Hallo, mein Name ist Rudolf und ich bin Antialkoholiker. Und alle so: Hallo Rudolf. Nein, eigentlich alle so: Echt? Warum nicht? Glaub ich dir nicht! Musst du fahren? Ach komm schon… *Alkoholtriggered*

Doch lasst mich vorne anfangen. Ich kenne Alkohol. Immerhin bin ich in Russland geboren und war 10 Jahre Barkeeper. Beste Voraussetzungen. Und dann bin ich auch noch auf dem Land aufgewachsen. Da hat man einfach nichts Anderes zu tun als Gründe zu finden um sich zu besaufen. Deutsche haben da ein unglaubliches Talent für: Silvester, Karneval, Schützenfest, diverse Partys, Discos, Clubs und Weihnachtsfeiern, Jubiläen, Abschiedsfeiern, Willkommensfeiern, Deutschland spielt Fußball usw. Auf dem Land wird auch einfach nur irgendwo ein Festzelt aufgestellt und alle treffen sich dort für miese Musik, altersunabhängige Alkoholexzesse und natürlich das wichtigste: Sich mal wieder ordentlich auf die Fresse hauen. Das Ganze nennt man „Zeltparty“. Kreativität pur nicht wahr?

Im zarten Alter von 14 probierte ich mitzulaufen und ganz ehrlich, ich habe es von Anfang an nicht verstanden. Eine Stunde Spaß maximal, man torkelt und benimmt sich wie Abfall und dann kommen Stunden voller Nebenwirkungen. Eine Rechnung die für mich nicht aufgehen wollte. Etwas später eröffneten sich mir dann andere Möglichkeiten. Ich rauchte auf der Klassenfahrt nach Amsterdam einen Joint, lachte Stundenlang über eine Taube und erzählte dem Lehrer wir wären alle so blass, weil McDonalds in Holland schlechte Burger verkauft. Kiffer bin ich deswegen nicht geworden aber mir wurde klar, dass Alkohol nicht die einzige Möglichkeit ist, mal Dampf abzulassen. Ja nicht mal die Beste! Der Entschluss stand also fest: Nie wieder Alkohol und mal gucken was es sonst noch gibt.

Denn wenn wir ehrlich sind, ist die Hauptwirkung von Alkohol Enthemmung. Keine Euphorie und keine primäre Entspannung. Alkohol nimmt den Menschen global die Hemmungen die in den Köpfen stecken. Sowohl positiv, damit die Leute aus sich heraus kommen, als auch negativ, damit sie endlich mal alles tun und sagen können, was sie sich sonst (oft zurecht) nicht trauen.

“Wie, du trinkst nichts?”

Bis ich 18 war konnte ich mich nur selten herausreden, danach versuchte ich einfach immer „der Fahrer“ zu sein. Sehr zur Freude meiner Freunde / Mitfahrer. Seit über 10 Jahren geht das jetzt schon so. Wo immer man hinkommt muss man sich dafür rechtfertigen. Es ist ungewöhnlich, spaßbremsend und sogar verdächtig nicht zu trinken. Ich versteh das. Wenn man sich kollektiv versammelt um sich daneben zu benehmen, ist der Typ der sich weigert, danebensteht und alle auslacht definitiv ein Spalter, ein Spion, wenn nicht sogar was noch Schlimmeres.

Am schwierigsten ist das Ausweichen auf Familienfeiern. Wo Deutsche sich Gelegenheiten zum Trinken generieren, haben Russen sich einen moralischen Imperativ geschaffen. Ein fast schon religiöser Prozess. Man trinkt um metaphysische Werte zu bewahren und zu festigen. Um eine Freundschaft zu besiegeln oder damit jemand gesund bleibt.

„Du weigerst dich auf die Gesundheit deiner Mutter zu trinken?“

Wie redet man sich denn aus sowas raus? In der Situation entschloss ich mich einfach den Wodka zu trinken statt mit 10 betrunkenen Russen zu diskutieren. Und von diesen schwachen Momenten gab es mehr als ich zugeben würde. Immer wenn jemand zu überzeugt davon war, dass meine Gründe nicht zu trinken durch persistentes drängen und Bullshit entkräftet werden, verlor ich irgendwann die Lust zu diskutieren.

Kontraproduktivität

Mich zum Trinken zu zwingen ist der falsche Weg. Ich bin auch ohne Alkohol jemand der sehr viel lacht, viel provoziert und hin und wieder mal die Krabbe oder den Gangnamstyle tanzt. Nachdem ich getrunken habe ist mir aber entweder schlecht und/oder ich habe einen riesen Hals auf die Besoffenen die mich gezwungen haben gegen mein Prinzip zu verstoßen. Das ist nicht so ganz generalisierbar aber schon oft genug so passiert. Ich frage mich was passieren würde wenn die selbsternannte gute Laune Polizei über die Party rennen würde und jedem LSD in den Nacken klatscht. „Witziger“ wäre die Party dann auf jeden Fall.

Ich bin nicht allein

Und die Moral von der Geschicht, alle Minderheiten beklagen sich. Die Resonanz in den Medien erstreckt sich von Kritik am Alkoholkult bis zur Kritik am nicht trinken. Das Vice schrieb vor einiger Zeit „Wenn du keinen Alkohol trinkst, sei kein Arschloch!“ und ich versuche ernsthaft es nicht zu sein. Ich muss es zumindest nicht allen auf die Nase binden aber verhindern lässt sich das Diskutieren so gut wie nie. Parallelen zu Vegetariern werden hier deutlich. Diese frage ich sogar selber ständig nach ihren Gründen aus. Nur aus Interesse, völlig unpersuasiv und tolerant; Zumindest denke ich das. Wahrscheinlich geht es Vegetariern aber genau wie mir und allen anderen, die sich selbst verschuldet in eine Minderheit begeben haben. Wir müssen uns rechtfertigen und akzeptieren, dass Reibereien entstehen sobald jemand unsere Diskrepanz zum Mainstream aufdeckt.

Beitragsbild: Till Junker