden kann, war, dass ich ein Soldat der Roten Armee sei. Ein Soldat der Roten Armee war eine Autorität.

Also nutzte er Ihre Wehrdienstzeit als Trick?

Ja, es war ein Trick. Er nutzte das Klischee. Sie waren natürlich skeptisch. Das sind keine Gedichte, die der Ideologie entsprechen. Da sagte er zu ihnen: Am wichtigsten ist doch, dass diese Literatur von einem Soldaten kommt. Das hatte sie überzeugt und so kam es dazu, dass die Texte gedruckt worden sind.

Sie sagen von sich selbst, dass sie sehr stark von dem polnisch-jüdischen Schriftsteller Bruno Schulz beeinflusst gewesen seien. Inwiefern spielt Bruno Schulz eine Rolle in Ihren Gedichten?

Zunächst habe ich Bruno Schulz gar nicht gekannt, sondern nur viel von ihm gehört, weil meine Freunde und Kollegen von ihm erzählt haben. Da habe ich dann zunächst eine Vorstellung davon entwickelt, wie Bruno Schulz gelebt haben könnte. Natürlich habe ich dann auch Texte von Bruno Schulz übersetzt. Ich möchte behaupten, dass ich als Übersetzer alle seine Texte bis zum letzten Zeichen gelesen habe. Nachdem ich die Texte übersetzt hatte, erkannte ich, wie viel in diesen Gedichten sich auch in meinen Gedichten wiederfinden. Es sind vor allem die Motive, die einander ähnlich sind.

In dem Konzert haben sie noch von einem anderen Autor gesprochen: Stanislaus Perfetkin…

Jurij Andruchowytsch im Konzert mit Karbido

Stanislaus Perfetkin ist ein Romanheld. Gerne rede ich von ihm auf Konzerten so, als sei es eine reale Figur, allerdings ist es eine Imaginäre Person meines Romans „Perversion“.

Um noch ein bisschen genauer auf das Konzert von heute Abend und das Projekt „Karbido & Juri Andruchowytsch“ einzugehen: Wie kam es zum ersten Treffen? Wie kam es zur Zusammenarbeit?

Zum ersten Treffen kam es vor sieben Jahren, im Juni 2005, auf einem Lyrikfestival. Die Veranstalter haben entschieden, dass Dichter zusammen mit einer Band lesen. Die Band muss dabei den Hintergrund zur Musik machen. Man hat zu mir gesagt, dass ich einen Tag vorher kommen solle, um bereits zusammen proben zu können. Das war dann auch der Anfang der Kooperation. Wir haben als erstes das kosakische Volkslied gemeinsam geprobt, was wir heute immer am Ende unserer Auftritte spielen. Auf diesem Festival haben wir entschieden, einmal gemeinsam eine CD aufzunehmen. Da waren wir noch ziemlich weit entfernt voneinander. Es war zu diesem Zeitpunkt noch keine Freundschaft da. Die kam erst mit der Zeit, nachdem wir mehrere Treffen hatten. Aus dem Einzelprojekt ist dann eine Trilogie geworden, die mit „Absinth“ ihren Abschluss fand. Ich bin sehr glücklich mit solchen Musikern zusammen zu arbeiten. Sie sind sehr sensibel und nehmen eine unglaublich tiefe Interpretation meiner Texte vor.

Inwiefern hat die Zusammenarbeit mit der Band Karbido ihr Schreiben beeinflusst?

Immer wenn ich Gedichte schreibe, denke ich sofort daran, wie ich das vertonen kann. In diesem Bezug hat die Zusammenarbeit mein Schreiben verändert.

Wenn Sie an die Anfangsjahre zurückblicken: Haben Sie erwartet, dass sich das Projekt so entwickelt oder hatten Sie zu Beginn ganz andere Erwartungen?

Ich hätte am Anfang der Arbeit an der ersten CD nicht gedacht, dass sich das Projekt so entwickelt. Allerdings hatten wir mehr und mehr Lust gehabt, gemeinsam etwas zu machen. Als nächstes haben wir eine ukrainische Version unserer ersten CD herausgebracht. Es entwickelten sich immer mehr Pläne. Und jetzt wäre es einfach traurig, sich zu verabschieden. Daher überlegen wir alle, was wir jetzt als nächstes gemeinsam machen werden.

Ein ausführliches Portrait des Projektes „Karbido & Jurij Andruchowytsch“, mit einer Sicht der Band Karbido auf das Projekt, wird in der Dezember-Ausgabe des Moritz-Magazins erscheinen.

Fotos: Marco Wagner