Einst war Ducherow ein wichtiger Industriestandort der Region, heute verlassen viele Menschen den Ort. Mit der Universität Greifswald startete die bevölkerungsreichste Gemeinde im Amt Anklam nun ein Projekt, das zum bleiben anregen soll.
Nächster Halt – Ducherow – Ausstieg in Fahrtrichtung rechts“, hört man die blecherne Computerstimme aus dem Lautsprecher des Doppelstockzuges aus Richtung Stralsund ertönen. Kurz bevor der Zug zum Stehen kommt, fährt er an einem ziemlich großen, verrotteten Bahnhofsgebäude vorbei. Einstmals herrschte hier reger Betrieb, schließlich zweigte hier die Hauptbahn nach Swinemünde ab, die 1945 in Folge der Sprengung der Karminer Brücke eingestellt werden musste. Die Bedeutung des Bahnhofes sorgte dafür, dass sich auch der eine oder andere Betrieb ansiedelte.
Die vorpommersche Landgemeinde begann, sich in ein kleines Industriedorf zu verwandeln. Doch von all der Bedeutung ist in Ducherow nicht viel übrig geblieben. Die Arbeitslosigkeit stieg, nicht zuletzt, nachdem die Ziegelei schließen musste. Immer mehr Menschen verließen das Dorf. Diejenigen, die blieben, fühlen sich mit ihren Problemen häufig allein gelassen. Viele der Träume, die in Ducherow 1990 geträumt worden sind, wurden inzwischen längst von der Realität eingeholt. Doch den Kopf in den Sand stecken, um sich mit der schwierigen Situation einfach so abzufinden, wollen die Bewohner der Gemeinde auch wieder nicht.
Greifswalder Erziehungswissenschaft dabei
Auf Initiative des Landkreises Vorpommern-Greifswald reiste Dr. Anne Heller, Dozentin am Greifswalder Lehrstuhl für Schulpädagogik, mit ihren Studierenden im Rahmen eines demokratiepädagogischen Seminars von Greifswald nach Ducherow. Sie sind mit dem Ziel gekommen, Kinder und Jugendliche dazu zu motivieren, sich aktiv in ihrer Gemeinde zu beteiligen und die im Rahmen des Seminars diskutierten demokratiepädagogischen Theorien in Ducherow in die Praxis umzusetzen. Zwei Wochen sind sie im Rahmen des Projektes „UniDorf Ducherow“ in der Gemeinde geblieben. Das Projekt ist Teil des bundesweiten Förderprogramms „Lernen vor Ort“ im Landkreis Vorpommern-Greifswald.
Maßgeblich unterstützt wurden die Greifswalder in diesem Projekt durch Studierende der Landschaftsarchitektur der Hochschule Neubrandenburg, während der ehemalige Greifswalder Schulpädagogik-Professor Dr. Franz Prüß vom Landkreis mit der wissenschaftlichen Begleitung des Projektes beauftragt worden ist. Während dieser Zeit zeigten Schülerinnen und Schüler der siebenten Klasse der Regionalen Schule des Dorfes unter dem Motto „Ducherow als Zukunfts- und Gestaltungsort von Jugendlichen“ der Seminargruppe aus Greifswald ihren Ort. Im Rahmen dieser Dorferkundung sind ein Ducherow-Song, eine umfangreiche Foto-Dokumentation sowie zahlreiche Texte und Gedichte entstanden, die während einer Abschlusspräsentation der Gemeinde vorgestellt worden sind.
Projekt entwickelt Eigendynamik
„Es war enorm, wie die Schüler sich uns gegenüber geöffnet haben“, erinnert sich Anne Heller an die Woche im Dorf – und das, obwohl Lehrerinnen und Lehrer vor Ort einerseits zwar dem Projekt gegenüber aufgeschlossen waren und es daher auch unterstützten, andererseits im Hinblick auf das Gelingen des Projektes ein Hauch von Skepsis mitschwang. Dadurch, dass die Greifswalder gekommen sind, um zu bleiben, ist es ihnen gelungen, Schülerinnen und Schüler für sich öffnen. „Es gab schon viele Leute, die nach Ducherow kamen und sagten: Wir machen was für euch und waren dann ganz schnell wieder weg. Deswegen war es für uns ganz wichtig, dass wir bleiben und in den Ort eintauchen“, erzählt die Schulpädagogin.
Auf diese Weise entwickelte das Projekt eine Eigendynamik. „Wir haben so viel rausgefunden, jetzt müssen wir auch etwas daraus machen“, resümierten die Kinder am Ende ihrer Abschlusspräsentation. Und so entschieden sie, einen Kinder- und Jugendbeirat im Dorf gründen zu wollen. Begleitet wurde die Gründung von dem Greifswalder Lehramtsstudenten Peter Hoffmann. „Am Anfang haben sich die Kinder und Jugendlichen das noch nicht zugetraut, doch inzwischen läuft das Ganze von alleine“, beschreibt er die Entwicklung des Beirates. Inzwischen haben in Ducherow zwei, vom Kinder- und Jugendbeirat organisierte, Kinoabende stattgefunden.
Angestachelt vom Erfolg der ersten Filmabende wird das Kinoprojekt in der Gemeinde nun fortgesetzt. Bereits zum ersten Kinoabend wurden Listen ausgehängt, auf denen die Besucher ihren nächsten Wunschfilm notieren konnten. Ein Kino für Ducherow soll jedoch nicht das einzige Projekt bleiben. So wollen die Kinder und Jugendlichen des Dorfes nun eine Badestelle im Ort einrichten und den Spielplatz ihren Bedürfnissen gemäß anpassen. Sogar ein Hausboot, das auf der nicht allzu weit entfernten Peene eingesetzt werden soll, ist im Gespräch.
Projektleiter Dr. Michael Heinz zeigte sich begeistert angesichts der Entwicklung des UniDorfes. „Die Kinder fühlen sich wertgeschätzt“, hebt er hervor. Was ihn vor allem beeindruckt, ist, dass es den Akteuren des „UniDorfes“ gelungen ist, vielfältige und bislang verborgene Fähigkeiten aus Lernenden herauszuholen. Nicht zuletzt würden Lehrerinnen und Lehrer ihre Schülerinnen und Schüler inzwischen von einer ganz anderen Perspektive sehen.
Wenn es nach Michael Heinz geht, würde jeder Schulstandort im Landkreis über einen Kinder- und Jugendbeirat verfügen, der mit einem Haushalt von 1 000 Euro ausgestattet ist, die die Heranwachsenden für die Realisierung ihrer Projekte selbst verwalten. „Die Kinder brauchen das Geld, um es ‚veredeln‘ zu können. Andernfalls wird es zu einer Plauderbude“, begründet der Projektleiter von „Lernen vor Ort“ die Notwendigkeit einer finanziellen Grundausstattung.
Gelebte Demokratie vor Ort
Vor einem Jahr war von einer demokratischen Eigendynamik noch nichts zu spüren. Dass trotzdem immer wieder von Zeit zu Zeit Hürden zu überwinden sind, stellen Michael Heinz und Franz Prüß jedoch ebenfalls heraus. „Wir haben die Unterstützung des Bürgermeisters; allerdings müssen wir noch Wege finden, die Schule stärker einzubinden“, beschreibt Franz Prüß das Verhältnis zwischen dem „UniDorf“-Projekt und der Regionalen Schule Ducherow. Schließlich ist er nicht der Einzige, der spürt, dass die Kinder- und Jugendlichen ihre Schule verändern wollen. Dennoch stellt er klar, dass die Schule eine Institution sei, die „sich selbst entwickeln muss“. Ungeachtet dessen zeigen sich alle Teilnehmer des Projektes schon fast überwältigt von dem Verlauf des Vorhabens. „Das UniDorf Ducherow ist ein Beispiel von Lernen und Umsetzen von Demokratie vor Ort“, betont Franz Prüß, während Anne Heller den praktischen Nutzen für Lehramtsstudierende herausstellt und die Zusammenarbeit zwischen dem Projekt „UniDorf“ und dem Greifswalder Institut für Erziehungswissenschaften nicht mehr missen will.
Ein Bericht von Marco Wagner