Stellen wir uns vor, dass der Montag bald den Sonntag ablösen wird und der gemeine Greifswalder Student oder auch die Studentin aus Richtung Hamburg wiederkommend die Autobahn 20 verlässt.
Man passiert zwangsweise das Dorf Griebenow. Griebenow kennen vermutlich alle Greifswalder Studenten, die die Anschlussstelle Greifswald-West nutzen oder mal in die Radarfalle geraten sind. Doch kurz vor der Radarfalle lugt eine kleine Kapelle hervor. Einfach mal darauf achten. Vielleicht hilft das Abbremsen für sie, um unnötige Punkte in Flensburg zu vermeiden. Ihr rotes Gewand sticht aus dem aktuellen sommerlichen Grün so heraus, sodass man sie eigentlich kaum übersehen kann. 14 Ecken, an jeder ein Holzbalken. An ihnen hat sich der Holzwurm schon ordentlich ausgetobt. Das erkennt man aber nur, wenn man direkt vor der Kapelle steht. Na ja, und wer schon davor steht, der dann kann auch mal einen Blick ins Innere werfen. Es ist erstaunlich, aber hier können trotz der scheinbaren Winzigkeit doch 140 Leute einen Platz finden. Gehen wir einfach mal davon aus, dass der gemeine Student nichts mit Gottesdiensten am Hut hat. Was kann er hier sonst noch erleben? Griebenow bietet in der kleinen Schlosskapelle schon seit vielen Jahren regelmäßige Veranstaltungen an. Heute ist ausgerechnet wieder ein Montag, der Tag war lang und da bietet sich zufällig ein Konzert an diesem Ort für den Ausklang des Tages (oder Pause zwischen Uni und Nachtschicht) an. Warum nicht? Der Parkplatz hat kaum noch Lücken. Die Bankreihen in der Kapelle tun es ihm gleich. Nachdem die Glocken geläutet wurden, beginnt das Konzert. Wer auf Mundarten steht, der hatte heute hier seine Freude. Aus dem tiefsten Thüringen lud sich der Saalfelder Gospel-Chor „The Right Key“ praktisch selbst ein. Sie machen aktuell eine einwöchige Chorfahrt und überredeten den Greifswalder Gospel-Chor „Gospelkombinat Nord-Ost“ (gegründet 2005) zu einem gemeinsamen Konzert. Jener sagte natürlich ohne zu zögern zu. Es ist der Charakter dieses Chors, das Umland kulturell zu beleben und trägt damit enorm zum gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenleben in der Region bei. Man kann schon seit einigen Jahren beobachten, dass das Land sich vom einfältigen, tollpatschigen „Bauer-sucht-Frau“-Image wegbewegt und in eine mannigfaltige Welt der Kunst und Kultur vordringt. Vielerorts wurden die meist aus den Großstädten stammenden und oftmals bizarren Künstler-Typen doch eher misstrauisch betrachtet. Und heute? Heute sind sie voll integriert und geben den Impuls der Lebendigkeit in Regionen, die mit einer starken Abwanderung zu kämpfen haben. Gospel auf dem Land? Das hat beim Äußern früher ein ungläubiges Grinsen nach sich gezogen. Heute füllt ein gemeinsames Gospel-Konzert zweier Chöre ohne Mühe gar eine Kirche! An einem Montag! Auf dem Land! Und parallel zur Fußball-Europameisterschaft! Die Leute stehen sogar noch im Eingangsbereich, da die Plätze im Innern nicht ausreichen. Wie aus einem Ofen sucht sich die Hitze des Raumes den Weg nach draußen. Innen herrscht viel Bewegung. Es wird geklatscht. Die Chöre interagieren miteinander und reißen das Publikum mit in ihre Ekstase und Hingabe des Auslebens ihres künstlerischen Talents hinein. Verschiedenste Sprachen sind zu hören – die deutsche, die Gospel-Sprache Englisch und auch exotische Klänge. Die Konstruktion der Kirche erzeugt einen für das Ohr angenehmen Klang, den die vor der Kirche auf Bänken sitzenden Leute auch noch wahrnehmen können. Solche Konzerte, die traditionell Standing Ovations nach sich ziehen, gehören zum Repertoire des „Gospelkombinats Nordost“, dessen Chorleiterin Nicole Chibici-Revneanu die Stücke oftmals wie in einem echten Kombinat selbst „zusammenbaut“. Ungefähr 15 Auftritte haben sie im Jahr. Es sind 30 Leute und von ihnen sind ungefähr 1/3 StudentInnen bzw. Angehörige der Universität, was kaum einer bisher wusste. Jetzt wisst ihr’s und auch das, was es mit dem roten Häuschen auf sich hat. Also achtet mal auf die Barock-Kapelle – das Punkte-Konto wird es euch danken!
Bilder: Michael Fritsche