Troubled Water

Ein Xylophonspiel erklingt als Filmmusik und die um 90 Grad gedrehte Kamera fängt einen fließenden Fluss ein. Darauf treibt ein kleines aus Rinde gebautes Floß mit dem Strom. Der Urheber des Spielzeugs ist nicht zu erkennen. Während dabei unauffällig die Filmcredits eingeblendet werden, zeigt der Film „Troubled Water“ seinen Zuschauern schon in den ersten Minuten, welche Stimmung in den kommenden fast zwei Stunden zu erwarten ist.

Und dann kommt plötzlich der Stimmungsbruch. Ausschnitthaft wird die Vorgeschichte dargestellt. Ohne Erklärung darüber, wer zu sehen ist und warum die Protagonisten so handeln, wie sie handeln. Als Zuschauer schämt man sich fast für seine voyeuristische Nähe. Erklärt wird das Aufeinandertreffen zwischen den beiden Figuren Jan Thomas und Agnes mit dem Publikum erst im Verlauf des Films.

Agnes geht nachmittags mit ihrem Sohn spazieren und lässt den Kinderwagen kurz unaufbesichtigt. Jan Thomas ist zum falschen Moment am gleichen Ort, geht erst langsam, dann schneller flüchtend mit dem Kinderwagen weg, um sich in Agnes´ Handtasche zu vergreifen. Ihr Sohn ist die ganze Zeit dabei. Und dann geschieht ein Unglück. Das Kind ist tot.

Muttergefühle statt Rache

Kann eine Mutter dem Schuldigen den Tod ihres Kindes verzeihen? Das Rechtssystem kann Jan Thomas nicht ewig wegsperren. Er wird wegen guter Führung freigelassen und bei diesen Bildern ist schon nicht mehr klar, warum der Junge eigentlich starb. Jan Thomas ist nicht der typische Verbrecher.

Der Einstieg in die Gesellschaft wird ihm leicht gemacht. Als Organist beginnt Jan Thomas sofort nach der Haftentlassung sein weiteres Leben. Und schon beim ersten Orgelspiel des Protagonisten ist die innerliche Anspannung des äußerlich Ruhigen nicht mehr zu übersehen.

Jan Thomas´ Leben verläuft oberflächlich betrachtet so, als wenn es seine Vergangenheit nicht geben würde. Doch in immer kürzeren Abständen tritt Agnes, deren Name bis dahin eigentlich noch nicht bekannt ist, in Erscheinung. Würde der Film des Regisseurs Erik Poppe nicht nach rund der Hälfte der Spielzeit einen Wechsel der Erzählperspektive machen, man könnte glauben in einer Rachegeschichte zu verweilen. Rache an Jan Thomas von der Mutter. „Troubled Water“ ist aber keine Rachegeschichte.

Nicht nur der Blickwinkel wird verändert. Auch die Handlung setzt zeitlich wieder früher ein. Nun entdeckt der Zuschauer die vorher schon gesehene Resozialisierung von Jan Thomas durch Agnes´ Augen, die diesen zufällig in der Kirche musizieren hört. Und genauso wie Agnes den damals minderjährigen Jan Thomas wieder erkennt, so ergibt der zweite Blick auf das schon bekannte so viele neue  Informationen, dass zwar nicht eine Figur gegenüber der anderen an Sympathie gewinnt, doch das Leiden mit beiden Protagonisten zur gefühlten Gefangenschaft in dieser Filmwelt führt.

Michael Moore besucht Filmfestivals

Regisseur Erik Poppe schließt mit „Troubled Water“ seine sogenannte Oslo-Trilogie ab. „Schpaaa“ (1998) und „Hawaii, Oslo“ (2004) waren die ersten beiden Teile. Dass der Film als norwegisch zu klassifizieren ist, kann nicht behauptet werden. Denn obwohl der Film in Norwegen in der Landessprache mit skandinavischen Darstellern gedreht wurde, kann sich diese Geschichte überall abspielen. Dies ist eine der Qualitäten des Films.

Alec Baldwin (links, Jury-Mitglied) und Erik Poppe (rechts, Regisseur)

Eigentlich könnten nämlich Filme wie „Troubled Water“, die auf internationalen Filmfestivals herumgereicht werden und somit einem teilweise überheblichen, weil filmkanonisierenden Rezipientenkreis vorgeführt werden, als intellektuelles Kopfkino abgetan werden. Und wenn im Jahr 2010 ein Lob des US-amerikanischen Dokumentarfilmers und Politikaktivisten Michael Moore („Der absolut beste Film den ich seit Jahren gesehen habe!“) als notwendige Anpreisung eines Films in allen Werberatschlägen veröffentlicht wird, dann kann man im Falle von „De Unsynlige“ wie das Werk im Original heißt, nur ein bedauern ausdrücken.

Denn die vielen Filmfestivalteilnahmen und Filmpreisgewinne haben den Film nicht einer breiten Masse außerhalb Norwegens bekannt gemacht und Michael Moore schreckt heute mehr Menschen ab, als noch in den jungen Jahren des Jahrzehnts, in dem in vielen Regalen sein Buch „Stupid White Men“ zu finden war.

Bis zum Monat Juni haben nur rund 25.000 Zuschauer in Deutschland eine Kinokarte für den Film gelöst. Verglichen mit den verkauften Kinotickets in Norwegen (102.489) ist „Troubled Water“ in Deutschland untergegangen. Zwar ist der Film damit noch meilenweit vom Erfolg des Geschichtsfilms Max Manus (1.161.997 Zuschauer bei rund 4,9 Millionen Einwohnern) in Norwegen entfernt gewesen. Doch Quantität heißt nicht zwangsläufig auch Qualität und umgekehrt. Jedenfalls in Hinsicht des Konstrukts Erfolg.

Als Empfehlung für einen guten Filmabend darf „Troubled Water“ trotz Moore´scher Lobpreisung und der unzähligen Teilnahme an Nicht-A-Filmfestivals angesehen werden. Und obwohl es sich um einen Film mit geringem kommerziellen Potential handelt, lässt sich auf der DVD noch mehr entdecken als man es einem kleinen Label (KOOL Filmdistribution) zutrauen würde. Neben der deutschen Sprache, kann das Werk auch im norwegischen Originalton begutachtet werden. Dies hilft vor allem, den spürbar herben deutschen Synchronsprecher von Jan Thomas ignorieren zu können. Für den des Norwegischen nicht Mächtigen helfen dabei deutsche und französische(!) Untertitel. Außerdem lassen sich geschnittene Szenen im Bonusmaterial finden, die im Film aber auch nicht vermisst wurden, weil „Troubled Water“ genau die richtige Fließgeschwindigkeit – wie das Boot in der Anfangsszene – besitzt, damit das Filmziel eines beeindruckenden Dramas über Vergeben und Versöhnen erreicht werden konnte.

Filmdaten

Titel: Troubled Water (norwegischer Originaltitel: de Usynlige)

Norwegen 2008, 116 Minuten

Regie: Erik Poppe

Darsteller: Pal Sverre Valheim Hagen, Trine Dyrholm, Ellen Dorit Petersen

Deutscher Kinostart: 18.03.2010

DVD-Verkaufsstart: 27.08.2010

DVD-Bonusmaterial: Geschnittene Szenen (15 Minuten), Musikvideo „Aftenlandet“ mit Jan Garbarek und Mari Boine, Diashow mit Bildern von den Dreharbeiten, 14 Trailer für andere Filme des DVD-Labels Good!Movies

Bilder

KOOL Filmdistribution (Filmbild), Norwegian Film Institute (Preisverleihung in Hamptons, USA)