Sondersitzungen der Bürgerschaft werden anberaumt, um  wichtige und drängende Themen zu besprechen. Am Montag fand wieder eine Sondersitzung statt. Ob das Thema der Sitzung dringend war muss jeder selbst entscheiden. 

von Magnus Schult und Philipp Schulz

Das kaltregnerische und verschneite Wetter passte zu der Stimmung vor dem Universitätshauptgebäude. Gegen 16:20 hatten sich hier am Montag rund 230 Personen versammelt. Viele von ihnen hatten Rosen dabei, die sie vor dem Rubenowdenkmal niederlegten, in dem auch Ernst Moritz Arndt verewigt ist. Die Rosen gelten ihm. Die Teilnehmer der Mahnwache wollen mit dem symbolischen Akt ihren Unmut gegenüber der Umbenennung der Universität zum Ausdruck bringen. Ob das Erfolg haben kann? Egal, der Gedanke steht hier im Vordergrund. Im Gespräch offenbaren viele von ihnen, was ihnen auf dem Herzen liegt: Ihr Arndt darf nicht einfach von der Bildfläche verschwinden. Zorn über die oft besungenen „Zugezogenen“ und die verdammten Studenten, die sich anmaßen, so eine Entscheidung herbeiführen zu können, kommt oft, aber nicht in der Härte, in der sie zuvor bereits so oft im Internet wiederholt wurde. Auch trotz der Tatsache, dass ein Teil der Organisatorenebene denkungsgleich zu dem Greifswalder Pegida-Ableger FFDG ist, äußern viele kein rechtspopulistisches Gedankengut oder wollen die antisemitische Haltung Arndts kleinreden. Auch wenn hier und da von dem Verschleiern der deutschen Leitkultur geredet wird und einer Tilgung von unbequemen Fakten, sind die meisten einfach traurig, dass der Mann, der sie fast ihr ganzes Leben begleitet hat, jetzt nicht mehr der Namenspatron der Universität ihrer Stadt sein soll. Studierende sind nur vereinzelt zu sehen und auch nur dann, wenn man jeden jüngeren Teilnehmer der Trauerprozession als Studierenden zählt. Eine halbe Stunde nach der Niederlegung der Rosen wird die Sondersitzung der Bürgerschaft beginnen.

Grund war nicht der Haushalt 2017/2018, der noch nicht beschlossen wurde. Auch nicht die Personalstruktur der Verwaltung, die durch die Weggänge von dem Kämmerer Wille und dem Bausenator Hochheim geschwächt dasteht. Stattdessen traf man sich, weil die CDU-Fraktion gemeinsam mit der KfV-Fraktion, Peter Multhauf (LINKE), Torsten Hoebel (FDP) und Nikolaus Kramer (AfD) über die Entscheidung des Senats aus Januar reden wollten. Dafür hatte sie auch eine Beschlussvorlage eingereicht, die interfraktionell angestrebt war, der sich nach Einreichung allerdings nur Nikolaus Kramer angeschlossen hatte. Von den 43 Mitgliedern waren anfangs 36 anwesend, zum Ende hin 39. Bevor es regulär zu den Fragen und Anregungen der Einwohnerinnen, verlas die Bürgerschaftspräsidentin zunächst zwei Briefe zum Thema. Der erste von der Rektorin der Universität, den wir bereits hier veröffentlicht haben, der zweite von ehemaligen Oberbürgermeistern der Stadt Greifswald, die kritisierten, dass die Öffentlichkeit nicht ausreichend eingebunden wurde. Danach konnten die Bürgerinnen, die den Saal bis in die Eingangshalle füllten, reden. Sechs Personen nahmen die Gelegenheit wahr und brachten ihre Gedanken zum Ausdruck. Vom AStA-Vorsitzenden, der sich den Worten Webers anschloss bis hin zu Vorwürfen, die Senatsmitgliedern hätten sich nicht in aller Breite mit der Tragweite ihrer Entscheidung auseinandergesetzt, war alles dabei.


Danach durften dann die Antragsteller ihre Vorlage einbringen. Prof. Hardtke betonte dabei, dass es den Einbringern nicht um Arndt ging. Auch wollen sie mit dem Antrag nicht in die Hochschulautonomie eingreifen, sondern die Senatsmitglieder darum bitten, sich der Sache erneut anzunehmen. Sie hätten schließlich den Stellenwert Arndts falsch eingeschätzt und waren sich nicht dessen bewusst, wie die Entscheidung in der Stadt ankommen würde. Er könne sich zumindest nicht daran erinnern, dass es in dieser Stadt jemals zuvor einen solchen Proteststurm gegeben habe. Auch Hochschild, der den Antrag mit einbrachte, betonte, dass die Antragsteller sehr für die Hochschulautonomie sind. Aber ebenso wie die Senatoren das Sprachrohr der Studierenden sein, sei die Bürgerschaft das Sprachrohr der Bevölkerung. Durch die Entscheidung des Senats sei ein tiefer Graben entstanden, den es gelte, wieder zuzuschütten.

Nach dieser Einbringung ergriff der Oberbürgermeister das Wort: Er könne verstehen, dass viele sich darüber echauffierten, nicht in die Entscheidung eingebunden worden zu sein, jedoch sei es eine legitime Entscheidung des Senats gewesen. Arndt war schon länger ein Patron, der die Universität mehr spaltete als einte. Als Stadt und Universität habe man in der Vergangenheit immer gemeinsam Angriffe abgewehrt, diesen Zusammenhalt sollte man weiter beibehalten. Um Studierende werben zu können, müsse man diese auch in Greifswald willkommen heißen.

 

Gräben spalten Stadt und Universität

 

Was folgt, ist ein gut 90 minütiger Meinungs- und Argumenteaustausch zwischen den beiden Parteien. Der Cut lässt sich aber auch hier nicht einfach bei ‘Ich bin für Arndt und will die Universitätsleitung und den Senat abstrafen’ und ‘Ich bin gegen Arndt und für die bedingungslose Hochschulautonomie’ ziehen. Die Fronten, wenn man sie so nennen will, sind fließend. Besonders hervortun konnte sich der CDU-Politker und Mitgründer des konservativen Kreises Sascha Ott. Mit viel Pathos griff er die Entscheidungsfinder des Senates an und verglich diese mit Heuschrecken, die Arndt aus der Geschichte tilgen wollen. 

Ein solches Denken, meine Damen und Herren, wird aber dann zur ernsten Gefahr, wenn es ideologisch überfrachtet ist. Wenn jene Kräfte die deutsche Geschichte durchstreifen, nur um alles auszumerzen, was nicht in ihr oberlehrerhaftes Weltbild passt. Gleichsam, wie Heuschrecken der Geschichte. 

Sascha Ott, Bürgerschaftsmitglied CDU-Fraktion, Bürgerschaftssitzung 30.1.17

Viele Redebeiträge richteten sich jedoch nicht an die historische Einordnung des Namenspatron, sondern wo und ob Schuldzuweisungen zu suchen sind. So wurde mehrfach betont, dass auch die Bürgerschaft im Vorfeld der Entscheidung versäumt hat, der Universität ihren Standtpunkt klar zu machen. Auch wenn es durch die Antragsteller oft betont wurde, dass der Senat eine fast heimliche Entscheidung herbei geführt hat, wurde noch auf der Sitzung vorgerechnet, dass alleine die Ostsee-Zeitung im Vorfeld 15 Artikel zu dem Thema allein in der Printausgabe veröffentlichte. Zudem hätte die Bürgerschaft selbst keinen Beschluss mit einer entsprechenden Positionierung erstellt.  Ebenfalls keine Einigung konnte bei der Frage erzielt werden, wer Gräben in der Beziehung zwischen Stadt und Universität ausgegraben hat und an wem es nun sei, diese wieder zu schließen. Dr. Fassbinder und Frau Prof. Weber machten bereits vor der Sitzung ein Angebot, welches beide Seiten wieder aufeinander zubewegen soll: Ein gemeinsamen Kolloquium über das Wirken Arndts und seine Bedeutung als Namenspatron in Greifswald. 

Nach der Debatte kam es zu der Abstimmung: Nur 18 Bürgerschaftsmitglieder konnten sich für den Antrag entscheiden, 21 votierten mit Nein. Damit wurde der Antrag, welcher die Uni “unter Beachtung des durch die Bürgerschaft zum Ausdruck gebrachten Willens der Bürger Greifswalds” auffordern sollte, die Entscheidung zu überdenken, abgelehnt. Der Wille der Bürger Greifswalds, vertreten durch die Bürgerschaft, scheint also nicht so absolut, wie durch die Antragsteller eingangs propagiert. Passende Worte fand dazu während seines Redebeitrags Dr. Ulrich Rose (fraktionslos). Er betonte, dass man jetzt Lautstärke und Penetranz nicht mit Mehrheiten oder gar Ausschließlichkeiten verwechseln dürfe. Eine Mahnwache am 6. Februar vor dem Universitätshauptgebäude, sowie die angekündigte Großdemonstration am 12. Februar wird es trotzdem geben und zu beiden Veranstaltungen werden auch Greifswalder kommen, um für ihren Arndt zu kämpfen. Ob sie jedoch die Mehrheit der Bürger darstellen, steht nach der Entscheidung des Senates und nach dem Votum der Bürgerschaft nicht mehr wirklich so fest, wie Antragsteller Egbert Liskow es gerne hätte. Dieser veröffentlichte nach der Sitzung via Facebook ein Foto. Auf diesem sieht man ihn grinsend die Ärmel hochkrempeln, verbunden mit der Aussage, dass er die Universitätsleitung und Senatsvorsitzende auffordere, auf die Sorgen der Greifswalder Bevölkerung einzugehen und erneut abzustimmen. Nicht weniger als ein starker Eingriff in die Hochschulautonomie. Auch wenn sich die Universität nicht im luftleeren Raum, sondern in Vorpommern befinde, wie schon auf der Sitzung mehrfach betont wurde. Solange sich also noch Bürgerinitiativen in einer deutlichen Mehrheit gegen die Umbenennung wähnen und eine Sorge der Greifswalder Bevölkerung ein Identitätsverlust durch die Änderung des Universitätsnamens ist, wird die Debatte nicht ruhen. 

EDIT 14:45 Uhr: Im ersten Absatz hieß es versehentlich FFDP anstelle FFDG.

Beitragsbild: Michael Sander via wikicommons