Die tödlichen Schüsse auf „Republikflüchtlinge“ sind -neben den Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit- eines der kontroversesten Themen im Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Die juristische Aufarbeitung der „Schießbefehle“ endete sehr häufig mit Freisprüchen oder sehr milden Urteilen gegenüber den „Mauerschützen“. Vor fast genau vier Jahren, am 09. November 2004, endete der letzte Prozess gegen einen DDR-Grenzsoldaten mit einem Schuldspruch. Die Evangelische Studentengemeinde Greifswald (ESG) beschäftigt sich kommenden Montag, dem 17. November mit diesem kontroversen Thema der deutschen Geschichte.
Als Referent konnte der im Nordosten geborene Journalist Roman Grafe gewonnen werden. Er veröffentlichte 2004 das Buch „Deutsche Gerechtigkeit – Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber“. Das Landgericht Berlin untersagte 2006 die weitere Verbreitung des Buches nach einer erfolgreichen Klage Sven Hübers – des ehemaligen Politoffiziers der DDR-Grenztruppen.
Daraufhin veröffentlichte die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte im Dezember 2006 einen Aufruf, in dem gegen ein Verbot des Buches protestiert wurde. Zu den prominenten Unterzeichnern des Aufrufs gehörten unter anderem Bundetagsvizepräsident Wolfgang Thierse, Wolf Biermann, Erich Loest und Ralph Giordano.
Ende 2007 hob das Kammergericht Berlin das Urteil auf und legalisierte damit den weiteren Vertrieb des Buches.
Darin geht Roman Grafe den Gerichtsverhandlungen nach und stellt heraus, wie wenig sich die einstigen Täter in juristischer wie moralischer Verantwortung sehen. Rechtsanwälte verteidigten nicht die Täter, sondern die Taten. Er zeigt auf, was getan und was unterlassen wurde bei dem Versuch, die Toten und Verletzten an der Westgrenze der DDR zu sühnen, und er macht deutlich, wo nach dem 9. November 1989 – fernab der politischen Rhetorik – die eigentlichen „Deutschstunden“ stattfanden: in den Gerichtssälen.
„Grafe legt ein Buch vor, das nichts weniger als Gerechtigkeit will. … Dieses Buch ist anstrengend, ernüchternd, frustrierend und aufwühlend. Es ist ein beklemmendes Stück deutscher Geschichte. Aus der Geschichte lernen – mit diesem wichtigen, notwendigen Werk kann der oft angemahnte Anspruch erfüllt werden.“ (Das Parlament)
Die Veranstaltung wird von der Evangelische Studentengemeinde Greifswald (ESG) organisiert.
(Bildquelle: Validierer)
Termin: 17.11.
Eintritt: frei
Beginn: 20 Uhr
Veranstaltungsort: Lutherhof
Ich finde es ja immer gut, wenn über die deutsch-deutsche Geschichte der jüngeren Vergangenheit miteinander diskutiert wird. Ich selber kenne das Buch von Roman Grafe nicht und kann dazu auch nichts Inhaltlich beitragen. Deswegen habe ich mich im Internet anhand des obigen Textes mal etwas vorab informiert. Natürlich kann Grafe nicht unbedingt was dafür, daß die rechtslastige „Internationale Gesellschaft für Menschenrechte“ (kurz IGFM) für die Herausgabe seines Buches geworben hat. Aber es verwundert schon, denn die IGFM ist nicht irgendeine „Menschenrechtsorganisation“, sondern hat sich seit ihres Bestehens darauf spezialisiert, sozialistische Staaten zu kritisieren, gleichzeitig aber rechte Regime publizistisch gestützt hat. Erinnert sei hier an das rassistische Apartheidsregime in Südafrika, über dessen Menschenrechtsverletzungen (Folter, extralegale Hinrichtungen, systematische Diskriminierung von Schwarzen) die IGFM wohlweislich geschwiegen hat, während sie (die IGFM) den African National Congress (ANC) in jeder nur denkbaren Form angegriffen hat. Der emeritierte Münchener Politologe Prof. Konrad Löw, seit 1990 Vorstandsmitglied der IGFM, tat sich seit den 70er Jahren übrigens als Unterstützer der koreanischen Mun-Sekte hervor; Löw, Vertreter einer antikommunistischen Totalitarismus“forschung“, veröffentlichte laut Wikipedia auch mehrere Beiträge in den offen rechtsextremen Zeitschriften „Criticon“ und „Sezession“. (Diese Wiki-Angabe konnte ich auf die Schnelle nicht nachprüfen, würde aber gut in seine anderen Publikationen passen.)
Arbeitsschwerpunkte der IGFM sind auch nach dem Ende des Kalten Krieges die „Menschenrechtsverstöße in den kommunistischen und sozialistischen Ländern“ (also v.a. Cuba, Vietnam und China) sowie die Verfolgung von ChristInnen in muslimischen Ländern (Pakistan, Iran etc.). Ganz oben auf der Agenda steht auch der Kampf für die Rechte der chinesichen Falun Gong-Sekte (zu der mensch stehen mag, wie mensch will) – wahrscheinlich weniger wegen deren Mystizismus, sondern mehr wegen ihres gemeinsamen Gegners, der chinesischen Regierung. Wer sich über die IGFM informieren will, sollte diese beiden Seiten zu Rate ziehen:
1. Offizielle Seite der IGFM: http://www.igfm.de/Internationale-Gesellschaft-fuer-Menschenrechte-IGFM.2.0.html
2. Seite des investigativen JournalistenGünther Platzdasch: http://www.platzdasch.privat.t-online.de/download/igfm.pdf
Ich glaube, dann kann jedeR sich eine eigene Meinung über diese Organisation bilden.
Ebenfalls reichlich zu denken gibt, wenn das besagte Buch von Grafe beim Buchdienst der Jungen Freiheit (DIE Tageszeitung der Neuen Rechten) zum Verkauf angeboten wird: http://jf-buchdienst.de.dedi757.your-server.de/product_info.php/info/p17923_Roman-Grafe-br-Die-Grenze-durch-Deutschland.html
Aber wie gesagt, Grafe kann sich das nicht unbedingt aussuchen, wer wie seine Arbeit aufgreift und damit hausieren geht.
Wenn ich Zeit habe, werde ich zu der Veranstaltung gehen und hoffe mal, das da mehr kommt als die üblichen Plattheiten vom „Volksgefängnis“ und „Schießbefehl“.
Daß eine Grenze quer durch Europa gezogen wurde, lag ja nicht an der DDR (mit oder ohne Springes Gänsefüßchen), sondern an der sog. Blockkonfrontation zwischen den westlichen kapitalistischen und den östlichen realsozialistischen Staaten nach 1945. Daß im Laufe der Jahre die deutsch-deutsche Grenze entsprechend von beiden Seiten aufgerüstet wurde (von DDR-Seite durch den DDR-Grenzschutz, Sperrzaunanlagen, Minenfelder und kurzzeitig auch Selbstschußanlagen, Verordnung zum Schußwaffengebrauch, auf der BRD-Seite durch einen Bundesgrenzschutz sowie Schächte für Atomminen im grenznahen Gebiet, Verordnung zum Schußwaffengebrauch), läßt sich aus dem Kalten Krieg erklären und der Angst beider Seiten, daß es zu schwerwiegenden Grenzzwischenfällen kommen könnte, die eine Eskalation hin zu einem 3. Weltkrieg (mit Tendenz zur atomaren Kriegführung) hervorbringen könnte. Aktionen wie die US-Invasion in der Schweinebucht im April 1961 sowie die 1962 daraufhin entstandene sog. Cuba-Krise (Androhung des Einsatzes von Atomwaffen seitens der USA, weil auf Cuba sowjetische SS-20 stationiert werden sollten) hatten ja gezeigt, wie schnell kleinere lokale Konflikte zwischen den gegensätzlichen Machtblöcken eskalieren können. So gesehen hat der schrittweise Ausbau der Befestigung der innerdeutschen Grenze wahrscheinlich viel zur Minderung der Kriegsgefahr in Europa beigetragen, auch wenn das heute vielen nicht behagen mag, weil sie die politischen Rahmenbedingungen vor 1989 ausblenden.
Es wäre schön, wenn das Unrecht, das auf beiden Seiten dieser deutsch-deutschen Grenze während des Kalten Krieges begangen wurde, umfassend aufgeklärt und aufgearbeitet würde und die Opfer auch rehabilitiert würden. Leider sind die über 125.000 Ermittlungsverfahren gegen KommunistInnen, SozialistInnen und FriedensaktivistInnen, die ab 1956 mittels des FDJ- und KPD-Verbots verfolgt und zu jahrenlangen Haftstrafen und mehrjährigem Verlust bürgerlicher Rechte verurteilt wurden, bis heute nicht durch den Bundestag für Unrecht erklärt und die Betroffenen rehabilitiert worden – schon mehrmals war dies Thema im Bundestag und scheiterte nicht zuletzt an den Kalten KriegerInnen aus CDU/CSU. (Siehe zu den westdeutschen Opfern des Kalten Krieges u.a. folgenden Text des RAV dazu: http://www.rav.de/infobrief97/Abmayr.html ) – Was auch nicht vergessen werden sollte bei dieser Thematik: das Gros der verurteilenden Richter war auch schon im NS-Faschismus als willfährige Juristen bei der Verurteilung von KommunistInnen und anderen Linken aktiv, während etliche der Verurteilten schon unter den Nazis wegen ihrer politischen Opposition in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert und gequält wurden.
Ebensowenig rehabilitiert wurden bis heute nicht die über 11.000 Personen, gegen die in den 1970er und 1980ern in der BRD Berufsverbotsverfahren eingeleitet wurden. Damals erhielten ca. 2.200 Personen aus der politischen Linken Disziplinarverfahren, 1.250 Einstellungen in den öffentlichen Dienst (Schule, Verwaltung, Post, Bahn, Krankenhäuser) wurden abgelehnt, 265 KollegInnen wurden entlassen. Trotz internationaler Proteste und entsprechendem Präzendenz-Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in dem 1995 die in der BRD praktizierten Berufsverbote für rechtswidrig erklärt wurden, haben der Bund und die Länder bisher nicht für eine Rehabilitierung der Betroffenen gesorgt.
Siehe auch:
1. Urteil aus 1995 vor dem EuGH: http://www.berufsverbote.de/hintergrund/Vogt-Urteil_dt.pdf
2. Text des Komittee für Grundrechte und Demokratie: http://www.grundrechtekomitee.de/ub_showarticle.php?articleID=136
Eine einseitige „Opferschau“ Richtung DDR, wie sie viele (vielleicht auch Roman Grafe?) betreiben, wird dem Thema und den Betroffenen jedenfalls nicht gerecht.
hui, das nenne ich mal einen kommentar!
danke ret marut! ich hätte hier kommentare mit dem tenor der sonstigen berichterstattung über das thema erwartet…deine kommentar dagegen is ganz nüchtern und sachlich…sehr gut!
und noch eine sache, die ich dringend loswerden muss: es gab keinen schießbefehl! die befehle, nach denen die ddr-grenzsoldaten ihren dienst taten entsprechen, sogar stellenweise wörtlich, den anweisungen der bundeswehr zum wachdienst. schade, dass immernoch einige möchtegern journalisten versuchen mit solchen begriffen aufmerksamkeit zu erregen…
Lieber kobummel!
Der Aussage „Es gab keinen Schießbefehl“ muss doch in aller Deutlichkeit widersprochen werden.
In der einschlägigen Literatur findest Du eine Fülle von Belegen. Für die Praxis, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen, gab es eine durchgehende Befehlslage. In einem Protokoll des „Zentralen Stabs“ ordnete Erich Honecker am 20. August 1961 an: „Gegen Verräter und Grenzverletzer ist die Schusswaffe anzuwenden“. In einer „Geheimen Verschlusssache“ vom 6. Oktober 1961 erteilte der damalige Verteidigungsminister Heinz Hoffmann den Befehl, gegen Flüchtlinge die Schusswaffe anzuwenden. Diese Weisung wurde beständig wiederholt, so z.B. durch den Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung vom 3. Oktober 1969 an den Chef der Grenztruppen: „Grenzdurchbrüche sind nicht zuzulassen. Gegnerische Kräfte, die in das Grenzgebiet der DDR eindringen, sind durch die Grenztruppen zu vernichten oder gefangen zu nehmen.“ (Mit dem Begriff „Gegnerische Kräfte“ wurden in diesem Fall auch DDR-Bürger belegt, die die Absicht hatten, die Grenze zu passieren). In einer internen Dienstanweisung vom 3. Dezember 1974 für die „Einsatzkompanie“ der Hauptabteilung I „NVA und Grenztruppen“ des MfS heisst es sogar unverblümt: „Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schußwaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben.“ (Nachzulesen im Original hier: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e7/Schiessbefehl_03.jpg)
Dein verharmlosender Kommentar verhöhnt die mehr als 400 Getöteten, und dies ist nicht anders als widerlich zu nennen!
@Jonas: kobummel schrieb: „es gab keinen schießbefehl! die befehle, nach denen die ddr-grenzsoldaten ihren dienst taten entsprechen, sogar stellenweise wörtlich, den anweisungen der bundeswehr zum wachdienst.“
Daß im Rahmen dieser Dienstanweisungen im Westen wie Osten nicht auch geschossen wurde, behauptet kobummel ja nicht, sondern daß solche Dienstanweisungen beidseits der Grenze existierten.
Daß es bei einem Grenzsystem, insbesondere wenn die Grenze zwischen zwei feindlichen Machtblöcken verläuft, auch der Schußwaffeneinsatz angeordnet wird, erscheint mir normal.
Konkrete Daten zum Schußwaffeneinsatz der BRD-Grenzschützer seit 1950 lassen sich leider weniger zahlreich in der Literatur finden als z.B. die zum Schußwaffeneinsatz von DDR-Grenzern.
Auch in der BRD war der Schußwaffeneinsatz gesetzlich vorgesehen. Für den Schußwaffengebrauch galten die jeweils einschlägigen rechtlichen Regelungen. Der Schußwaffengebrauch erfolgte beim BGS z.B. auf der Grundlage des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG-Bund) bzw. in Notwehr.
Zitat aus der Bundestagsdrucksache 13/5845 vom 17.10.1996 („Gebrauch von Schußwaffen an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland“), in der die Bundesregierung auf eine Anfrage verschiedener PDS-ParlamentarierInnen bzgl. der Grundlagen für den Schußwaffeneinsatz an der BRD-Grenze seit 1950 antwortet (siehe u.a. hier: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/058/1305845.asc ):
„a) Gesetz über den Waffengebrauch des Grenzaufsichtspersonals der Reichsfinanzverwaltung vom 2. Juli 1921 (Reichsfinanzblatt 1921 Nr. 15 S. 183),
b) Gesetz der Alliierten Hohen Kommission Nr. 24 (Amtsblatt der AHK vom 8. Mai 1950 S. 2),
c) DVO Nr. 14 vom 10. Januar 1951 der Alliierten Hohen Kommission (Amtsblatt AHK vom 8. Mai 1951 Nr. 74 S. 741, Bundesanzeiger Nr. 91 vom 12. Mai 1950) unter Fortgeltung des Gesetzes über den Waffengebrauch des Grenzaufsichtspersonals der Reichsfinanzverwaltung vom 2. Juli 1921,
d) Dienstanweisung für den Waffengebrauch der Angehörigen der Bundesfinanzbehörden aufgrund des Gesetzes über den Waffengebrauch des Grenzaufsichtspersonals von 1921 (WaffDA-Nfg) vom 3. September 1951 (Bundeszollblatt 1951 S. 465),
e) Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG-Bund) vom 10. März 1951 (Bundeszollblatt 1961 S. 445),
f) Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministers der Finanzen zum UZwG vom 16. Dezember 1961 (Bundeszollblatt 1962 S. 126),
g) Waffengesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. März 1976 (BGBl. I S. 432), zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186),
h) Allgemeine Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums der Finanzen zum Waffengesetz (WaffVwV-BMF) vom 20. Januar 1996 (Vorschriftensammlung BFV O 8041),
i) Dienstvorschrift über die Bewaffnung in der Zollverwaltung (WaffDV-Zoll) vom 1. Februar 1996 (Vorschriftensammlung BFV O 8042).“
Also an entsprechenden Regelungen in der BRD hat wahrlich nicht gemangelt. Kann mensch ja gerne mal zum Textvergleich nachschlagen.
Jonas schrieb: „[…] den Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung vom 3. Oktober 1969 an den Chef der Grenztruppen: “Grenzdurchbrüche sind nicht zuzulassen. Gegnerische Kräfte, die in das Grenzgebiet der DDR eindringen, sind durch die Grenztruppen zu vernichten oder gefangen zu nehmen.” (Mit dem Begriff “Gegnerische Kräfte” wurden in diesem Fall auch DDR-Bürger belegt, die die Absicht hatten, die Grenze zu passieren).“
Recht eigentümliche Interpretation dieses doch sehr klaren Befehls. „Gegnerische Kräfte, die in das Grenzgebiet der DDR eindringen“ werden wohl kaum DDR-BürgerInnen gewesen sein, denn die befanden sich ja schon auf DDR-Territorium. Gemeint sind wohl (neben dem potentiellen Eindringen von Bundeswehrsoldaten oder BGS-Beamten) eher Menschen wie Michael Gartenschläger. (Ich geb jetzt mal Wikipedia an, weil ich gerade nicht so viel Zeit zu genauerer Recherche habe: http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Gartenschl%C3%A4ger , Wikipedia ist bekanntlich nicht wirklich als Primärquelle geeignet.) Gartenschläger hatte sich zusammen mit weiteren Personen aus der BRD bewaffnet an den DDR-Grenzzaun begeben, um von dort auf DDR-Territorium zu gelangen und Teile der Grenzanlagen zu demontieren.
In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen (ohne damit die übrigen Toten an der innerdeutschen Grenze in irgendeiner Form zu relativieren), daß 28 Grenzschützer (aus NVA, Volkspolizei, Grenzschutz) beim Dienst an der Grenze erschossen wurden, teils durch bewaffnete Flüchtlinge/FluchthelferInnen und andere GrenzverletzerInnen, teils durch westdeutsche (und in Berlin auch US-) Grenztruppen (BGS, Berliner Polizei, US-Army), die auf DDR-Grenzer schossen.
Ich denke, daß mensch über die innerdeutsche Grenze 18 Jahre nach dem Ende der DDR endlich eine sachliche Diskussion führen sollte. Und das beinhaltet für mich auch, beide Seiten zu sehen und die beiderseitigen Interessenlagen mit zu berücksichtigen. Es darf ja nicht vergessen werden, daß die BRD die DDR mittels Hallstein-Doktrin und Ein-Staat-Theorie jahrzehntelang nicht anerkannte (Springers Gänsefüßchenland „DDR“). Selbst als unter Willy Brandt im September 1973 die DDR staatsrechtlich anerkannt wurde, wurde weiterhin die völkerrechtliche Anerkennung seitens der BRD verweigert. (Die DDR blieb also auch unter der sozial-liberalen Bundesregierung weiterhin ein lediglich „abtrünniger Teil“ der BRD.)
Und um den aktuellen Bezug nicht zu verlieren: Im Rahmen von Frontex sterben jedes Jahr hunderte von Flüchtlingen, die in die EU wollen. Sie ersaufen im Atlantik und Mittelmeer, werden auf hoher See von spanischen und italienischen Küstenschiffen in internationalen Gewässern gerammt und aufgebracht, sterben am meterhohen Metallzaun in Ceuta und Melilla … und wer doch nach Deutschland gelangt, wird hier in erbärmlichen Asylunterkünften über Monate und Jahre eingepfercht, unterliegt der Residenzpflicht und anderen rassistischen Demütigungen. Und sie können – ohne je eine Straftat begangen zu haben – auch noch bis zu 18 Monate wie VerbrecherInnen in Abschiebeknäste gesperrt werden. – Das finde ich auch wichtig, wenn 2008 über deutsche Grenzen gesprochen wird. 🙁
Die Beiträge von „ret marut“ und „kobummel“ sind der beste Beweis dafür, dass Roman Grafe recht hat: Das Beschönigen, Leugnen, Verdrängen und Kleinreden des DDR-Unrechts ist heutzutage noch immer (oder wieder!) an der Tagesordnung. Und was nicht geleugnet oder beschönigt werden kann, dass wird eben unter Hinweis auf anderes Unrecht relativiert und legitimiert.
(Nebenbei, lieber „ret marut“, die derzeitige Flüchtlingspolitik in der EU ist auch in meinen Augen ein himmelschreiendes Unrecht, aber mit diesem Unrecht lässt sich nunmal nicht das verbrecherische Grenzregime des DDR rechtfertigen!)
Den letzten Satz deines ersten Absatzes finde ich ziemlich wichtig…dann würde mich aber ganz einfach einmal interessieren, warum dann immer nur die innerdeutsche Grenze und das Handeln der DDR-Grenztruppen als das Exempel schlechthin für unrechte Handlungen dargestellt werden? Wie gesagt, die Bundeswehr handelt nach den gleichen Vorschriften: Dringt jemand unerlaubt in den militärischen Sicherheitsbereich ein wird diese Person zuerst angerufen, reagiert sie nicht erfolgt ein Warnschuss in die Luft. Reagiert die Person dann immer noch nicht wird gezielt geschossen und zwar nicht, um den Eindringling zu töten, sondern um ihn bewegungsunfähig zu machen…das ist jetzt eine ziemlich geraffte Darstellung. Jedenfalls redet niemand davon, dass das „BRD-Unrecht“ weiterhin in jeder deutschen Kaserne praktiziert wird…von dem, was so im Ausland abgeht, brauchen wir hier gar nicht sprechen, da wird schneller geschossen…und das ist dann rechtens?!