Im Januar das erste Helium-Plasma, gestern ein neues Event im Greifswalder Institut für Plasmaphysik, das lässt sich auch Frau Merkel nicht nehmen. Zu Besuch bei Angela und Wendelstein 7-X.
Anmerkung: Einen ausführlichen Bericht zur Technik des Wendelstein 7-X mit vielen Hintergrundinformationen zu Sicherheit und Zukunftsfähigkeit der Kernfusion findet Ihr im aktuellen moritz.magazin und im Magazin Online-Archiv.
Greifswald arbeitet an seiner internationalen Bekanntheit. Zur Zeit sorgt vor allem das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik für Furore. Die modernste Anlage vom Stellerator-Typ zur Herstellung von heißen Plasmen funktioniert und lockt damit internationale Aufmerksamkeit und Besucher ins stille Vorpommern. Gestern wurde der Aggregatzustand Plasma zum ersten Mal mit dem Gas Wasserstoff erreicht. Der Vorgang ist mit Wasserstoff noch schwieriger als mit Helium, wie es im Dezember letzten Jahres erzeugt wurde. Nach einer kurzen Einführung der Direktorin des IPP, Prof. Dr. Sibylle Günter wurde die Montage der Anlage als Video vorgeführt. Titel: „Eine Sternenmaschine entsteht. Montage des Stellarators Wendelstein 7-X„. Wie aus anderen derartigen Filmen bekannt natürlich mit grandioser Musik unterlegt, in die Takte eines schnell und aufgeregt schlagenden Metronoms gerührt waren. Die Augen der Anwesenden glänzten.
Die Sonnenmaschine
Das anschließende Grußwort des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern (MV), Erwin Sellering, ging in den imposanten Bildern ein wenig unter. Nach einiger Beweihräucherung dieser „futuristisch anmutenden Apparatur“ und dem obligatorischen Dank an alle Beteiligten folgte ein kurzer, recht interessanter, Ausblick in die Zukunft Vorpommerns. Das Land MV sei „das Land der erneuerbaren Energien“ und deckt inzwischen seinen gesamten Energiebedarf durch erneuerbare Energien. Diese Entwicklung will Sellering fortsetzen, er sieht in MV beste Voraussetzungen dafür, vor allem dank der geographischen Verhältnisse. Vermutlich will er darauf hinaus, dass viel Platz ist und wegen der geringen Bevölkerungsdichte nicht viel Strom gebraucht wird. Trotzdem, Sellerings Worte klingen fast pathetisch, aber auch nach einer echten Alternative für das strukturell schwach aufgestellte MV, das im Vergleich zu den atomkraftwerkgepflasterten südlichen Bundesländern tatsächlich eine Art Vorreiterrolle einnimmt.
charmant: Angela Merkel freut sich über Spitzenforschung
Nun ist das Wort an Frau Merkel, ihre Worte ziehen sich eine Viertelstunde dahin an diesem Nachmittag. Sie ist beeindruckt von den Ausmaßen der Anlage und des wissenschaftlichen Fortschrittes und freut sich über diese Bereicherung für Greifswald. Merkels Worte sind schön formuliert, getragen und ohne rhetorische Pannen. Die ersten zehn Minuten ihrer Rede bringen allerdings wenig Neues, alles ist in einer mehr oder weniger anderen Form schon gesagt worden. Was will man auch noch dazu sagen, wenn sich alle Medien und sonstigen Gestalten auf Greifswald stürzen. Merkel traut sich, die finanzielle Problematik anzusprechen, eine Milliarde Euro hat der Wendelstein 7-X gekostet. EIne neue Anlage in Frankreich, ITER, solle sich, so fordert Merkel, doch bitte in einem angenehmen finanziellen Rahmen halten. Und so ganz kann man ihr die Position nicht abschlagen, schließlich ist noch lange nicht klar, ob die Forschung an heißen Plasmen überhaupt Zukunft hat. Ziel ist die Ermöglichung der Kernfusion, die saubere und billige Energie verspricht. Ob und unter welche Bedingungen eine Kernfusion mithilfe von Wasserstoffplasmen möglich sein wird, soll in Greifswald erforscht werden. Als eine der „drängensten Fragen der heutigen Weltpolitik“ bezeichnet Merkel die Problematik der Energieversorgung von immer mehr Menschen und der Industrie. Damit spricht sie ihren Physikerkollegen vom IPP ihr vollstes Vertauen aus, erinnert sie aber auch daran, wie dringlich bahnbrechende Erkenntnisse sind.
Greifswald al wichtiger Wissenschaftsstandort
Einen kurzen Schwenk auf Greifswald als Stadt und die Rolle der Uni kann sich Frau Merkel nicht verkneifen. Sie betont noch einmal, wie wichtig die Ernst-Moritz-Arndt-Universität für die Region ist und drängt auf die Förderung der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Dazu ist aus ihrer Sicht eine bessere Verknüpfung von Forschungseinrichtungen wie dem IPP und den Universitäten obligatorisch. Spitzenforschung soll Spitzenforscher anlocken und Spitzenlehre an den Universitäten garantieren. Die Spitzenförderung sieht Merkel als gesichert an: Durch die Übernahme der BAföG-Millionen durch den Bund hätten die Länder viel mehr Geld zur Verfügung. Mit einem wohlmeinenden Nicken und Lächeln zu Sellering hinüber bescheinigt sie ihm den gut gelösten Umgang mit dem Millionen, die laut Merkel zu einer „deutlichen Entlastung der Universitäten geführt haben„. Wahrscheinlich hat Frau Merkel in ihrer MINT-Begeisterung die Philosophische Fakultät ein wenig aus den Augen verloren. Anders ist ihr Lob an Sellering nicht zu erklären, denn man kauft ihr ihren Willen ab, die Universitäten zu fördern. Nach einem letzten großen Lob und einem herzlichen Dank tritt die Kanzlerin auch schon wieder vom Pult zurück.
von links nach rechts: Erwin Sellering, Ministerpräsident MV,
Angela Merkel, Sibylle Günter, Direktorin des IPP, begeistert
beim Besuch des Wendelstein 7-X
Der Moment ist gekommen, Merkel verschwindet mit ausgewählten Ehrengästen, Frau Weber, Rektorin der Uni, und der Oberbürgermeister von Greifswald, Herr Fassbinder, gehören nicht dazu und müssen die Show wie alle anderen geladenen Gäste auf einer Videoleinwand verfolgen. Die Bundeskanzlerin erscheint auf der Video-Leinwand, im Bild ein stilisierter Knopf, der aussieht, als hätte man den Wendelstein 7-X geschrumpft und in einen Acrylblock eingebettet, Merkel drückt den Knopf, 60 Sekunden später erhellt ein kurzer Lichtblitz die Leinwand. Es ist geschafft. Schon wieder ein Erfolg für Greifswald, für Vorpommern, für die deutsche Wissenschaft. Allgemeiner Applaus. Nach einigem Wortgeplänkel zischen Kanzlerin und den Mitarbeitern des IPP folgt noch eine Begehung der Anlage. Im, auf den Stahlrohren, reflektierenden Blitzlichtgewitter stehen Sellering, Merkel und Sibylle Günter nebeneinander und lächeln erfüllt.
Kurz darauf verlassen mehrere schwarze Audis mit Polizeieskorte das Gelände. In Greifswald kehrt wieder Ruhe ein. Auch bei den 20 FFDG-Anhängern, die zu Anfang der Vorstellung vor dem Gebäude lungerten und Merkels Ablösung forderten.
Fotos: Jonas Greiten, Philipp Schulz