Ein Kribbeln im Bauch, ein unverhoffter Glücksmoment, ein wohlig warmes Gefühl. Dafür braucht es nicht immer ein großes Ereignis, vielmehr liegen diese magischen Momente oft verdeckt unter einem Mantel der Gewohnheit und der Selbstverständlichkeit. „Eine Liebeserklärung“ ist unsere neue Kolumne, in der es darum gehen soll, die vermeintlich einfachsten Dinge dieser Welt wertzuschätzen. Mit ihr bauen wir euch eine zynismusfreie Nische, in die sich hineingekuschelt werden kann, wenn der Alltag einem mal wieder die Daunendecke der guten Laune zu klauen versucht. In diesem Beitrag soll es um die Liebe zu Ausmalbüchern gehen.
Wir müssen es immer mit dranhängen: für Erwachsene. Ausmalbücher für Erwachsene.
Ausmalbücher sind für Kinder, oder waren es zumindest einmal. Mittlerweile gibt es sie zu verschiedensten „erwachsenen“ Themen: Als Begleiter für die Arbeit, inklusive Flüchen, weil Arbeiten frustriert. Mit kleinen feinen Designs, die Kinderhände noch nicht gut ausfüllen können – dazu fehlen die feinmotorischen Fähigkeiten. Mit Fantasiewelten, die … die sich wie genau von Kinderausmalbüchern unterscheiden? Vielleicht dadurch, dass die Linien nicht an allen Stellen perfekt abschließen, oder einzelne Motive zu klein sind. Vielleicht sind auch nicht alle Motive für Kinder geeignet.
Letztendlich unterscheidet sich unser Gebrauch von Ausmalbüchern jedoch kaum von dem eines Kindes. Meiner zumindest nicht. Im Kindergarten war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, stapelweise lose DIN A4 Blätter zu bekrakeln, am liebsten mit gut funktionierenden Filzstiften, noch lieber, wenn mir schon Formen zum Ausfüllen vorgegeben waren. Dabei fand ich mich in einen geradezu meditativen Zustand versetzt, bevor ich wusste, was Meditation ist. Wenn ich dabei kein Hörspiel hörte, erfand ich selbst Geschichten, die nie ein Ende hatten.
Die meisten kennen sicherlich das Phänomen, Kindheitshobbys nach einigen Jahren abzulehnen, weil sie zu „kindisch“ sind.
Irgendwann fiel mir auf, dass das sinnlos war – ich besaß zwar keine Ausmalbücher, aber sämtliche farblosen Illustrationen in Arbeitsheften oder vielleicht sogar einem Buch waren fair game.
Mitte der 2010er waren sie plötzlich überall. Ausmalbücher für Erwachsene, zur Stressbewältigung. Alle, die das Gefühl kennen, ein vergessenes Hobby nach ein paar Jahren wiederzuentdecken, wissen, was nun auf mich zukam. Dieser meditative Escapism, dieses Mal mit weniger Feen und Prinzessinnen, stattdessen mit Tieren und Pflanzen, zusammengesetzt aus geometrischen Formen. Kleinteilige, filigrane Motive, für die ich jeweils mehrere sehr entspannende Stunden brauchte. Statt Hörspielen ließ ich Serien und Filme im Hintergrund laufen, später auch Podcasts und Hörbücher. Und dann digitale Vorlesungen.
Ich stellte fest, dass ich mich viel besser auf Inhalte konzentrieren und sie hinterher viel leichter abrufen konnte, wenn ich das ausgemalte Motiv später wieder sah. Diese Information nutzte ich nicht so viel, wie man hätte annehmen können – aber gut zu wissen.
Ich zeichne auch sehr gerne selber, male fast noch lieber. Linien sind manchmal einschüchternder als Farbflächen. Ausmalen ist wie eine harmlose Vorstufe: Die einzige exekutive Entscheidung, die du treffen musst, lautet „Welche Farbe kommt in welches Feld“. Für jemanden mit Entscheidungsproblemen und Startschwierigkeiten ein gefundenes Fressen. Es lässt mich mein Hobby öfter ausleben, als wenn ich mich auf eigenständiges Malen beschränken würde und jedes Mal eine Idee haben müsste, wenn ich etwas in die Richtung machen möchte. Manchmal ist es einfach gut zum Aufwärmen.
Ich habe es auch mit digitalen Kunstprogrammen und sehr kurz mit digitalen Ausmalmotiven versucht. Immerhin ist es praktisch, Hobbys leicht abrufbar auf dem Handy zu haben, oder? Naja. Es gibt sicherlich eine Zielgruppe dafür. Ich gehöre da nicht zu. Einer der besten Aspekte von Ausmalbüchern ist, zumindest für mich, dass ich dabei nicht auf einen Bildschirm gucken muss. Insbesondere seit Beginn der Pandemie.
Wenn man mich fragt, ist es zudem wesentlich zufriedenstellender, mit Stiften auf Papier zu arbeiten. Taktiles ASMR.
Ein weiterer Punkt, den ich an Ausmalbüchern wertschätze, ist die Diversität der Stile verschiedener Ausmalbuchautor*innen. Natürlich habe ich meine Lieblinge, aber je nach Präferenzen – klare Formen oder flexiblere Gestaltung, dickere/dünnere Linien, mehr oder weniger abstrahierte Motive, u.v.m – ist für alle etwas dabei.
An dieser Stelle: Eine Mini-Rezension meiner Top 3 Ausmalbücher.
- Kerby Rosanes: Colourmorphia 7/10
Zugegeben – ein Liebling in Theorie. Sehr fantasievoll. Tiere verschmelzen mit ihrer Umgebung oder anderen kleineren Elementen, und die Motive geben alle kreative Freiheit, kleine Meisterwerke aus den Seiten zu machen. Das funktioniert am besten, wenn man tatsächlich z.B. Schattierung nutzt, und wird schwieriger, wenn deine Go-To-Stifte zum Ausmalen das 36-Farben-Set Filzstifte für 2€ von Tedi o.ä. sind. Ich habe es auch mit Wasserfarbe versucht, hatte aber zu viel Angst um das Papier, um dem Versuch eine faire Chance zu geben.
Kann mit viel Geduld trotzdem cool werden, aber nicht so entspannend, wie ich es gerne hätte. - Millie Marotta: Wundervolles Tierreich 9/10
Ich bin sicher, es war eins von Millie Marottas Ausmalbüchern, das mein Interesse wiedererweckt hat. Die Motive sind sehr detailliert, etwas abstrahiert und geometrisch. Ein großer Pluspunkt ist, dass man dadurch stundenlang an einem Motiv sitzen kann und ein Buch sehr lange vorhält. Die Muster sind etwas repetitiv, was einerseits eine meditative Wirkung hat – andererseits kann das nach einer Weile etwas langweilig werden. Falls man genug Zeit hat, um diesen Punkt zu erreichen. - Johanna Basford: Mein geheimnisvoller Dschungel 9,5/10
Ich habe zwei Ausmalbücher von Johanna Basford sowie ein Anleitungsbuch: How to Draw Inky Wonderlands. Ihre Zeichnungen haben natürliche Formen, keine geometrischen Elemente. Jedes Buch hat einen Hauch Magie in den Motiven. Ähnlich wie in Marottas Ausmalbüchern kann man sich hier gut in den Details verlieren, aber die Details sind keine winzigen Blattformen, die zusammen den Hals eines Vogels bilden, sondern ein Gestrüpp, ein Regal voller Krimskrams, oder eine Szenerie, die eine Doppelseite ausfüllt. Anders als bei Marotta gibt es jedoch Gelegenheit zum Schattieren und Farben ineinanderfließen lassen. Anders als bei Rosanes ist es kein Verlust, nur mit billigen Filzstiften zu arbeiten.
Die 0,5 Punkte Abzug sind rein subjektiv – besagte Doppelseiten können leicht zu Entscheidungsmüdigkeit führen.
Beitragsbilder: Clara Rauner