Vor einer Woche jährte sich der Todestag von Klaus-Dieter Gerecke zum 16. Mal. Am 24.06.2000 wurde dieser von drei neonazistischen Jugendlichen zu Tode geprügelt. Ein Nachruf.

In der Nacht zum 24. Juni 2000 wurde der Obdachlose hier in Greifswald, in der Gützkowerstraße, ermordet. Als die Täter, ein 21-jähriger Mann und zwei 18-jährige Frauen, auf den Obdachlosen trafen, forderten sie Bier und Geld von ihm. Vor Gericht stellte sich raus, dass das Opfer mindestens eine Stunde lang mit Tritten und Schlägen gequält wurde. Die drei Täter werden der rechten Szene zugeordnet. So gab der 21-jährige vor dem Landgericht Stralsund zu, den 47-jährigen Obdachlosen mehrmals bis zur Bewusstlosigkeit brutal ins Gesicht und in den Bauch getreten und geschlagen zu haben. Zudem sagte er vor Gericht, er sei von seinen Begleiterinnen mit den Worten „da ist der Assi, klatsch ihn tot“ aufgehetzt worden zu sein. Laut Staatsanwaltschaft beteiligten sich die beiden Frauen ebenfalls an der Gewalt gegen das wehrlose Opfer. Das Landgericht Stralsund verurteilte im Dezember 2000 den 21-jährigen Haupttäter zu siebeneinhalb Jahren Haft. Die zwei 18-jährigen Frauen erhalten Bewährungsstrafen. Ein rechtsextremes Motiv sieht das Gericht nicht. Vielmehr wird die Geldforderung als Tatmotiv gesehen.

Entwürdigung sozial-benachteiligter Menschen

Obdachlose sind eine der schwächsten Gruppen in der Gesellschaft und erfahren ständig Bedrohung durch neonazistische Gewalt.  Der Grund hierfür liegt in der sozial-darwinistischen Einstellung, die in der rechten Szene vorherrscht: Wohnungslose Menschen gelten als „asozial“ und „minderwertig“. Der ideologische Kontext der Täter darf gerade bei einer tödlichen Attacke auf diese Opfergruppe nicht ignoriert werden, begründet sich doch in ihrer rechten Gesinnung die exzessive Gewalt gegen sozial schwächer gestellte Menschen. Klaus-Dieter Gerecke ist eines von vielen Todesopfern rechter Gewalt, welches bis heute nicht in der offiziellen Politisch Motivierten Kriminalitätsstatistik (PMK) dem rechten Spektrum zugeordnet wurde. Insgesamt sind seit 1990 184 Menschen Opfer rechter Gewalt geworden, sei es aufgrund ihrer sozialen Stellung (u.a. Obdachlose, Arbeitssuchende), ihres Aussehens oder Glaubens (u.a. Flüchtlinge) oder ihrer sexuellen Orientierung (u.a. Homosexuelle). Obdachlose werden zum größten Teil von der Gesellschaft und dem Staat, in seiner nach außen hin immer angepriesenen selbst-bezeichneten „sozialen Verantwortung“, allein gelassen. Sie werden am Rande der Gesellschaft nur schwerlich von dieser wahrgenommen. Sie leben und schlafen immer an verschiedenen Orten. Ob Sommer oder Winter, jeder Tag ist meistens ein Überlebenskampf. Die Wenigsten nehmen sich die Zeit, um mit ihnen zu reden oder ihnen behilflich zu sein, stattdessen geht man tagtäglich an ihnen vorbei, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Es gibt nur wenig soziale Bereitschaft und Engagement für die vielen not-bedürftigen Obdachlosen. Bis 2016 wird die Zahl derer, die keine Wohnung haben und auf der Straße leben, schätzungsweise auf 380.000 ansteigen. Davon sind ungefähr 30.000 Kinder betroffen. Heisst es doch in unserem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Nicht nur ein Problem der Großstädte

Von den o.g. 184 Todesopfern wurden lediglich 63 als politisch-motivierte Tat anerkannt. In Mecklenburg-Vorpommern von 13 insgesamt nur vier Fälle. Um mal kurz zwei weitere Namen zu nennen, die in diesem Bundesland umgebracht wurden: Horst  Gens, 50 Jahre (arbeitslos), am 22. April 1997 in Sassnitz von 4 Neonazis entführt, verprügelt, in den Straßengraben geworfen und danach mit einem 30kg schweren Stein todgeprügelt. Motivaussage vor Gericht: „Assis klatschen“. Ein rechtsmotiviertes Motiv wurde staatlich nicht anerkannt. Norbert Plath (obdachlos), 27. Juli 2000 von vier jungen Neonazis zu Tode geprügelt, weil sie ihn für „asozialen Dreck“ hielten (staatlich anerkanntes rechtes Motiv).

Nur fünf Monate nach der furchtbaren Tat an Klaus-Dieter, in der Nacht vom 24. zum 25. November, wird der zweite Obdachlose in Greifswald, Eckhardt Rütz, an der Mensa am Schießwall ebenfalls von Neonazis zu Tode geprügelt. „Wir wollten ihm nur eine Lektion erteilen, dabei haben wir ihn leider totgehauen“ waren die Worte der Angeklagten vor Gericht. Auch er galt als „asozial“ und „minderwertig“, der dem deutschen Steuerzahler auf der Tasche gelegen hätte.

Anette Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung:

„Noch immer gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Zahlen der Behörden und denen der Amadeu Antonio Stiftung. Dabei ist der Umgang mit Rechtsextremismus seitens der Behörden unprofessionell und der Umgang mit den Opferzahlen würdelos.“

Nachdenken und in die Zukunft blicken

In der Vergangenheit bemühten sich zahlreiche engagierte Menschen in Form von Schweigeminuten und Gedenkkundgebungen um ein würdiges Gedenken an Klaus-Dieter Gerecke und Eckard Rütz. Wir gedenken heute an Klaus und fangen an nachzudenken, über Menschen, die von einem Großteil der Gesellschaft und dem Staat im Stich gelassen wurden und immer noch werden. Wir fangen an zu handeln, indem wir nicht wegsehen werden, wenn Neonazis ihr menschenverachtendes Treiben fortsetzen und der Staat Sozial-benachteiligte ausgrenzt.

Niemand wird vergessen – Erinnern heisst Handeln!

 

(Text und Beitragsbild mit freundlicher Genehmigung von: Uni ohne Nazis, 29.06.2015)