Die vorlesungsfreie Zeit ist zu Ende, die Reisezeit auch erst einmal. Den krönenden Abschluss dieser hatte ich Ende September, als ich von Berlin nach Holland trampte. Vier Autos benötigte ich für die etwa 700 Kilometer lange Strecke und bezahlte dafür keinen einzigen Cent.

Es war einer dieser regenreichen Septembertage, an denen ich mich entschloss, zu verreisen. Mein Ziel: Leiden in Süd-Holland, wo ich mein Erasmus-Semester verbracht habe. Von meinem Vorhaben erzählte ich einem niederländischen Freund Tommy, der mir vorschlug, dass ich doch trampen könnte. Bereits im April sind wir gemeinsam von Holland nach Paris getrampt. Alleine per Anhalter zu reisen, traue ich mir allerdings nicht zu. Und so schlug Tommy vor, dass er nach Berlin kommen würde und wir zusammen zurücktrampen könnten. Begeistert willigte ich ein und so machten wir uns an einem sonnigen Freitagvormittag auf dem Weg. Etwa 700 Kilometer lagen vor uns – oder gute sechs Stunden und 30 Minuten, wie einschlägigen Routenrechnern zu entnehmen ist.

Keine Fremden, Versicherungsgründe, Geschäftswagen

Noch müde ist Tommy im Regionalexpress nach Michendorf.

Wo wir starten sollten, wusste Tommy aus dem Hitchwiki – eine Art Ratgeber fürs Trampen in Wikipedia-Format. So fuhren wir zunächst mit dem Regionalexpress nach Michendorf bei Potsdam und liefen vom Bahnhof zu einer Autobahntankstelle. Wie das Trampen genau funktioniert, weiß ich von Tommy, der bereits circa 45.000 Kilometer getrampt ist. Letztes Jahr schaffte er es sogar von Holland nach Istanbul. Nur den Daumen rausstrecken mit einem Pappschild, auf dem der Ortsname vermerkt ist, erweist sich nicht immer als erfolgreich. Am besten spricht man die Autofahrer direkt an Tankstellen oder Raststätten an. Die Sonne schien in Michendorf und so waren wir sehr motiviert. „Hallo, wir sind Tramper und wir würden gerne von ihnen erfahren, wo Sie heute noch hinfahren und ob Sie uns gegebenenfalls ein Stück mitnehmen könnten?“, fragten wir, natürlich freundlich. Viele Ausreden hörten wir. „Das ist ein Firmenwagen“, „Das geht nicht aus Versicherungsgründen“, manche gaben uns aber deutlich zu verstehen, dass sie Fremde einfach nicht mitnehmen wollen. Kein Problem, weiter fragen. Manche wollten uns mitnehmen, fuhren aber in eine komplette andere Richtung.

250 Kilometer im BMW

Augerüstet mit einem Europa-Atlas auf einer Raststätte bei Hannover.

Tommy ließ sich nicht entmutigen und steuerte zielstrebig einen jungen Mann an, der einen Anzug trug, sich leicht an einen neuen BMW lehnte und an seinem Coffee to go nippte. „Der nimmt uns nie mit“, dachte ich – und wurde eines Besseren belehrt. Zunächst zögerte der Anfang 30-jährige Geschäftsführer: „Ich bin mir nicht sicher, ob ihr nicht Gras bei habt. Ich meine, ich habe ja so etwas früher auch gemacht, aber…“ Wir konnten ihn dann aber doch überzeugen und so nahm er uns nach Hannover mit. Wir redeten während der zweistündigen Autofahrt viel über Politik, über den Bologna-Prozess und das Reisen. Bei einer Raststätte kurz vor der Messestadt ließ er uns raus und wünschte uns eine gute Weiterreise.

„Geen probleem“

Die Sonne ging bereits unter und noch etwa 150 Kilometer lagen vor uns.

Während wir in Michendorf ungefähr eine halbe Stunde gebraucht haben, um mitgenommen zu werden, benötigten wir in Hannover nicht einmal zwei Minuten. Der erste Fahrer, den ich ansprach, fuhr nach Dresden. Der Zweite stand rauchend vor einem leicht zerbeulten Auto mit niederländischem Kennzeichen. Tommy sprach ihn auf Niederländisch an und nach zwei Sätzen antwortete der Autofahrer: „Geen probleem.“ Kein Problem also, er nahm uns mit. Wir erfuhren, dass der junge Mann, etwa Mitte 20, Mariusz heißt und gebürtiger Pole ist, aber in den Niederlanden aufwuchs. Bei Amsterdam hat er ein Geschäft für polnische Spezialitäten und so fuhr er uns bis kurz vor die niederländische Hauptstadt. Etwa fünf Stunden dauerte die Fahrt, ein 15-Kilometer langer Stau bei Osnabrück hielt uns ein wenig auf. Wir redeten auf Niederländisch und Englisch, manchmal übersetzte ich auch die Nachrichten des Deutschlandsradios. Es war bereits dunkel, es regnete und ein wenig erschöpft waren wir, als wir Mariusz an der Tankstelle verabschiedeten.

Ankunft nach neun Stunden Fahrt

Nach fünf Minuten fanden wir einen weiteren Autofahrer, der uns zu einer Tankstelle im Süden von Amsterdam fuhr. Von dort aus wäre es leichter, Richtung Süden zu trampen, meinte Tommy. Der neue Fahrer, ebenfalls Anfang 30, erzählte begeistert von seiner Arbeit auf dem Flughafen Schiphol bei Amsterdam. Er hatte einen eher aggressiven Fahrstil, trank schnell zwei Red-Bull-Dosen aus und achtete eher wenig auf die Autobahn. Kurz danach erreichten wir die gewünschte Tankstelle, noch 50 Kilometer lagen vor uns. Auch dort wurden wir bereits nach wenigen Minuten fündig. Ein junges Paar, ursprünglich stammen beide aus dem Iran, leben aber seit 13 und 16 Jahren in den Niederlanden, nahm uns mit. Sie wollten nach Den Haag, um dort zu feiern. Wir redeten viel über das Reisen, über Integration, fremde Länder und was Heimat bedeutet. Die beiden wohnen nun bereits länger in den Niederlanden, als sie im Iran lebten, sprechen nahezu akzentfrei Niederländisch und haben gutbezahlte Jobs. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders wäre vielleicht überrascht. Die beiden fuhren uns direkt vor die Haustür in Leiden, es war bereits gegen 21 Uhr und das Ziel nach neun Stunden endlich erreicht. Eine schöne Woche erlebte ich danach in meinem alten zu Hause.  Zurück nach Deutschland fuhr ich allerdings mit der Bahn. Irgendwie ist das doch ein wenig bequemer.

Fotos: Christine Fratzke