Habt ihr euch schonmal gefragt, was hinter den Straßennamen in Greifswald steckt? Heute ist es keine Persönlichkeit, sondern ein ehemaliger Ort in der Nähe: die Spiegelsdorfer Wende.
„Ernsthof, Gustebin kenne ich. Aber wo liegt eigentlich Spiegelsdorf?“, fragte mich vor einer Weile ein Student aus Greifswald, der zwar die beiden anderen Straßen dem Stadtgebiet „Schönwalde I“ zuordnen konnte, jedoch nicht Spiegelsdorf. Mittlerweile – Google lernt jeden Tag dazu – hat sich die Suchmaschine auch über Spiegelsdorf erkundigt. Es ist aber äußerst spärlich, was es dort zu finden gibt. Wahrscheinlich schlummert da in den Archiven noch etwas mehr. Das wäre doch mal eine Sache für die Geschichte, um die Leerstelle im Netz bezüglich Spiegelsdorf füllen zu können. Ob es nun fünfzehn Seiten einer Hausarbeit werden oder auch nur fünf. Das Thema ist nicht so dröge – es bietet was! Irgendwo stand, dass das Dorf seit ca. 1920 wüst ist. Moment! Ich habe vergessen zu erwähnen, dass wir es bei Spiegelsdorf mit einer Wüstung zu tun haben. Wüstungen sind aufgegebene Siedlungen, von denen heute noch sichtbare Reste vorhanden sind oder zu denen es noch Akten oder ähnliche Dokumente gibt. Wüstungen entstehen auf unterschiedliche Weise: Dörfer, Höfe können militärischen Entscheidungen zum Opfer fallen, wenn das Areal für einen Truppenübungsplatz benötigt wird. In Brandenburg und Vorpommern haben wir es jedoch häufig mit aufgegebenen Siedlungen zu tun, weil sie infrastrukturell ziemlich ungünstig liegen bzw. lagen. Wüstungen gibt es nicht erst seit dem 20. Jahrhundert: Durch Pest, Kriege und Stadtwanderung können wir sie schon früher festmachen. In manchen Landstrichen bestehen noch heute wüste Kirchen von Orten, an die nichts mehr erinnert.
Mal sehen, was wir noch entdecken können. Zunächst wälzen wir die spärliche Literatur über Spiegelsdorf. Es gibt immer mal wieder irgendwelche Registereinträge. In einer Quelle finde ich eine Angabe zu Pfandbriefen und einer Familie Holtz. Dann öffnet sich eine Schatzkiste: In Spiegelsdorf lebte ein Professor Georg Blohm, der u.a. in Halle, Posen und Danzig lehrte. Die Vertreibung führte ihn zu einem Hof in Spiegelsdorf, den er zuvor schon besaß. In Greifswald war er ebenso tätig – als Professor für landwirtschaftliche Betriebs- und Arbeitslehre. Unter seiner Leitung entstand die landwirtschaftliche Fakultät. Außerdem gründete er Forschungshöfe. Nach seiner Zeit in Greifswald führte ihn der Weg über Halle nach Kiel.
Neben seinem Engagement in der Landwirtschaft war Blohme im nationalsozialistischen System aktiv. Er unterstützte Kriegsopfer aus dem ersten Weltkrieg, war förderndes Mitglied der SS und im NS-Dozentenbund. Später trat er der CDU bei, bekam das Bundesverdienstkreuz verliehen und wurde zum Ehrendoktor der TH München ernannt. Blohm starb 1982 in Kiel.
Was ist heute noch von Spiegelsdorf übrig? Jetzt im Sommer ist gar nichts zu sehen. Grüne Hölle. Es ist sowieso Privatgelände. Einzig die Kopfsteinpflasterstraße mit den Pappeln erinnert daran, dass es hier bei Neu-Boltenhagen mal einen weiteren Ort gegeben hat. Ein dichtes Grün hat alles fest im Griff. Am Wegesrand steht eine verwilderte Kirsche. Mehr gibt es hier nicht mehr zu sehen. Denkste! Ich habe wohl zu schnell aufgegeben. Wenn ich den Professor in Wikipedia suche, stoße ich auf einen Gedenkstein, den es dort geben soll. Spiegelsdorf scheint also doch noch eine Ausflugsgelegenheit zu bieten.
Beitragsbild: Anne Müller; Bild: Michael Fritsche
Der erste interessante Beitrag der Serie, der nicht ausschließlich ergoogelt wurde!
Schade, dass nichts vor Ort gesehen wurde.
Hallo,
Ein schöner Beitrag, aber Spiegelsdorf war bis Mitte der 50er nicht wüst. Meine Großeltern bewirtschafteten dort einen Hof. Mein Vater ist dort 1949 geboren und Mitte der 50iger sind Sie vor der drohenden Zwangsenteignung in den Westen geflohen.
Und wem gehört jetzt dort Land, wenn das Privatgelände ist?