Das nächste Referat steht schon in den Startlöchern und die Klausurenphase lauert hinter der nächsten Ecke. Irgend ´ne Ausrede gibt´s immer: lieber ein gemütlicher Abend in der Husche, Netflix and Chill oder doch lieber eine Runde zocken?
Für „Playtrue“, die neue Videospiel-Kolumne, habe ich mich für letzteres entschieden und steige regelmäßig in die Untiefen der digitalen Unterhaltung herab.
Am Abgrund einer Utopie
Es ist dunkel. Sehr dunkel. Ich befinde mich in einem geräumigen Fahrstuhl, umgeben von mindestens 20 anderen Gestalten, die alle gesenkten Hauptes neben mir stehen. Die Aktentaschen fest umklammert und … mit einer eigenwilligen Konstruktion auf dem Rücken, bestehend aus einer metallischen Antenne samt roter Lampe oben drauf. Gedankenkontrolle. Im Hintergrund lassen sich jetzt einige Lichtquellen ausmachen: weitere Menschen mit roten Lampen. Sie sitzen auf Fahrrädern und treten unentwegt in die Pedale. Ob sie wohl so die gigantischen Zahnräder und ehrfurchtgebietende Kolben im Abgrund neben ihnen antreiben? Der Fahrstuhl hält, das Tor öffnet sich. Keiner bewegt sich. Ich trete zögernd heraus. Hier stehe ich nun, in einem Schacht oder einer Fabrik. Umgeben von riesigen Maschinen und einigen wenigen, apathisch schuftenden Menschen.
Ich weiss, dass ich nichts weiss
So entlässt uns „Black: The Fall“ vom Entwickler Sand Sailor Studio in eine düstere Welt. In den zwei bis drei Stunden Spielzeit wirft uns das Spiel, mal versteckte, mal offensichtliche Puzzle-Stücke vor die Füße, mit denen wir die Spielwelt nach und nach zusammensetzen. Immer wieder versuchte ich minutenlang auf Portraits und Gemälden im Spiel bekannte Persönlichkeiten zu erkennen, um zu mindestens ungefähr eine Ahnung zu haben, wo ich mich befinde. Selten gelang mir dies mit Erfolg, lediglich die Hammer und Sichel Reliefs und ähnlich eindeutige Insignien gaben zumindest ein wenig Aufschluss. Doch was hebt mich als namen- und gesichtsloser Arbeiter aus der Masse? Die Lampe auf meinem Rücken leuchtet weiß. Ich kann mich frei bewegen. Und das machen wir in Jump&Run Manier nach links und rechts, hoch und runter. Ohne die Bewegung in die räumliche Tiefe ist die Steuerung sehr direkt und einfach gehalten. Ähnlich wie Limbo oder Inside, setzt auch Black: The Fall auf ein eher minimalistisches Grafikdesign. Insbesondere mit weitläufigen Panoramen und gut durchdachtem Einsatz von Licht und Schatten werden immer wieder einzigartige Umgebungen und Situationen erschaffen. Wo insbesondere Indie-Titel und kleinere Projekte durch musikalische Finessen herausstechen, versucht Black: The Fall in eine andere Kerbe zu schlagen. Das laute Arbeiten der Maschinen, das leise Summen der Lampen oder auch einfach nur der Wind, der sanft um uns herumzieht.
Weiter, immer weiter
So rätseln wir uns von Szenerie zu Szenerie. Arbeiten mit den unterschiedlichsten Gerätschaften, bestaunen die aberwitzigsten Szenen, welche sich vor unseren Augen abspielen und haben allzu oft einen Kloß im Hals wenn wir mal wieder einen unserer Kollegen weiter seinem Schicksal überlassen oder unseren späteren Begleiter, einen Robo-Hund, für unsere Zwecke ausnutzen. Er wächst uns ans Herz, wird von Aufsehern misshandelt, opfert sich immer tapfer für uns auf und doch ist er für uns nur Mittel zum Zweck. Dadurch, dass uns das Spiel so wenig an die Hand gibt und uns unzählige Fragen quälen, entstehen immer wieder Zweifel an dem was wir tun. Spätestens, wenn wir uns zwischen den Opfern der öffentlichen Massaker als Leiche ausgeben und in einen der unzähligen Särge klettern müssen, ist unser moralischer Tiefpunkt erreicht.
Der Feind steht im eigenen Land
Ab jetzt gilt Spoiler-Warnung für alle, die denselben Aha-Effekt wie ich am Ende erleben möchten.
Dann, nach den vielen düsteren, atemberaubenden und beängstigenden Szenerien der letzten Stunden, haben wir es geschafft. Eine große Mauer, der Platz davor gesäumt mit Menschen, Menschen ohne Lampe auf dem Rücken. Menschen die aufrecht stehen, die sich nicht einschüchtern lassen. Menschen, welche einen drei Meter großen Kampfroboter, Symbol der staatlichen Ordnung, zu Fall gebracht haben. Es ist eine sternenklare Nacht.
In einem letzten Kraftakt, psychisch für den Spieler, physisch für unsere Spielfigur, reißen wir die Mauern ein. Es wird dunkel. Geschafft. Doch was eigentlich? War es das wert?
Vermutlich ja.
Das Spiel bietet eine, nicht immer realistische, aber dafür schonungslos kritische Sicht auf die Lebensbedingungen der Menschen unter dem Diktator Ceausescu. Wir sehen die Auswüchse einer, Wahnsinn gewordenen Utopie.
Das Spiel zeigt aber noch mehr. Es macht uns klar, dass es immer zwei Seiten der Medaille zu betrachten gilt. Es präsentiert uns eben auch, dass selbst im Jahr 2017 die Politik die Wahrheit noch gerne zu Grabe trägt. Unter dem Zeichen von #Rezist protestierten Anfang dieses Jahres zehntausende Menschen in ganz Rumänien. Die neu gewählte Regierung hatte den Plan gefasst, Amtsträgern, welche wegen Amtsmissbrauch im Gefängnis saßen, Amnestie zu gewähren. Bis heute leidet das Land stark unter der Korruption und die Regierung arbeitet weiter an Reformen, welche sowohl Justiz, als auch Anti-Korruptions-Fahnder gegenüber der Regierung schwächen.
Die Proteste, wenn auch nicht mehr so intensiv, dauern weiterhin an.
Ab jetzt sind wir wieder in einer spoilerfreien Zone.
Was bleibt?
Für mich war dieses Spiel ein Zufallsfund. In einer Monatsvorschau entdeckt, das Art-Design für interessant befunden und schon war ich gespannt, was mich erwarten wird. Nach hunderten und hunderten von Spielen, die ich in meinem noch recht jungen Leben spielen konnte, stechen mittlerweile die heraus, welche mich überraschen und auch mal sprachlos zurücklassen. Auf Black: The Fall trifft dies voll zu. Natürlich, jedes Spiel hat Schwächen. In diesem Fall sind einige Rätsel, besonders die Physik-basierten, teilweise etwas hakelig. Der Umstand, dass man durch das Spiel so gut wie gar nicht an die Hand genommen wird, kann bei einigen Rätseln durchaus dazu führen, dass man einige Minuten grübelt. Aber genau da liegen auch die Stärken. Wir können uns frei bewegen, die Umgebungen genau studieren und tief in die Welt eintauchen. Eine Welt, welche uns so grausam und damit auch so fern und überzeichnet erscheint. Doch auch heute gibt es noch autoritäre und repressive politische Systeme. Auch wir müssen uns durch unsere Arbeitskraft in dieser Welt unseren Platz verdienen. Black: The Fall ermutigt uns, bei all den Schrecken der Vergangenheit, unseren kritischen Blick für die Gegenwart nicht zu verlieren.
Black: The Fall
Entwickler: Sand Sailor Studios
Publisher: Square Enix
Erschienen: 11.07.2017
Preis: 14,99 €
(Bilder: Ingame Screenshots, Letztes Bild: Artwork des Entwicklers)