Oliver Wunder (28) wohnt im fünften Stock eines Plattenbaus. Er studiert Geographie, Politikwissenschaft und BWL. Seit sechs Jahren schreibt er regelmäßig in seinem Blog. Ansonsten zeltet er schwarz und frittiert leidenschaftlich.

Lautes Pöbeln, Mädchengekreische und dumpfes Klatschen von Schlägen im Dunkeln – Prügelei im Innenhof meines Blocks. Wo eben noch die Jugendlichen ihre Sommerferien oder Arbeitslosigkeit genossen haben, bricht ein Orkan der stumpfen Gewalt los. Die Tischtennisplattengang scheint entweder untereinander zu testen, wer das Alphatier im Rudel ist, oder sich mit der Gang aus dem Nachbarhof zu kloppen.

Da es nicht aufhört, greife ich kurzerhand zum Telefonhörer und wähle die 110. Die Polizei scheint recht schnell zu kommen. Später erfahre ich, dass ein Kumpel meines Mitbewohners gegenüber auf der anderen Seite des Innenhofs wohnt und sich das Spektakel auf dem Balkon sitzend mit einer Flasche Bier in der Hand anschaute. Er sah, wie ein Polizeiwagen vorgefahren kam, ein Polizist lässig ausstieg und sich als erste Amtshandlung eine Zigarette anzündete. Mit ihr in der Hand ging dieser langsam in den Innenhof und guckte sich die Szenerie an. Die kleine Gangster pöbelten ihn von Weitem an: „Hau ab, scheiss Bulle!“ Nachdem er aufgeraucht hatte, verzog er sich einfach wieder. Die Prügelei war beendet.

Kontaktanzeige im Schönwalde Center

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Meine wohl einzige Erinnerung an Gewalt in fast schon fünf Jahre im fünften Stock in Schönwalde II. Und jetzt fragt ihr euch einen Satz, den ich zu oft gehört habe. „Was, du wohnst in Schönwalde?“ Damit einhergehende Vorurteile: 1. Da wohnen nur Nazis. 2. Hartz-IV-Ghetto. 3. Alter, ist das weit weg! 4. Da wohnen nur Nazis. Gefolgt von einem: „Warum ziehst du nicht in die Innenstadt? Da ist eh mehr los.“ Meistens kommen die Sprüche von Menschen, die Schönwalde nur auf ihrem Weg in den Elisenpark oder zur Kiste durchquert haben.

Gut: in Schönwalde kann man abends nicht feiern gehen oder gemütlich beisammen sitzen, einzige Ausnahme bildet hier die Kiste. Aber mit anderen Vorurteilen gehört aufgeräumt. Von wegen weit weg. 95% der Greifswalder wohnen innerhalb eines 3 km großen Radius. Das sind 15 Minuten auf dem Fahrrad von der Europakreuzung bis zu Burger King. Aber besonders für die in ihrer Heimatstadt sonst so weite Wege in Kauf nehmenden Berliner ist das natürlich eine Zumutung.

Während sich in der Innenstadt das studentische Leben zentriert, finden in den Plattenbauvierteln Greifswalds ganz andere Alltäglichkeiten statt. Seit letztem Jahr stelle ich beispielsweise fest, dass vermehrt Hinweise auf Zetteln oder Glastüren auftauchen, wenn ein Nachbar irgendwas zu sagen hat. Ob nun Hasenkacke im Flur liegt, ein Wecker zu laut klingelt oder eine neue Partnerin für’s Leben gesucht wird, immer häufiger tauchen solche erheiternden Botschaften auf.

Schönwalde ist kein Ghetto. Da wohnen genug eurer Kommilitonen. Schnappt euch euer Rad und besucht sie. Sie kommen ja auch immer in die Innenstadt zu euch. Gerade in den Plattenbauwohnungen sind die Nachbarn erstaunlich lärmresistent. Private Partys werden selten von der Polizei beendet. Lasst euch einfach mal drauf ein und hört den Geschichten dieses Stadtteils zu. Er hat viel zu erzählen.

Foto: Gabriel Kords (Porträt), Oliver Wunder (Kontaktanzeige), Jakob Pallus (Grafik)

Dieser Text ist Teil des webMoritz-Projekts „fünf x fünf – Die Kolumne“. Vom 20. Juni bis 22. Juli schreiben werktags fünf Autoren an je einem festen Tag eine Kolumne für den webMoritz. Weitere Infos gibt es hier. Morgen ist an der Reihe: Oleg Maximov.