Zum 15. Mal gab der PolenmARkT Einblicke in die Kultur und das Leben unseres Nachbarlandes. Es folgt eine kleine Reise durch das Programm und die Heimat der Künstler des Kulturfestivals.
Vom 19. November bis zum 4. Dezember konnte man mit dem Greifswalder Festival PolenmARkT das Nachbarland und seine Kultur direkt vor der Haustür kennenlernen. Und nicht nur in Greifswald gab es etwas zu erleben. Dieses Jahr gab es zum ersten Mal unter dem Motto: „PolenmARkT on Tour“ auch zwei Gastspielveranstaltungen in Stralsund.
Die aufwändige Organisation des Festivals hat bereits im Januar 2010 angefangen, sodass bis April diesen Jahres bereits alle 36 Veranstaltungselemente geplant worden sind. Die Auswahl der Künstler wurde unter anderem mit Tipps des polnischen Instituts in Berlin und guten Kennern der Kulturszene getroffen. Ab August wurden schließlich Veranstaltungsorte, wie das Theater Vorpommern, IKuWo und das Café Koeppen gebucht und Finanzierungsanträge gestellt. Zwei Wochen vor dem Festival wurde eine Werbeaktion in Zusammenarbeit mit dem NDR gestartet, dabei wurden auch auf Greifswalder Straßen die Vertreter der Bürgerschaft befragt. „Erstaunlicherweise waren alle bestens über das Festival informiert“, erzählt Veranstalterin Agata Wisniewska-Schmidt. Auch das Publikum in Schönwalde wollte man mittels einer Buswerbung ansprechen.
Der PolenmARkT ist ein gemeinnütziger Verein, der auf Spenden und Fördergelder angewiesen ist. „Das bedeutet für uns, dass wir jedes Jahr alle Anträge erneut stellen müssen, es ist eine sehr ermüdende Arbeit“, erklärt der Koordinator Marcus Hoffmann. Manche Sponsoren fördern keine Künstlerhonorare, die anderen wiederum keine Spesenabrechnungen. In einem aufwändigen Prozess müssen alle Kosten dem entsprechenden Förderer zugeteilt werden.
Obwohl die Veranstaltung Jahr für Jahr an internationaler Bedeutung gewinnt, wird sie vom Land und von der Stadt Greifswald weitgehend ignoriert. Beide Seiten beteiligen sich finanziell gerade mal mit einem Zuschuss von fünf Prozent und seit 13 Jahren hat sich der Bürgermeister noch nie bei einer Veranstaltung sehen lassen. Nichtsdestotrotz wird der PolenmARkT immer gerne als Greifswalder Aushängeschild präsentiert. Der polnische Botschafter, Marek Prawda, ist in dem Fall dem Herrn König weit voraus. Dieses Jahr kam Prawda zum ersten Mal höchst persönlich zur Eröffnung und setzte somit ein Zeichen für Offenheit zur deutsch-polnischen Zusammenarbeit.
Die feierliche Eröffnung im Wissenschaftskolleg mit einer Lesung von Włodzimierz Nowak, einem preisgekrönten Journalisten, aus dem Buch „Die Nacht von Wildenhagen. Eine Sammlung von Reportagen.“ war ganz in diesem Sinne. Die Reportagen eröffneten die traumatischen Abgründe der deutsch-polnischen Geschichte und griffen viele Klischees auf. Ein Signal für Probleme und Krisen einer Grenzregion wurde gesetzt.
Szczesin ist ein typisches Beispiel für eine Stadt an der Grenze. Es gibt dort genug Probleme und Vorurteile auf beiden Seiten. In den 1990er Jahren hat man auch in Greifswald mit Polen nichts weiter als Prostitution und den Billigmarkt an der Grenze verbunden. Genau gegen dieses Image wollten die Begründer des Festivals 1999 mit dem Namen „PolenmARkT“ ankämpfen. Alles hat 1997 mit einem einzigen polnischen Abend im St. Spiritus angefangen, organisiert von Austauschstudenten. Zwei Jahre später waren sich die Veranstalter absolut einig, dass daraus mehr werden sollte.
Heute ist der Name „PolenmARkT“ in polnischen Künstlerkreisen weit verbreitet und viele kommen jedes Jahr nach Greifswald. „Wir haben jedes Jahr auch die richtige Oberliga hier“, schwärmt Wisniewska-Schmidt. Dazu gehört auch die orientalisch angehauchte DJ-Band Masala Soundsystem. Die Gruppe aus Warschau vermischt Electro-Beats mit transkulturellen Klängen altertümlicher Musikinstrumente, wie Maultrommel und Laute. Die Partys im IKuWo waren alle sehr gut besucht, wenn auch viele der Studenten nicht gewusst haben, dass die Veranstaltungen zum PolenmARkT gehören.
Unsere nächste Station, die Stadt Łódź, ist nur 473 Kilometer von Berlin entfernt. Die drittgrößte Stadt im Land (739.800 Einwohner) hat eine Filmhochschule mit vielen namenhaften Absolventen, eine davon ist Isabela Płucińska. Ihr neuester Trickfilm „Esterhazy“ über Berliner Mauerhasen behandelt ein Stück deutscher Geschichte. Die Künstlerin hat einen kostenlosen, fünftägigen Workshop zum Thema „Animation“ in Greifswalder Kunstwerkstätten gegeben. Zehn Studenten und Studentinnen aus Greifswald und Polen haben viele Techniken, von der Kameraperspektive bis zum Vertonen und Arbeiten mit Bluescreen kennengelernt. „Es war ein super Programm und eine gute Verpflegung. Wir wollen unbedingt noch weitere Projekte in diese Richtung machen“, sagte eine der Teilnehmerinnen begeistert.
Der nächste Stopp ist Wrocław (Breslau). Sie ist die viertgrößte Stadt in Polen und hat 630 000 Einwohner. Sie ist die Wiege der Revolution und die Heimat der Zwerge. Die Demonstranten der 1980er Jahre verkleideten sich damals als Zwerge und stürzten mit ihren aberwitzigen Protestaktionen das Regime in Polen. 2004 initiierten die Zwerge die orangene Revolution in der Ukraine. Dokumentarfilme darüber konnte man im IKuWo ansehen. Der Regisseur und Mitbegründer der Bewegung Mirosław Dembiński lud anschließend zu einer Diskussion ein. Der Master des Protests konnte den Studenten von heute jedoch keine Tipps geben. Die Provokation bringt eine Diktatur aus dem System, bleibt in der Demokratie jedoch erfolglos.
Wrocław scheint in jeder Hinsicht eine kreative Stadt zu sein. Die Band von Paweł Romańczuk spielt ausschließlich auf Spielzeug-Instrumenten. Getreu dem Motto „klein aber oho“ werden auf Kinderklavieren sogar Stücke von Chopin vertont.
„Chopin ist die Wurzel der polnischen Kultur. Jeder, der in Polen Musik macht, beschäftigt sich mit Chopin“, sagt Roman Jagodziński, Pianist des weltberühmten polnischen Jazz-Trios aus Warszawa. Zum 200. Geburtstag des Komponisten gab das Jagodsiński Trio ein grandioses Konzert im Theater Vorpommern. Das Publikum und die Band waren restlos voneinander begeistert. Warum die Band, im Gegensatz zu Frankreich und England, in Deutschland noch unbekannt ist, können sich die Musiker auch nicht erklären. Es ist leider noch ein weiteres Beispiel dafür, wie wenig wir uns für unsere Nachbarn interessieren.
Und dabei hätten wir allen Grund dazu. Die meisten Örtlichkeiten in Mecklenburg-Vorpommern trugen einst polnische Namen. Was der eine oder andere Ortsname bedeutet, erzählte Dr. Joern-Martin Becker von der Universität Greifswald in seinem Vortrag „Die Geschichte der Ortsnamen östlich der Oder“. Zum ersten Mal waren wissenschaftliche Vorträge auf dem Programm. „Wir wollten mit Vorträgen das ältere Publikum erreichen und waren erstaunt, dass es auch bei Studenten Anklang gefunden hat“, sagt die Veranstalterin Wisniewska-Schmidt. Überhaupt war der PolenmARkT dieses Jahr sehr gut besucht und die Organisation ist weitgehend erfolgreich verlaufen. Der Verein bedankt sich bei seinen zwölf ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen. Sie waren oft bis drei Uhr morgens im Einsatz und haben abgebaut. „Die Arbeit mit ihnen hat super viel Spaß gemacht“ sagt Marcus Hoffmann, der Koordinator des Vereins.
Otwock ist die letzte Station auf unserer kurzen Reise, einst waren dort 75 Prozent der Bevölkerung jüdisch, heute ist es ein gemütlicher Kurort. Die letzte Band des PolenmARkTes kommt aus Otwock und heißt Oranźada, so hieß im 18. Jahrhundert ein typisch polnisches Getränk aus Orangensaft und Zuckersirup.
Wer noch mehr von diesen tollen, unaussprechlichen polnischen Wörtern lernen möchte, kann sich ab sofort für das Polonicum an der Slawistik anmelden. Der neue Studiengang ist für Studenten aller Fakultäten konzipiert und umfasst in zwei Semestern außer der Sprachkurse das Grundwissen über die Literatur und Kultur des Landes.
Das Festival wurde mit dem Gedanken einer Prävention gegen das Wissensdefizit über das Nachbarland vor langer Zeit geschaffen. Heute hat sich der PolenmARkT zu einer kreativen Künstlerplattform mit Begegnungscharakter entwickelt: „It`s a very creative atmosphere here. It`s a great idea, we need the similar festival in Poland“ sagt Regisseur Mirosław Dembiński. Es gibt schon sehr viele Anfragen für das nächste Jahr, aber leider können nur etwa 40 Prozent der Künstler letztendlich eingeladen werden. Das zeigt wie wunderbar weltoffen die Polen sind, sehr viele von ihnen sprechen sogar Deutsch. Wenn man im Gegensatz dazu bedenkt, wie wenige Deutsche Polnisch sprechen und was wir über Polen alles noch nicht wissen, meldet man sich vielleicht doch noch für das Polonicum an.
Ein Bericht von Anastasia Statsenko mit Photos von Roland Schmidt und Patrice Wangen.