Serie: Greifswalder rund um den Globus

*piep piep* Das Handy von Hananel Hazan signalisiert eine SMS. „Zwei mal Luftalarm und ein weiterer Raketeneinschlag“, liest Hananel vor. Die Stimme wirkt kühl, doch man merkt, dass es ihn bedrückt.

Hananel Hazan

Hananel ist jüdischer Israeli, nordafrikanischer Abstammung. Er ist ein lebensfroher Mensch, den man praktisch nie ohne Grimasse aufs Foto bekommt. Er liebt amerikanische Serien und spielt gerne am Computer. Ich kenne ihn druch meine deutsche Gastgeberin, die mit ihm befreundet ist. Die Greifswalder Studentin macht zurzeit an der Universität Haifa im Norden Israels ein Auslandssemester.

Als die SMS eintrifft, sitzen wir und einige Freunde gerade in Hananels Zimmer und gucken ein paar Folgen der skurrilen Fernsehserie „Dr. House“. Immer wieder pausiert der Informatikstudent nun das Video und ruft eine hebräische Nachrichtenseite auf. Ich kann sie nicht lesen, doch das Bild zeigt, wie Raketen aus dem Gaza-Streifen in den Himmel aufsteigen. Hananel übersetzt für uns ins Englische: „Neue Raketen erreichen erstmals Ashdod“.

Schweigen. Der Informatikstudent stammt aus Ashdod – seine Familie und Freunde wohnen dort. Und auch ich wollte noch tags zuvor in diese Mittelmeerstadt fahren. Bisher galt sie als ungefährdet. Doch die Dinge ändern sich hier zurzeit recht schnell.

Wie schnell zeigte sich er einige Stunden zuvor. Ich bin hier im Wohnheim-Komplex direkt neben dem Campus der Universität untergekommen. Am Abend gab es ein kleines Konzert mit anschließender Verköstigung: Falafel – eine beliebte Spezialität in Israel. Währenddessen erhielt Hananel den ersten Anruf. „Really? Are you sure?“, hörten wir noch, bevor er sichtlich bestürzt unsere Runde verließ. Zehn Minuten später bedrängen wir ihn zu erzählen, was passiert sei: „Mein Bruder rief an. Eine Grad-Rakete hat gerade unser Haus um 200 Meter verfehlt. Sie schlug nebenan in einen kleinen Park ein.“

Vom Campus an die Front

Die Situation hier in Israel verschärft sich seit meiner Ankunft vor zehn Tagen spürbar. Am Sonntag, kündigte die israelische Regierung an, 6800 Soldaten aus der Reserve zu mobilisieren. Nur zwei Tage später wusste auch Hananel, dass er eingezogen wird. Die Armee hat darüber telefonisch informiert. Günstigerweise kann er als Student den Einzug noch ein paar Tage verzögern, verhindern kann er ihn nicht.

Dabei kommt Hananel der Einzug in die Armee überhaupt nicht gelegen. Zurzeit macht er gerade seinen Doktortitel in „Artificial intelligence moduling in neural networks“, gibt sogar Kurse und liebt seine Arbeit.

Hananel ist dabei ein ganz normaler Wehrpflichtiger, wie fast jeder Israeli. Doch diese Wehrpflicht kennt – im Gegensatz zu Deutschland – kaum Ausnahmen. Männer werden drei Jahre, Frauen zwei Jahre ausgebildet. Junge Soldaten mit schweren Schnellfeuerwaffen und griffbereiter Munition sind an jedem Ort des Landes präsent.

Soldaten machen Pause - aufgenommen in Jerusalem

Den Griff zur Waffe kann man verweigern, den Dienst in der Armee nicht. Nur für Ultraorthodoxe gibt es eine Ausnahme, die jedoch mit umfassenden Auflagen verknüpft ist. Der Militärdienst ist für Israelis eine Selbstverständlichkeit.

Während sich das Land auf den Krieg vorbereitet, machen wir uns Gedanken um unsere Sicherheit. Haifa liegt zwar weit entfernt von den Raketen der Hamas, doch erst vor zwei Jahren war die Stadt in den Libanonkrieg verwickelt. Damals wurde Haifa von Raketen aus dem Norden und terroristischen Anschlägen getroffen. Ein paar neu gebaute Häuser erinnern noch heute an die Einschläge.

Während der Falafelverköstigung wird

auch unter den Studenten über den Krieg diskutiert. Eine israelische

Studentin vertraut mir an, dass sie mit erneuten Angriffen aus dem Norden rechnet. „Die [radikal-muslimische] Hisbollah [aus dem Libanon] wird einige Raketen abfeuern, da bin ich mir sicher. Aus Solidarität mit den muslimischen Brüdern im Gaza-Streifen“. Ein anderer rechnet bereits fest mit dem Bodenkrieg in Gaza.

Während wir diskutieren, stelle ich fest, dass rund acht Sicherheitsleute die Falafel-Feier bewachen. Sicherheitsleute sind in Israel nichts ungewöhnliches. Supermärkte, die zentralen Busstationen, Bahnhöfe, öffentliche Gebäude – alles wird bewacht, überall wird kontrolliert. Auch die gesamte Universität und die Wohnheimanlage sind mit hohen Sicherheitszäunen, rund um die Uhr besetzten Personenschleusen, Schranken und allem was dazu gehört, gesichert. Bei jedem Eintritt in ein Unigebäude werden Rucksäcke kontrolliert und die Studenten elektronisch nach Waffen untersucht. Zutritt zu den Wohnheimen haben nur Anwohner oder Personen, die sich bei der Sicherheitsschranke mit Ausweis oder Führerschein anmelden.

Neu ist aber, dass die Sicherheitsleute nun auch direkt auf dem Campus des Wohnheimkomplexes sind. „Die sind wegen den Spannungen da. Wegen der vielen Araber, die hier auf dem Campus wohnen“, erklärt eine.

Israelische Soldaten an der Klagemauer in Jerusalem

Wie sehr die Spannungen das ganze Land erfasst haben, erfuhr ich am Montag. Ich besuchte – ganz touristisch – eine muslimisch arabisch dominierte Stadt namens Akko im Norden Haifas. Die Altstadt hat den Charme einer verwinkelten Hafenstadt aus dem 15. Jahrhundert bis heute konserviert. Gerade als wir gehen, drehen viele Händler ihre kleinen Fernseher und Radios laut. Fast überall hören wir plötzlich eine laute Stimme. Auf den Monitoren sehen wir einen alten Mann mit weißem Bart und Turban, der sein Publikum erregt anschreit, geradezu aufzuhetzen scheint.

Keine zehn Minuten später stürmen einige Jungendliche und Kinder uns entgegen und rufen erregt „Palestine!! Palestine!!“ und andere arabische Dinge, die wir nicht verstehen. Der erste hat einen Fußballfan-ähnlichen Schal mit der Aufschrift „Palestine“, ein anderer eine grüne Fahne, wie sie unter anderem die Hamas verwendet. Die Jungendlichen springen uns entgegen. Als hinter ihnen aus der Seitenstraße weitere 30 bis 40 Demonstranten folgen, drängen wir uns an die Seite der engen Gasse. Wir sind überrascht, verstört und verängstigt von der plötzlichen Demonstration. Zwar würde ich gerne hinterher, um zu sehen, ob die Demonstration noch größer wird, doch meine Begleiter drängen darauf, die Stadt sicherheitshalber zu verlassen.

Später lesen wir im Internet, dass der Mann mit dem weißen Bart Scheich Hassan Nasrallah war, der Anführer der radikalen Hisbollah-Miliz, die im Südlibaon großen Einfluss hat. In seiner Videobotschaft, die über die Propagandakanäle der radikalen Gruppen verbreitet wurde, rief er demnach zu einer dritten Intifada auf.

Außerdem erfahre ich von einer WG-Mitbewohnerin, dass es gleichzeitig auch auf dem Campus der Haifa-Universität zu einer kurzen Demonstration arabischer Studenten gekommen sein soll. Jüdische Studenten sollen dagegen gehalten haben. Wie an der Hebrew University in Jerusalem soll es dabei zu intensiven Wortgefechten gekommen sein.

Was bleibt?

Wer Israel in diesen Tagen besucht und mit seinen Bewohnern ins Gespräch kommt, begreift schnell, dass der Krieg real und todernst ist. In den letzten Jahren schlugen tausende Raketen der Hamas in Israel ein. Täglich müssen die Bewohner der betroffenen Orte in Luftschutzbunker fliehen.

Meine Gastgeberin berichtet von einer jüdischen Siedlung nahe des Gazastreifens (ein so genannter Kibbuz), den sie noch im September besuchte. Dort haben internationale Volontäre einen Tisch auf vier metallene Raketenhülsen gesetzt. Ausgebrante Hülsen der Hamas könne mal dort zahlreich einsammeln, berichtet sie. Im Radio höre ich wie Orte aufgezählt werden, in denen „heute“ Raketen eingeschlugen, wie bei uns Staumeldungen.

Kurz bevor ich das Land verlasse, glaubt jemand einen Luftalarm auf dem Campus gehört zu haben. Dann hätten wir noch eine halbe Minute, um in den Luftschutzraum zu fliehen. Wie selbstverständlich ist auch in der Uni-Wohnheimanlage jedes Appartment mit mindestens einem Luftschutzraum ausgerüstet. Diese Räume haben besonders dicke Wände und eine feuerfeste Stahltür. Tatsächlich war der Alarm nur eine mietzende Katze. Die Nervosität ist groß.

In den deutschen Medien werden die die Raketenangriffe auf Israel meist nur als Randnotiz notiert und stattdessen ausführlich das Leiden im Gaza gezeigt. Nach meinem Besuch macht mich das nachdenklich.
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Hananel Hazan hat keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Er wird nun zur Armee müssen. Heute ist noch ein wichtiges Treffen mit dem Professor, daher hat er noch einmal einen Tag Aufschub bekommen. Aber jederzeit könnte wieder sein Handy klingeln.
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Es ist eine schlechte Zeit, um in Israel eine SMS zu bekommen.
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Tipp: Der Kinofilm „Waltz with Bashir“ lief im November in Deutschen Kinos an. Auch wenn er den Libanonkrieg 1982 dokumentiert, gibt er doch einen Eindruck über das grundsätzliche Dilemma.
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Foto Titelseite: norwegianwood via Flickr
Fotos Artikel: Katja Lindner