„Nine“ (2009) ist die Verfilmung des gleichnamigen Musicals aus dem Jahr 1982, welches wiederum auf den italienischen Film „8 ½“ (1963) rekurriert. Ein Film wird zum Musical wird zum Film. Aber der Reihe nach.
Der Ursprung
Federico Fellini gehört zu den Regisseuren des italienischen Neorealismus. Mit dem Film „8 ½ aka Achteinhalb“ brach er mit seinen vorherigen Werken. Waren diese bisher wirklichkeitsnah und in die Nachkriegszeit einzuordnen, so verschwommen erstmals Traum und Wirklichkeit in einem Kinofilm von Fellini. Die Übergänge waren dabei fließend.
„8 ½“ handelt von den Problemen eines Regisseurs, der seiner Aufgabe einen neuen Film zu inszenieren nicht nachkommen kann. Grund ist seine innere Unruhe und Ideenlosigkeit. Auch wirken sich die unzähligen Affären nicht positiv auf die Stabilität seines Charakters aus. Die Hauptfigur wird von Marcello Mastroianni gespielt und ist eindeutig als Fellinis Alter Ego zu erkennen. (Eine ausführliche Auseinandersetzung mit „8 ½“ kann hier gefunden werden. Der Spielfilm ist auf DVD in der Stadtbibliothek Greifswald erhältlich.)
Seinen Titel erhielt „8 ½“ durch Fellinis Addition seines bisherigen Schaffens. Er drehte bis dahin sechs Spielfilme (=1), zwei Kurzfilme (=0,5) und war bei „Lichter des Variete“ Co-Regisseur (0,5). Vor allem die Film-im-Film-Geschichte von „8 ½“ lässt das Herz eines Cineasten höher schlagen. (Auch „Die Verachtung“ von Jean-Luc Goddard aus dem gleichen Jahr und „Die amerikanische Nacht“ (1973) von François Truffaut behandeln fiktive Filmproduktionsprozesse und sind sehr sehenswert.)
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten
Noch zu Lebzeiten Fellinis wurde in New York ein Musical unter dem Titel „Nine“ aufgeführt. Es hat die gleiche Handlung wie „8 ½“, aber nur mit einem einzelnen männlichen Darsteller und insgesamt 24 weiblichen Figuren besetzt. Das Musical war ein großer Erfolg am Broadway und erlebte bis heute unzählige Wiederaufführungen, beispielsweise war Antonio Banderas in der Rolle des arbeits- und lebensunfähigen Regisseurs zu sehen.
Zurück ins Kino
Nachdem Regisseur Robert Marshall mit „Chicago“ (2002) ein für ein amerikanisches Musical in der heutigen Kinolandschaft sehr hohes Einspielergebnis erzielte und der Film mit insgesamt sechs Oscars – bei 13 Nominierungen – von der Academy of Motion Pictures and Arts ausgezeichnet wurde, drehte er die Romanverfilmung „Die Geisha“ (2005).
Als ehemaliger Tänzer, dann Choreograf und Regisseur am Theater und dem Erfolg seiner ersten Musicalverfilmung zog es Marshall wider zu einem musikalischen Stoff. „Nine“ wurde somit seine dritte Regiearbeit.
Die Auflistung der gecasteten Darsteller liest sich eindrucksvoll. In der Hauptrolle als Regisseur Guido Contini ist Daniel Day-Lewis zu sehen. Der gebürtige Engländer füllt die großen Fußstapfen von Marcello Mastroianni in „8 ½“ ohne Zweifel wunderbar aus und scheitert ebenfalls mit seinem Film – mit dem großspurigen Titel „Italia“ – im Film. Die sieben weiblichen Rollen sind mit Marion Cotillard (Ehefrau), Penélope Cruz (Geliebte), Sophia Loren (Mutter), Kate Hudson (verführende Journalistin), Judi Dench (mütterliche Ratgeberin), Nicole Kidman (Muse) und Stacy Ferguson (Glorifizierung kindlicher sexueller Fantasie) namhaft besetzt.
Die bekannten Darsteller können in ihre Rollen nur so gut sein, wie es das Drehbuch vorgab. Wird „Nine“ einzig als Hommage an Fellinis Film verstanden, dass mit Tanz- und Gesangsstücke in einem Filmpaket zusammen geschnürt wurde, dann kann dies nur zwei Gruppen von Filminteressierten zu Beifallsstürmen animieren. Zum Einen die kindlich naiven Filmliebhaber, die mehr in Erinnerung an die gute, alte Zeit fellinischen Schaffens schwelgen. Zum Anderen werden sich mit „Nine“ nur Musicalbegeisterte zufriedengeben, für die „Der König der Löwen“ in Hamburg zu bunt und unrealistisch – weil von der Walt Disney Company mit Tieren als Figuren – ist und die statt dessen lieber das Theaterstück mit Musikeinlagen „Die Dreigroschenoper“ in der Variante (2006) von Klaus Maria Brandauer und Campino als Mackie Messer sehen wollen.
Nicht für zu Hause
Während der 60. Berlinale fand die Deutschlandpremiere des Films statt. Kurze Zeit später lief „Nine“ dann in den Kinos. Aus zwei Gründen verursacht dies Bauchschmerzen. 1. Zur Premiere – die zeitgleich auch Galavorstellung des runden Jubiläums war – sind weder der Regisseur noch die Darsteller erschienen. 2. Die größere Berichterstattung aufgrund der Berlinale-Vorführung wurde als kostenloses Marketing für den folgenden Filmstart verstanden – wie auch bei anderen Filmen, die kurz nach der Vorführung bei Filmfestivals dem zahlenden Publikum gezeigt werden (beispielsweise: „Shutter Island“ und „Vengeance“).
Genützt hat es dem deutschen Filmverleih Senator Film nicht. Nur 34.377 Zuschauer sahen den Film bis Ende März, im Monat April tauchte der Streifen schon gar nicht mehr unter den 100 meistgesehen Filmen in Deutschland auf.
Nun erschien vor kurzem die DVD des Musicals. Wie oben schon geschrieben, ist der Film nur filmverrückten und/oder musicalbesessenen Zuschauern ans Herz zu legen. Das Bonusmaterial ist vor allem auf die zweite Gruppe ausgerichtet. Die elf Musicalnummern lassen sich direkt ansteuern und die Hintergrunddokumentationen und Interviews stellen den musikalischen und tänzerischen Produktionsprozess in den Vordergrund. Neben dem deutschen Ton findet sich auch der englischsprachige Originalton. Eine Selbstverständlichkeit ist dies aber für die DVD-Auswertung eines Films. Genauso konnte der deutsche Filmvertrieb Senator beim Bonusmaterial auf die Arbeit des US-amerikanischen Filmverleihs The Weinstein Company zurückgreifen. Filminteressierte sollten statt auf „Nine“ aber lieber auf „Achteinhalb“ zurückgreifen.
Filmdaten
Titel: Nine (englischsprachiger Titel: Nine)
USA 2009, 114 Minuten
Regie: Rob Marshall
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Marion Cotillard, Penélope Cruz, Sophia Loren, Kate Hudson, Judi Dench, Nicole Kidman, Stacy Ferguson
Deutscher Kinostart: 25.02.2010
DVD- und Blu-Ray-Disc-Verkaufsstart: 27.08.2010
DVD-Bonusmaterial: Vier Featurettes über die Diven des Films, Hautdarsteller Daniel Day-Lewis, den Look des Films und die Musicaltänzer, zwei Choreografien der Stücke „Be Italien“ und „Cinema Italiano“, Musikvideos, Interviews, sieben Kinotrailer für andere Filme der Senator Film (A Single Man, Der Vorleser, Die Eleganz der Madame Michel, Nanny Diaries, Mitte Ende August, Whatever Works und Whisky mit Wodka)
Bild: Central Film/Senator Film