Ja, es stimmt. Manchmal ist es müßig Gesetzestexte zu lesen und zu verstehen. Allerdings lohnt es sich auch manchmal, eben solche Gesetzestexte zu durchdringen – auch wenn es auf den ersten Blick scheint, als wäre man nicht direkt betroffen.

Ein Kommentar von Stefan Lukas

Einer dieser Texte ist das neue Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND), welches heute im Bundestag verabschiedet werden soll. 
Schon das alte BND-Gesetz war äußerst lesenswert. Mit Zwölf Paragraphen vergleichsweise kurz, regelte der bisher bestehende Rechtstext, was der BND darf und was nicht und mit wem und wie. So regelte etwa der § 2 die Befugnisse, die der BND hatte und in welchem Rahmen und Ausmaß personenbezogene Daten erhoben werden dürfen. Das alte BND-Gesetz, welches im Dezember 1990 in Kraft trat, bestand nun mit einigen kleinen Abänderungen die Jahre hindurch, bis dummerweise deutlich wurde, dass ausgerechnet die Einrichtung, die durch das Gesetz reguliert werden sollte, sich schlichtweg nicht daran hielt. 
Als im Zuge der Snowden-Enthüllungen immer deutlicher wurde, dass auch der BND seine Kompetenzen massiv überschritten hatte, war die Politik gezwungen zu handeln. Besonders die Weitergabe von Daten an auswärtige Einrichtungen, wie etwa die NSA und den britischen Nachrichtendienst GCHQ, löste in der deutschen Gesellschaft großen Unmut aus. Denn nach § 9 Abs. 2 des BND-Gesetzes durfte dieser nur unter ganz eingeschränkten Bedingungen Informationen an ausländische Dienste weitergeben. Die massenhafte Datenweitergabe des BND brach ganz klar mit diesem Gesetz.

Die Politik, und damit ist insbesondere das Bundeskanzleramt als Kontrollinstanz gemeint, stand nun im Zugzwang, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen. Dabei hatte das Bundeskanzleramt zwei Möglichkeiten. Entweder es zog Konsequenzen aus den Enthüllungen Snowdens und achtete nun verschärft auf die Maßnahmen des eigenen Nachrichtendienstes im Sinne des Grund- und Bundesdatenschutzgesetzes, oder aber man änderte das bisher bestehende Gesetz, um etwaige Unklarheiten auszuräumen. 
Doch der neue Entwurf des BND-Gesetzes von diesem Sommer schlug in eine ganz andere Richtung. Ja, das Bundeskanzleramt hatte Konsequenzen gezogen und die sahen unter anderem wie folgt aus: Mit nun 36 Paragraphen war das neue Gesetz deutlich umfangreicher. Wer jetzt aber denkt, dass mit umfangreich auch detaillierter und konkreter gleichzusetzen ist, der irrt. Vor allem bei den betreffenden Paragraphen zur Datenerhebung ist man bewusst schwammig geblieben. So darf der BND jetzt Daten erheben, um „die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren“. Fragt sich jetzt nur, wo genau und wann diese Handlungsfähigkeit gefährdet ist. 
Ein weiterer Punkt ist das Ausmaß, in dem der BND Daten erheben darf. Ist bisher geregelt, dass der BND nur einzelne Leitungen anzapfen darf, so spricht der neue Gesetzestext nun von ganzen Telekommunikationsnetzen, aus denen Daten erhoben und weitergegeben werden dürfen. Vor allem dieser Abschnitt bringt insbesondere die Internetwirtschaft auf die Barrikaden. In Deutschland, genauer gesagt in Frankfurt am Main, befindet sich mit dem DE-CIX der größte Internet-Knoten von virtuellen Daten weltweit. Da mittlerweile klar geworden ist, dass sowohl die NSA als auch der BND an diesem Knotenpunkt seit 2009 massiv Daten illegaler Weise filterten, klagt nun die Betreiberfirma gegen diese Praktiken, da sie sonst einen gravierenden Schaden für den eigenen Ruf befürchtet. Mit dem neuen BND-Gesetz wäre dies allerdings vollkommen legal und würde die Internetwirtschaft, die im sogenannten Eco-Verband organisiert ist, vor enorme Herausforderungen stellen.

Proteste vor der zukünftigen BND-Zentrale in Berlin-Mitte

Proteste vor der zukünftigen BND-Zentrale in Berlin-Mitte

Mit anderen Worten erscheint es jetzt so, dass das neue BND-Gesetz eines ist: ein Blankocheck für die bisherigen Praktiken des BND und für die Zeit darüber hinaus. Das Bundeskanzleramt und auch das derzeitige Bundeskabinett reagieren auf die Warnung Snowdens vor zu viel Überwachung nun mit noch mehr legaler Überwachung – Was nicht sein durfte wird möglich gemacht und soll sogar noch ausgebaut werden.

Wozu das Führen kann, zeigen die aktuellen Geschehnisse in China. Die chinesische Regierung will mit Hilfe von Großunternehmen wie Alibaba und Co. das sogenannte Citizen-Scoring einführen. Die Daten, die der Staat über seine Bürger durch alle möglichen Kanäle erhält, sollen ihn dazu befähigen, die eigenen Bürger einzustufen. Je mehr Punkte die Person hat, desto bessere Bedingungen soll sie im Alltag erhalten. Geht der Bürger jedoch auf die Straße demonstrieren oder äußert sich kritisch im Netz, so gibt es Minuspunkte im Scoring und schlechtere Alltagsbedingungen. Dies könnte dann schließlich Auswirkungen auf zu zahlende Steuern haben, oder etwa auf die Chancen bei der Annahme an den Universitäten. Was klingt wie eine Dystopie von George Orwell, ist in der Proberegion Suiding für mehr als eine Million Menschen bereits Realität.

Es stimmt, datenschutztechnisch haben wir in Deutschland noch einen ganz anderen Standard. Dennoch sollten wir uns fragen, wie weit wir gehen dürfen, um etwaigen Gefahren mit massenhafter Überwachung vermeintlich vorzubeugen. Denn wie sagte bereits Benjamin Franklin: „Wer wesentliche Freiheit aufgeben kann um eine geringfügige bloß jeweilige Sicherheit zu bewirken, verdient weder Freiheit, noch Sicherheit.“

Fotos: wikipedia (wikicommos), flickr (cc)