Die NPD legt in den Kommunalwahlen in M-V zu – und die Wissenschaft ist überfordert, der Journalismus manchmal auch.

Wenn man die Broschüre des Statistik-Amts zur jüngsten Kommunalwahl in Mecklenburg-Vorpommern von hinten aufschlägt, schaut man auf ein Land, dessen braune Flächen sich gegenüber der letzten Kommunalwahl 2004 umgekehrt haben: War die NPD 2004 lediglich in drei Kreisen und einer Stadt mit Kandidaten angetreten, so schaffte sie es dieses Mal bis auf drei Kreise und zwei Städte in allen anderen anzutreten. Mecklenburg-Vorpommern nach der Kommunalwahl 2009 ist braun. In Greifswald stellte die NPD keine Kandidaten auf, dafür aber im umliegenden Landkreis Ostvorpommern gleich neun. Insgesamt 75 Kandidaten der rechtsextremen Partei traten dieses Jahr landesweit zu den Kommunalwahlen an.

Das Kommunalwahlrecht kennt keine Fünf-Prozent-Hürde und begünstigt damit die kleineren Parteien, die auch mit wenig Stimmen einen Abgeordnetensitz erringen können. Ist zusätzlich die Wahlbeteiligung gering, steigen die Chancen nochmals. Und es dürfen auch schon 16-Jährige wählen. Gerade Jugendliche sind eine bevorzugte Zielgruppe der NPD.

npd-wahlbeteiligung-klein-300x469-landeswahlleiter-mvMit einem Gesamtstimmenanteil von 3,2 Prozent landesweit kann die NPD ab sofort 26 Parlamentarier in 13 Kreistage und Stadtparlamente entsenden, dazu kommen weitere Abgeordnete in Gemeindevertretungen. Gegenüber der Kommunalwahl von 2004 legte sie um 2,4 Prozentpunkte zu. In Ostvorpommern und Ludwigslust sitzen seit 2004 NPD-Abgeordnete im Kreistag, in beiden Kreisen konnte die Partei Prozentpunkte zulegen. Im Kreis Müritz und in Stralsund, wo sie ebenfalls seit 2004 in Parlamenten vertreten ist, verlor sie leicht.

So zieht beispielsweise Marianne Pastörs, Frau des NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs, gemeinsam mit dessen Wahlkreismitarbeiter Andreas Theißen in den Gemeinderat Lübtheen ein. In elf weiteren Gemeinden hat die NPD wohl Mandate erzielt; sie selbst präsentiert auf ihrer Homepage stolz 35 Abgeordnete in Gemeindevertretungen.

Zwischen Schock und Beschwichtigung

Nun sind angesichts dieser Zahlen alle möglichen Reaktionen denkbar, die von Erschrecken über Beschwichtigung bis zu Freude auf Seiten der NPD reichen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung äußert sich gegenüber endstation-rechts.de „schockiert“ über die Wahlergebnisse. Die Leiterin des M-V-Landesbüros, Anne-Rose Wergin, analysiert, „dass sich gerade in den Hochburgen der rechtsextremen Szene die Zahl der NPD-Wähler gesteigert hat.“ Die grenznahe Region Uecker-Randow habe beispielsweise mit Abstand die erschreckendsten Wahlergebnisse, so Wergin, die Strategie der „national befreiten Zonen“ sei hier aufgegangen. Dem widerspricht Landeswahlleiter Klaus Hüttebräuker auf endstation-rechts.de. „Sowohl prozentual als auch absolut ist der Rückhalt der NPD in der Bevölkerung gegenüber den Landtagswahlen 2006 deutlich gesunken“, so Hüttebräuker. Das sei vor allem vor dem Hintergrund bemerkenswert, dass die Wahlbeteiligung bei der Kommunalwahl deutlich unter der der Landtagswahl 2006 gelegen habe – was von Wahlforschern eigentlich als Vorteil für die NPD gewertet worden sei. Es bleibt aber fraglich, inwieweit man Kommunal- und Landtagswahlen vergleichen und daraus solche Schlüsse ziehen kann, sowohl die Themen als auch die Kandidaten sind unterschiedlich.

Nun sind Rechtsextremismus und ihm nahe stehende Parteien beileibe kein neues Phänomen in der Bundesrepublik, sie sind seit Gründung der Bundesrepublik mal mehr, mal weniger präsent. Diese Strömungen fallen aus dem Mainstream der politischen Bewegungen dadurch heraus, dass sie die moderne Demokratie mit ihren Freiheits- und Gleichheitsvorstellungen grundsätzlich ablehnen und – wie im Fall der NPD – auch abschaffen wollen. Die Frage, wie „demokratisch“ die Demokratie mit ihren eigenen Feinden umgehen darf, ist in diesem Zusammenhang eine spannende Frage.

Wissenschaftliches Getöse

Die Politische Wissenschaft spielt jedenfalls beim Thema Rechtsextremismus keine sonderlich rühmliche Rolle. Es gibt zwar seit Jahr und Tag eine umfangreiche Forschung zum Thema und es ist auch einigermaßen klar, was der Gegenstand der Forschung ist, aber auf eine gemeinsame Definition des Phänomens Rechtsextremismus konnte man sich bisher nicht einigen. Es werden allerhand sozialwissenschaftliche Methoden bemüht, um Erklärungen zu liefern. Die Frage, welche Faktoren denn nun ausschlaggebend und welche vernachlässigbar seien, füllt Bücher. Und es wird gerne mal aus Berichten des Verfassungsschutzes zitiert, ohne dessen spezifischen Auftrag und Blickwinkel auf das Phänomen zu berücksichtigen.

Auch das Greifswalder Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft publiziert seit 2006 unter der Ägide des Politikprofessors Hubertus Buchstein in unregelmäßigen Abständen Literatur zum Thema. Der Professor für Politische Theorie begleitet eine Forschungsstelle Rechtsextremismus. Im Vorfeld der Landtagswahl 2006 erschien ein 200-Seiten-Werk über die Arbeit der NPD in den kommunalen Parlamenten, in dem mit allerhand methodischen Aufwand versucht wird, die Arbeit der Nationalen nachzuzeichnen. Wohl erstmals in der kommunalen Perspektive, wie die Autoren betonen.

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Politikprofessor Buchstein vor der Landtagswahl 2006: "Die Menschen sind so politikverdrossen, dass sie nicht einmal NPD wählen."

Buchstein selber fiel im Vorfeld der Landtagswahl 2006 durch einige abstruse Medienäußerungen auf. Gegenüber dem NDR erklärte er, dass „die NPD in Mecklenburg-Vorpommern keine Kernwählerschaft hat.“ Zudem seien die Menschen so politikverdrossen, dass sie nicht einmal die NPD wählten. Gegenüber der taz wollte er später dann aber „keine Kiste Bier mehr darauf verwetten, dass die NPD nicht ins Landesparlament kommt.“ Im gleichen Interview meinte er, bezogen auf den Wahlkampfaufwand der NPD, es sei schon „grandios, was die hier alles auf die Reihe kriegen.“ Nach dem Einzug der Nationaldemokraten in das Schweriner Schloss bezeichnete er NPD-Wähler gegenüber dem Focus als eine „Schicht von Modernisierungsverlierern mit der völlig falschen Erwartung, dass die Politik ihnen schnelle Lösungen ihrer Probleme serviert.“ Ob diese Art Medienäußerungen eines Vertreters der politischen Wissenschaft förderlich ist, bleibt trotz aller anderen Bemühungen Buchsteins doch fraglich.

Der Journalismus ist oft unvorbereitet

Auch Journalisten tun sich schwer mit den Rechtsextremen – und das nicht erst seit deren Einzug in den Dresdner Landtag im September 2004 oder in den Schweriner Landtag im September 2006. Selbst vermeintlich gestandene Fernsehmoderatoren gerieten ins Schlingern und mussten erkennen, dass NPD-Parlamentarier anders gestrickt sind als deren Pendants bei den etablierten Parteien. Einzig dem ehemaligen Bild-Chefredakteur Claus Strunz gelang es gemeinsam mit Peter Glotz in seiner Talkshow, den NPD-Funktionär Udo Voigt zu entlarven, indem er ihn ausreden ließ und beharrlich nachfragte.

Handfestere Erfahrungen machte beispielsweise die freie Fernsehjournalistin Andrea Röpke bei ihren Recherchen über die inzwischen verbotene „Heimattreue Deutsche Jugend“. Sie wurde schon mal mit dem Auto bedrängt oder ihrem Kameramann wurde die Kamera von der Schulter gerissen. Erst kürzlich geriet die NPD in die Schlagzeilen, als sie bei ihrem Bundesparteitag Anfang April im Rathaus Berlin-Reinickendorf von Journalisten Namen und Privatadresse verlangte, ansonsten erhielten diese keinen Zugang zu der Veranstaltung.

Berichte über die rechtsextreme Szene verlangen Journalisten also einiges ab, oftmals verweigern, minimieren oder pauschalisieren Redaktionen die Berichterstattung über die NPD. Manchmal mit dem Hinweis, man wolle nicht auch noch Propaganda für deren Politik machen. Die Greifswalder Lokalausgabe der OZ war sich allerdings im Nachgang des Arndt-Beschlusses der Vollversammlung nicht zu schade, den Leserbrief eines vermutlich ehemaligen NPD-Funktionärs abzudrucken.

Ein bemerkenswertes Buch mit vielen O-Tönen

Umso erstaunlicher ist in diesem Zusammenhang das jüngste Buch der beiden Journalisten Christoph Ruf und Olaf Sundermeyer. Beide sind studierte Redakteure – Ruf bei Spiegel Online, Sundermeyer Mitarbeiter der FAZ – und beide sind seit Jahren auf Recherche in der rechtsextremen Szene. Sie legen mit ihrem Buch „In der NPD – Reisen in die national befreite Zone“ eine gelungene Innenansicht der aufstrebenden Partei vor. Und beherrschen dabei ihr Journalistenhandwerk gut, nähern sich dem Milieu „ohne Berührungsängste, aber auch ohne jede Form der Kumpanei“, wie sie schreiben. Was sicher nicht immer ganz einfach ist.

in-der-npd-250x386-beck-verlagWas sie zutage fördern, ist eine diffuse Parallelgesellschaft. Das Buch wirkt etwas unstrukturiert, was weniger an den Autoren als vielmehr an der heterogenen rechten Szene selbst liegt. Wo es passend erschien, wählten die Autoren verschiedene Stilformen, mal Bericht, mal Interview, mal Reportage. Sie erreichen eine hohe Authentizität und Dichte durch viele O-Töne der Befragten.

Ruf und Sundermeyer analysieren die notorische Finanznot der Partei, besuchen den Klamottendesigner von „Thor Steinar“ und interviewen Jürgen Gansel, Chefideologe der NPD und Erfinder des Begriffs „Dresdner Bombenholocaust“. Sie porträtieren den einflussreichen, sächsischen NPD-Funktionär Holger Apfel und reden mit den Chefs der Jungen Nationaldemokraten in der sächsischen Provinz. Und sie mischen sich auch auf dem Rechtsrock-Konzert irgendwo in Thüringen in das Milieu und tingeln mit dem NPD-Landratskandidaten Andreas Storr durch sächsische Dörfer.

Der diffuse Befund darf aber keinesfalls darüber hinwegtäuschen, dass die NPD-Kader und Sympathisanten fest entschlossen sind, die bestehende Gesellschaftsordnung nach ihren Vorstellungen umzukrempeln. Es fehlt oft nur an Mitgliedern und Sympathisanten. Als Ergänzung zu der gelegentlich etwas trockenen Forschungsliteratur ist das Buch auf jeden Fall zu empfehlen, liefert es doch einen guten Einblick in die Gefühlslage der NPD und ihrer Mitglieder. Und auch die aktuellen Entwicklungen in der rechten Szene, beispielsweise das Überlaufen des hohen NPD-Funktionärs Andreas Molau zur DVU, werden durch das Buch erhellt.

Das Buch “In der NPD – Reisen in die national befreite Zone” von Christop Ruf und Olaf Sundermeyer ist im C.H. Beck Verlag München erschienen und kostet 12,50 Euro.

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Bildnachweise:

Grafik: Broschüre des Landesamts für Statistik, Landeswahlleiter M-V zur Kommunalwahl 2009; Buchstein: Ulrich Kötter/moritz-Archiv; Cover: (C) C. H. Beck Verlag München, Artikel-Titel: Tobias Mittmann via jugendfotos.de