Sechs Stunden „Treffer“ – Eine Nacht voller Schicksale, Alkohol und schlechter Musik
Als wir uns mit schnellen Schritten auf den Gang mit der schweren Eisentür zu bewegen, ist es bereits dunkel. Die Luft um uns ist bitterkalt und messerscharf, sie scheint uns tiefe Furchen in das Gesicht zu schneiden. Im Moment ist alles besser, als im Freien zu sein. Dennoch stehen einige dunkle Gestalten um den rostigen Fahrradständer vor dem Eingang und rauchen. Man kann ihren ausgestoßenen Rauch nicht von ihrem Atem unterscheiden. Schnell gehen wir an ihnen vorbei, wir wollen nicht angequatscht werden. Wir gehen unter dem Schild, auf dem in schwarzen Buchstaben „Treffpunkt“ geschrieben ist, hindurch und betreten den dunklen, miefigen Gang.
Als wir die Tür aufstoßen und den Gastraum betreten, ist es so, als würden wir den Bauch eines Raumschiffs betreten, irgendwo auf einem anderen Stern. Dem verqualmten Raum fehlt jedes Fenster. Dort wo sie einst waren, steht heute eine mit allen erdenklichen Schnapssorten bestückte Bar, die anderen sind verhangen oder zugenagelt. Am Tresen sitzen zwei einsame Männer und trinken ihr Bier. Diese Welt ist nicht unsere, wir gehören hier nicht her, dieses Gefühl beschleicht uns sofort.
Der „Treffer“ ist eine alte Bar mitten in Greifswald. Seit 50 Jahren steht er dort, unbeeindruckt vom Wandel der Zeiten. Ihren Kummer im Alkohol ertränken, das wollen die Menschen immer; daran wird sich vermutlich auch nie etwas ändern. Die Kneipe hat rund um die Uhr geöffnet. Immer. Auch an Weihnachten. Die Nächte dort sind stets etwas besonderes, denn im „Treffer“ trifft sich alles, was nachts noch unterwegs ist.
Selbst wenn in der ganzen Stadt die Bürgersteige hochgeklappt sind und selbst die Studentenclubs die letzten Gäste vor die Tür setzen, im Treffer bekommt jeder sein Bier und seine Bockwurst. Der Moment, in dem die schwere Eisentür sich öffnet, ist jedes Mal ein Moment der Spannung, denn man weiß nie, wer als nächstes durch sie hindurch tritt.
Nach einem langen Arbeitstag in der Redaktion suchen wir den Abstand zum hektischen Studentenleben, wollen weg von den flimmernden Clubs und Bars mit den bunten Cocktails. Wir setzen uns an einen Tisch in einer Ecke. Neben unserem Platz befindet sich eine kleine Bühne, in deren Mitte eine eiserne Stange bis zur Decke herauf ragt. Früher beglückten hier wohlgeformte Stripperinnen die Gäste mit ihren Kurven. Heute ist die Stange nur noch ein Relikt aus der Vergangenheit, dort hat schon lange keiner mehr getanzt.
Die Zeit geht auch am „Treffer“ nicht spurlos vorbei. Am Fuß der Stange liegt ein großer Strauß roter Rosen. Bestimmt 50 Stück. Sie gehören Mohammed, dem Rosenmann, der am Nachbartisch mit einigen Trinkern seine lange Nacht einläutet. Von hier beginnt er seine Tour durch die Bars und Clubs der Studenten.
Wir bestellen erst einmal Tee und Kaffee, um uns aufzuwärmen. Während wir warten, wird es laut am Tisch des Rosenmanns. „Warum lügst du mich an? Sag mir, warum lügst du mich an?“, gehen plötzlich zwei der Trinker aufeinander los. Ein Dritter schaltet sich ein: „Komm, gib ihm nen Hunni und dann is er ruhig“, lallt er seinen Kumpel an. Ein Hunni wechselt zwar nicht den Besitzer, dennoch scheinen sich alle wieder zu beruhigen.
Unser Kaffee kommt in großen weißen Tassen, die so gar nicht zum Rest des Ladens passen wollen. Der heiße Dampf steigt uns in die Nase. Wir beginnen langsam aufzutauen, als die Tür aufgeht und Max die Kneipe betritt. Max ist ist jeden Abend hier, zumindest immer dann, wenn wir auch da sind. Max ist Mitte 40, sieht aber aus wie Ende 50. Er hat graue Haare, einen silbernen Ring am linken Ohr und arbeitet am Hafen. Als er hereinkommt, macht er einen selbstbewussten und zufriedenen Eindruck. Das wird sich im Laufe des Abends, von Bier zu Bier ändern.
Nach einer Stunde haben wir unser Dasein in der Ecke satt und wechseln an die Bar. Wir beobachten, wie ein Typ mit blauer Jacke in nichtidentifizierbarem Alter sich bereits zum dritten Mal von seinen Freunden verabschiedet, ohne dann auch zu gehen. Bei Kathleen, der Barfrau, verlangen wir die Karte. „Aber Vorsicht“, warnt sie uns, „ das ist meine letzte“. Sie reicht uns eine alte zerknitterte schwarze Karte mit einem Totenkopf vorne drauf. Nach eingehendem Studium entscheiden wir uns für Bier. Die Hausmarke.
Durch die alte schwarze Anlage hinter dem Tresen beginnt Cora von Amsterdam zu träumen. „Halt mich, hast du oft gesagt. Wie, hab ich dich dann gefragt“. Wir lassen uns von der Stimmung treiben und können Max dabei zusehen, wie seine Augen immer glasiger werden. Er erzählt uns, wie er kürzlich fünf Mal pusten musste, weil ihm die Polizei nicht glauben wollte, dass er nicht besoffen ist. „Traum von Amsterdam, der die Hoffnung nahm“.
Ich erwache aus meiner Trance, als ich merke, dass das Bier einmal durch mich durch ist. Die Toilette ist nicht weit, sie ist direkt neben der Bar. Zumindest die für Männer. Frauen müssen raus vor die Tür und durch den miefigen Gang hindurch. Aber Frauen gibt es hier sowieso kaum. Das Pinkelbecken neben mir, über dem sich ein paar Gäste mit einigen schlüpfrigen Sprüchen verewigt haben, ist besetzt. Sein Benutzer steht dort bestimmt schon seit fünf Minuten. Als ich fertig bin und er immer noch dort steht, ruft er mir noch hinterher: „Da haste mich doch noch geschlagen“.
Ich lache und gehe nach draußen. Der Typ, der mittlerweile schon 20 Mal gehen wollte, ist immer noch da. Er ist inzwischen in dem Stadium angekommen, in dem er kein Glas mehr bekommt, sondern nur noch einen Plastikbecher. Kathleen kennt die Leute hier, sie weiß, wie sie mit ihnen umzugehen hat. Doch muss sie stets aufpassen, nie die Kontrolle zu verlieren. Sie gibt den Gästen stets zu verstehen, wer hier der Chef ist.
Plötzlich brechen tumultartige Zustände um uns aus. „Das kannste echt nicht machen!“, schreit jemand. Um Max hat sich ein Pulk von Menschen gebildet. Er hat Kathleen an den Arsch gefasst, mit glasigem Blick und lallender Stimme streitet er die Tat ab. „Ich hab die Frau nicht angefasst, ich schwörs!“ Kathleen geht auf Max zu, umfasst mit Daumen und Zeigefinger sein Gesicht und drückt fest zu, so dass Max Backen nach vorne quellen. „Pass auf, du! Mach das noch einmal und du fliegst raus!“, droht sie ihm. Noch einmal verteidigt er sich, aber man sieht ihm an, dass es für ihn die Sache wert war.
Mittlerweile ist es vier Uhr geworden. Taxifahrer, die jede volle Stunde den Raum betreten, haben viele der Trinker nach Hause gefahren, wo auch immer das sein mag. Von den ersten Gästen sind nur noch wir und Max übrig. Doch für jeden der geht, kommt ein neuer herein. Wir fragen uns, wo die alle um diese Zeit noch herkommen. Die Party im nebenan gelegenen Mensaclub ist nun auch zu Ende. Die ersten erschöpften Partygänger kommen durch die Eisentür, betreten das heruntergekommene Raumschiff.
Wir sind inzwischen so lange hier, dass die Studenten von einem anderen Stern zu kommen scheinen. Sie haben die ganze Nacht durchgetanzt, in Erwartung eines aufregenden Lebens. Die meisten anderen Gäste sind bereits an ihrer letzten Station angekommen, für sie ist der „Treffer“ die Endhaltestelle. Sie erwarten gar nichts mehr, außer der nächsten Molle von Kathleen.
Wir fragen Kathleen, ab wann wir Frühstück haben können. „Bei mir gibt es immer Frühstück, Jungs“, erklärt sie uns freundlich. „Zwei Bier sind auch nen Frühstück“, fügt Max von der gegenüberliegenden Seite des Tresens hinzu. Wir verzichten auf das Champagnerfrühstück für 38 Euro und bezweifeln, dass es jemals jemand bestellt hat. Stattdessen entscheiden wir uns für das Bafög-Frühstück, das kostet nur zwei Euro. Brötchen, Butter, Marmelade, Kaffee.
Nach sechs Stunden verlassen wir die Kneipe. Das ist keine besonders lange Zeit, viele bleiben noch bis zum Nachmittag des folgenden Tages. „Aber mindestens bis acht Uhr“, wie Kathleen es uns erläutert hat. Doch uns reicht es für heute. Wir sind froh über das Privileg, diese Welt betreten und verlassen zu können, wie wir es wollen. Wir treten durch die eiserne Tür in die schneidende Kälte.
Eine Reportage von Alexander Müller mit einer Collage von Daniel Focke
Lieber Alexander, ich hab keine Ahnung, wer du bist und wie du aussiehst, aber du schreist besser als alle drei Chefredakteure, unter denen ich beim Moritz wirken durfte, zusammen.
Schöner Artikel.
Lieber Alexander, ich hab keine Ahnung, wer du bist und wie du aussiehst, aber du schreibst besser als alle drei Chefredakteure, unter denen ich (die Ehre hatte) beim Moritz wirken zu dürfen, zusammen.
Jeder der schon drin war fühlt sich beim Lesen ein wenig an diesen seligen Ort erinnert 🙂
Das ein oder andere Mal wird gern probiert was härter ist. Kopf oder Bierflasche. Und Backpfeifen bekommt man auch gern und gratis wenn man danach bettelt 😉 Sogar Äxte in Studentenhand wurden dort schon gesichtet…
Toll geschrieben, ich vermute der Autor war nicht allein und hatte seinen Spass 🙂
Denn Fenster hat der Raum sehr wohl 🙂 Die sind sogar manchmal offen… Noch vor wenigen Jahren wurden diese übrigens noch regelmässig als "Schnellausgang" genutzt 😉
Ich persönlich finde den Text banal und jede Schülerzeitung hätte dies pointierter hinbekommen. Wo sind denn die im Untertitel angekündigten Schicksale? Sind damit die Prostataprobleme eines Gastes gemeint?
Das ganze ist nichts weiter als eine biedere Ortsbeschreibung, über die Menschen dort wird mit akademischen Dünkel und befreit von jeglicher Empathie geschrieben. Und wenn im Artikel nicht von eintrudelnden Mensaclubgästen die Rede wäre, hätte ich den Eindruck gewonnen, Alexander wäre Montag Nacht da gewesen und hätte sich beim reinkommen als Zeitungsfuzzie geoutet, woraufhin sich jeder zusammenreisst. Wenn Alexander diesen Artikel als investigativen Journalismus versteht, kann sich demnächst jeder weisse Pudel als Eisbär anreden lassen.
Ich persönlich finde den Text banal und jede Schülerzeitung hätte dies pointierter hinbekommen. Wo sind denn die im Untertitel angekündigten Schicksale? Sind damit die Prostataprobleme eines Gastes gemeint?
Das ganze ist nichts weiter als eine biedere Ortsbeschreibung, über die Menschen dort wird mit akademischen Dünkel und befreit von jeglicher Empathie geschrieben. Und wenn im Artikel nicht von eintrudelnden Mensaclubgästen die Rede wäre, hätte ich den Eindruck gewonnen, Alexander wäre Montag Nacht da gewesen und hätte sich beim reinkommen als Zeitungsfuzzie geoutet, woraufhin sich jeder zusammenreisst. Wenn Alexander diesen Artikel als investigativen Journalismus versteht, kann sich demnächst jeder weisse Pudel als Eisbär anreden lassen.