Als zu Beginn dieses Jahres endgültig feststand, dass mehr Asylsuchende den Landkreis Vorpommern-Greifswald erreichen werden, wurde nach geeigneten Unterkünften gesucht. Die gab es Medienberichten des NDR zu Folge nirgendwo, außer in der Baustraße in Wolgast Nord. Der Block wurde leergezogen und die verbliebenen Mieterinnen und Mieter erhielten Ausweichangebote der Stadt. Einige, die seit Jahren von Hartz-IV abhängig sind, mussten in einen unsanierten Teilblock der Anlage an der Baustraße umziehen.

NPD- Fackelmarsch mit Traditionsbezügen zur NSDAP

Kurz nachdem die Flüchtlinge aus Afghanistan, Iran, Ghana, Kurdistan und Russland Wolgast erreichten, sprühten Neonazis den Spruch: „Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land!“ an die Fassade des neuen Flüchtlingsheimes. „Die sollen dahin gehen, wo sie hergekommen sind“, sind keineswegs Sprüche, die vereinzelt in Wolgast zu hören sind. Bewohner des Heimes erzählen von immer wiederkehrenden rassistischen Beleidigungen und Bedrohungen auf der Straße und im Supermarkt. Feuerwerkskörper werden nach ihnen geworfen, um sie einzuschüchtern. Vor etwa einer Woche meldete die NPD schließlich einen Fackelmarsch an, der am 9. November stattfinden soll. Das Thema: „Asylmissbrauch“. Allein die Tatsache, dass die Demonstration als Fackelmarsch angemeldet worden ist, weckt Erinnerungen an den 30. Januar 1933, als Adolf Hitler anlässlich der Ernennung zum Reichskanzler mit einem Fackelmarsch seine Macht zu inszenieren wusste. Sowohl das gewählte Datum, 9. November, als auch die fremdenfeindliche Stoßrichtung des Fackelmarsches lassen unmittelbare Bezüge zur Reichspogromnacht von 1938 zu. Am 9. November 1938 zerstörten Nazis unzählige Geschäfte von Jüdinnen und Juden und setzten zahlreiche Synagogen in Brand.

Das Pogrom von 1938 war Teil der Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Dritten Reich und markiert den Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Verfolgung. Es wurde unter anderem behauptet, Juden würden minderwertig sein und dem “deutschen Volk” Schaden zufügen, indem sie es durch Finanzgeschäfte in Armut stürzen würden. Wenn von “Asylmissbrauch” die Rede ist, steckt ein paralleles Argumentationsmuster dahinter: Es wird behauptet, Flüchtlinge, die hier aufgrund von Verfolgung, Hunger oder Bürgerkrieg eine neue Heimat suchen wollen, würden dem “deutschen Volk” schaden, indem sie ausschließlich auf Kosten des deutschen Steuerzahlers leben wöllten. Asylsuchende werden dadurch als “Schmarotzer” diskriminiert, diffamiert und damit gegenüber “Deutschen” abgewertet. Das Argumentationsmuster des NPD-Mottos basiert folglich ideologisch,  ebenso wie die Pogromnacht des 9. Novembers 1938, auf Rassismus.

“Rassisten stoppen!”, Lampionumzug, Erinnerung und Mahnung des 9. November

Sie rufen ebenfalls zu Protesten auf: das Bündnis Vorpommern, weltoffen, demokratisch, bunt

Wolgast und Umgebung wollen eine derartige neonazistische Inszenierung jedoch nicht hinnehmen. In der Stadt fand sich recht schnell der Präventionsrat zusammen, während im Landkreis das Bündnis „Vorpommern:  weltoffen, demokratisch, bunt“ Treffen anberaumt hat. In Greifswald bildete sich derweil aus einer Vielzahl emanzipatorisch-zivilgesellschaftlich sowie antirassistisch orientierter Gruppen, Vereine und Bündnisse das landesweite Bündnis „Rassisten stoppen! – Solidarität mit Flüchtlingen“, die in einer Presseerklärung zu friedlichen Sitzblockaden am 9. November aufrufen, um den NPD-Marsch zu verhindern. Im Rahmen der Mobilisierungskampagnen fanden bereits einige Informationsveranstaltungen in Rostock statt. Weitere werden in Greifswald (6. November, 19 Uhr IkuWo) und Hamburg folgen. Unterstützung bekommt das Bündnis nicht nur aus Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch bundesweit. So sind neben Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) und Sahra Wagenknecht (Die Linke.), beispielsweise auch das demokratische Jugendforum Brandenburg, Gewerkschaftssekretärinnen- und Sekretäre von Verdi.jugend, der VVN-BdA sowie der Flüchtlingsrat Hamburg auf der langen Unterstützerinnenliste zu finden. Von studentischer Seite wird das Bündnis gleich von zwei Studierendenschaften unterstützt: Hamburg (via AStA) und Greifswald (via StuPa). Das Bündnis „Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt“ ruft derweil zu “vielfältigen gewaltfreien Protestformen” auf und fordert “eine besonnene Flüchtlingspolitik im Geiste der Menschenrechte.” Die Stadt Wolgast plant, anders als das Bündnis „Rassisten stoppen!“ ein Demokratiefest nebst Lampionumzug. Darüber hinaus wurden in der gesamten Stadt Mahnwachen angemeldet. Mit Umzug, Demokratiefest und Mahnwachen wollen die Wolgaster an drei historische Ereignisse der deutschen Geschichte erinnern, die an einem 9. November stattfanden: Die Gründung der Weimarer Republik als erste Demokratie auf deutschem Boden (1918), die Schrecken der Reichspogromnacht (1938) und der Fall der Mauer (1989).

Kreis verbietet NPD-Demo

Nachdem bislang noch unklar war, wie der Landkreis sich in dieser Frage verhalten werde, teilte die Ostsee-Zeitung heute mit, dass der Landkreis dem Fackelmarsch der NPD ein Verbot erteilt habe. Begründet wird das Verbot mit der Analogie zur Reichspogromnacht. An einem solchen Datum einen Fackelmarsch der NPD zuzulassen, sei mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar, heißt es in der Begründung des Landkreises.

Inzwischen gibt es bereits erste Reaktionen auf das Verbot des NPD-Fackelmarsches. “Eine Demonstration der NPD gegen Asylsuchende mit Fackeln, noch dazu am 9. November, dem Jahrestag der Pogrome von 1938, entspricht offenbar nicht nur unserer Meinung nach einer offenen Provokation! Anscheinend hat auch der Landkreis die davon ausgehende Gefahr wahrgenommen und entsprechend entschieden”, erklärt Julia Gärtner, Pressesprecherin des Bündnisses “Rassisten stoppen – Solidarität mit Flüchtlingen” in einer Pressemitteilung. Richtig lag das Bündnis zudem in der Vorausahnung, dass die NPD juristisch gegen das Verbot vorgehen wolle. Sie kündigte inzwischen an, dagegen klagen zu wollen. Inwiefern das Verbot Einfluss auf die Vorbereitungen des Lampionumzuges, der Mahnwachen und des Demokratiefestes haben wird, ist bislang noch nicht bekannt.

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