Über Moral und Menschlichkeit in Christopher Nolans „The Dark Knight“

Das, was einen Menschen zu einem Individuum, zu einer Persönlichkeit werden lässt, ist sein Gesicht. Im Gesicht eines Menschen erkennen wir, wer er ist und wie er ist – oder zumindest vorgibt zu sein. Um sich von jener Individualität loslösen zu können, greift der Mensch seit prähistorischen Zeiten zu einem Hilfsmittel: Der Maske.

Im antiken Drama waren es die Masken, die die Stereotypen von „Komödie“ und „Tragödie“ kennzeichneten. Doch bereits damals war es der undifferenzierte Grenzbereich zwischen beiden Extremen, der die Gemüter der Zuschauer am meisten bewegte. Die Fratze des Clowns war trotz ihrer Komik stets von tragischer Melancholie bis hin zu garstiger Boshaftigkeit geprägt.

Ein derartiger „Grenzgänger“ ist nun auch in den deutschen Kinos zu sehen. Die große Aufmerksamkeit, die der Figur des „Jokers“ in „The Dark Knight“, dem zweitem „Batman“-Film unter der Regie von Christopher Nolan, zuteil wird, ist sicher dem tragischen Tod des Darstellers Heath Ledger (1979-2008) geschuldet. Dass sich in der grotesk entstellten Mimik des exzentrischen Comic-Charakters bei genauerer Betrachtung das junge Gesicht des sympathisch-vielseitigen Australiers verbirgt, der sich in der Öffentlichkeit – wie beispielsweise bei Berlinale 2006 – so unkompliziert und natürlich gab, verschafft den Leinwandbildern eine emotionale Tiefe, welche die bereits intendierte Komplexität erheblich weiter steigert.

Dabei ist die Rolle auch ohne diesen Hintergrund von einer Prägnanz gezeichnet, die dem Film Aussagen verleiht, in denen sich unsere gesellschaftlichen, wie persönlichen Missstände widerspiegeln. Die Perfidität mit der der Joker seine Pläne umsetzt, lässt nicht nur den Kleingeist der „klassischen Mafiosi“ erkennen, die lediglich um ihre Finanzen besorgt sind, sondern dadurch gleichzeitig die Beschränktheit kapitalistischer Maßstäbe an sich. Indem er trotz, oder gerade wegen seiner anarchistischen Aktivitäten konsequent bestrebt ist, die aufkeimende Hoffnung einer „moralischen Ordnung“ im Sündenpfuhl der babylonischen Großstadtallegorie „Gotham City“ zu dekonstruieren, zeigt er ex negativo auf, woran sich die „westliche Zivilisation“ klammert.

Die Figur des Batman bildet genrespezifisch den Antipol zum „irren Psychopathen“. Doch verkörpert er die Ambivalenz von Maske und Individuum in besonderem Maße. Zum einen steht der „Kämpfer“, der für das unterdrückte Volk einsteht, in der langen Tradition, beispielsweise des biblischen Erzengels Michael, der im Danielbuch für die israelitischen Exilanten kämpft oder in der Johannesoffenbarung mit dem „roten Drachen“ ringt, sowie der Kreatur des „Golem“ im Prager Ghetto, an die die Zeichner der „Superhelden-Comics“ in den 1930er und 40er Jahren, wie „Batman“-Schöpfer Bob Kane (1915-1998) dachten. Er wird zum überpersönlichen Hoffnungsträger mit fast „messianischen“ Zügen.

Zum anderen ist es der individuelle Charakter des Bruce Wayne (Christian Bale) dem zutiefst menschliche Züge zueigen sind. Er fühlt sich sowohl in seinem aristokratischen Erbe, als auch in seiner Position als einflussreicher Großkapitalist verpflichtet, für „Recht und Ordnung“ einzutreten. Gleichzeitig muss er erkennen, dass er nicht über Empfindungen wie Liebe, Neid und daraus resultierendem Repräsentationsbedürfnis erhaben ist, was ihm die Illusion eines „objektiven Handelns“ aufzeigt.

„Eine Art von Zufall“

Jene Desillusionierung ist es, die auch die eigentliche „tragische Gestalt“ des Filmes kennzeichnet: den Staatsanwalt Harvey Dent (Aaron Eckhart, der Ledgers Leistung in nichts nachsteht). Als furchtloser Verfechter von „Recht und Ordnung“ wird er bald als „edler Ritter“ angesehen, der Batman in einem entscheidenden Punkt voraus ist. Er verfügt über eben jenes individuelle Gesicht, dass sich nicht im Schatten der Nacht zu verbergen braucht. Doch das scheinbar irrationale Handeln des Jokers lässt in ihm das Bewusstsein reifen, dass die Waagschalen der Justitia lediglich von einem objektiven Wert austariert werden: dem Zufall. Zu spät erkennt er, dass subjektiver Hass und Rachsucht auch sein Handeln kennzeichnen.

Gerade weil „The Dark Knight“, ebenso wie sein Vorgänger „Batman Begins“ nicht die groteske, eben „comichafte“, Überzeichnung anstrebt, wie es Tim Burton und seine Nachfolger ab 1989 taten, sondern in der Ausgestaltung von Szenerie und Charakteren auf mehr „Realismus“ setzt,  ist er ein verstörender Film, in dem Hoffnungskeime „unter den Dornen“ so gut wie chancenlos erscheinen. Wenn Batmans Assistent Lucius Fox (Morgan Freeman – neben Michael Caine als Buttler Alfred einer der Sympathieträger) am Ende freiwillig die Kontrolle über eine omnipräsente Überwachungsmaschinerie aufgibt, so erschein dies als ebenso singulärer Heroismus, wie die unbestechliche Aufrichtigkeit des Polizeichefs James Gordon (Gary Oldman, dem die 180°-Drehung vom korrupten Cop in „Leon – Der Profi“ dank Schnauzer und Hornbrille überzeugend gelungen ist).

Wenn man in dieser Welt von archaischem Herdentrieb und nihilistischer Selbstzerstörung so etwas wie einen „Hoffnungsanker“ ausfindig machen will, dann den Glauben daran, dass es so etwas wie „(Nächsten-)Liebe“ gibt – nicht als abgöttischen Besitzanspruch gegenüber einem anderen Menschen, sondern in der Maxime, dass die Bewahrung des individuellen „Gegenüber“ auch das Bewusstsein für die eigene Existenzberechtigung beinhaltet. Denn, „was du nicht willst, das man dir tu …“

Fotos von der Berlinale: Arvid Hansmann
Foto vom Joker: Offizielles Pressematerial von „Warner Bros. Pictures“