Es gibt viele Möglichkeiten, im Ausland zu studieren. Warum werden sie so wenig genutzt?

Schnee, Eis, zweistellige Minusgrade und in der eigenen Stadt eingeschneit sein – das ist der Winter in Greifswald. Wer würde da nicht gern wie Flo in Südafrika am Strand sitzen und bei 30 Grad das Wetter genießen. Nein, Flo ist nicht im Urlaub, sondern verbringt sein Auslandssemester in Kapstadt. Er ist einer von über 200 Greifswalder Studierenden, die sich momentan im Ausland befinden. Florian ist seit August in der Metropole und erlebt jeden Tag etwas Neues. Entweder klauen die Affen auf dem Uni-Gelände ihm sein Mittagessen oder aber er geht auf Schildkröten-Rettungsmission, da diese gerade die Straße überqueren wollten. Wenn er nicht gerade in der Uni ist, geht er gern mal mit seinen Kommilitonen auf Reisen und entdeckt die Wüste oder trifft kurz vor der Stadt auf ein paar Zebras. Auch Paddeln und Wale-Beobachten stehen auf dem Freizeitplan.

Wenn man das alles hört, würde jeder wohl gern vorübergehend auswandern, aber warum tun wir es nicht? Circa 200 von 12000 Studierenden sind momentan über bestimmte Programme (zum Beispiel ERASMUS) im Ausland, aber es könnten viel mehr sein. Annette Ehmler vom Akademischen Auslandsamt (AAA) berichtet, dass nicht einmal 50 Prozent der Plätze für Greifswalder Studierende im ERASMUS-Programm genutzt werden und es kommen auch immer weniger ausländische Studierende nach Greifswald. Im Wintersemester 2009/2010 waren es erstmals seit langem unter 100. Aber woran liegt das? Haben wir Greifswalder keine Lust aus unserem schönen Städtchen wegzugehen?

Auslandserfahrung scheint immer wichtiger in den Lebensläufen zu sein, ganz abgesehen von dem Vorteil, mehrere Sprachen fließend sprechen zu können. Aber wie soll man das alles in zwölf Jahren Abitur und drei Jahren Bachelorstudium unterbringen? Viele Studierende geben vor allem Zeitmangel als Grund dafür an, nicht ins Ausland zu gehen, denn sie wollen in drei Jahren ihren Abschluss machen. Leider ist der Bologna-Prozess in Deutschland noch nicht so weit, dass alle Studienleistungen aus dem Ausland auch für den deutschen Abschluss anerkannt werden.

Norman in Warschau-privatDie PRIME-Studie (Problem of Recognition In Making Erasmus) vom Erasmus Student Network (ESN) zeigt, dass in Deutschland nicht einmal 60 Prozent aller Auslandsleistungen an der Heimatuniversität anerkannt werden. In Greifswald liegt die Zahl deutlich höher, aber leider auch nicht bei 100 Prozent. Annette Ehmler sieht außerdem ein Missverhältnis zwischen den Austauschverträgen der Universität und den Interessen der Studierenden. Der internationale Schwerpunkt der Universität Greifswald liegt im Ostseeraum. Jedoch sind nicht besonders viele Studierende daran interessiert, die entsprechenden Sprachen zu lernen. Auch viele Vorurteile gegenüber den baltischen Ländern, wie zum Beispiel deren Sauberkeit, stehen oft einer Entscheidung für ein Auslandssemester im Weg. Norman, der in Torun in Polen am Programm „Europäischer Freiwilligendienst“ teilgenommen hat, berichtet, dass er noch nie eine so hohe Dichte an Mülleimern gesehen hat, wie dort.

„Ich kann es mir nicht leisten ins Ausland zu gehen“

Ein anderes großes Problem ist die Art der Finanzierung. BAföG-Empfänger haben es leicht, denn sie bekommen das Auslands-BAföG als Vollzuschuss. Auch ERASMUS-Studenten bekommen eine finanzielle Unterstützung in Form des ERASMUS-Stipendiums. Jedoch beträgt dieses nur maximal 300 Euro im Monat und deckt damit lediglich einen geringen Teil der im Ausland anfallenden Kosten. Eventuelle Mehrausgaben sind damit zwar ausgeglichen, zusätzliche Freizeitaktivitäten, wie Reisen und Kulturveranstaltungen aber nicht. Julia, die 2007 ein Jahr Skandinavistik im schwedischen Lund studierte, sagt, dass sie sogar extra einen Kredit aufgenommen hat, um sowohl die hohen Lebenshaltungskosten in Skandinavien abzudecken, als auch die Möglichkeit zu haben, Land und Leute zu sehen.

Viele andere haben darauf hin gespart oder haben finanzielle Unterstützung von ihren Familien bekommen. Nur die wenigsten gehen auch im Ausland arbeiten, denn die Sprachbarriere stellt natürlich ein großes Problem dar. Was viele Leute nicht wissen, es gibt durchaus Stipendienprogramme, die nicht nur 1,0-Studenten fördern. Hier hilft der Deutsche Akademische Austauschdienst weiter (www.daad.de) oder man erkundigt sich im Auslandsamt.

Um eine tolle Erfahrung reicher

Doch was bringt Studierende jedes Semester doch dazu, all diese Schwierigkeiten auf sich zu nehmen? Auch hier spielt Sprache wieder eine entscheidende Rolle. Denn wo kann man die Sprache besser lernen als in ihrem Ursprungsland? Das beliebteste Austauschland für die Greifswalder ist übrigens Großbritannien, denn diese Sprache sprechen die meisten natürlich schon am längsten. Dort gibt es jedoch nie genug Plätze, um alle Interessierten zu befriedigen. Auf Platz zwei der Rangliste liegen Schweden beziehungsweise die skandinavischen Länder. Grund dafür ist das große Angebot an Kursen und Vorlesungen in Englisch und die allgemein guten Verständigungsmöglichkeiten mit den Einheimischen.

„Außerdem sind die Kurse an skandinavischen Universitäten meist nicht so überfüllt wie in Deutschland, denn hier sind nur circa 20 Studenten in einem Kurs. Auch die Dozenten sind super nett“, berichtet Jaana, die als Skandinavistik-Studentin in Göteborg war. Viele wollen einfach nur einmal eine andere Kultur oder Lebensart kennenlernen, um ihren Horizont zu erweitern. Julia hat in Lund festgestellt, dass nur weil sich alle in Schweden duzen, es nicht automatisch lockerer zugeht. „Trotzdem ist es ein sehr angenehmes Land zum leben und studieren“, sagt sie. Man gewöhnt sich recht schnell an das „andere“ Leben und es ist gar nicht so einfach wieder ins alte zurückzukehren.

Dazu berichtet sie, dass man in Schweden „überall zum Warten eine Marke ziehen muss, und ist dran wenn die Nummer aufgerufen wird. Das kennt man aus Deutschland eigentlich nur vom Amt, aber in Schweden ist das in nahezu allen Geschäften so, man muss sich wirklich erst daran gewöhnen, dass man selbst im Café so eine Marke ziehen muss. Zurück in Deutschland war es dann allerdings so, dass ich jedes Mal den Markenautomat gesucht habe, wenn ich ein Geschäft betreten habe.“

Basti, der in Bergen, Norwegen war, hat auch so einiges Neues gelernt, vor allem dass der Alkohol in Norwegen ziemlich teuer ist und die Studierenden sich so einiges einfallen lassen, um ihn günstiger zu bekommen. „Wir versuchten zu schmuggeln, zu brennen, illegal zu importieren, alles“, erinnert er sich. Er musste außerdem feststellen, dass die Polizei in Norwegen Öffnungszeiten hat. Für alle war es vor allem wichtig nicht nur ein anderes Land zu besuchen, sondern das reale Leben kennenzulernen und die Leute, die dort wohnen. Man macht Erfahrungen für das ganze Leben, denn es ist manchmal nicht einfach sich in der Fremde zu Recht zu finden, aber man lernt sich vor allem auch sehr gut selbst kennen.

Flo wird bald wieder in Deutschland sein und sich wundern wie stark der Temperaturunterschied wirklich ist. Er ist zwar froh wieder nach Greifswald zu kommen und seine Freunde wiederzusehen, aber auch gleichzeitig unendlich traurig, das tolle Land, die Leute und den Sommer hinter sich lassen zu müssen.

Ein Bericht von Katja Krohn