Greifswald demonstrierte abermals für Demokratie

Greifswald demonstrierte abermals für Demokratie

Am Sonntag, den 25.02., lud das neugegründete Bündnis für Demokratie zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz ein. Personen aus Universität, Kirche, Wirtschaft, Sport und Politik sowie aus der Studierendenschaft hielten Ansprachen. Es war die dritte Demo gegen Rechts in Greifswald seit den Nachrichten zu dem rechtsextremen Geheimtreffen in Potsdam, das zweite neugegründete Bündnis gegen rechte Tendenzen in diesem Jahr und die erste dieser Demos bei Sonnenschein.

Von Luise Markwort und Juli Böhm

Sonntag, kurz vor 14 Uhr. Die Sonne kam ab und zu zwischen den Wolken hervor. Auf dem Marktplatz in Greifswald waren mehrere hunderte Menschen zusammengekommen, um für Demokratie und gegen Rechts zu demonstrieren. Neben den üblichen Parteiflaggen und Bannern gab es auch Schilder mit Aufschriften wie “Omas gegen Rechts”, “Höcke isst heimlich Döner” und “Kindergarten Antifa”, komplett mit dem Neinhorn.

Wie auch schon auf den beiden vorangegangen Demonstrationen Ende Januar war auch bei dieser Demo Hennis Herbst Versammlungsleiter. Hennis Herbst ist stellvertretender Landesvorsitzender der Linken Mecklenburg-Vorpommern und studentischer Prorektor der Uni Greifswald. Er hatte die Demonstration gemeinsam mit dem neugegründeten Greifswalder Bündnis für Demokratie organisiert. Nach einer kurzen Begrüßung, bei der er sich bei allen Unterstützenden bedankte und kurz das Organisatorische zu den Ordner*innen und den Flucht- und Rettungswegen klärte, gab er das Wort an den Oberbürgermeister Dr. Stefan Fassbinder weiter.

Dr. Stefan Fassbinder, Oberbürgermeister von Greifswald, begann damit, dass er am liebsten alle Demonstrierenden einzeln begrüßen wollen würde. Da dies jedoch zu lange gedauert hätte, beließ er es bei einer Person: Dr. Arthur König, seinem Vorgänger, den er als Vorbild sehe. Dieser liefe dereinst an der Spitze der Demos gegen die NPD. Anschließend erklärte Fassbinder, wofür das Bündnis und die Kundgebung stehen und standen. Für Demokratie, denn diese sei unter Druck geraten. Dies äußere sich in Greifswald vor allem durch Gewalt und gehe so weit, dass einige Personen aus der Bürgerschaft nicht mehr kandidieren möchten. Für Vielfalt, welche eine Bereicherung und auch eine Chance für die Stadt und ebenfalls nötig für die wirtschaftliche Zukunft sei. Gegen Rechtsextremismus und für die Werte des Grundgesetzes. Auch Islamismus, Linksextremismus und Antisemitismus wurden von Fassbinder erwähnt.

“Wir stehen hier zusammen, um uns zu verteidigen […].”

Dr. Stefan Fassbinder, Oberbürgermeister von Greifswald

Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, sprach danach. “Wir müssen hier sein”, sagte er. “Demokratie ist unser aller Sache. Wir alle sind verantwortlich, sie zu gestalten.” Denn die Demokratie sei in Gefahr. Der Ton in der Gesellschaft würde aggressiver werden, Leute mit Migrationshintergrund hätten Angst. Er habe zum Beispiel mit einem Briten gesprochen, der sich nach vielen Jahren in Deutschland nun unsicher fühle. Es sei wichtig, sich hinter die Grundordnung zu stellen. Er betonte ebenfalls die Wichtigkeit der Menschenwürde eines jeden Menschen für den göttlichen Glauben – Diskriminierung sei mit der Menschenwürde nicht zu vereinen. Er sagte weiterhin, wir alle hätten eine große Aufgabe bis zur Kommunalwahl: Wir sollen mindestens einer Person, die rechts wählen würde, zuhören und sie konfrontieren. Wir sollen aktiv ins Gespräch kommen und uns hinter das stellen, was für uns wichtig sei. Er kenne Fälle, in denen es geklappt habe, Menschen zum Nach- und Umdenken zu bringen.

“Greifswald soll offen bleiben, vielfältig und bunt – dafür sind wir hier.”

Tilman Jeremias, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland

Prof. Dr. Katharina Riedel, unsere Rektorin, sprach viel von Wissenschaftsfeindlichkeit. Die aktuelle Tendenz in der Gesellschaft sei gefährlich. Sie warnte vor dem Leugnen von Fakten, vor Schwarz-Weiß-Malerei und Verschwörungstheorien – es würden Erkenntnisse geleugnet, die wissenschaftlich unverrüttbar seien. Sie nannte die verschiedenen Themen, an denen die Universität forscht, unter anderem zu Klimastrategien und demografischem Wandel. Dies alles sei nur möglich mit einer offenen Willkommenskultur und interkulturellem Austausch. Denn die internationale Gesellschaft sei eine große Bereicherung und eine Grundlage dafür, dass die wissenschaftliche Arbeit erfolgreich durchgeführt werden könne. Und ohne wissenschaftliche Erkenntnisse käme die Gesellschaft nicht voran. Die Ideen und Sichtweisen von internationalen Studierenden und Studierenden mit Migrationshintergrund seien zudem essenziell.

Darauf folgte der Chor NoLimHits mit dem Lied “Laut sein”, wo es heißt “Wir müssen laut sein, um all den Hass und all die Wut zu übertönen.”

Chor NoLimHits – “Laut sein”

Weiter ging es mit der Rede der Unternehmerin Prof. Dr. Dagmar Braun. Sie betonte, wie wichtig Studierende und internationale Mitarbeitende für Unternehmen seien – gerade auch für die Kommunikation mit internationalen Kund*innen. Sie würde gerne stolz auf Greifswald sein, aber sagte, es wäre schwierig, Leute nach Greifswald zu holen, wenn der Stadt der Ruf voraus eile, es tobe ein rechter Mob durch die Stadt. Sie spricht ebenfalls von den Vorteilen internationaler Arbeitsgruppen: “Je multikultureller die Diskussionsrunden, desto produktiver.” Aber zu ihr kämen auch Beschäftigte und sagen, sie würden sich unwohl in der Gesellschaft fühlen. Als Trägerin der Rubenow-Medaille würde sie jedoch gern weiterhin stolz auf Greifswald sein, denn Greifswald sei jung und tolerant und weltoffen.

“Jede*r soll helfen, dass wir vorankommen als vielfältige Stadt.”

Prof. Dr. Dagmar Braun, Unternehmerin

Wie der Bischof hatte auch Braun eine Bitte: “Wenn Ihnen rechtsextreme, intolerante Gedanken begegnen, sagen Sie etwas. Seien Sie nicht die schweigende Mehrheit. Sagen Sie ruhig und bestimmt: ‘Ich sehe das anders und die Mehrheit sicherlich auch.'” Es sei wichtig, dies ohne Aggression zu tun – nur so würden die Parolen aufhören, die niemand mehr hören wollen würde.
Weiter ermahnte sie Eltern, das Internetverhalten ihrer Kinder im Blick zu behalten, und warnt vor Rechtsextremen auf TikTok. Hier geschehe Bildung, die sich dem elterlichen Einfluss entziehe.

Dr. Dirk-Carsten Mahlitz vertritt als Leiter des Greifswalder Sportbundes über 12.000 Sportler*innen und zog viele Vergleiche zwischen Sport und Demokratie. Sport habe einen sozialen Aspekt, welcher die Gesellschaft widerspiegele, denn überall haben Menschen aller Hintergründe die Möglichkeit Sport zu treiben. Sowohl Sport als auch Demokratie haben Regeln und werden von Vielseitigkeit stärker. Sport lehre zudem, wie mit Siegen und Niederlagen gerecht und mit Meinungen würdig und friedlich umgegangen werden könne. Leider gebe es zu viele Spaltungen und Menschen, die sich nicht mehr an die Regeln halten würden – Sport könne wieder Brücken bauen und für Vernetzungen sorgen. Zudem erzählte er von einem Ehrenkodex, der besage, wie demokratisch Sport betrieben werden könne und der von allen Vereinen unterschrieben worden sei. Dieser verspreche unter anderem, dass auf das Recht auf körperliche Unversehrtheit geachtet werde und andernfalls dagegen angegangen werde. Zudem werde jede Form von politischem und religiösem Extremismus abgelehnt. Als Vorbilder wollen sie Zivilcourage und Engagement vorleben und die Sportler*innen anregen, dies ebenfalls zu tun. Zum Schluss zitierte er einen bekannten Fußballer:

“Der Sport zeigt uns, dass in Sport Einheit liegt. Egal welche Hautfarbe, Religion und Herkunft, auf dem Fußballfeld sind wir alle gleich.”

Kurz vor drei betrat Sophie Tieding, Präsidentin des Studierendenparlaments, die Bühne. Sie fände es ermutigend, dass noch immer so viele auf die Straßen gehen – “das muss weitergehen”. Vor allem aber hob sie die studentische Selbstverwaltung als Möglichkeit für demokratische Teilhabe hervor. In den studentischen Gremien würde sich um Vielfalt bemüht werden. Zudem machte sie unter anderem auf das Festival contre le racisme und das jährliche Stolpersteinputzen als feste Bestandteile der studentischen Selbstverwaltung aufmerksam. Aber auch außerhalb der Uni werde sich für die Förderung von Vielfalt engagiert, denn Ausgrenzung und Hass dürfen weder an der Uni oder in der Stadt noch sonst nirgendwo einen Platz haben.

Sie sagte ebenfalls, als Studierendenschaft würden wir dazu beitragen, den internationalen Austausch zu fördern. Sie drückte auch ihr Gedenken an Mehmet Turgut aus, der an diesem Tag vor 20 Jahren in Rostock von Rechtsextremen ermordet wurde.

Als letzter Redebeitrag sprachen Vertreter*innen von vier Parteien. Katharina Horn von den Grünen beginnt mit einem Aufruf: “Kommen Sie zu den [Bürgerschafts-]Sitzungen, gestalten Sie die Stadt mit! Mischen Sie sich ein, denn Demokratie kann nur leben, wenn wir diskutieren!”

Danach sprach Birgit Socher von der Linken: Sie zählte verschiedene Gremien wie zum Beispiel den Seniorenbeirat und den Migrantenbeirat auf und ermutigte dazu, sich einzumischen – “denn Demokratie kann nur leben, wenn wir ins Gespräch kommen.” Der Grundsatz alle sind gleich müsse verteidigt werden. Alle müssen ein Leben ohne Angst führen können. Sie hob zudem das Banner mit dem Spruch “Menschenrechte haben keine Außengrenzen” hervor, welches ganz vorn vor der Bühne gehalten wurde.

Johannes Barsch (SPD) schloss sich an. Auch er sprach den Mord an Mehmet Turgut an. Damals hätte es viele gegeben, die die Augen verschlossen hätten, und 20 Jahre später sei das wieder der Fall. Er erinnert daran, wie entscheidend Kommunal- und Europawahlen seien. Weiter sprach er von der besonderen Situation in Greifswald, denn “hier fehlt eine Partei.” “Es kann keine politische Zusammenarbeit mit dem parlamentarischen Arm rechtsextremer Kräfte geben” sagt er.

Lars Boorberg von der FDP ergänzte zuletzt, dass Demokratie ein grundsätzlicher Wert sei, der verteidigt werden müsse. Jeder dürfe seine*ihre Meinung äußern.

Der Chor NoLimHits sang noch einmal, “Komm, wir ziehen in den Frieden” von Udo Lindenberg, eingeleitet durch Artikel 3 und 1 des Grundgesetzes.

Chor NoLimHits – “Wir ziehen in den Frieden”

Hennis Herbst beendet kurz nach 3 die Kundgebung. In der Spitze seien 2000 Leute dagewesen. “Dabei belassen wir’s nicht, wir werden uns wiedersehen.” Damit, begleitet von Seifenblasen der Kindergarten Antifa, beendet er die Kundgebung.

Beitragsbilder und Videos: Juli Böhm

Greifswald zeigt Gesicht gegen Rassismus

Greifswald zeigt Gesicht gegen Rassismus

In den letzten Jahren hat sich der öffentliche Diskurs um die Migrationspolitik in Deutschland sehr zugespitzt. Das geht auch am eigentlich eher abgelegenen Greifswald nicht vorbei. Erst im letzten Jahr entstand viel Aufruhr um einen Bürgerentscheid bezüglich der Verpachtung städtischer Flächen zur Errichtung von Unterkünften für Geflüchtete. Dieser war von vielen Falschinformationen und einer starken Spaltung der Lokalpolitik, wie auch der Einwohner*innen gezeichnet. In neuester Zeit haben sich nun rassistische Angriffe in Greifswald gehäuft. Jetzt soll reagiert werden.

Worum geht es?

Ein Bündnis aus Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Einrichtungen, Kirchen und gesellschaftlichen Vereinen aus Greifswald ruft dazu auf am 13.01. ab 14:30 Uhr auf dem Greifswalder Marktplatz Gesicht zu zeigen. Hintergrund sind Angriffe auf internationale Wissenschaftler*innen, Mitarbeitende und Studierende aus Greifswald. Die von der Universität initiierte Kampagne „Gesicht zeigen gegen Rassismus“ möchte zeigen, dass solche Vorfälle nicht auf Schweigen und Akzeptanz stoßen, sondern sich mit dem Opfern solidarisiert wird. Es soll ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gesetzt werden.

Die internationalen Kolleg*innen sind für die Institutionen vor Ort wie auch für die Uni essentiell wichtig:

„Internationale Gäste an Forschungseinrichtungen in der Region, internationale Mitarbeitende, ausländische Studierende sind aus Greifswald nicht wegzudenken. Sie prägen ganz wesentlich das Image der Stadt und der Region. An unserem Universitäts- und Forschungsstandort geht es um das respektvolle Miteinander, bei dem es keinen Platz für Ausgrenzung und Rassismus geben darf!“

Prof. Dr. Katharina Riedel, Rektorin der Universität Greifswald und eine der Hauptinitiator*innen der Kampagne

Die Veranstaltung

Auf dem Programm stehen Kurzgespräche zu Themen rund um Stadt, Kultur, Wissenschaft, Fachkräftemangel und Tourismus. Diese werden von verschiedenen Personen der Universität und des Alfried Krupp Kollegs moderiert. Zu Sprache kommen Personen verschiedener greifswalder Institutionen. Außerdem wird es jeweils eine Videobotschaft von der Ministerin für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, Bettina Martin, und des greifswalder Oberbürgermeisters, Stefan Fassbinder, geben. Insgesamt soll die Veranstaltung ungefähr eine Stunde lang gehen. Das genaue Programm steht aber auch nochmal in dem Aufklappkasten:

Vorläufiges Programm

Moderation: Ruth Terodde (Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität Greifswald)

Begrüßung & Einführung: Katharina Riedel (Rektorin) & Jada Ladu (Studentischer Senator)

Videobotschaft: Bettina Martin (Schirmherrin, Ministerin für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten)

Videobotschaft: Stefan Fassbinder (Oberbürgermeister der Stadt Greifswald)

Moderierte Kurzgespräche zu 5 Themenschwerpunkten:

1. Welche Stadt wollen wir sein?
Moderation: Ruth Terodde (Zentrale Gleichstellungsbeauftragte)
Homaira Adeel (Greifswalder Migrant*innenbeirat), Jada Ladu (Studentischer Senator)

2. Kultur ohne Grenzen
Moderation: Marcus Hoffmann (Rektorat)
Clemens Räthel (Lehrstuhlinhaber für Fennistik und Skandinavistik), Oliver Lisewski (Chefdramaturg Theater Vorpommern)

3. Wissenschaft braucht Weltoffenheit
Moderation: Christian Suhm (Wissenschaftlicher Geschäftsführer Krupp-Kolleg)
Diclehan Ulucan (Promovierende, Informatik), Dina Raafat (Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Immunologie), Thomas Klinger (MPI für Plasmaphysik, Wissenschaftlicher Direktor Krupp-Kolleg)

4. Fachkräftemangel in der Region – Expert*innen in der Krankenversorgung und Pflege willkommen?
Moderation: Steffen Fleßa (Lehrstuhlinhaber für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement)
Uwe Reuter (Ärztlicher Vorstand Unimedizin Greifswald), n.n.

5. Bleiben wir lieber unter uns? Tourismus und Wirtschaft
Moderation: Annelie Ramsbrock (Prorektorin für Personalentwicklung, Organisation & Diversität)
Heiko Miraß (Parlamentarischer Staatssekretär für Vorpommern und das Östliche Mecklenburg), Peter Mosdorf (Brasserie Hermann), Jeff Osuji (Freelance Graphic Designer)

Schlussworte & Verabschiedung
Vorstellung weiterer Projekte der Kampagne durch Michael Schöner (Antidiskriminierungsbeauftragter der Universität Greifswald)

Die Veranstaltung wird ca. 1 h dauern. Heißgetränke werden (zum Selbstkostenpreis) dankenswerterweise durch den AStA bereitgestellt.

Dies ist jedoch erst die Auftaktveranstaltung einer stadtweiten Kampagne. Über die folgenden Veranstaltung wird am Ende dieser Veranstaltung informiert – wir halten Euch auf dem Laufenden.

Das Wichtigste auf einen Blick:
Was? Auftaktveranstaltung der Kampagne “Gesicht zeigen gegen Rassismus”
Wann? Samstag, den 13.01.2024, 14:30 bis 15:30 Uhr
Wo? Greifswalder Marktplatz

Beitragsbild von Jeffrey Osuji

Bürger*innengespräch mit dem Ostbeauftragten der Bundesregierung in der Straze

Bürger*innengespräch mit dem Ostbeauftragten der Bundesregierung in der Straze

Am 26. Juni 2023 fand ein Bürger*innengespräch mit dem Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), in der Straze statt. Auf dem Podium waren außerdem die Leiterin des Kulturzentrums St. Spiritus, ein Mitgründer des Greifswalder Vereins “Gründungswerft”, der Start-ups in Mecklenburg-Vorpommern untersützt, die Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Vorpommern-Rügen-Vorpommern-Greifswald, Anna Kassautzki (SPD), und eine Moderatorin.

Die Veranstaltung begann mit einer kurzen Vorstellung dieser Personen, bei der Schneider betonte, es sei sein Ziel, Eindrücke von den Meinungen der Bürger*innen zu erhalten und dazu zu animieren, Kontroversen zu ertragen. Die Leiterin des Kulturzentrums St. Spiritus gab einen kurzen Überblick über die Kulturszene in Mecklenburg-Vorpommern, die relativ umfangreich sei und den Anspruch habe, Teilhabe, Engagement und Demokratie zu fördern. Das größte Problem sei momentan die Sorge vor dem wirtschaftlichen Ruin durch Sparmaßnahmen der Regierung. Vor allem die freie Kultursezene sei gefährdet.

Anschließend stellte der Mitgründer des Vereins “Gründungswerft” sich selbst und den Verein vor. Dieser sei ein Zusammenschluss innovativer Unternehmer*innen, die Start-ups gründen wollen würden und dazu risikobereit seien. Das Ziel des Vereins sei es, ihnen zu Erfolg zu verhelfen. Er sei daher von einer massiven Aufbruchs- und Fortschrittsstimmung geprägt.

Fragen aus dem Publikum

Nach diesen Vorstellungen begann das eigentliche Bürger*innengespräch, bei dem möglichst viele Personen aus dem Publikum Schneider ihre Fragen stellen sollten.

Die erste Person wollte wissen, ob Schneider, der momentan etliche Bürger*innengespräche an verschiedenen Orten der neuen Bundesländer führt, hierbei Wiederholungen bestimmter Fragen festselle. Dieser antwortete darauf zunächst mit der Erklärung, dass ökonomische Perspektiven durch Vernetzung entstünden, dazu also keine Zentren notwendig seien und, dass für ein angenehmes Lebensumfeld Kultur unabdingbar sei. Da dies der Person, die die Frage gestellt hatte, als Antwort nicht ausreichte, wiederholt sie diese. Schneider erklärte nun, dass Vergleiche schwierig seien. Die Gespräche seien verschieden, weil auch die Regionen, die er besuche, verschieden seien.

Die zweite Frage war, wie das Ziel des Aufbruchs, das der Verein “Gründungswerft” verfolge, gelingen könne. Dazu sei, laut Schneider, eine Kombination aus kurzen Wegen und effektiver Kommunikation zwischen innovativen Personen, die dies ermöglich könnten, die Voraussetzung.

Die nächste Frage war von einer Angestellten in der Pflege der Universitätsmedizin Greifswald. Sie schilderte, dass ein Tochterunternehmen der Universitätsmedizin Greifswald zusammen mit anderen Uni-Kliniken in den alten und den neuen Bundesländern einen Tarif beschlossen habe, durch den die Angestellten in den neuen Bundesländern erheblich schlechter bezahlt werden würden. Die Frau wollte von Schneider wissen, wieso dies immer noch möglich sei, obwohl die deutsche Einheit mittlerweile schon über 30 Jahre zurückliege. Schneider gab hier die Antwort, dass die in Deutschland vorherrschende Tarifautonomie ein hohes Gut und zentrales sozialdemokratisches Ziel sei, weshalb die Politik sich in Tarifstreite nicht einmischen werde. Man könne nur moralische Unterstützung bei Protesten und Streiks leisten. Schneider riet den Gästen, den Mut zu haben, in Konfrontationen zu geraten und zu drohen. Kündigungen seien anders als in den 1990er und 2000er Jahren heute keine Gefahr mehr, da Fachkräftemangel herrsche. Er gab zu, dass Gewinne momentan zu keiner Lohn-Preis-Spirale führen würden, betonte aber erneut, dass Politiker im Tarifstreit nicht helfen könnten.

In Bezug darauf wurde eine weitere Frage gestellt. Jemand warf in ziemlich rauem Ton ein, dass der Staat in anderen Kontexten durchaus Tarifvorgaben erlassen hätte. Schneider erklärte erneut, ebenfalls gereizt, dass die Tarifautonomie einerseits gesetzlich festgelegt sei und sogar im Grundgesetz stehe und andererseits auch von Gewerkschaften und dementsprechend auch der SPD befürwortet werde.

Nach einer Ermahnung der Moderaterin an beide zu einem freundlicheren Tonfall konnte die Person eine weitere Frage stellen. Der Mann war Auszubildender und wollte wissen, was die Bundesregierung für diese Gruppe tut. Er erhalte nur Schüler-BAföG und könne keiner Gewerkschaft beitreten, da es für Mediengestalter*innen, seinen Ausbildungsbereich, keine gebe. Da seine Ausbildung kostenpflichtig sei, komme er so in finanzielle Probleme. Es gebe aber keine Hilfen, die mit denen für Studierende vergleichbar wären. Hierauf antwortete Schneider, dass es wichtig sei, kostenpflichtige Ausbildungen abzuschaffen.

Später wurde die Frage gestellt, wie mit der hohen gesellschaftlichen Fluktuation in Greifswald, teuren Wohnungen und Parallelwelten zwischen verschiedenen Stadtteilen mit sehr verschiedenen sozialen Milieus umgegangen werden könne. Schneider erklärte zunächst, dass diese Probleme zwar sehr wichtig, aber schon Luxusprobleme seien. Schließlich würden sie bedeuten, dass Menschen in der Stadt wohnen möchten. Um ausreichend Wohnungsangebot zu ermöglichen, müssten 30 Prozent Sozialwohnungen gebaut werden. Jemand erklärte, das sei der Fall. Er sagte zudem, dass die Vermischung sozialer Milieus Mittel für sozialen Wohnungsbau schaffe. Abschließend erklärte er, er fände Wachstum, also auch demographisches, positiv, trotz teilweise stark steigender Preise.

Eine weitere Frage war, wie es Schneider möglich sei, Lösungen für ihm berichtete Probleme politisch umzusetzen. Er machte deutlich, dass er Mitglied des Bundeskabinetts sei und sich so im Haushaltsausschuss für finanzielle Mittel für bestimmte Forderungen einsetzen könne. Das habe er beispielsweise beim Aufbau einer Raffinerie im Rostocker Hafen getan. Die Bundesregierung habe ein Interesse an den neuen Bundesländern, da hier Enegie produziert werde, was Grundvoraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft sei. Als Mitgleid des Bundeskabinetts könne Schneider außerdem schon während der Entwicklung eines Gesetzesentwurfs, bevor dieser in den Bundestag eingebracht werde, Hinweise geben und in den Text einfließen lassen. Zudem werde sich in Zukunft die Lage wirtschaftlich starker Standorte in Deutschland ändern, da dazu zunehmend Fläche notwendig werde, die in den neuen Bundesländern vorhanden sei.

Als nächstes wurde die Frage gestellt, wie das Problem der Spaltung der Gesellschaft behoben werden könne. Rassistische und rechtsextreme Gruppen würden zunehmend Einfluss gewinnen, beispielsweise beim Bürgerentscheid. Zudem stelle der Klimawandel eine zunehmende Bedrohung besonders für die Küste dar, auch wegen des sich erwärmenden Atlantiks. Zugleich entstünden Verschwörungstheorien, die den Klimawandel leugnen würden, um Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern. Die Person sei froh über den Einsatz von Kassautzki für die mecklenburg-vorpommerschen Moore, aber es seien auch Flächen zur Ökologisierung der Landwirtschaft notwendig. Schneider erklärte zunächst, das Waldsterben sei beispielsweise im Freistaat Thüringen offen sichtbar. Sein Ziel sei es, den “Kulturkampf” zu beenden. Die gesamte Gesellschaft stünde vor Herausforderungen; daher sei Zusammenhalt notwendig.

Eine Person wollte dazu mitteilen, dass die Gesellschaft auch insofern gespalten sei, als dass manche Personen Probleme hätten, Kulturveranstaltungen oder sogar das eigene Leben grundsätzlich zu finanzieren. Sie forderte, dass Politiker*innen, die Personen erreichen müssten, die sich abgehängt fühlen würden. Schneider erklärte darauf, die Spaltung sei eher kulturell als sozioökonomisch. So würden beispielsweise in seinem Wahlkreis Eigenheimbesitzer*innen die AfD wählen und sozial schwächere Personen, die in Plattenbauten leben, die SPD.

Hierzu kam ein Einwand eines Mannes, der bei dem Greifswalder Bürgerentscheid über die Verpachtung städtischer Flächen für Geflüchtetenunterkünfte in Containern intensiv für die “ja-Seite” geworben hatte. Er erklärte, ihm falle die politische Diskussion zunehmend schwer, seitdem sein Auto im Zuge des Bürgerentscheids von Gegnern seiner Position angezündet worden sei. Er erklärte, dass er zwar zu Diskussionen bereit sei, aber nicht mit “Nazis”.

Die nächste Frage bezog sich ebenfalls auf Geflüchtete. Eine Unterbringung in Containerdörfern hielt der*die Fragende für inhuman. Außerdem erklärte er*sie, es sei unzureichend, sich nur mit Unterkünften für Geflüchtete zu beschäftigen. Integration sei ebenfalls notwendig, wozu Migrant*innen Teil des deutschen Arbeitsmarktes werden müssten. Hierbei seien sprachliche Barrieren ein Problem. Politiker*innen müssten sich auch darum bemühen.

Hierauf wurde erklärt, dass Kultur eine Aufgabe des Landkreises sei, aber momentan keine Lösung vorliege. Im Anschluss entstand eine kürzere Diskussion über den Bürgerentscheid. Hiebei erklärte der Greifswalder Kommunalpolitiker Daniel Seiffert (DIE LINKE), die “ja-Seite” sei im Wahlkampf daran gescheitert, der Bevölkerung deutlich zu machen, dass auch sie Gemeinschaftsunterkünfte nur als letztes Mittel ansehe. Ihre Informationskampagnen hätten die Bürger*innen nicht erreicht.

Die letzte Frage war, welche guten Ideen Schneider bei seinen bisherigen Gesprächen erfahren habe. Er erklärte, Diskussionen seien interessant. Positiv empfinde er eine größere Akzeptanz gegenüber der Ukraine. Er forderte dazu auf, wählen zu gehen, und erklärte, es brauche Mehrheiten für vorwärtsgewandte Politik. Ausländische Unternehmen würden nicht in Städte mit einer Mehrheit der AfD investieren wollen.

Atmosphäre

Die Diskussion wurde immer wieder sehr kontrovers. Trotz der zeitweisen Hitzigkeit der Debatte, konnte aber ein höflicher Umgangston überwiegend beibehalten werden. Dennoch war auch eine Emotionalität in der Diskussion immer wieder spürbar. In einigen Punkten wirkte das Publikum aber auch sehr einig in seinen Haltungen und Emotionen. Insgesamt sorgte die Veranstaltung für einen intensiven Austausch zwischen sehr verschiedenen politischen Lagern. Diese Diskussionen wurden teilweise auch auf dem Heimweg fortgesetzt. Zudem bestand im Anschluss an die Diskussionrunde die Möglichkeit, ein persönliches Abgeordnetengespräch mit Schneider oder Kassautzki zu führen, wozu sich so viele Gäste entschlossen, dass einige recht lange anstehen mussten.

Beitragsbild: Allan Kant

Öffentlicher Vortrag “Demokratie und Migration”

Öffentlicher Vortrag “Demokratie und Migration”

Am Montag, den 12. Juni 2023, fand im alten Audimax auf dem Campus Innenstadt ein öffentlicher Vortrag mit Podiumsdiskussion zum Thema “Demokratie und Migration” statt. Die Veranstaltung wurde von Herrn Professor Doktor Jochen Müller, Inhaber des Lehrstuhls für politische Soziologie und Methoden, und Frau Doktor Rieke Trimcev, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für politische Theorie und Ideengeschichte, moderiert. Zusätzlich hielten zwei Gastredner*innen jeweils einen Vortrag.

Kontext

Am Sonntag, den 18. Juni 2023, fand ein Bürgerentscheid in Greifswald statt, in dem über die Verpachtung städtischer Flächen an den Landkreis Vorpommern-Greifswald zur Errichtung von Containerdörfern für Geflüchtete als letztes Mittel abgestimmt wurde. Die Diskussion darüber war in der Greifswalder Bürger*innenschaft äußerst polarisierend und beinhaltete auch grundsätzliche Streitfragen über die Legitimität von Migration und Asyl. Vor diesem Hintergrund sollte die öffentliche Veranstaltung die Möglichkeit bieten, sich über philosophische und politikwissenschaftliche Antworten auf diese Fragen sowie Rassismuserfahrungen von Mecklenburg-Vorpommer*innen mit Migrationshintergrund zu informieren. Sie sollte dabei als Verbindung zwischen Forschung und Bürger*innenschaft dienen.

Vorträge

Der erste Vortrag von Doktor Tobias Gutmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Grundschuldidaktik des Instituts für Philosophie der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald, gab einen Überblick über die philosophische Debatte zu dem Thema “Migration und Asyl”. Dieses ist in der Philosophie erst nach dem Zweiten Weltkrieg populär geworden.

Im Mittelpunkt stehen die beiden Fragen, ob Staaten grundsätzlich das Recht haben können, Menschen an ihren Grenzen abzuweisen, und welche Pflichten Staaten gegenüber Menschen haben, die bei ihnen Schutz suchen. Als ein Argument für offene Grenzen wird genannt, dass Bewegungsfreiheit innerhalb eines Staates positiv gesehen wird, weshalb sie auch über Staatsgrenzen hinweg gelten sollte. Ein Gegenargument dafür ist, dass Bewegungsfreiheit in einem Staat auch nicht völlig unbegrenzt ist. Ein zweites Argument für offene Grenzen ist, dass sie gerecht seien, weil man unter dem Schleier des Nichtwissens, das heißt, wenn man eine Gesellschaftsordnung entwirft, ohne zu wissen welche Rolle man in ihr haben wird, sich offene Grenzen wünschen würde, da die Vorteile dadurch, wenn man in von Armut betroffenen Ländern lebt, nicht durch eventuelle Nachteile reicher Länder aufgewogen werden können. Hier besteht der Einwand, dass offene Grenzen nicht den Ärmsten hälfen, sondern nur höher Gebildeten, die es deshalb schaffen würden auszureisen. Ein Argument für die Aufnahme von Geflüchteten ist die allgemeine Hilfspflicht, die auch für Staaten gelte. Hier besteht der Einwand: Hilfe sei auch anders möglich. Ein Argument gegen Einwanderung ist die Behauptung, Staaten würden eine Kultur benötigen, die Einwander*innen gefährden würden. Hier besteht der Einwand, dass dann auch andere Rechte beschnitten werden müssten, da auch Bewohner*innen eines Landes Aspekte anderer Kulturen in ihr Leben aufnähmen. Das zweite Argument gegen Einwanderung ist, dass gemäß der Demokratie die Bevölkerung eines Landes gegen Einwanderung stimmen kann. Hier besteht der Einwand, dass Mehrheitsentscheidungen nicht zwangsläufig gerecht seien und in diesem Fall die Betroffenen nicht an der Abstimmung beteiligt seien. Gutmann beendet den Vortrag mit der Erläuterung, dass es in der Diskussion den Konsens gibt, dass Staaten bis zu einem gewissen Grad dazu verpflichtet sind Geflüchtete in Not aufzunehmen beziehungsweise zu unterstützen und Menschen, die länger in einem Land leben, die Rechte der übrigen Bewohner*innen erhalten sollen.

Den zweiten Vortrag hielt Frau Professor Doktor Júlia Wéber, Inhaberin der Professur für Migrationsgesellschaft und Demokratiepädagogik an der Hochschule Neubrandenburg.
Ihr Vortrag thematisierte eine Studie von ihr über Rassismuserfahrungen von Frauen in Mecklenburg-Vorpommern. Nach einer Definition des Wortes “Rassismus” erklärte sie die Begründung für den Fokus der Studie auf Frauen. Die Diskussion über Migration sei männlich dominierend, weshalb die Annahme bestünde, dass es spezifische Rassismuserfahrungen von Frauen gäbe. Das Forschungsdesign besteht aus der Auswertung von 21 wörtlich transskribierten Interviews mit Frauen in Mecklenburg-Vorpommern. Dabei sind neu angekommene, lange hier lebende und gebürtige Bewohnerinnen Mecklenburg-Vorpommerns Teil des Samples. Bei der Durchführung des Interviews sei die Anwesenheit von Sozialtherapeut*innen zur Traumabewältigung notwendig gewesen. Die Fragen beinhalteten Lebensbereiche, Erfahrungen und institutionelle Strukturen in Bezug auf Rassismuserfahrungen. Die Frauen schilderten Ausgrenzungen und fehlendes Zutrauen von Lehrkräften; Mehrsprachigkeit wurde als Defizit, fehlende Hilfe als individuelles Problem wahrgenommen und definiert. Bildungserfolg sei von Unterstützung durch andere Personen aus dem persönlichen Umfeld abhängig gewesen. Die Frauen hätten versucht, unsichtbar zu werden. Allgemeiner erläuterte Wéber, dass die Ländlichkeit, die alte Bevölkerung, die Zentralisierung der Landkreise seit 2011 und die Nutzung als Experimentierfeld durch rechtsextreme Gruppen Faktoren seien, die Rassismusprobleme in Mecklenburg-Vorpommern forcieren würden. Teile der Bevölkerung nähmen die Gesellschaft fälschlicherweise als ethnisch homogen wahr, und würden die befragten Frauen auf diese Fremdheit hinweisen und eine Grenzziehung durchführen. Während des gesamten Vortrags merkte man deutlich, dass das Thema auch für die Rednerin sehr wichtig und emotional war.

Fragen aus dem Publikum

Auf die Vorträge folgte eine kurze Möglichkeit Fragen zu stellen, bevor die Veranstaltung beendet wurde. Es kamen sehr viele Fragen aus dem Publikum, die jedoch aus Zeitgründen leider nicht alle beantwortet werden konnten. Einige Personen haben die Vorträge auch kommentiert und dabei Solidarität zu Migrant*innen bekundet. Insgesamt war dieser Teil der Veranstaltung jedoch sehr kurz, da die beiden Vorträge, besonders der von Wéber viel Zeit in Anspruch genommen hatten.

Beitragsbild: Annica Brommann

Bürgerentscheid: Eure Wahl entscheidet über die mögliche Unterbringung von Geflüchteten

Bürgerentscheid: Eure Wahl entscheidet über die mögliche Unterbringung von Geflüchteten

Am Sonntag wird in Form einer Wahl über einen Bürgerentscheid entschieden. Die Einwohner*innen Greifswalds werden gefragt, ob sie dafür sind, dass im Eigentum der Universitäts- und Hansestadt Greifswald stehende Grundstücke zwecks Errichtung von Containerdörfern zur Unterbringung von Geflüchteten an den Landkreis Vorpommern-Greifswald verpachtet werden. Welche Auswirkung euer Kreuz auf dem Wahlschein haben kann, erfahrt ihr im Artikel.

Überall in der Stadt wurden Plakate aufgehängt und aufgestellt, auf denen groß damit geworben wird ,Ja’ oder ,Nein’ beim Bürgerentscheid anzukreuzen. Auf den Plakaten sieht man Parteien und/oder Bündnisse, manchmal auch Fotos von Greifswalder Bürger*innen, die die jeweilige Kampagne unterstützen. Das Problem an den Plakaten: Sie senden teilweise widersprüchliche Aussagen aus. Dieser Artikel klärt über den Bürgerentscheid auf, damit ihr wisst, was es genau bedeutet, wenn ihr am Sonntag ,Ja’ oder ,Nein’ ankreuzt.

Was ist ein Bürgerentscheid?

Ein Bürgerentscheid ist ein Instrument direkter Demokratie auf kommunaler Ebene, wobei die Bürger*innen die Möglichkeit haben, selbst über eine Frage zu entscheiden. Der Bürgerentscheid steht der Bürgerschaft gleich. Die Frage ist entschieden, wenn sie von der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen beantwortet wurde. Die Mehrheit muss mindestens 25 % der Stimmberechtigten betragen. Ist diese Mehrheit nicht erreicht worden, entscheidet die Bürgerschaft. Bei Stimmengleichheit ist die Antwort nein. Der Bürgerentscheid bindet die Universitäts- und Hansestadt Greifswald für zwei Jahre an die getroffene Entscheidung. Wahlberechtigt sind alle Unionsbürger*innen ab 16 Jahren, die seit mindestens 37 Tagen in Greifswald ihre Hauptwohnung haben.

Worüber entscheidet der Bürgerentscheid in Greifswald?

Im März 2023 wurde ein Bürgerbegehren gestartet. Die Initiator*innen sammelten nach eigenen Angaben mehr als 7.000 Unterschriften und die erforderliche Anzahl an gültigen Unterschriften wurde erreicht, sodass die Bürgerschaft der Durchführung eines Bürgerentscheids zustimmte. Ausgangspunkt dafür war die geplante Verpachtung einer Fläche im Ostseeviertel an den Landkreis Vorpommern-Greifswald, um dort eine Containerunterkunft für Geflüchtete einzurichten. Der webmoritz. berichtete.

Sind Sie dafür, dass im Eigentum der Universitäts- und Hansestadt Greifswald stehende Grundstücke zwecks Errichtung von Containerdörfern zur Unterbringung von Geflüchteten an den Landkreis Vorpommern-Greifswald verpachtet werden?

Die Frage des Bürgerentscheids

In der Stellungnahme der Greifswalder Verwaltung steht eindeutig, welche Auswirkung eure Stimmenabgabe hat und welche nicht.

Sie entscheiden darüber, ob die Universitäts- und Hansestadt Greifswald in den nächsten Jahren ihre eigenen Flächen (Grundstücke) für Containerdörfer zur Unterbringung von Geflüchteten an den Landkreis Vorpommern-Greifswald verpachten darf oder nicht.

Sie können nicht darüber entscheiden, ob private Flächen und Grundstücke, die nicht im Eigentum der Universitäts- und Hansestadt Greifswald stehen, zum Zwecke der Errichtung von Containeranlagen verpachtet werden dürfen. Sie können mit ihrer Entscheidung nicht beeinflussen, ob und wo und in welchem Umfang der Landkreis Vorpommern-Greifswald geflüchtete Menschen in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald unterbringt.

Stellungnahme der Verwaltung

Wer entscheidet, wie viele Geflüchtete nach Greifswald kommen?

Das entscheidet sozusagen der „Verteilungsschlüssel“. Der wird durch die Steuereinnahmen und die Bevölkerungszahl der Bundesländer errechnet. MV nimmt nur 1,98 % der Geflüchteten auf. Die Geflüchteten werden vom Bundesland auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. Unser Landkreis – Vorpommern-Greifswald – muss nach dem Verteilungsschlüssel MVs 14,9 % der 1,98 % Geflüchteten Deutschlands aufnehmen. Normalerweise muss der Landkreis dafür sorgen, die Geflüchteten unterzubringen. In unserem Fall ist er dazu nicht mehr in der Lage und die Stadt Greifswald kümmert sich darum. Dass die Unterbringung von Geflüchteten in Containerdörfern die letzte Möglichkeit der Unterbringung sein sollte, beschloss die Bürgerschaft am 27.03.2023.

Die Bürgerschaftssitzung vom 27.03.2023 ist deswegen interessant, da der Landrat Michael Sack dort erklärte, dass mit einem hohen Zuzug an Geflüchteten gerechnet werde. Trotz der guten Infrastruktur und besseren Voraussetzungen Greifswalds als größte Stadt des Landkreises könne natürlich auch die Stadt an ihre Belastungsgrenze stoßen. Ein Problem unserer Stadt sei der geringe Wohnungsleerstand. Die Geflüchteten können sehr wahrscheinlich nicht in Wohnungen unterkommen. Es müssen also andere Lösungen gefunden werden: gemeinschaftsunterkunftstaugliche Räumlichkeiten, im Notfall auch Sportstätten.

Diese Frage kann beim Bürgerentscheid mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Wichtig ist nochmals hervorzuheben, dass der Bürgerentscheid keine Auswirkungen darauf hat, ob Geflüchtete nach Greifswald kommen werden.

Was es bedeutet, wenn ich ,Ja’ ankreuze

  • Eine Unterbringung der Geflüchteten im Containerdorf bleibt eine Notfalllösung.
  • Die Stadt kann geeignete Standorte für Containeranlagen prüfen, dann der Bürgerschaft vorlegen, sie anschließend beschließen und an den Landkreis verpachten.
  • Die folgenden städtischen Flächen könnten momentan angeboten werden: der Festspielplatz an der Jungfernwiese; die Wiese in der Lise-Meitner-Straße und der Sportplatz in der Feldstraße 86.
  • Unterstützt wird die ,Ja-Kampagne’ durch die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die Fraktion DIE LINKE & Partei MUT und die SPD-Fraktion.

Was es bedeutet, wenn ich ,Nein’ ankreuze

  • Die Geflüchteten werden auf nicht kommunalen Flächen, Flächen, die nicht der Stadt gehören, untergebracht. Das wären zum Beispiel Sporthallen.
  • Es können keine städtischen Standorte zur Errichtung von Containeranlagen verpachtet werden.
  • Dafür könnten allerdings andere Eigentümer*innen ihre Flächen zur Verpachtung anbieten.
  • Unterstützt wird die ,Nein-Kampagne’ durch die CDU-Fraktion, die Fraktion BG/FDP/KfV, die AfD-Fraktion und die Einzelmitglieder Christian Kruse und Grit Wuschek.

Was empfehlen der Landkreis und die Stadtverwaltung?

Der Landkreis Vorpommern-Greifswald und die Stadtverwaltung der Universitäts- und Hansestadt empfehlen, dass eine Verpachtung städtischer Flächen an den Landkreis zur Aufstellung von Containeranlagen als Notlösung bestehen bleiben sollte. Mit einem „Nein“ beim Bürgerentscheid würde diese Möglichkeit verbaut. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sporthallen belegt werden müssen, erhöht sich also mit einem „Nein“ beim Bürgerentscheid.

Stellungnahme der Verwaltung

Das Wichtigste auf einen Blick:
Was? Bürgerentscheid
Wann? Sonntag, 18. Juni 2023, 8 bis 18 Uhr
Wo? In dem Wahllokal, das auf deiner Abstimmungsberechtigung steht.

Countdown bis zum Bürgerentscheid

Tag(e)

:

Stunde(n)

:

Minute(n)

:

Sekunde(n)

Beitragsbild: Adrian Siegler