Adventskalender Türchen 13: Lucia

Adventskalender Türchen 13: Lucia

Eine Frau, die in Weiß gekleidet ist, mit brennenden Kerzen auf dem Kopf, kommt in der längsten Winternacht und singt altertümliche schwedische Lieder. Das klingt zunächst absurd und wie eine gute Idee für ein Sequel zu Midsommar (2019), ist aber eine geliebte Tradition in Schweden – und am Institut für Fennistik und Skandinavistik unserer Universität.

Eine italienische Heilige in Schweden

Der Luciabrauch in Schweden geht auf die italienische Heilige Santa Lucia von Syrakus zurück. Die Legenden über sie überschlagen sich: Manche sprechen davon, dass sie ihre Jungfräulichkeit Christi schenken wollte; in anderen Geschichten reißt sie sich ihre Augen aus und wird mit Feuer gefoltert. Wie passend also, dass sie als Heilige der Blinden und des Lichts gilt.

In Skandinavien hat sie vor allem die Rolle der Lichtbringerin inne, die in der dunkelsten Winternacht das Licht wieder in die Stuben bringt – zusammen mit einem Tablett mit Kaffee und Safrangebäck. Die Luciafeier war ursprünglich eine Wintersonnenwendentradition (mehr zur Wintersonnenwende später hier im Adventskalender), weil der 13. Dezember im julianischen Kalender der kürzeste Tag des Jahres war. An diesem Tag verkleideten sich Kinder und Jugendliche, zogen singend durch die Stuben und bettelten um Essen und Trinken; ein wenig wie es die Sternsinger bei uns tun. Die lange Winternacht wurde von der ländlichen Bevölkerung als bedrohlich aufgenommen, böse Mächte herrschten und ließen Tiere sprechen. Hinzu kommt, dass Lucias Spitzname, Lusse, sich auch auf Luzifer beziehen könnte.

Der Text des traditionellen Lucialieds “Himlen hänger stjärnsvart” von 1902 zeigt die zweideutige Natur des Feiertages: Die herumwandernden Lusseknechte können als Bedrohung oder als Botschafter des Lichts gelesen werden.

Himlen hänger stjärnsvart och snön ligger blå
och mörkret är så beckmörkt och stjärnorna så små.
Skumma ligga stigarna där mänskobarnen gå,
och tysta ruva stugorna med snöskägg på.
Då komma väl de hundra, då komma väl de tusen
Lusseknektar vandrande kring husen.

De vandra kring med stjärnljus, de vandra kring med bloss,
med masker och med narrspel, en jublande tross.
De bulta hårt på rutorna så isen går loss,
de buga sig, de bjuda sig till gästning hos oss.
De vandra kring med visor som jubla och tralla,
så backarna och skogarna de skalla.

Der Himmel hängt sternenschwarz und der Schnee liegt schwarz
und die Dunkelheit ist so pechschwarz und die Sterne so klein.
Düster liegen die Stiegen wo die Menschenkinder gehen,
und stumm brüten die Stuben mit Schneebärten obendrauf.
Dann kommen wohl die hundert, dann kommen wohl die tausend
Lusseknechte wandernd um die Häuser.

Sie wandern herum mit Sternenlicht, sie wandern herum mit Fackeln,
mit Masken und mit Narrenspiel, ein jubelnder Zug.
Sie pochen hart an die Scheiben, sodass das Eis sich löst,
sie verbeugen sich, sie laden sich ein zur Herberge bei uns.
Sie wandern herum mit Weisen, die jubeln und trällern,
sodass die Hügel und Wälder schallen.

Original: K G Ossiannilsson, abgerufen von Julsånger.se., eigene Übersetzung
Der Universitätschor der Uni Stockholm singt “Himlen hänger stjärnsvart” von K.G. Ossiannilsson

Mit der Kalenderreform von 1753 und dem wachsenden Einfluss des Christentums fielen diese heidnischen Traditionen mit denen des Namenstages der heiligen Lucia zusammen. Dann darf sie auch bei wohlhabenderen Familien in Westschweden eingehen als eine Art Weihnachtsengel, der das Licht Gottes zu den Bedürftigen bringt.

Lussebräute und Sternbuben

Im 18. und 19. Jahrhundert findet Lucia ihren Einzug in die Universitäten und darf dort singend durch die Gebäude ziehen. Weil aber zu dieser Zeit nur Männer studieren konnten, waren die Lussebräute natürlich auch männlich. Die nationer (Studentenverbindungen) wählten den schönsten Erstjahresstudenten aus ihren Reihen. Tatsächlich war die erste (historisch belegte) Lucia mit Kerzen im Haar auch männlich.

Auch wenn es in der Regel nur eine Lucia geben kann, tritt sie nicht alleine auf. Meist hat sie in ihrem Zug tärnor (sg: tärna, auf Deutsch in etwa ‘Jungfer’) dabei und stjärngossar (‘Sternbuben’), manchmal auch ein paar tomtar (Wichtel oder Weihnachtsmänner), aber sie wird mitunter auch in Begleitung von Pfefferkuchenmännchen gesehen. Mal sagt Lucia ein Gedicht auf, mal singt sie ein Solo.
Wer zur Lucia gekrönt werden kann, ist immer eine große Diskussion. Manchmal wird das Ganze wie eine Schönheitskonkurrenz aufgezogen, mal wie ein Beliebtheitswettbewerb. Welche Rolle das Geschlecht der Lucia spielt, ist auch unklar: 2016 warb ein schwedisches Kaufhaus mit einem kleinen Junge in Lichterkrone, woraufhin eine hitzige Debatte aufkam, zu der ein Video von Zlatan Ibrahimovic als Lucia weiter beitrug; 2022 stoppte ein Politiker der Schwedendemokraten, der rechtspopulistischen Partei Schwedens, einen Luciazug, weil er mit einer Lucia, die sich nicht weiblich identifiziert hat, zu untraditionell sei.

Lucia in Greifswald

Zeichung von Annika Rekow für das Mitsingeheft des Luciafests des Instituts für Fennistik und Skandinavistik

Spätestens seit den 1950er Jahren ist der Luciabrauch in ganz Schweden verbreitet, und es gibt erste Luciazüge sowohl in den anderen skandinavischen Ländern als auch im Baltikum – und natürlich an Skandinavistik-Instituten. Dass die Universität Greifswald die älteste Universität Schwedens ist, stimmt zwar nicht ganz (irgendwann werde ich auch dazu einen Artikel schreiben), aber trotzdem, beziehungsweise gerade deswegen gibt es hier das älteste Institut für Nordistik (beziehungsweise Fennistik und Skandinavistik) Deutschlands. Der FSR veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Institut und dem Institutschor jedes Jahr ein pan-nordisches Lucia- und Weihnachtsfest, mit einem richtigen Luciazug und Liedern in fast allen nordischen Sprachen (Grönländisch und Saamisch sind noch nicht dabei, aber Schwedisch, Dänisch, Norwegisch, Isländisch, Färöisch, Finnisch und Estnisch sitzen schon). Wie das dann aussieht, könnt ihr hier sehen. Das diesjährige Fest fand bereits am 9. Dezember statt, aber für die, die nicht aufs nächste Jahr warten können, gibt es den Luciatåg auch am 13.12., um 18.30 Uhr auf der Bühne auf dem Weihnachtsmarkt hier in Greifswald zu sehen.

In Schweden gibt es Lucia nicht nur an Schulen, sondern eigentlich überall. Oft werden dafür Chöre engagiert: Als Teil eines Studentinnenchores der Universität Linköping habe ich an Lucia 2019 an bestimmt 15 verschiedenen Orten, darunter der Flughafen, ein Altenheim, mehrere Firmen (u.a. Ericsson), und die Universitätsbibliothek, am Luciazug teilgenommen. Nach den “offiziellen Gigs” sind wir dann noch ungefähr eine Stunde singend über den Campus und durch alle Universitätsgebäude gezogen.

Das schwedische Fernsehen sendet jedes Jahr den Luciamorgen von einem anderen Ort in Schweden, dieses Jahr vom Kalmarer Schloss (für die Geschichtsnerds: ja, das ist das mit der Kalmarer Union). Das Video kann man hier kostenlos und ohne Werbung sehen. Und für die, die sich das Ganze gerne anhören möchten, kann ich dieses Album hier empfehlen.

Habt ihr schon mal von Lucia gehört? Und was haltet ihr von dem Brauch? Wollt ihr auch sehen, wie ein Luciazug euren Campus unsicher macht?

Beitragsbild: Laura Schirmeister

Adventskalender Türchen 10 – Alfred Nobel – Der Kaufmann des Todes und der Pazifist

Adventskalender Türchen 10 – Alfred Nobel – Der Kaufmann des Todes und der Pazifist

Am 10. Dezember jeden Jahres versammeln sich im Stockholmer Rathaus 1300 Vertreter*innen der schwedischen High Society, inklusive der Königsfamilie und den anerkanntesten Wissenschaftler*innen der Welt, zu einem Bankett und der Verleihung der Nobelpreise in Physik, Chemie, Physiologie/Medizin, Ökonomie und Literatur. Aber warum gibt es diesen Preis?

Der Name Alfred Nobel mag heutzutage zwar synonym mit bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckungen, atemberaubender Literatur und weltbewegenden Bemühungen um Frieden bekannt sein, aber zu seinen Lebzeiten hatte der Schwede einen ganz anderen Spitznamen: “dynamitkungen”, der Dynamitkönig. Seine Erfindung veränderte die Kriegsführung nachhaltig, dabei war der Entdecker eigentlich ein Pazifist.

Kindheit in Stockholm und Sankt Petersburg

Alfred Nobel wurde am 21. Oktober 1833 in Stockholm geboren. Sein Vater, Immanuel Nobel der Jüngere, war Ingenieur und Industrialist, dessen Abstammung sich auf Olof Rudbeck, das wichtigste Universalgenie im Schweden des 18. Jahrhunderts, zurückverfolgen lässt. Allerdings kam es im Jahr von Klein-Alfreds Geburt zu einem Feuer in einer der Fabriken des Vaters, was diesen in den Konkurs und ins Exil zwang. Während der Vater erst in Åbo/Turku, im heutigen Finnland, und dann in Sankt Petersburg sein Glück suchte, blieb Alfred mit seinen zwei älteren Brüdern und der Mutter zurück in Stockholm, wo sie sich mit einem Tante-Emma-Laden über die Runden bringen konnten. 1842 zogen Alfred, seine älteren Brüder Ludvig und Robert und die Mutter dann zum Vater nach Russland.

Immanuel Nobel konnte in Sankt Petersburg vom Krimkrieg profitieren: Er entwickelte Seeminen und Schnellschussgewehre. Dafür erhielt er eine Ehrenmedaille vom Zaren und das Geschäft lief so gut, dass er seine Schulden in Schweden bezahlen und nach zwanzig Jahren endlich aus dem Exil ins schwedische Heimatland zurückkehren konnte. Auch konnte Immanuel es sich leisten, seinen vier Söhnen (1843 wurde der kleine Emil Oscar geboren) eine erstklassige Ausbildung zu bieten. So schickte er seinen Sohn Alfred ins Ausland, damit dieser ein Chemieingenieur werden würde. Während dessen ältere Brüder bereits in der Fabrik des Vaters arbeiteten, reiste Alfred 1850, nur 17 Jahre alt, nach Paris und weiter nach Amerika, wo er von den großen Chemikern seiner Zeit lernte.

Nitroglycerin – Spaß für die ganze Familie

Bei dieser Reise kam er auch in Kontakt mit Ascanio Sobrero, der nur wenige Jahre zuvor das Nitrogylcerin entdeckt hatte. Immanuel Nobel hatte bereits das Potenzial des Sprengstoffes entdeckt, allerdings scheiterten seine laienhaften Versuche, kontrollierte Explosionen hervorzurufen und er gab schließlich auf. Seinem Sohn Alfred gelang es jedoch, wenn auch erst einige Jahre später. 1862 zündetet er die erste kontrollierte Explosion, und das sogar unter Wasser.

Mit dem Ende des Krimkriegs und dem Ausbleiben von Waffenbestellungen geriet die Fabrik des Vaters wiedermal in finanzielle Schwierigkeiten. Immanuel zog mit seiner Frau und den jüngeren Söhnen Alfred und Emil 1859 zurück nach Stockholm, während der älteste Sohn, Robert, eine Nitroglycerinfabrik in der Nähe von Helsinki führte und anschließend den zweitältesten Sohn, Ludvig, in der ehemaligen Familienfabrik unterstützte. Der investierte früh in die Ölförderung, in der Nähe von Baku, und startete mit seinem Bruder das Mineralölunternehmen “Branobel”, das bis zur Verstaatlichung im Zuge der russischen Revolution das größte des Reiches und nach Rockefellers Standard Oil das zweitgrößte der Welt war. Auch Alfred investierte in Branobel; zwölf Prozent seines Vermögens stammten allein aus dem Ölunternehmen.

Immanuel baute in der Nähe von Stockholm eine Fabrik, wo er mit seinen Söhnen Alfred und Emil ab 1862 Nitroglycerin für den Bergbau produzierte. Im Rahmen ihrer weiteren Experimente kam es am 3. September 1864, gegen halb elf, zu einer Explosion, bei der sechs Menschen umkamen, darunter ein dreizehnjähriger Junge, ein neunzehnjähriges Dienstmädchen, wie auch der einundzwanzigjährige Emil Oscar Nobel selbst.

Eine zündende Idee

Weder der Tod von Alfreds kleinem Bruder (dem übrigens die Schuld für die Explosion gegeben wurde), noch das Verbot, in der Fabrik weiter zu experimentieren, konnten Alfred und seinen Vater aufhalten. Es lässt sich sogar spekulieren, dass die Explosion weitere Aufmerksamkeit auf die Versuche lenkte, was der Firma die Möglichkeit bot, ihr Vorhaben öffentlichkeitswirksam zu bewerben. Am 28. November des gleichen Jahres konnte Alfred Nobel “Nitroglycerin Aktiebolaget” gründen, und das Verbot der Nitroglycerinproduktion innerhalb der Stadtgrenze Stockholms, durch die Verlagerung der Fabrik – zunächst auf ein altes Schiff und dann ins abgelegene Vinterviken -, umgehen.

Auf Einladung der deutschen Geschäftsmänner Wilhelm und Theodor Winkler konnte Alfred Nobel auch ins Ausland expandieren und so 1865 eine Fabrik in Krümmel bei Hamburg erbauen. Dort gab es eine natürliche Quelle an Kieselgur, einer pulverartigen Substanz, die sich als die fehlende Zutat für das “Zämen” der enormen explosiven Kraft von Nitroglycerin herausstellte. Die Kombination aus Nitroglycerin und Kieselgur wird zu einer knetbaren Masse, die Nobel 1867 unter dem Namen “Dynamit” patentierte. Er war zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt.

Insgesamt hat er bis zu seinem Tod am 10. Dezember 1896 355 Patente auf der ganzen Welt für verschiedene Erfindungen angemeldet. Es gibt auch die Behauptung, er hätte 30% aller schwedischen Patente zu dieser Zeit innegehabt. Viele davon haben mit Dynamit und anderen explosiven Stoffen zu tun, aber es gibt auch ein (schwedisches) Patent (Patentnummer 5671) für die Produktion von Kautschuk-Substituten und ein (englisches) Patent für “artificial rubber”.

Vom Kaufmann des Todes zum Pazifisten

Alfred Nobel baute Fabriken überall in Europa und in Nordamerika. Die vielen Reisen, die diese zahlreichen Standorte von ihm erforderten, verliehen ihm auch die Bezeichnung “Europas reichster Landstreicher”. Seine Firmen waren nicht nur der Dynamitproduktion gewidmet, sondern umschlossen auch das bereits genannte Ölunternehmen “Branobel”. Zum Zeitpunkt seines Todes besaß Alfred Nobel 93 Fabriken in 20 Ländern. Obwohl dieser Zeitpunkt erst am 10. Dezember 1896 eintrat, publizierte eine französische Zeitung bereits 1888 fälschlicherweise seine Todesannonce:

Der Kaufmann des Todes ist tot. Dr. Alfred Nobel, der ein Vermögen damit machte, dass er einen Weg fand, mehr Menschen schneller als je zuvor zu töten, ist gestern gestorben.

Original: Le marchand de la mort est mort. Le Dr Alfred Nobel, qui fit fortune en trouvant le moyen de tuer plus de personnes plus rapidement que jamais auparavant, est mort hier.

Laut Erzählung habe ihn das Lesen dieser Zeilen so geschockt, dass er die verheerenden Folgen seiner Erfindungen einsah und gelobte, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Als er nämlich 1895 sein Testament verfasste, gab er die Anweisung für die Etablierung einer Stiftung, deren Zinsen als “Preis denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben”.

Andere sehen Nobels Pazifismus als etwas, das ihn schon immer ausgezeichnet hätte. Hier wird auch sein großes literarisches und poetisches Interesse angeführt. Ihm wird nachgesagt, er hätte Dynamit erfunden, um die schrecklichen Möglichkeiten des Krieges zu demonstrieren und damit abzuschrecken.

“Perhaps my factories will put an end to war sooner than your congresses: on the day that two army corps can mutually annihilate each other in a second, all civilised nations will surely recoil with horror and disband their troops.”

Alfred Nobel zu Bertha von Suttner, 1891

Noch andere wiederum begründen Nobels Umorientierung zum Frieden mit seiner Freundschaft mit Bertha von Suttner, der berühmten Pazifistin und Autorin von “Die Waffen nieder!”, die 1905 auch als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis prämiert wurde.

Nachdem Alfred 1896 im italienischen San Remo verstorben war, kam es durch die Testamentseröffnung und die Offenbarung der Stiftung zu einem großem Schock. Er hinterließ ca. 32 Millionen schwedische Kronen, allerdings weder Frau noch Kinder. Die restlichen Verwandten mussten sich mit nur 6% des Erbes zufriedengeben, die anderen 94% gingen an die Stiftung. Jährlich wird der daraus geschöpfte Gewinn in fünf gleiche Teile geteilt und vier verschiedenen Institutionen, zur Verteilung der Preise, anvertraut.

Die Preise in Physik und Chemie werden beide von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften (Kungliga Vetenskapsakademien) ausgeteilt. Den Preis für Physiologie oder Medizin verteilt ein Kommittee von 50 Professor*innen am Karolinska Institut, dem Institut für Medizin in Stockholm. Den Preis für Literatur verteilt die Schwedische Akademie (Svenska Akademien), allerdings nur, wenn sie nicht zu sehr im Zwist sind, wie es 2018 der Fall war. Den Friedenspreis verteilt interessanterweise kein schwedisches, sondern ein norwegisches Kommitee. In seinem Testament hatte Nobel festgelegt, dass das Kommitee aus fünf Personen bestehen und vom norwegischen Parlament gewählt werden soll. Allerdings dürfen keine Mitglieder des Folketings Teil des Nobelkomitees sein. Warum genau Alfred diese Aufgabe dem norwegischen, und nicht dem schwedischen Parlament anvertraut hat, ist unklar. Tatsächlich war Norwegen zu Nobels Lebzeiten noch in Personalunion mit Schweden verbunden, sodass Alfred möglicherweise zur Stärkung des Zusammenhalts einen Teil des Preises auch in der anderen Hauptstadt verteilen wollte. Vielleicht hielt er die Norweger auch für friedlicher – immerhin konnten sie 1905 die Union auflösen, ohne einen einzigen Tropfen Blut zu vergießen. Aber wohlmöglich war es auch seiner Begeisterung für norwegische Literatur geschuldet: Insbesondere die Werke Bjørnstjerne Bjørnsons sollen es ihm angetan haben, der später Teil des Kommitees wurde.

Die Medaille für den Nobelpreis in Chemie

Der Nobelpreis heute

Dieses Jahr bekommen elf Personen, darunter drei Frauen, den Preis. In Physik und Chemie teilen sich jeweils drei Personen den Preis, für ihre Arbeit in bildgebenden Verfahren auf atomarem und molekularem Niveau sowie die Entdeckung von sogenannten Quantenpunkten. Den Preis für Medizin oder Physiologie teilen sich ebenfalls zwei Forschende, die die Grundlagen zur Entwicklung der mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 gelegt haben. Den Preis für Literatur bekommt der Autor und Dramatiker Jon Fosse, dafür, dass er dem “Unsagbaren eine Stimme verleiht”. Jene Auszeichnung ist für uns Skandinavist*innen besonders interessant, weil der Norweger auf “nynorsk”, der weniger verbreiteten Schriftsprache Norwegens, schreibt. Den Friedensnobelpreis bekommt die iranische Frauenrechtsaktivistin Narges Mohammadi, die allerdings immer noch im Gefängnis im Iran sitzt. Weiterhin gibt es den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der schwedischen Nationalbank, der dieses Jahr Claudia Goldins Arbeit zur Rolle der Frau auf dem Arbeitsmarkt ehrt.

In der Woche vor Nobeldagen gibt es sowohl in Stockholm als auch Oslo vielerlei Events im Rahmen der Preisverleihungen. Die Preisträger halten Reden und/oder Vorlesungen, außerdem gibt es Konzerte und natürlich die Preisverleihungen selbst, die man alle streamen kann.

Referenzen/Empfehlungen:
Fakten über die Preise, inklusive Frauenanteile und Familienpreise
Witziger Podcast über Alfred Nobel (allerding: på skånska)
Jon Fosses Rede (allerdings spricht er einen äußerst starken Dialekt)

Beitragsbild: Laura Schirrmeister
Bild: Adam Baker, CC BY 2.0, CC BY 2.0 Deed | Attribution 2.0 Generic | Creative Commons, via Wikimedia Commons

Guess who’s back: Uni im Rathaus!

Guess who’s back: Uni im Rathaus!

2006 fand die erste Vortragsreihe “Universität im Rathaus” statt, heißt es auf der Website der Universität Greifswald. Seitdem stellen Wissenschaftler*innen aus Greifswald im Bürgerschaftssaal ihre jeweiligen Arbeiten vor – aber nicht im klassischen Uniformat, sondern auf eine Weise, die allgemeinverständlich ist und kein Fachwissen erfordert. So können vor allem Nicht-Studierende einen Einblick in die Strukturen der Universität erlangen. Und das völlig umsonst!

Diesen Montag um 17 Uhr wird wieder der Beginn der alljährlichen Vortragsreihe “Universität im Rathaus” eingeläutet. Unter dem Hashtag #wissenlocktmich … zur Universität Greifswald werden ab jetzt jeden Monat Greifswalder Wissenschaftler*innen von Oktober bis Ende Januar ihre Forschung und Forschungsergebnisse vorstellen. Dabei soll der Fokus vor allem darauf liegen, die Verbundenheit zwischen der Universität und den Bewohner*innen Greifswalds und Umland zu stärken, sowie Wissen allgemeinverständlich an alle zu vermitteln, die sich für Wissen und Wissenschaft begeistern.

Die Vortragsreihe findet auch in diesem Jahr im Bürgerschaftssaal des Rathauses statt – ein Symbol dafür, dass Forschung und Wissen nicht in den eigenen vier Wänden der Uni verbleiben, sondern Wirtschaft, Leben, Kultur und soziales Engagement auch in der Stadt stark prägt. Zudem ist der Zugang barrierefrei und somit für jede Person erreichbar, die Lust hat, vorbeizukommen. Und wer spontan Zeit hat, muss nicht bangen – eine Anmeldung ist vorher nicht nötig, ebenso wenig wie Eintrittsgeld, da die Vortragenden auf ein Honorar verzichten und die Stadt den Saal kostenfrei zur Verfügung stellt. Organisiert wird das Ganze von der Universitäts- und Hansestadt sowie der Universität Greifswald.

Dies sind die angekündigten Vorträge:

Am 16.10.2023: Ein Baustein der Verkehrswende: die Förderung des Radverkehrs – hier stehen die Möglichkeiten, nach geltendem Recht den Radverkehr zu fördern, im Mittelpunkt. Insbesondere soll es um die Frage gehen, ob und wie die Aufteilung der Straße auf verschiedene Nutzende neu gestaltet werden kann. Vortragender ist Prof. Dr. jur. Michael Sauthoff.

Am 13.11.2023: Sind medizinische Untersuchungen immer hilfreich? Diagnostik kann auch schaden! Vortragender ist Prof. Dr. rer. med. habil. Dr. phil. Carsten Oliver Schmidt.

Am 11.12.2023: Körpermodelle im Gehirn – fundamental, flexibel und fragil. In diesem Vortrag stellt sich vor allem die Frage nach der Funktion und Anpassung des Gehirns, ein „eigenes“ – stabiles – Körpermodell zu erstellen, welches sich flexibel an Umstände wie z.B. Veränderungen der Umwelt anzupassen vermag. Und wo liegen die Grenzen bei diesen neuronalen Körpermodellen? Vortragender ist Prof. Dr. Jakub Limanowski.

Am 08.01.2024: Ernst Troeltsch und die umstrittene Modernität des Christentums. Vortragender ist Prof. Dr. theol. Tobias Braune-Krickau.

Am 22.01.2024: Die Prinzessinnenbibliothek. Eine schwedisch-preußische Geschichte über Kulturaustausch, mächtige Frauen und die Welt der Bücher. Vortragender ist Prof. Dr. phil. Clemens Räthel.

Es gibt leider bisher noch nicht zu allen Vorträgen genauere Informationen. Checkt gern regelmäßig die Uni-Website zu Universität im Rathaus nach Neuigkeiten.

Was? Universität im Rathaus
Wann? Jeweils montags, um 17 Uhr
Wo? Bürgerschaftssaal des Rathauses (am Markt)
Sonstiges? Eintritt ist frei, Anmeldung vorher nicht nötig, Zugang ist barrierefrei

Beitragsbild: Juli Böhm

Eindrücke vom Nordischen Klang – Part 2

Eindrücke vom Nordischen Klang – Part 2

Der 32. Nordische Klang ist am 14. Mai zu Ende gegangen. Künstler*innen aus ganz Skandinavien machten das Festival zu einem großartigen Erlebnis. Der Fokus des Festivals lag dieses Jahr unter anderem auf der indigenen Gemeinschaft der Sámi und ihrer Kultur. Ob Ausstellungen, Vorträge, Filme oder musikalische Darbietungen, es war für jede*n etwas dabei. Wir haben uns letztere zu Gemüte geführt und wollen nun im zweiten Artikel zum Nordischen Klang weitere Eindrücke mit euch teilen.

Ein Beitrag von Hannah van Gerpen und Marthe Pelz

Folk-Nacht: Ævestaden – Electronic Beats und bezaubernde Vibes

Die Folk-Nacht startete mit der großartigen Folk-Band Ævestaden.

Das norwegisch-schwedische Trio besteht aus Kenneth Lien Kravik, Levina Storåkern und Eir Vatn Strøm. 2021 brachten sie ihr erstes Album „Ingen mere gråter (Keiner weint mehr)“ raus und wir können uns bereits auf ihr im September erscheinendes zweites Album freuen.

Ihre Songs, in denen sie traditionelle skandinavische und moderne Elemente verbinden, beförderten das Publikum mit verträumten Melodien aus dem St. Spiritus direkt in eine Fantasiewelt. Es war, als würde man durch einen friedlichen Wald oder die Berge spazieren. Mit Leichtigkeit gelang es ihnen das Publikum vom ersten bis zum letzten Song zu fesseln.

Die meisten Songs des jungen Trios beschäftigen sich mit dem Leben und Tod, dem Unterbewusstsein oder sind durch düstere Themen inspiriert. Oder auch damit, wie sie mit Humor das Thema eines Songs vorstellten, „how extremely nice it would be to die“.

Ævestaden spielten Songs aus ihrem demnächst erscheinenden zweiten Album sowie alte traditionell schwedische Lieder. Durch das Vermischen von traditionellen Klängen und Tönen, die in einigen Songs einem Herzschlag, einem rauschenden Fluss oder Regen auf einem Zeltdach ähneln, gelingt es ihnen ihrer Musik etwas Außerirdisches zu verleihen. Neben dem wunderbar harmonierendem Gesang der drei spielten sie unter anderem mit Fiedel, Leier, Kuhhorn, Kantele, Elektronik und meinem neuen Favorit, der Maultrommel. Dadurch wurde deutlich, wie fabelhaft es ihnen gelingt, Traditionelles mit Modernem zu verbinden. Ihr bewegender Gesang und die traditionellen Klänge, unterlegt mit modernen elektronischen Sounds und Beats, führten zu einigen Gänsehautmomenten.

Folk-Nacht: Loimolan Voima

Der zweite Act des Abends bestand aus dem finnischen Brüder-Duo Loimolan Voima.

Mika (Miša/Mischa) und Niko Saatsi singen auf Karelisch, welche die Sprache ihrer Vorfahren ist. Erst seit 2020 komponieren sie karelischsprachige Musik. Es ist ihr Anliegen, die bedrohte Sprache und Geschichte zurück in das Bewusstsein der Leute zu holen.

Mit kräftigen, coolen Stimmen und live gebauten Beats begeisterten sie das Publikum und erschufen eine energetische, positive Atmosphäre. Trotz der ernsten Themen ihrer Songs sind die Melodien und die Energie der Songs sehr frei, kräftig und beinhalteten immer wieder poppige Elemente.

Sie spielten unter anderem den Titelsong ihres ersten Albums, welchen sie als Angry Man’s Tears übersetzten. Er handelt von ihrem Großvater und beschreibt seine Flucht durch den Krieg und sein Leben danach. Diese ernsten lyrischen Elemente untergelegten sie unter anderem mit Ukulele, Akkordeon und den live eingebauten Loops dröhnender Klänge, Beats und Ausrufen von Mika.

All ihre Songs sind sehr persönlich und musikalisch äußerst vielfältig. Das Duo holte das Publikum sofort mit guter Laune und einer unglaublichen Ausstrahlung ab. Zwischen den Songs wurde viel mit dem begeisterten Publikum interagiert und gelacht. Der Spaß und die Freude an diesem Konzert sowie an ihrer Musik war den beiden deutlich anzumerken.

Der Abend lässt sich nur mit ausgelassener Stimmung und Good Vibes zusammenfassen. Beide Folk-Bands haben wundervolle Konzerte gespielt und wir können nur empfehlen, bei beiden einmal auf Spotify reinzuhören.

Mehr von Ævestaden und Loimolan Voima könnt ihr hier finden.

Abschlussfest: Sofia Rubina Band

Das Abschlussfest des Nordischen Klanges begann in der STRAZE mit einem Konzert der Sofia Rubina Band. Sofia Rubina feierte nach zwanzig Jahren ihr Comeback zum Nordischen Klang.

Sie gab bereits Konzerte auf der ganzen Welt, unteranderem in China, Panama, Italien und auch in dem New Yorker Jazz Club Blue Note. Und nun war sie wieder bei uns in Greifswald.

Mit einer Kombination verschiedenster Genres, einer kraftvollen tragenden Stimme und unglaublicher Stage Presence brachte sie die Leute zum Tanzen und Mitsingen. In den vorwiegend poppigen Songs waren immer wieder Soul- und Jazzelemente zu finden, welche Sofia Rubina gekonnt einbaute. Das zuerst etwas zurückhaltende Publikum holte sie schnell ab und zum Ende des Konzerts stand sie selbst im Publikum und sang und tanze dort mit allen zusammen.

Abschlussfest: Gangar

Das zweite Konzert des Abends wurde von Gangar gegeben und übertraf alle Erwartungen, die wir an das Anschlussfest hatten. Die aus fünf jungen Norwegern bestehende Folk-Rock-Band hat Alt und Jung zum Tanzen von den Stühlen geholt.

Die Musiker hatten so viel Spaß auf der Bühne, dass man gar nicht anders konnte als mitgerissen zu werden! Ihre Ausstrahlung war ungeschlagen, sie tanzten Volkstanz, während sie spielten, und brachten uns neben traditionellem auch ihren selbstkreierten Tanz bei.

Wir tanzen so viel Volkstanz, wir mussten unseren eigenen machen.

Gangar

Der fiedelnde Frontman Mattias Thedens sprach einwandfreies Deutsch, interagierte viel mit dem Publikum, erzählte viel und machte Witze auf Kosten seiner Bandmitglieder – die wüssten ja nicht, was er uns erzählt.

Mit Geige, Saxofon (Oskar Lindberget), Gitarre (Richard Max), Bass (Jonas Thrana Jensen) und Schlagzeug (Henrik Dullum) schaffen sie einen innovativen Take, was traditionelle Folkmusik angeht. So machen sie die ältesten norwegischen Folk-Lieder einem neuen Publikum zugänglich. Ihre musikalischen Einflüsse umschließen Jazz, Funk, Pop, Soul und Heavy Metal. Diese weite Bandbreite macht ihre Musik zu einem unvergesslichen Erlebnis voller Energie und Genialität.

Für einen Gastaufttitt kam sogar ein bekanntes Gesicht vom Vorabend, Kenneth Lien Kravik (Ævestaden), auf die Bühne und spielte die Maultrommel zu einem ihrer neuen Songs. Er entwarf auch das Cover Gangars vorheriger EP und das des anstehenden Albums. Ziemlich cool, die Community der jungen norwegischen Künstler*innen so zusammenkommen zu sehen.

So wie die Band hatten auch wir den Spaß unseres Lebens und waren schon ein bisschen traurig, als das Konzert dann zu Ende war. Das Konzert in der STRAZE bildete einen mehr als würdigen Abschluss des Nordischen Klangs und wir können nur empfehlen, einmal in ihre Musik reinzuhören! Gangars Debütalbum wird dieses Jahr erscheinen, also Augen und Ohren auf!

Hier findet ihr mehr von Sofia Rubina und Gangar.

Die Musik-Acts des Nordischen Klangs haben ein breites Repertoire aufgefahren und es war für jede*n etwas dabei. Und selbst wenn die Acts sich vorab möglicherweise nicht immer wie die größte Sensation angehört haben, so können wir sagen, dass es sich immer gelohnt hat und wir immer begeistert gegangen sind. Fazit: Geht zum Nordischen Klang, Leute!

Ihr habt den ersten Artikel zum Nordischen Klang verpasst? Dann könnt ihr ihn hier finden.

Beitragsbild: Hannah Van Gerpen

Eindrücke vom Nordischen Klang: ein Hörerlebnis sondergleichen

Eindrücke vom Nordischen Klang: ein Hörerlebnis sondergleichen

Der 32. Nordische Klang ist am 14. Mai zu Ende gegangen. Künstler*innen aus ganz Skandinavien machten das Festival zu einem großartigen Erlebnis. Der Fokus des Festivals lag unter anderem dieses Jahr auf der indigenen Gemeinschaft der Sámi und ihrer Kultur. Ob Ausstellungen, Vorträge, Filme oder musikalische Darbietungen, es war für jede*n etwas dabei. Wir haben uns letztere zu Gemüte geführt und wollen nun einige der Eindrücke mit euch teilen.

Ein Beitrag von Marthe Pelz und Hannah van Gerpen

Sámi Sessions: Electro Beats, gepaart mit Joiks

Am 9. Mai trat das Duo Tundra Electro auf. Bestehend aus der sámischen Sängerin Ingá-Máret Gaup-Juuso und dem norwegischen Musiker und Komponisten Patrick Shaw Iversen, sorgten sie mit ihrer Mischung aus Electro Beats und eingespielten Flötentönen, Klängen klassischer indischer Musik, sowie eindrucksvollem Gesang für Gänsehautmomente. Wir hatten zeitweise das Gefühl nachts unter freiem Himmel in der Tundra in die Weiten zu wandern oder um ein Feuer herumsitzend den wundersamen Klängen zu lauschen.

Dieser Gesang wird als ‚Joik‘ bezeichnet und ist eine uralte Tradition der Sámi, welche seit Generationen weitergegeben wird. Er erinnert ein wenig an das bayerische Jodeln – nur in cool. Ingá-Máret sang ihn mit einer Inbrunst und Kraft, durch die ihre Vorfahren durch sie mitzusingen schienen. Sie erzählte uns mit ihrem Joik Geschichten aus ihrer Heimat, über die Kultur und die Lebensweise der Sámi, um so die sámische Sprache und Traditionen am Leben zu erhalten. 

Patrick Shaw Iversen, der die Musik komponierte, tobte sich dazu an der Flöte aus. Sein eigener Stil, zusammen mit seinem Interesse an Elektronik und Live-Sampling, gaben den Flöten – denn er spielte bestimmt ein halbes Dutzend verschiedener – einen modernen Klang, der sich nahtlos in die Electro Beats einfügte. Zusammen begeisterten sie das Publikum und werden hoffentlich nicht das letzte Mal nach Greifswald gekommen sein. Ein großes Bravo von unserer Seite!

Hinter diesen Links könnt ihr Tiefer in die Klangwelten von Ingá-Máret und Patrick Shaw Iverson eintauchen.

Sámi Sessions: Sámischer Hiphop mit Message

Es folgte der anschließende Act des Abends: Áilu Valle & Boogiemen. Áilu Valle ist ein sámischer Rapper und einer der ersten seiner Kunst überhaupt. Zusammen mit dem Trio Boogiemen rockten sie in traditionellen sámischen Outfits die Bühne und machten ordentlich Stimmung. Der Platz vor der Bühne wurde bald offiziell zum Dancefloor erkoren.

Áilu stammt aus Anár, auf der finnischen Seite von Sápmi, und rappt auf Nordsaamisch, Finnisch und Englisch. Seine Texte handeln von Dingen wie Klimawandel, Kolonialismus oder Umweltbedrohungen. Er zögert nicht davor schwierige Themen anzusprechen und seine Meinung kundzutun. Ein bisschen schade war, dass wir die Texte nicht verstehen konnten. So wirkten manche Songs sehr repetitiv, besonders da Rhythmus und Rapflow bei den meisten Songs gleichblieben. Untermalt wurde sein Rap allerdings mit Samples von Geräuschen aus der Natur wie Wasser, Wolfsgeheul oder Vogelgesang – eine akustische Darstellung der Beziehung der Sámi zu ihrer Umwelt. Ziemlich cool!

“The natural is the devil, the shoes shield from reconnecting / And that furthers the chronic fobias and fallacies”

Àilu Valle in Ancestors

Wer mehr von Áilu Valle hören möchte, da geht’s lang.

Schwedische Jazznacht: Pianoklänge vom Feinsten

Das St. Spiritus öffnete am 11. Mai seine Pforten für das Landæus Trio. Im ausverkauften Saal spielte der schwedische Pianist und Komponist Mathias Landæus, zusammen mit Johnny Åman am Kontrabass und (vertretend) dem renommierten deutschen Schlagzeuger Heinrich Köpperling. Der Weltklasse-Jazzpianist und -Improvisator ist eine wichtige Figur im Stockholmer Jazzmilieu. Er trug mit seinen Gründungen verschiedener neuer Spielstätten in Schweden massiv zur Verbreitung der Jazzszene bei. 

Auf eine originelle und verspielte Weise entführten die drei die Zuschauenden für kurze Zeit in die Welt des Pianojazz. Mal sehr ruhig und klangvoll, mit ungemein zarten Pianotönen, und mal unruhig und gewollt disharmonisch wie ein Bienenschwarm, kreierten Piano, Bass und Schlagzeug ein brillantes Zusammenspiel. Besonders toll waren die Improvisationseinlagen anzuhören und anzuschauen, denn die drei spielten so gut und mit einer so offensichtlichen Freude, dass man nicht anders konnte als begeistert zu lauschen. Ich empfehle sehr das einmal bei der nächsten Gelegenheit live selbst zu erleben. Ein musikalischer Festschmaus!

Das Landæus Trio sind übrigens die musikalischen Botschafter von Greifswalds schwedischer Partnerstadt Lund beim Nordischen Klang 2023!

Wer mehr von der Jazzluft schnuppern möchte, dem empfehlen wir hier reinzuschauen. 

Schwedische Jazznacht: Swing and Sing!

Es folgte das Stella Gustin Quartett, bestehend aus Milos Lindegren am Klavier, Hilda Nordkvist am Kontrabass, Mattias Nyman am Schlagzeug und natürlich Stella Gustin, eine durchstartende 22-jährige Jazzsängerin mit einer Begeisterung für Swing und Storytelling aus Schweden. Zusammen gaben sie an diesem Abend ihr Deutschland-Debut in Greifswald. In funkelnder Abendgarderobe spielten Stella und ihre Band swingende Standards aus dem Great American Songbook in andersartigen, eigenen Arrangements.

Stella beindruckte nicht nur mit ihrer Ausstrahlung an diesem Abend, sie gab auch einen äußerst starken Gesang zum Besten. Mit einlullender, melancholischer Stimme sang sie über verlorene Liebe, Schmerz und Sehnsucht, in Songs wie „You can have him“ oder „Everybody’s song, but not my own“. Dann wiederum nahm das Tempo an Fahrt auf und weiter ging es mit rhythmischen, schnellen Liedern, die von der Lust am Leben und dem Rausch der Liebe erzählten. Dabei war Stellas ‚scat‘ besonders schön anzuhören. ‚Scat‘ ist eine spezielle improvisierte Form des Singens ohne Wortbedeutungen, mit rhythmischer und melodischer Aneinanderreihung von Silbenfolgen (also so etwas wie du-da-dub-di-du-schu-bi-du-da). 

Ihr wollt mehr von Stella Gustin? Auf gehts.

Stay tuned for Part 2!

Das war´s noch nicht. Es folgt noch ein zweiter Artikel, mit weiteren musikalischen Impressionen des Nordischen Klangs. Bis dahin könnt ihr mal bei allen erwähnten Künstler*innen reinschnuppern oder euch hier über alle informieren, die beim Festival dabei waren.

Beitragsbild: Marthe Pelz